Ein Saftladen namens Demokratie
Freitag, 13. November 2015
Die zwei Frauen stiegen irgendwo auf Höhe der »Frankfurter Allgemeinen« ein. Speyrer Straße oder Güterplatz. Ich weiß es nicht mehr. Sie unterhielten sich angeregt. Klangen aber sehr pikiert, wie Leute, über deren Wichtigtuerei man lacht, wenn man gerade nichts Wichtigeres zu tun hat. Aus deren Gespräch war zu vernehmen, dass es sich um Frauen handelte, die irgendwie in einer Redaktion zu tun hatten. Eben bei der FAZ oder bei der »Rundschau« gegenüber - ich weiß es nicht. Vielleicht liege ich ja auch völlig falsch. Sie sprachen von Redaktionssitzungen und von »einer Frage der Demokratie«, die »uns in Zukunft immer mehr beschäftigen« würde. Oh, sie klangen wirklich wichtig und ich spitzte die Ohren. »Das Thema wird bald ganz groß sein«, sagte die eine. Die andere lispelte und sagte: »Das-s müss-sen wir auf die Agenda bringen. Am Donners-s-tag is-st es-s aber vielleicht noch z-su früh.« Es klang bedeutend, ja schwerwiegend, ich dachte an Grundsatzdebatten und dann sagte die Lispelnde: »Ich habe letz-s-tens-s einen Beitrag bei S-sat 1 ges-s-ehen. Das-s pass-s-t ganz-s gut. Da ging es um S-s-äfte und um die Ents-scheidung von Verbrauchern beim Einkauf.« Die andere nickte und bestätigte, dass das perfekt zum Thema passe.
Tja, da ging mir die Kinnlade runter. Demokratie und der Saftkauf. Das sind also heutzutage Dinge, die nicht mehr ohneeinander denkbar sind. Anders gesagt: Da sind zwei Menschen, die bei den Berichterstattern und Meinungsmachern arbeiten und die tatsächlich in diesen Zeiten denken, es sei eine Frage elementarer Demokratie, dass man als Verbraucher eine konsumstrategische Entscheidung treffen kann. Und nochmals anders gesagt: Dort wo es keine Saftauswahl gibt, geht es der Demokratie ganz beschissen. Ich würde hingegen sagen: Dort wo die öffentliche Meinung von Leuten beeinflusst wird, die derlei für demokratierelevant erklären, geht es der Demokratie wirklich ganz mies.
Während ein Teil des politischen Establishments plant, dieses Land hinter einer Zaun oder eine Mauer zu verstecken, während allerorten Demokratiedefizite und -abbau betrieben werden, während die Aushöhlung des Sozialstaatsgedankens Demokratieverlierer entstehen lässt, während ein Freihandelsabkommen in Lauerstellung auf Machtübernahme wartet, sorgen sich andere um den »demokratischen Konsum«. Das ist nicht einfach nur ein zufällig in der Straßenbahn aufgeschnapptes Gespräch. Es ist die Quintessenz dieser Demokratie, in der wir leben. Sie ist eine Konsumokratie, eine marktkonforme Vertreterin ihrer Art. Manche Leute glauben anscheinend wirklich, dass der mündige Verbraucher gleichzeitig auch ein Mensch sei, der in einer intakten Demokratie lebe. Wer Auswahl habe, der habe auch die Wahl. Dass das auch noch Menschen als These vertreten wird, die sicher nicht zu den dümmsten gehören, macht die Sache umso dramatischer. Und es zeigt, dass man in den »besseren Segmenten der Gesellschaft« irgendwie Prioritäten verloren hat oder schlimmer noch: Sie durch neue ersetzt hat. Die Ökonomie hat die Demokratie beerbt. Oder anders gesagt: Das Politische ist eine Spielart der Ökonomie geworden.
