... sind ja nur Arbeiter

Mittwoch, 2. November 2016

Die Angebotsökonomie der Neoliberalen wurde schon früher häufig dafür kritisiert, dass sie den Menschen nur noch als Konsumenten und Aktienbesitzer wahrnimmt, nicht aber mehr als Protagonist auf dem Arbeitsmarkt. Der systemisch völlig normale Wahnsinn, das Gemeinwesen mit Sparauflagen abzuwürgen, wurde von den Ökonomen dieser Heilslehre als Win-Win-Situation skizziert. Man stellte dem Konsumenten in Aussicht, davon zu profitieren. Und auch die Shareholder, die wir alle ja mittlerweile direkt oder indirekt seien, müssten nicht auf Dividenden verzichten. Der Mensch kommt in diesem Weltbild immer bloß als homo oeconomicus vor. Als homo laboris ist er ausgeblendet. Dass es sich um Subjekte mit Bürgerrechten handelt, wird übrigens auch gerne mal vergessen. Das war und ist eines der gravierendsten Probleme dieser Ökonomie: Sie erfasst nicht die Gesamtheit des wirtschaftlichen Geschehens und reduziert die Teilnehmer auf eine zentrale Rolle. Aber jeder von uns spielt in der Wirtschaft verschiedene Rollen. Wir sind Angestellte, Konsumenten und Bürger zugleich. Das Prinzip ist also fließend und dynamisch. Trotzdem hält sich die statische Weltanschauung hartnäckig.

Nehmen wir nur mal einen Text von letzter Woche, »Spiegel Online« thematisierte den Personalmangel in deutschen Unternehmen. In vielen Firmen würden Stellen abgebaut und nicht mehr ersetzt, weil man glaube, »knappes Personal als Erfolgsfaktor« anführen zu können. (Lassen wir mal die Lügerei beiseite, die in dem Text steckt und besagt, Personalmangel sei lediglich die Folge von Fachkräftemangel.) Grundsätzlich ist das ein gutes Thema, denn Personalmangel schafft immer nur eine Lost-Lost-Situation. Das hat auch das Nachrichtenmagazin so beschrieben: Diese Strategie würde zu Gefahr für Unternehmen - »und zur Last für die Kunden«. Der Arbeiter und Angestellte wurde nicht erwähnt, dass auch er - ja dass gerade er! - ganz besonders unter den Folgen gezielten Personalabbaus leidet, das ist für diejenigen, die der gängigen Wirtschaftslehre nahe stehen, die vielleicht gar keine andere Lehre kennen, nur Randnotiz oder weniger.

Natürlich ärgert es Kunden, wenn sie länger warten müssen, wenn ihr Auftrag länger in der Pipeline steckt. Klar bedeutet das auch, dass Unternehmen damit Gefahr laufen, wegen unzufriedener Kunden weniger Aufträge zu erhalten. Aber keiner trägt die Belastung durch fehlendes Personal so schwer, wie der Beschäftigte, der jetzt auffangen muss, was er vorher mit einem Kollegen an seiner Seite verrichtet hat. Er bezahlt den Personalabbau mit Raubbau an seiner Physis und seiner Psyche. Die Mehrzahl der Beschäftigten in Personalmangelbetrieben arbeiten täglich auf Anschlag, müssen 150 Prozent geben und brennen so nach und nach aus. Zeigt der Körper an, jetzt eine Ruhephase zu benötigen, geht man darüber hinweg. Es gibt keine Zeit zum Relaxen, keine Zeit krank zu sein. Man darf schlicht nicht krank werden, weil sonst die Kollegen es ausbaden müssen. So macht man weiter, geht zur Arbeit und - sofern man Kundenkontakt hat - erntet den Zorn von Kunden, denen man immer noch nicht schnell genug arbeitet. Der Personalmangel, so behaupten viele, sei schließlich nicht ihr Problem. Wer schon mal in einem Betrieb mit Personalmangel gearbeitet hat, der kennt die beständige Anspannung, die über Stunden nicht von einem abfällt und dann noch in den Feierabend hineinwirkt, bis sie mit etwas Glück in den Abendstunden etwas abflaut.

Diese Aussage der Kunden, es ginge sie nichts an, stimmt so allerdings nicht. Sie ist viel mehr das Resultat einer Wirtschaftslehre, die man der Bevölkerung über Jahre als Heilsversprechen bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit einflüsterte. In einer Volkswirtschaft ist eben nicht jeder auf sich alleine gestellt, wie die Neoliberalen das gerne als Theorem formulierten. Nicht jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Man schmiedet eben immer nur so, wie es die Grundvoraussetzungen erlauben. Insofern ist es eben schon das Problem der Kundschaft, dass Personalmangel in einem Unternehmen dazu führt, dass die verbliebenen Mitarbeiter dieses Unternehmens gesundheitliche Abstriche machen müssen. Die medizinischen Folgekosten bezahlt schließlich auch der Kunde, während die Unternehmen sich aus dem paritätischen System des Gesundheitswesens zurückziehen.

Man kann Strategien zum gezielt eingesetzten Personalmangel auf verschiedene Weise behandeln. Natürlich sollte man sie auch moralisch thematisieren und den Anspruch des Angestellten auf Unversehrtheit begründen. Das reicht im ökonomisierten Zeitalter natürlich nicht aus. Man muss es daher auch ökonomisch beleuchten. Und macht man sich so an die Sache heran, müsste man hervorheben, dass solche innerbetrieblichen Menschenversuche auch volkswirtschaftlich zu Buche schlagen, wenn sie nämlich das Gesundheitssystem unnötig belasten. Dass also nicht nur Kunden die Verlierer sind und Unternehmen sich gefährden, sondern auch die Mitarbeiter teuer wegen so eines Kurses bezahlen.

