Traktat wider die modernen Manichäer

Freitag, 25. April 2014

oder Über die Gefahr anzunehmen, man würde unter den Guten auf Erden leben.

Die deutschen Medien scheinen im Dualismus aufgegangen zu sein. Für sie gibt es ganz offensichtlich nur noch zwei Entitäten: Gut und Böse. Mit dieser Zweiheitslehre erklären sie Weltpolitik.

Ob man nun in der »Frankfurter Allgemeinen«, der »Zeit« oder ganz klassisch in der »Bildzeitung« zur Lage in der Ukraine blättert; ob man die »Tagesschau« oder »heute« oder eine politische Talkshow zum Thema Rußland einschaltet; ob man sich einen Bericht zu Putin bei öffentlich-rechtlichen oder privaten Radiosendern antut: Der dualistische Kernpunkt und Leitgedanke ist immer derselbe. Er schwingt mal geflüstert, mal markerschütternd mit, wird aber nie in Frage gestellt. Zwei Substanzbegriffe sublimieren das weltpolitische Zeitgeschehen in einen Antagonismus, der sich zwischen »dem Guten« und »dem Bösen« abspielt. Und beide werden verortet: Gut ist hier und sind wir, böse ist dort und sind die anderen. Das ist im Wesentlichen die Reduktion der aktuellen Berichterstattung. Mehr Extrakt als diese »diese letzten Prinzipien, die die Welt begründen und gestalten« ist kaum noch.

Vor einiger Zeit war dieser Dualismus zwar auch schon spürbar, wenn zum Beispiel im Zuge neuer Weltgeltungspolitik über Auslandseinsätze der Bundeswehr geschrieben wurde. Aber ein wenig Zwischenstufe, die die moralische Rigorosität auflöste und damit das weltpolitische Geschehen wieder von Kategorien befreite, mit denen man keine politische Berichterstattung führen kann und sollte, gab es dann doch noch. Dass Politik die Kunst des Machbaren sei, hat man zwischenzeitlich oder in Zwischentönen immer wieder akzeptiert. Diese Akzeptanz scheint nun aber ad acta gelegt. Außenpolitik findet nun im Rahmen eines moralisch-dualistischen Korsetts statt. Sie ist eine fast manichäische Angelegenheit, in der die zwei Naturen des Lichts und der Finsternis miteinander ringen und in absoluter Gegnerschaft zueinander stehen.

Die Manichäer glaubten, dass seit Anbeginn das unversöhnliche gute und böse Prinzip die Antriebsfedern des Seins seien. In der Welt und im Menschen wähnten sie diese Prinzipien schuldhaft vermischt. Aber erst durch die Trennung der Entitäten könne Erlösung geschehen. Insofern könnte man fast etwas polemisch festhalten, dass wir ins »Zeitalter der Erlösung« eingetreten sind. Denn jetzt scheint Gut und Böse sich zu entwirren und die Reinheit der Prinzipien erreichbar.

Diese Kritik an der moralischen Interpretation des Weltgeschehens heißt natürlich nicht, dass Ethik kein Fach sein darf, welches in der Politik und der Dokumentation des politischen Geschehens nicht vorkommen soll. Soll sie ja durchaus. Was wäre Politik ohne moralische Grundfragen? Was ein Journalismus, der ethische Normen einfach überspielt? Nur darf keine Ethik unter dem Eindruck fest verteilter Rollen betrieben werden. Das bedeutet, »gut« kann nicht grundsätzlich »hier« und »wir« sein und »schlecht« nicht »dort« und »die anderen«. Ein moralisches Attribut ist niemals eine Ortsangabe. Man muss flexibel bewerten. Die grundsätzliche Gleichsetzung der eigenen Standpunkte mit dem Guten ist intellektuell fadenscheinig und überdies eine Gefahr.

Denn eine solche Berichterstattung erschwert die Gelassenheit, die notwendig wäre, die Dinge objektiv zu begutachten. Und sie animiert dazu, den politischen Kontrahenten erst gar nicht verstehen zu wollen. Indem man sich selbst als »das Gute« adelt, ordnet man der Gegenseite automatisch die Rolle des apriorischen Bösen zu, das nicht nur Fehler macht, sondern quasi böse ad naturam ist. Die Sublimierung des Weltgeschehens in diese beiden ethischen Kategorien ist heimtückisch. Sie macht die Konfrontation zu einer Glaubenssache und ernennt »unsere Interessen« zu einem Sujet, über das gar nicht mehr diskutiert werden muss.