Der Markt regelt eben alles. Nicht nur Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit, sondern auch das demokratische Grundverständnis. Mochten vorherige Generationen von Denkern noch darüber sinnieren, wie Demokratie als ihr Selbstzweck die Strukturen des aristokratischen Staates für sich vereinnahmen könnte, so philosophieren unsere heutigen sozialen Aristokraten nur noch darüber, wie der Konsum demokratisiere. Die zwei Frauen jagten keinem Spleen nach. Sie fühlten nur dem Zeitgeist nach. »Is-s muss-s hier aus-s-teigen, mus-s noch in den S-supermarkt, will noch vergane Bratwur-s-st kaufen«, sagte sie zu ihrer Kollegin. Dann stieg sie aus. Als die Straßenbahn anfuhr, schaute ich ihr nach und dachte mir, dass vegane Bratwurst eben auch nur so ein bisschen Demokratie sei. Man könne sich ja bewusst gegen sie entscheiden und sich das eklige Teil sparen. Aber was genau das hilft, wenn sie uns TTIP überstülpen, wusste ich nicht. Die beiden Frauen hätten es wahrscheinlich gewusst und gesagt, dass das Abkommen ein Demokratiegewinn sei, weil man dann mehr kaufen könne. Auch mehr Saft. Wie solche Leute Demokratie definieren ist klar: Als Saftladen.
Tja, da ging mir die Kinnlade runter. Demokratie und der Saftkauf. Das sind also heutzutage Dinge, die nicht mehr ohneeinander denkbar sind. Anders gesagt: Da sind zwei Menschen, die bei den Berichterstattern und Meinungsmachern arbeiten und die tatsächlich in diesen Zeiten denken, es sei eine Frage elementarer Demokratie, dass man als Verbraucher eine konsumstrategische Entscheidung treffen kann. Und nochmals anders gesagt: Dort wo es keine Saftauswahl gibt, geht es der Demokratie ganz beschissen. Ich würde hingegen sagen: Dort wo die öffentliche Meinung von Leuten beeinflusst wird, die derlei für demokratierelevant erklären, geht es der Demokratie wirklich ganz mies.
Während ein Teil des politischen Establishments plant, dieses Land hinter einer Zaun oder eine Mauer zu verstecken, während allerorten Demokratiedefizite und -abbau betrieben werden, während die Aushöhlung des Sozialstaatsgedankens Demokratieverlierer entstehen lässt, während ein Freihandelsabkommen in Lauerstellung auf Machtübernahme wartet, sorgen sich andere um den »demokratischen Konsum«. Das ist nicht einfach nur ein zufällig in der Straßenbahn aufgeschnapptes Gespräch. Es ist die Quintessenz dieser Demokratie, in der wir leben. Sie ist eine Konsumokratie, eine marktkonforme Vertreterin ihrer Art. Manche Leute glauben anscheinend wirklich, dass der mündige Verbraucher gleichzeitig auch ein Mensch sei, der in einer intakten Demokratie lebe. Wer Auswahl habe, der habe auch die Wahl. Dass das auch noch Menschen als These vertreten wird, die sicher nicht zu den dümmsten gehören, macht die Sache umso dramatischer. Und es zeigt, dass man in den »besseren Segmenten der Gesellschaft« irgendwie Prioritäten verloren hat oder schlimmer noch: Sie durch neue ersetzt hat. Die Ökonomie hat die Demokratie beerbt. Oder anders gesagt: Das Politische ist eine Spielart der Ökonomie geworden.
Der Markt regelt eben alles. Nicht nur Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit, sondern auch das demokratische Grundverständnis. Mochten vorherige Generationen von Denkern noch darüber sinnieren, wie Demokratie als ihr Selbstzweck die Strukturen des aristokratischen Staates für sich vereinnahmen könnte, so philosophieren unsere heutigen sozialen Aristokraten nur noch darüber, wie der Konsum demokratisiere. Die zwei Frauen jagten keinem Spleen nach. Sie fühlten nur dem Zeitgeist nach. »Is-s muss-s hier aus-s-teigen, mus-s noch in den S-supermarkt, will noch vergane Bratwur-s-st kaufen«, sagte sie zu ihrer Kollegin. Dann stieg sie aus. Als die Straßenbahn anfuhr, schaute ich ihr nach und dachte mir, dass vegane Bratwurst eben auch nur so ein bisschen Demokratie sei. Man könne sich ja bewusst gegen sie entscheiden und sich das eklige Teil sparen. Aber was genau das hilft, wenn sie uns TTIP überstülpen, wusste ich nicht. Die beiden Frauen hätten es wahrscheinlich gewusst und gesagt, dass das Abkommen ein Demokratiegewinn sei, weil man dann mehr kaufen könne. Auch mehr Saft. Wie solche Leute Demokratie definieren ist klar: Als Saftladen.