Progressive Wirtschaftsjournalisten könnten da eventuell von einem erhöhten Steuersatz für Unternehmen nachdenken, die so eine Praxis dennoch betreiben. Sie könnten fordern, dass Unternehmen im Zustand des personellen Mangels am Ende mehr entrichten müssten, als solche, denen es an Personal nicht mangelt. Diese Steuer wäre nicht mal Populismus, man könnte sie volkswirtschaftlich mit den Mehrkosten begründen, die entstehen, aber sozialisiert werden, obgleich sie durch privatwirtschaftliches Kalkül verursacht wurden. Diesen Faktor überbelasteter Arbeitnehmer aber einfach nur unter den Tisch zu kehren, das ist allerdings kein Wirtschaftsjournalismus - das ist lediglich publizistische Schützenhilfe für eine Angebotsökonomie ohne Bezug zur Betriebsrealität.

2 Kommentare:

Anonym 3. November 2016 um 15:26  

Der Traum der Neoliberalen ist der soziopathische Worcoholic. Dann wären die 150 Prozent Arbeitsleistung auch kein Problem. Und schlechtes Gewissen hätte auch keiner.

flavo 7. November 2016 um 10:48  

Da hast du mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Arbeitslast und Verdichtung der Arbeit ist mindestens einer der größeren Schalthebel der herrschenden Vorfindlichkeiten. Man mag gar nicht darüber nachdenken, wo dieses Thema am allermeisten unter den Tisch gekehrt wird. Am allermeisten in relativer Hinsicht, im Verhältnis dazu, was sonst noch propagiert wird und wie nah zum Lebensbereich Arbeit man steht. Da kommen wir sofort auf die Gewerkschaften. Man muss fast eine gewissen Sorgfalt erkennen, mit der dieses Thema ausgeblendet und klein geredet wird.
Jedenfalls trifft es jeden, der Lohnarbeit zu machen hat im jeweiligen Stundenausmaß. Wie du sagst, es ist das Allernormalste der Welt geworden, den Arbeitsprozess zuerst effizient und dann überknapp zu modulieren. Viele Unternehmen haben in den letzten beiden Jahrzehnten Consulting beansprucht. Der McKinseyhype suggerierte, dass im eigenen Betrieb Schätze verborgen lägen. Eingemottete Abläufe verschlängen Unsummen. Die Prozesse wurden also der Optimierung preis gegeben. Der Consulter war der neue Heiler geworden. Die Gläubigen scharten sich um ihn, damit er sie entschlacke, die Schlackenhaut herunter schlage, damit der Glanz der Naht zum Vorschein komme. Konnte das tatsächlich gelingen? Vermutlich manchmal auf vernünftige Weise. Umständliche Abläufe wurden entdeckt, alles ging etwas schneller bei gleicher Anstrengung. Und ebenso oft kam gewiss die Trumpfkarte zum Einsatz: den Prozess machen wir irgendwie anders, im Grunde egal wie, Hauptsache es schaut gut aus, aber weniger Leute müssen mehr machen, anders geht es nicht. In den Leitungsabteilungen breitete sich ein neues Laster aus: trial and error mit dem Arbeitspensum. Der Beschäftigten-Istwert x leistet y wird auf x*y+1 hochgeschraubt. Klappt y+1 wird sogleich x*y+2 probiert. Usw. Diese andere Abteilung probiert parallel gleich x-2*y+3. Eventuell richtet man dazu eine neue ein. Mal das Extrem, nur zum austesten. Manchmal kommt man mit frischen Know How vom letzten Führungsebenenseminar. Neue Wörter, tolle Sprache. Wer kennt nicht den Enthusiasmus und den Elan der Sprache, mit dem Verschlechterungen der Arbeit eingeführt werden. Man glaubt, gleich erhielte man ein Geschenk, man erhielte gleich eine Gratisprobe. Alle sind gut gelaunt, mit einem Lächeln schaut man hoffnungsfroh in die Zukunft, da nun der Arbeitsprozess dichter konfiguriert worden ist. Des Arbeitnehmers Angst und Sorge stößt auf eine warme Wucht des Übersehens. Gut gelaunt, mehr noch, gut meinend, ja, gut meinend, d.h. man nimmt auch die Moral in Anspruch, freut man sich mit dem Arbeitnehmer über die neue Zukunft. Freude schiebt man ihm unter. Er freue sich, alle freuen sich. Wer ins Burn out driftet, freut sich auch noch, er hat nur die Zielsetzungen gewechselt. Er war immer so freundlich.
Dass der Mensch Belastungen ertragen kann und nicht gleich am ersten Tage umfällt, das gereicht ihm heutzutage zum Nachteil. Das wird schonungslos ausgebeutet. Die unscharfe Grenze zur Krankheit und zur Frustration wird schonungslos ausgetestet. Arbeiten bis zum krank werden. Und wer krank wird, der wird schon falsch gelebt haben. Die Ursachen sind mindestens genau so unscharf vorliegend. War es der Lebenstil oder der Arbeitsstil. Wer weiß das schon in einer hinreichenden Präzision und wenn es einer weiß, wen interessiert das schon. In der Arbeit hat es nicht gefehlt, wird es in der Regel heißen. Denn hier hätte nur etwas gesagt werden müssen. Er hätte etwas sagen müssen. Man sei ja um die Mitarbeiter besorgt. Man sorge sich. Man habe ja auch die Arbeitsabläufe extra optimiert. Alles sei jetzt doch besser geworden. Und wieder lasse man sich beraten, man lasse sich überhaupt dauernd beraten.

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