Bis vor einiger Zeit waren »unsere Interessen« in den Medien noch Thema. Manche verteidigten sie, andere fragten, ob das denn wirklich alles sein müsse, um diese Interessen zu befriedigen. In der Berichterstattung zu Russland und der Ukraine haben sich »unsere Interessen« so vergeistigt, dass sie zu einer Grundsätzlichkeit geworden sind, über die man nicht spricht. Über Interessen spricht man nicht mehr - man hat sie. Wir sind in Begriff, über den Grad der Rechtfertigung hinwegzueilen. Jetzt geht es nur noch darum, das Gute in der Welt zu gewährleisten. Das aber potenziert die Konfrontationsbereitschaft; denn Sachgründe und neutrale Analysen ermahnen zur Ausgewogenheit, aber Berichte in Stile von Licht und Finsternis legen die Konklusion schon vorher fest. Im Kampf gegen das Böse ist Phlegma schließlich nicht chic. Das Gute verdeckt so die monetären Interessen und fegt die niederen Beweggründe weg, die in diesen Motiven liegen. Das Hehre kommt zum Vorschein.

Genug Philosophika jetzt. Bei so einer Phraseologie wird einem ja die Milch sauer. Aber es gibt Dinge, die kann man schlecht alltagssprachlicher ausdrücken. Nur so viel noch: Ich habe genug davon, dass ich dauernd denken soll, ich lebe zwischen den Guten dieser Welt. Für die islamische Welt und neuerdings für Russland sind wir das Konsortium des Bösen. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Irgendwo dazwischen ist auch Russland oder die islamische Welt zu finden. Wir sehen uns in diesem Dazwischen nur nicht gegenseitig, weil wir uns eine dualistische Nebelmaschine angeschafft haben.

Ich habe hier, im Land des Guten, genug erlebt um sagen zu können: Glaubt mir, auch hier gibt es viel Dunkelheit - wenn man auf der falschen Seite des Lebens steht und man den Lichtschalter nicht ertastet. Und wenn man ihn dann doch mal erfühlt hat, dann funktioniert er nicht. Die westlichen Bündnisse reagieren jetzt auch nicht gerade wie Sonnenscheine. Dass die Medien ihre Einseitigkeit dennoch manichäisch aufrechterhalten ist ein Problem. Woher sollen die Stimmen der Mäßigung denn kommen, wenn nicht durch sie? Eine Medienlandschaft, die so eindimensional berichtet, ist ein großer Stein in jenem Mosaik namens »Gefährdung des Friedens«, an dem jetzt so eifrig gearbeitet wird.


12 Kommentare:

Bandolero 25. April 2014 um 09:16  

Ich finde nicht, dass sich der Dualismus in den westlichen Medien nur auf die Ukraine beschränkt oder neu ist. Hier noch einige Themen:

Gut: EU, USA, NATO, Israel, Kapitalismus, HRW, AI uvm
Böse: DDR, Castro, Sozialismus, Saddam, Chavez, Iran, Kim, Ghaddafi, Assad, Hamas, Hisbollah, Putin, 911-Zweifel uvm

Bei manchen Themen wechselt das mit dem Gut und Böse von Zeit zu Zeit, wenn der Wechsel schnell geht, dann gibt es immer seltsame Brüche im Gut und Böse, etwa bei wahhabistischen Jihadisten in Afghanistan und anderswo, die je nachdem, wer gerade ihr Gegner ist, schnell zwischen den Kategorien gut und böse hin- und hergeschoben werden müssen.

Was ich in meinen Medienbeobachtungen außer Gut und Böse noch bemerkt habe, ist eine Dritte Kategorie von Themen: das Unaussprechliche. Beispiele sind etwa:

Gladio, Depleted Uranium, Israel-Lobby

Themen der dritten Kategorie dürfen offenbar in unseren Medien gar nicht erwähnt werden.