4 Kommentare:
Moin Roberto,
könnte man doch einen schönen "carry on" Film von machen.
Ich kann dem zustimmen und hätte gern wieder mehr Demokratie, statt Saft aus neoliberalen Schläuchen.
Eine erbauliche Unterhaltung hast du da geliefert. Nichts berührt mich an manchen Tagen mehr, als die Blödheit des Etablissements lüstern serviert zu bekommen. Wäre da nicht immer dies madige Beigeschmack, dass all dies an meinen Eiern gewaltig nagt. Unzählige Bilder sind mir durch den Kopf gejagt, ich konnte mich dem Drang, diese Subjekte zu verbildlichen nicht entziehen, ich mußte sie sehen vor mir, Ubahnfahrten hin und her musterte ich Damen, ob denn diese Worte hier, aus ihren Mündern kommen könnten. Ich war unterhalten, als ich sah, dass ich leicht Bilder fand. En masse waren sie herum um mich. Je zentraler die Ubahnstationen wurden, desto häufiger fittete das Passbild. Wo der Finanzstatus passt, da entwickelt sich dieser Hang zum Warendetail. Akribisch wird abgelesen, ob der eine oder der andere Inhaltsstoff zum eigenen Körper passt, zur eigenen Seele und ihren Ausschmückungen. Dramatische Szenen in den Köpfen, Entscheidungsprozesse, die über Stunden hin nicht den Rubikon erreichen. Es ist all das Dekadenz mit Hochzahl. Es ist fürchterlich zu sehen, wie Warendetails in der Gewichtung der Inhalte der Welt im Allgemeinen ganz oben rangieren. Warendetails. Wurst a oder Wurst b. Da lassen wir tausende Menschen verhungern, das tangiert das Gemüt nicht, gar nicht, man kann es auch laut aussprechen und wiederholen, es tangiert nicht. Wurst a oder b hingegen erregt nicht nur, es beunruhigt mindestens, ees macht nervös, aggressiv mitunter. Und jene die es können, den Konsum, die aus der abstrusen Weltwarenpalette ihr glückliches Sortiment gefunden haben, leuchten in einer sonderbaren Zufriedenheit. Man tut so, als wäre man nun zu Glücke verendet. Die Resonanz eines Glücklichen bleibt aus, als wäre alles äußerst fragil und könnte eine nicht ganz seichte Äußerung alles zum Umsturz bringen. Die Stabilität eines Glücklichen fehlt, das große Gabereservoir eines Glückliche ist völlig abwesend, es wirkt wie ein feines Gleichgewicht, das bei der ersten Interferenz aus den Fugen gerät und in spontane Triebäußerungen umschlägt: Aggression, Traurigkeit, Angst, Flucht. Als wäre die Zufriedenheit durch den Lottosechser Sortimentglücklichkeit eine Larve und der dahinter lebende Mensch wäre hilflos der Wahrhheit ausgesetzt worden, diese Larve sei der Sinn des Lebens und zwar so, als wollte man mit einem Tropfen den heißen Stein abkühlen. In der Tat Mitleid macht sich oft bemerkbar bei mir, als wollte ich helfen, die Larve abzunehmen und begleiten in der Schau einer nicht larvierten Welt, ihrem Chaos, ihrer Fragmentarik, ihrer Not und ihrer überschwemmenden Schönheit.
...die warn von ÖKOTEST, wetten?
Grüße aus dem Osten
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