Bekenntnisse eines Kerls, der sich den Wahnsinn leistet, Bahn zu fahren

Freitag, 4. April 2014

Letzte Woche beklagte sich die »Gewerkschaft der Lokführer« (GDL) darüber, dass Zugbegleiter immer häufiger Angst vor Gewalt am Arbeitsplatz hätten. Ich hörte dem Sprecher der GDL bei einem Radio-Interview zu und erinnerte mich, wie ich auf einer der letzten Zugfahrten dem Zugbegleiter am liebsten meine Faust in seinen Bauch gerammt hätte.

Zu mir war der Mann ja freundlich. Mein Ticket sah er nur aus der Ferne an, winkte ab. Ging weiter. Ohne Lächeln, aber das braucht es auch nicht. Aber der Schwarze, der versetzt vor mir saß, der wie ich mit seinem Ticket wedelte, den nahm er sich mal genauer vor. Er warf einen ganz ausgiebigen Blick darauf und fragte nochmal nach, wo er denn eingestiegen sei. Der Mann antwortete und der Bahnwart guckte nochmal auf das Ticket. Und nochmal. Schaute sich noch mal den Besitzer des rechteckigen Pappstreifens an und wirkte einige Momente etwas phlegmatisch. Als wüsste er nicht, was er tun sollte. Er zögerte noch ein bisschen, gab das Ticket aber dann wortlos zurück. Dabei schien er fast wehmütig. Ja, irgendwie enttäuscht. Den nächsten Fahrgast, einen der aussah wie er selbst, fertigte er im Vorübergehen ab.

Wer sich so benimmt, dachte ich mir, der soll auch Angst haben müssen am Arbeitsplatz. Der sollte gar keinen Arbeitsplatz haben, wo er auf Menschen trifft. Warum hat er mich nicht so genau geprüft? Ich will verdammt nochmal auch so genau geprüft werden! Nur weil ich weiß bin und aussehe wie einer seiner fetten Kumpel vom Stammtisch, muss er mich doch nicht im Vorbeigehen abhandeln. Ich hätte natürlich patzig werden können. So einfach ist das heute aber nicht mehr. Vor einiger Zeit stand eine junge Frau einem schwarzen Mann bei, der von zwei Bundespolizisten in der Bahn gegängelt wurde. Zivilcourage sei das aber nicht gewesen, sagte ein Gericht, eher Behinderung der Polizeiarbeit, weswegen das Abführen der Frau mittels Polizeigriff auch in Ordnung gegangen sei.

»Du kannst dir nicht vorstellen, was ich heute am Frankfurter Bahnhof gesehen habe«, sagte meine Frau, kaum dass sie zur Türe hinein war.
   »Ich weiß doch, der Cookie-Laden am Eck ist zu. Hast du mir gestern schon erzählt.«
   »Quatsch! Da war ein Farbiger, der in den Zug einsteigen wollte und vor dem Waggon standen einige Schaffner beim Plausch. Plötzlich sagte der eine zu dem Farbigen, er soll sein Ticket herzeigen. Der Mann verweigerte aber.«
   »Warum sollte er auch das Ticket vor Abfahrt zeigen?«, fragte ich.
   Er bezahlt ja nicht für das Betreten des Zuges. Wäre dem so, hätte ich schon oft einen Zug illegal betreten. Wie oft habe ich jemanden geholfen, den Koffer zu verstauen, mich nochmals verabschiedet und dann noch mal an Bord gepisst. Braucht man da schon ein Ticket? Das mag vielleicht bahnregulär sein, aber menschlich ist es nicht. Und in diesem Fall war es sogar rassistisch.
   »Das war so ein junger Schaffner und der meinte dann auch irgendwie, dass er bei bestimmten Gästen genau schauen muss. Aber der Mann verweigerte, stieg ein und der Schaffner quatschte einfach weiter mit seinen Kollegen.«
   Vermutlich hatte er keine Lust auf Trubel und fand sich dann noch mordsmäßig großzügig, einen Neger einfach so einsteigen zu lassen.
   Sie nannte diesen Zugbegleiter »so einen Wichser« - wenn sie schon mal sowas sagt, muss sie wirklich beeindruckt gewesen sein von dieser Szene. Wäre es nicht irgendwie verständlich, wenn ein solches Benehmen zu einem Gewaltausbruch führte? »Immer feste drauf, Schatz, ich halte seine Kumpels auf Abstand ... und wir spielen Bonnie und Clyde

Der Wichser hat den schwarzen Fahrgast natürlich geduzt. Diesen Mechanismus kenne ich ja noch von früher, als mancher Typ meinte, er könne meinen Vater grundsätzlich duzen, weil er ein Ausländer sei. Ich bin ja nun kein großer Freund des Siezens, aber wenn es üblich ist, dann muss es bei allen üblich sein. Ich bin doch auch höflich und sieze, wenn ich sage: »Sie Wichser gehören nicht von der GDL verteidigt, es wäre viel mehr schön, wenn Sie wirklich Angst hätten zur Arbeit zu gehen.«

Dieser Sprecher von der GDL war ohnehin so ein leicht beleidigter Typus. Dass es seinen Kolleginnen und Kollegen so ergehe, habe mit den Fahrgästen zu tun. Die lassen es manchmal grundlegend an Respekt fehlen, sagte er mürrisch. Erst auf Nachfrage gab er auch der Bahn eine Teilschuld, weil die Fahrgäste manchmal viele Stunden ohne Informationen am Bahnsteig stehen läßt. Deshalb muss man aber sicherlich keinem eins in die Fresse geben. Dagegen bin ich auch. Eigentlich auch, wenn sie rassistisch profilen. Aber dass es einem in den Fäusten juckt, das kann ich in so einem Fall eben verstehen.

Das hat mich dann wieder ernüchtert, dass es meistens nur die wirklich schlechte Informationspolitik der Bahn ist, die zu solchen Ausrastern führt. Klar, es ist wie immer: Meine Verspätung ist schlimmer als der unmenschliche Übergriff auf meinen Nächsten. Und wenn man doch was sagt, dann bringt man sich in die Klemme. Der Zugbegleiter kann ja anweisen, dass man am nächsten Bahnhof aus dem Zug entfernt wird. Keine Seltenheit bei »Querulanten« und »Störern«. Aber was sagt man in einer solchen Situation auch? Man ist so vor den Kopf gestossen, dass man perplex ist. Und bis einem doch was einfällt, hat der Typ seinen Herrenmenschenarsch schon weitergeschoben.

Manche Zugbegleiter leiden nicht zu viel, sondern viel zu wenig an ihrer beruflichen Situation. Manche bräuchten tatsächlich welche auf die Backen. Gewalt ist keine Lösung. Aber bei solchen widerwärtigen Typen löste sie wenigstens die Verbitterung, die nach solchen Erlebnissen des Bahnalltages entsteht. »Uhhh, jetzt tickt er aber aus«, wird mancher sagen. »Nu wird er aber geschmacklos.« Kann sein. Mir egal! Dass ich den Rassismus in Phantasieuniform irgendwie respektieren muss, kann man aber nicht von mir verlangen. Schade um all die anständigen Zugbegleiter. Schade aber auch, dass all das bahnuniformierte braune Gesindel nicht mehr Angst haben muss in dieser ach so zivilisierten Mobilitätsgesellschaft.


10 Kommentare:

Anonym 4. April 2014 um 06:42  

Solche Typen mag es geben, bei euch im Süden aber wohl häufiger als hier in der Zivilisation ;-)

Viel häufiger, ja regelmäßig begegnen mir laute, aggressive Reisende - gerne besser gestellte - die ihren Ärger, ihre Wut am oft einzigen Zugbegleiter auslassen, von den ausrastenden Jungmännern, die leicht einen ganzen Zug terrorisieren können, sehe ich schon ab.

Anonym 4. April 2014 um 07:02  

Solche Typen gibt es, bei euch im Süden aber wohl häufiger als bei uns in der Zivilisation Norddeutschlands, das ja bekannt ist für seine Weltoffenheit und Toleranz.
Sie sind mir aber nun noch gar nicht begegnet., diese Alltagsfaschisten. Ich bin wohl die glückliche Ausnahme. Regelmäßig allerdings treffe ich bei meinen nicht seltenen Zugfahrten aggressive Reisende. Ob einfach nur dumm wütend oder anmaßend frech, eigentlich ist immer einer dabei. Da juckt es mich in den Fäusten. Es ist die gleiche Sorte Mensch, die Bedienungen im Restaurant schikaniert, die Kassiererinnen im Supermarkt anblökt. Also, haut nicht die Zugbegleiter, nur weil es unter ihnen Arschlöcher gibt.

maguscarolus 4. April 2014 um 09:05  

@Anonym

Kommt eben immer drauf an, wo man hin schaut und was man sehen will oder nicht.
Aber zu glauben, dass das eigene "Noch-nicht-Beobachtet-Haben" die Erfahrungen von Anderen relativiert, das ist schon ganz schön ... ja was eigentlich?

btw: Wo find ich diesen herrlich zivilisierten "Norden"?

Anonym 4. April 2014 um 09:07  

rassistische zugbegleiter erleb ich auch regelmäßig. und wenn ich dann und wann mal was sag heists nur gernervt, das sei nicht meine sache. ich dürfe mich nicht einmischen hat mal einer gemeint. daraufhin haben sich noch 2 fahrgäste einggemischt und fragten, die neuerdings als panzerschilldkröten verkleideten, zugbgleiter seitwann man nicht mehr das recht habe sich irgendwo ein zu mischen.
unfreundich und herablassend sind sie auch in der mehrheit und ordnungsversessen. ich könnte viel erzählen... ein kumpel hat mal so einen vollgepanzerten gefragt was er hier überhaupt macht "ich mach hier die sicherheit". antwort meines freundes "die sicherhei! ich fahr hier jetzt schon über 20 jahre zug und hatte nie angst. höchstens vor euch"

Anonym 4. April 2014 um 10:27  

ANMERKER MEINT:

Widerlich, dieser alltägliche latente Rassismus. Ich vertrete die Ansicht:In solchen Fällen, muss mensch sich einmischen. Ich mache das jedenfalls, wenn die Situation es ermöglicht. Ich spreche solche Leute wie den Schaffner an, nicht lautstark sondern im Zwischengang,quasi "geschützt". Ob es dann hilft, weiß ich nicht. Aber das bisschen Zivilcourage muss schon sein.

MEINT ANMERKER

Siewurdengelesen 4. April 2014 um 10:33  

Leider muss ich zugeben, dass es diese Mitarbeiter gibt und das nicht nur bei der Bahn oder besser den Bahnen. Das trifft auf jeden Bereich zu, in welchem Menschen miteinander in Kontakt treten, sei es die Polizei, Ämter, am Einlass von Diskotheken und der Supermarkt. Das die Uniform dabei eine erhebliche Rolle spielt, erfuhr bereits der "Hauptmann von Köpenick".

Glücklicherweise trifft das nicht auf alle zu, nur ist es wie immer bei derlei Geschichten, das negative Erlebnis bleibt haften und wird Beispiel - das positive hingegen als normal erfasst und ohne besondere Erwähnung hingenommen, sogar wenn es über den üblichen Umgang hinausgeht.

Aus meiner mittlerweile reichlichen Berufserfahrung kann ich die Ansicht des Gewerkschafters bestätigen, als Träger einer "Pantasieuniform" wird man oft genug bereits wegen dieser zur Zielscheibe und das Verhalten von Kunden gegenüber dem Personal entspricht vor allem am Wochenende und mit zunehmender Dämmerung, bei gesellschaftlichen Großereignissen wie Fußball oder Volksfesten oder/und in Verbindung mit Alkohol sowie anderen bewußtseinsverändernden Mittelchen lange nicht mehr der gesellschaftlichen Norm.
Das rechtfertigt zweifellos nicht voreingenommenes und überhebliches Verhalten gegenüber Fremden, nur weil sie offensichtlich als solche zu erkennen sind, Arschlöcher gibt es überall.

Anonym 4. April 2014 um 11:25  

Früher habe ich mich oft gefragt: "Wie konnte das nur passieren? Wie konnten Deutschlands Menschen nur so einen Irren wie Hitler an die Macht bringen? Wie konnten Deutsche Ärzte mit Menschen qualvolle Experimente durchführen?
Wie konnten Deutschlands Lehrer den Kindern lehren, daß Juden Untermenschen sind?
Wahrscheinlich von der Menschlichkeit verlassen... für etwas Macht?!

Heute weiß ich es.
Wir müssen uns nur die Haltung unserer Politiker zur Ukraine anhören oder uns die schleppende Untersuchung der Morde an ausländische Mitbürger, von Akten schreddern usw. ganz zu schweigen, genau anschauen.

Von der Politik geht sowieso so ein Grundton aus: Deutschland über alles.....Deutschland in Afrika, Afghanistan, Balkan usw.

G. Bieck

Anonym 4. April 2014 um 11:58  

Es gab eine Zeit, da fuhr ich häufiger mit der Bahn von Bremen nach Wuppertal. Als Nichtraucher im Nichtraucherwagen. Zu der Zeit war mir noch das Glück hold, keine überfüllten Züge zu erleben, es gab immer genügend Sitzplätze.

Eine Gruppe Fußballspieler, feierte ihren Sieg - das ging aus ihrem Gegröle hervor - die leeren Bierdosen kullerten auf dem Wagenboden umher, auch bis zu mir, die ich dann "zurückkickte", und dann steckten sich ein paar der Feiernden auch noch Zigaretten an. Das wurde mir dann doch zu viel, ich sagte.

"Entschuldigung, aber das ist ein Nichtraucherabteil und ich bin Nichtraucher. Deswegen sitze ich hier."

Das war denen egal, ich sah aber im nächsten Wagen den Kontrolleur in unsere Richtung kommen und wartete. Als der den Wagen betrat, rauchten die immer noch und auch die Bierdosen kullerten durch den Gang. Der Kontrolleur sagte nichts und ging an der Gruppe vorbei. Mich hat er dann kontrolliert und ich nutzte den Moment mich über die Gruppe zu beschweren, weil die rauchten.

Das war dem peinlich, oder der hatte Angst vor denen, er forderte die nicht direkt auf, sondern hat die nur gebeten, aufzuhören. Die waren aber friedlich genug dann den Wagen zu verlassen ... die leeren Bierdosen kullerten bis zum Ausstieg immer wieder einmal vor meine Füße.


Anonym 4. April 2014 um 13:36  

Wenn ich mal ein Interna ausplaudern darf:
Bei Personenkontrollen bei Autofahrern werden schwerpunktmäßig allein fahrende junge Männer kontrolliert, weil das die größte Problemgruppe ist. Am wenigsten kontrolliert werden Paare, weil die Partner quasi gegenseitige Kontrollinstanzen sind und in dieser Gruppe die geringsten Problemfälle sind.
Kontrollen werden also tendenziell in Abhängigkeit der Erscheinung der Personen gemacht.

Anonym 4. April 2014 um 23:19  

@ANMERKER (4. April 2014 10:27)

Leider habe ich weitesgehend aufgehört gegen alltäglichen latenten Rassismus anzugehen.
Mein Problem ist, dass unter meinen Arbeitskollegen rassistische Sprüche so sehr an der der Tagesordnung sind, dass es nahezu unmöglich ist dagegen vorzugehen. Schnell ist man da mal der linke Gutmensch, der von den anderen nicht ernst genommen wird.
Ich habe das schon mal durchgemacht, damals als „Deutschland schafft sich ab“ herauskam und fast alle in meinem Laden (ich arbeite im Lebensmitteleinzelhandel) sofort der Meinung waren der Sarrazin hätte mit allem recht und die BILD ihnen noch zusätzlich Bestätigung gab.
Diskutieren war zwecklos, vor allem weil ich da schnell mal mehrere gegen mich hatte, die mich ständig unterbrachen und meine Gegenargumente ohnehin nicht hören wollten und mich nur als naiven Spinner abstempelten.
Mit der Zeit wurde ich zum Außenseiter, denn auch jene, die nicht die rassistischen Ansichten teilten, keine Sprüche absonderten, wenn mal wieder ein Moslem oder ein Schwarzer Fahrer Wahre lieferte gaben keinen Konter. Es war ihnen egal und sie wollten ihre Ruhe haben und irgendwann war ich der Ruhestörer, der doch einfach mal das Maul halten sollte.
Irgendwann platzte mir mal der Kragen, als Kolleginnen und Kollegen mal wieder ihre Sprüche über einen Schwarzen absonderten. Der Mann brachte regelmäßig Ware und war immer zuverlässig, aber jedesmal die selben dummen Sprüche. („Hat der eigentlich nen Führerschein oder fährt der schwarz.“)
Bei ihm wurde auch immer ganz besonders gründlich die Wahre geprüft und als mehrere kaputte Mehltüten dazwischen war meinte eine Kollegin nur: „Da hat der faule Neger mal wieder die Wahre nicht richtig gesichert.“
Da nannte ich sie ganz direkt eine Rassistin und fragt, ob sie sich auch traue, dem Fahrer das ins Gesicht zu sagen.
Ja ich gebe zu, ich war dabei laut und habe das auch nicht gerade höflich geäußert und ich war an dem Tag schlecht drauf. Dennoch, ich war einfach der Meinung, dass könne ich ihr nicht durchgehen lassen.
Das war aber völlig egal, denn ich war derjenige, der angeblich Unruhe in den Laden bringt und mir wurde von meinem Chef noch am selben Tag nahegelegt, ich solle doch in einen anderen Markt wechseln.
Ich hatte eh die Schnauze voll und habe zugestimmt.
Auch im neuen Markt gab es diese Sprüche, aber ich reagiere nicht mehr darauf.
Auch ich will einfach nur meine Ruhe haben.

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