Die große Frage ist, warum das so ist. Ich sehe zwei wesentliche Erklärungsansätze, zu denen es Wikipedia-Artikel gibt:

1. Propaganda-Modell von Chomsky
2. Operation Mockingbird

Möglicherweise ist es eine Mischung von beiden. Wie dem auch sei. Abschließend noch eine Beobachtung: sobald der Raum der "westlichen Wertegemeinschaft" verlassen wird, ändern sich "gut" und "böse" komplett und auch die dritte Kategorie hat dann jeweils einen anderen Inhalt.

maguscarolus 25. April 2014 um 09:25  

Solange an Krisen und Kriegen bestens und massenhaft Reichtum vergrößert werden kann und solange die Interessen einiger reicher Familien massiv die Politik in den westlichen Industrienationen dominieren (vermutlich auch anderswo!) müssen wir jederzeit damit rechnen, dass Kriege geplant und Anlässe für Kriege konstruiert werden, um mehr Reichtum bei Wenigen zu generieren. Ob diese Bonzen schon mal etwas über Manichäismus gehört haben, wage ich zu bezweifeln, aber ganz klar ist, dass deren katastrophale Beschränktheit auf folgendem Dualismus beruht:

"Gut ist, was meinen Reichtum vergrößert und böse, was ihn mindert." Basta!

Anonym 25. April 2014 um 11:02  

Nur ganz kurz, ich habe mir gestern abend Illner angetan.

Der Westen hat den Ukrainischen Putsch finanziert und angestachelt. Daran gibt es ja nun wirklich keinen Zweifel.

Ich finde es unglaublich, wie diese Primitivjournalien, ohne daß ihnen die Schamesröte ins Gesicht steigt, den Zuschauern mit wichtigem Gesicht weismachen wollen, daß Putin für die Unruhen in der Ukraine verantwortlich ist.

G. Bieck

Helge 25. April 2014 um 11:24  

Dieser Artikel ist für mich wie ein Befreiungsschlag. Danke!

Anonym 25. April 2014 um 11:24  

Heute, im Zeitalter der Judeo-christianischen Gleichschaltung des Westens, auf der Basis der zur PHILOSOPHIE erhobenen PSYCHOLOGIE ist kein Platz mehr für die vormals gepflegte "christliche VERNUNFT"! - Der GEIST der MENSCHLICHKEIT scheint dem selbstsüchtigen MATERIALISMUS unterliegen. (Hegel hält sich den Bauch vor Lachen!)

Anonym 25. April 2014 um 18:56  

ANMERKER MEINT:

Das was sich da im Überbau abspielt ist gut analysiert und kommentiert. Dennoch sollten wir die Basis nicht vergessen: Auch im UkaineKonflikt geht es dem "guten" Westen um nichts anderes als den Aufbau bzw. die Verteidigung von Bastionen zu Sicherung der Herrschaft des Kapitalismus westlicher Prägung. Um diese Herrschaft zu gewährleisten, ist dem Kapitalismus und seinen Marionetten jedes Mittel recht, auch das eines kriegerischen Konfliktes mit Russland.

MEINT ANMERKER

Anonym 26. April 2014 um 02:15  

Ist jemandem aufgefallen, dass jeder seinen eigenen Standpunkt mit dem Guten gleichsetzt?
Gibt es hier irgendjemanden, der seinen Standpunkt nicht für den des Guten hält?

P.M. 26. April 2014 um 10:42  

Man muss ja gar nicht gleich bis zum Manichäismus zurückgehen ...
Die Rhetorik, die zur Zeit in Bezug auf die Ukraine üblich ist, ist eher eien Restaurierung der alten Kalt-Krieg-Logik; "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns".

Ich habe mir das gestern auch Gedanken drüber gemacht: http://propagandatheorie.wordpress.com/2014/04/25/die-ruckkehr-der-kalten-krieg-rhetorik-in-der-ukraine-krise/

pillo 26. April 2014 um 12:00  

Nun, dieses Geld- und Wirtschaftssystem ist mal wieder an seine Grenzen gestoßen. Das es immer mehr Menschen (auch in den Industrieländern) trotz eines unvorstellbaren akkumulierten Reichtums immer schlechter geht, ist ja kein Zufall. Also muss mal wieder der "Reset-Knopf" gedrückt werden, und zwar so, dass die herrschenden Eliten davon möglichst unbehelligt bleiben. Und wie macht man das? Genau, mit einer Wirtschaftskrise gewaltigen Ausmaßes und/oder einem Krieg.

