Quatschbehauptungen von Konservativen, dass Soziologen nur Quatschbehauptungen aufstellen
Montag, 14. April 2014
Dieser »Islam-Rabatt« ist ja nicht einfach ein Geschenk an Täter muslimischer Herkunft in Deutschland. Er lässt sich soziologisch begründen. Aber für die Neokonservativen ist Soziologie ja eine Erfindung von Gutmenschen. Nicht wahr, Akif Pirinçci?
Über den hat man sich kürzlich sehr gewundert. Über ihn und das ZDF, das so einen rechten Faxenmacher einlud, damit er dort seine Thesen verbreiten konnte. Aber alles was er da so preisgab, mag es noch so fäkal gewesen sein, findet sich auch in jenem anständigen Teil der Gesellschaft, der jetzt vorzugsweise via »Bildzeitung« über »Islam-Rabatte« vor Gericht schimpft. Pirinçci reimte sich im ZDF irgendwas von »Quatschbehauptungen von Soziologen« zusammen, die sich den »Blödsinn« nur ausdenken, weil sie Geld vom Staat bekommen. In jenem Dialog mit der Moderatorin ging es um Türken, die sich in Deutschland nur vermeintlich zerrissen fühlten zwischen Herkunft und Lebensumfeld. Aber eben nur vermeintlich, denn Pirinçci spricht als Türke für alle Türken und sagt: Alles Unsinn! Zwar sagte er es so nicht, aber vermutlich dachte er an den »linken Zeitgeist«, der die Soziologie überhaupt erst möglich macht. Eventuell glaubte er aber auch mit der Floskel »grün-rot-versiffte Politik« genau das ausgesprochen zu haben.
Wenn nun die konservative Presse und weite Teile der Union vom »Islam-Rabatt« sprechen oder erklären, es dürfe »keinen Rabatt für Täter geben, die sich auf religiöse Motive berufen« (Bosbach), dann sagen sie mit feineren Worten, was Pirinçci vor sich herstammelte. Nämlich: Soziologische Erkenntnisse sind Quatsch. Besondere Zwangssituationen, die sich aus einem Leben zwischen zwei Weltansichten und kulturellen Realitäten ergeben, sind nur das Geflunker von Erforschern des sozialen Verhaltens und daher auch Quatsch.
Dass es Wechselwirkungen und Kollisionen geben kann zwischen dem, was die islamische Sicht auf die Dinge und der Ideologie des Westens angeht, wird abgetan und nicht anerkannt. Man winkt ab und sagt »Quark«. »Wir sind eine Willkommenskultur. Wer will, der kann. Man muss doch nicht zerrissen sein.« Wenn das mal so einfach wäre. Das sind die Behauptungen von Leuten, die nichts von Kulturschocks wissen; das Blabla ignoranter Zeitgenossen, die die Welt bereist haben, sich aber überall gut angepasst haben. Dass die Welt aber grundlegend eurozentrisch oder westlich tickt, auch dort wo Europa und der Westen nicht ist, nehmen sie in ihre Wertung nicht mit auf.
Und es ist im übrigen ja auch nicht so, dass dieser populistisch stilisierte Begriff des »Islam-Rabatt« zu Strafbefreiung führt. Die Täter werden ja bestraft. Die Richter berücksichtigen nur, dass da jemand aus »zwei Welten« kommt und dass es Verwerfungen zwischen den kulturellen Realitäten geben kann. Das heißt nicht, dass man ihm zugesteht, dass er nicht zurechnungsfähig ist. Es heißt aber wohl, man sollte das Umfeld des Täters verstehen, um nachvollziehen zu können, ob es Aspekte gibt, die ihn entlasten. Jemanden, der aus Eifersucht seine Frau tötet, prüft man ja auch. Man will wissen, was genau die Eifersucht entfesselte und gesteht ihm zu, dass die Umstände ihn vielleicht tatsächlich überfordert und Frau mitsamt ihren Geliebten ihn durch Taktlosigkeit angestachelt haben. Deswegen wird er nicht freigesprochen. Man bezieht nur die Umstände mit ein.
Diese juristische Praxis basiert auf einem soziologischen Weltbild, in dem Täter nicht per se schlecht oder böse, sondern immer auch Produkt ihres Milieus, spezieller Lebenslagen oder Eindrücke sind. Deswegen sind sie noch lange keine Opfer. Aber eben auch keine Teufel. Es gehört zu einem aufgeklärten Weltbild, Täter nicht einfach in den Kerker zu sperren, sondern sie auch begreifen zu wollen. Nur so entwickelt sich Gesellschaft weiter und kann eventuell präventiv vorgegangen werden. Das klappt natürlich nicht immer.
Schon vor über einem Jahr schrieb ich von Buschkowsky, so wie er »sein« Neukölln beschrieb, als »Chronisten seines eigenen Versagens«. Ich kritisierte ihn dafür, dass er den Menschen aus Neukölln vorwarf, sie hätten größtenteils falsche Arbeits- und Moralvorstellungen. Aber in einem Milieu, das von der Politik über Jahre vernachlässigt wurde, gilt ganz besonders, »dass Dynamiken nicht frei wählbar entstehen, sondern durch gesellschaftliche Momente determiniert sind«. »Die Eigenverantwortlichkeits-Rhetorik der Marktradikalen«, schrieb ich außerdem, habe der »Soziologie [...] das Wasser abgegraben«.
Nicht umsonst nannte ich diesen Text damals im Untertitel »Das Scheitern der Soziologie«. Und genau unter diesem Motto läuft der neokonservative Rollback. Sie haben der Aufklärung den Krieg erklärt und machen die Soziologie, die sie als dezidiert politisch links verorten, zu einer Voodoo-Lehre, die man ganz schnell beenden sollte. »Gutmensch« oder »Islam-Rabatt« sind Kampfbegriffe zur Erlangung dieses Ziels. Sie beschwören ein längst überholtes Weltbild der gnadenlosen Härte, in dem nur der Kerker und Kettenhaft angemessene Antworten auf Verbrechen waren. Resozialisierung als Grundrecht lehnen sie ab. Als Gnadenakt können sie sich sie vorstellen - aber nur im besten Fall.
Sie haben so gesehen nicht nur ein gespaltenes Verhältnis zum Sozialstaat, sondern eben auch zur Soziologie und der Resozialisierung - zu allem, was das Soziale im Namen trägt. Also den »socius«, den Gefährten oder das Gesellschaftliche. Die Hölle, das sind für sie immer die anderen. Und Soziologie ist ja immer auch die Lehre von den anderen. Nur gehen sie mit dem Motto »Ich bin so, warum können die anderen nicht auch so sein wie ich?« an die Sache heran. Und genau so funktioniert die soziologische Betrachtung nicht.
Das erklärt, warum sie nicht auf andere zugehen können. Sie sind sich der eigene Maßstab. »Egomanie« könnte man das auch nennen. Und wie so ein islamischer Mörder fühlen sie sich eben gar nicht. Das ist so wie Buschkowsky »mein« Neukölln sagt, aber keine Ahnung hat, wie man sich als Hartz-IV-Empfänger oder Ausländer in Deutschland so fühlt. Und wer Gesellschaft so begreift, der begreift Gesellschaft nicht. Blöd nur, dass diese Leute Gesellschaft gestalten dürfen.
Über den hat man sich kürzlich sehr gewundert. Über ihn und das ZDF, das so einen rechten Faxenmacher einlud, damit er dort seine Thesen verbreiten konnte. Aber alles was er da so preisgab, mag es noch so fäkal gewesen sein, findet sich auch in jenem anständigen Teil der Gesellschaft, der jetzt vorzugsweise via »Bildzeitung« über »Islam-Rabatte« vor Gericht schimpft. Pirinçci reimte sich im ZDF irgendwas von »Quatschbehauptungen von Soziologen« zusammen, die sich den »Blödsinn« nur ausdenken, weil sie Geld vom Staat bekommen. In jenem Dialog mit der Moderatorin ging es um Türken, die sich in Deutschland nur vermeintlich zerrissen fühlten zwischen Herkunft und Lebensumfeld. Aber eben nur vermeintlich, denn Pirinçci spricht als Türke für alle Türken und sagt: Alles Unsinn! Zwar sagte er es so nicht, aber vermutlich dachte er an den »linken Zeitgeist«, der die Soziologie überhaupt erst möglich macht. Eventuell glaubte er aber auch mit der Floskel »grün-rot-versiffte Politik« genau das ausgesprochen zu haben.
Wenn nun die konservative Presse und weite Teile der Union vom »Islam-Rabatt« sprechen oder erklären, es dürfe »keinen Rabatt für Täter geben, die sich auf religiöse Motive berufen« (Bosbach), dann sagen sie mit feineren Worten, was Pirinçci vor sich herstammelte. Nämlich: Soziologische Erkenntnisse sind Quatsch. Besondere Zwangssituationen, die sich aus einem Leben zwischen zwei Weltansichten und kulturellen Realitäten ergeben, sind nur das Geflunker von Erforschern des sozialen Verhaltens und daher auch Quatsch.
Dass es Wechselwirkungen und Kollisionen geben kann zwischen dem, was die islamische Sicht auf die Dinge und der Ideologie des Westens angeht, wird abgetan und nicht anerkannt. Man winkt ab und sagt »Quark«. »Wir sind eine Willkommenskultur. Wer will, der kann. Man muss doch nicht zerrissen sein.« Wenn das mal so einfach wäre. Das sind die Behauptungen von Leuten, die nichts von Kulturschocks wissen; das Blabla ignoranter Zeitgenossen, die die Welt bereist haben, sich aber überall gut angepasst haben. Dass die Welt aber grundlegend eurozentrisch oder westlich tickt, auch dort wo Europa und der Westen nicht ist, nehmen sie in ihre Wertung nicht mit auf.
Und es ist im übrigen ja auch nicht so, dass dieser populistisch stilisierte Begriff des »Islam-Rabatt« zu Strafbefreiung führt. Die Täter werden ja bestraft. Die Richter berücksichtigen nur, dass da jemand aus »zwei Welten« kommt und dass es Verwerfungen zwischen den kulturellen Realitäten geben kann. Das heißt nicht, dass man ihm zugesteht, dass er nicht zurechnungsfähig ist. Es heißt aber wohl, man sollte das Umfeld des Täters verstehen, um nachvollziehen zu können, ob es Aspekte gibt, die ihn entlasten. Jemanden, der aus Eifersucht seine Frau tötet, prüft man ja auch. Man will wissen, was genau die Eifersucht entfesselte und gesteht ihm zu, dass die Umstände ihn vielleicht tatsächlich überfordert und Frau mitsamt ihren Geliebten ihn durch Taktlosigkeit angestachelt haben. Deswegen wird er nicht freigesprochen. Man bezieht nur die Umstände mit ein.
Diese juristische Praxis basiert auf einem soziologischen Weltbild, in dem Täter nicht per se schlecht oder böse, sondern immer auch Produkt ihres Milieus, spezieller Lebenslagen oder Eindrücke sind. Deswegen sind sie noch lange keine Opfer. Aber eben auch keine Teufel. Es gehört zu einem aufgeklärten Weltbild, Täter nicht einfach in den Kerker zu sperren, sondern sie auch begreifen zu wollen. Nur so entwickelt sich Gesellschaft weiter und kann eventuell präventiv vorgegangen werden. Das klappt natürlich nicht immer.
Schon vor über einem Jahr schrieb ich von Buschkowsky, so wie er »sein« Neukölln beschrieb, als »Chronisten seines eigenen Versagens«. Ich kritisierte ihn dafür, dass er den Menschen aus Neukölln vorwarf, sie hätten größtenteils falsche Arbeits- und Moralvorstellungen. Aber in einem Milieu, das von der Politik über Jahre vernachlässigt wurde, gilt ganz besonders, »dass Dynamiken nicht frei wählbar entstehen, sondern durch gesellschaftliche Momente determiniert sind«. »Die Eigenverantwortlichkeits-Rhetorik der Marktradikalen«, schrieb ich außerdem, habe der »Soziologie [...] das Wasser abgegraben«.
Nicht umsonst nannte ich diesen Text damals im Untertitel »Das Scheitern der Soziologie«. Und genau unter diesem Motto läuft der neokonservative Rollback. Sie haben der Aufklärung den Krieg erklärt und machen die Soziologie, die sie als dezidiert politisch links verorten, zu einer Voodoo-Lehre, die man ganz schnell beenden sollte. »Gutmensch« oder »Islam-Rabatt« sind Kampfbegriffe zur Erlangung dieses Ziels. Sie beschwören ein längst überholtes Weltbild der gnadenlosen Härte, in dem nur der Kerker und Kettenhaft angemessene Antworten auf Verbrechen waren. Resozialisierung als Grundrecht lehnen sie ab. Als Gnadenakt können sie sich sie vorstellen - aber nur im besten Fall.
Sie haben so gesehen nicht nur ein gespaltenes Verhältnis zum Sozialstaat, sondern eben auch zur Soziologie und der Resozialisierung - zu allem, was das Soziale im Namen trägt. Also den »socius«, den Gefährten oder das Gesellschaftliche. Die Hölle, das sind für sie immer die anderen. Und Soziologie ist ja immer auch die Lehre von den anderen. Nur gehen sie mit dem Motto »Ich bin so, warum können die anderen nicht auch so sein wie ich?« an die Sache heran. Und genau so funktioniert die soziologische Betrachtung nicht.
Das erklärt, warum sie nicht auf andere zugehen können. Sie sind sich der eigene Maßstab. »Egomanie« könnte man das auch nennen. Und wie so ein islamischer Mörder fühlen sie sich eben gar nicht. Das ist so wie Buschkowsky »mein« Neukölln sagt, aber keine Ahnung hat, wie man sich als Hartz-IV-Empfänger oder Ausländer in Deutschland so fühlt. Und wer Gesellschaft so begreift, der begreift Gesellschaft nicht. Blöd nur, dass diese Leute Gesellschaft gestalten dürfen.
2 Kommentare:
Dieser "Rechtsdenker" kriegt ja auch gleich Applaus aus der richtigen Ecke!
Ich weiß wenig über Soziologie, aber es kommt mir immer wieder so vor, als ob sich die Rechten im Grunde doch genau deren Methoden bedient.
Es wird eine These aufgestellt, die sich wissenschaftlich nur schwer belegen lässt, weswegen man sich vor allem Statistiken bedient und Umfragen, die dann so interpretiert werden, dass sie ins eigenen Weltbild passen.
Also wo genau ist der Unterschied in der Methodik zum Feindbild des „linksversifften Gutmenschen“?
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