Und dieser Krieg will propagandistisch vorbereitet werden. Wobei man an der Art der Propaganda gut ablesen kann, wie weit wir uns schon auf dem Weg in die nächste "humanitäre Intervention" befinden. Das die Medien mittlerweile schon den verbalen Holzhammer hervor geholt haben, ist so gesehen kein gutes Zeichen. Man macht sich noch nicht einmal mehr die Mühe zu differenzieren, sei es außen-, innen- oder wirtschaftspolitisch.

Nun sollte man aber nicht dem Fehler unterliegen, zu meinen, der Art grobschlächtige Propaganda würde doch sofort als solche erkannt und wäre somit wirkungslos. Die medialen Kampagnen im Vorfeld und während der Einführung der "Agenda 2010" sollten uns eines besseren belehren. Es kommt auf die Dauer und die Intensität an der Beschallung an. Das hat man wohl von der Werbeindustrie gelernt.

Wenn die Menschen nur lang und intensiv genug mit dieser Schwarz-Weiß-Denke bearbeitet werden, kann sich die breite Masse dem anscheinend auf Dauer nicht widersetzen. Und hier kommt nun auch das seit Jahren sinkende Bildungsniveau in diesem Lande zum tragen. Ja einfacher die Leute gestrickt sind, umso so leichter lassen sie sich beeinflussen und ggf. wieder auf die Schlachtbank führen.

Anonym 26. April 2014 um 13:29  

"[...]Die deutschen Medien scheinen im Dualismus aufgegangen zu sein. Für sie gibt es ganz offensichtlich nur noch zwei Entitäten: Gut und Böse. Mit dieser Zweiheitslehre erklären sie Weltpolitik[...]"

Die "deutschen Medien" haben sich ja auch selbst freiwillig durch und durch, im negativen Sinne, amerikanisiert, und zwar auf die USA zu Zeiten von George W. Bush hin - auch dort gab es einen "Kreuzzug gegen den internationalen Terrorismus"....

...schon vergessen?....

Deutsche Journalisten, insbesonders die journalistischen Kalten Krieger, erinnern doch immer mehr daran, dass die Journalistenausbildung "international" und "westlich" ausgerichtet ist.

Heißt das nicht automatisch auf Linie der USA getrimmt?

Jedenfalls erinnern mich einige dt. Journalisten neuerdings an Zeiten als der Große Bruder in Moskau saß, und man dem blind nachbetete was der über den Ticker läufen ließ - nur diesmal eben sitzt der Große Bruder Deutschlands in den USA statt wie einst in der DDR in Moskau.....

Amüsierte Grüße
Bernie

Anonym 26. April 2014 um 14:02  

G.W.F. HEGEL lacht immer noch!

Anonym 6. Mai 2014 um 11:15  

Man muss genau hinschauen:
Nicht nur in deutschen Online-Medien, auch beim "Guardian" fallen extrem häufige und aggressive prorussische Kommentare zu Artikeln über die Ukraine auf. Die Kommentar-Moderatoren beim Guardian, die über 40.000 Kommentare täglich sichten, machen bestimmte Regelmäßigkeiten aus und vermuten, dass die Kommentare gesteuert sind, schreibt Chris Elliott in der Comment is Free-Sektion des Guardian: "Wir schauen auf den Ton der Posts bestimmter User und auf das Datum, wann sie sich registriert haben, auf die Zeiten, zu denen sie posten und die Themen, zu denen sie posten. Fanatische pro-separatistische Kommentare in gebrochenem Englisch, die so tun, als kämen sie aus westlichen Ländern, sind häufig, und es gibt eine Liste von Wendungen, auf die wir achten."
www.theguardian.com/commentisfree/2014/may/04/pro-russia-trolls-ukraine-guardian-online

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP