Die Europäer sind halt auch nur Amis
Montag, 2. November 2015
Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Es ging um das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten. Er lehnte es vehement ab. Der Mann ist auf keinen Fall das, was man politisch links nennen könnte. Er ist eher so ein Unionsmann. Trotzdem. Diverse Standards sehe er in Gefahr. Die Amerikaner würden Lebensmittelverordnungen kippen und sie würden Energiegesetze aushebeln. Die Amerikaner würden außerdem unsere Normen beim Umweltschutz aussetzen. Und Steuern würden sie am Ende in Europa auch nicht bezahlen. »Der Mindestlohn wird auch draufgehen«, sagte ich. »Ja, der Mindestlohn auch«, gab er kleinlaut zurück. Er ist nämlich kein Freund dieser Einrichtung. Dauernd sagte er jedenfalls, was die Amerikaner alles mit uns anstellen würden. Die Amis hier, die Amis dort. Bald hätten wir hier Verhältnisse wie in Amerika. Wir kriegen so ein Gesellschaftsmodell, ob wir wollen oder nicht.
Es ist ja ausgezeichnet, dass auch Menschen aus einem eher politisch konservativen Milieu sich gegen dieses Abkommen aussprechen. Schwierig ist es nur, wenn sie so tun, als sei TTIP ein Generalangriff der Vereinigten Staaten auf die europäische Wirtschaft. Das stimmt so nicht. Denn die Profiteure sitzen auf beiden Seiten des großen Teiches.
TTIP will ja transatlantische Handelshemmnisse auflösen und somit teure Produktionsabläufe unnötig machen. Exemplarisch ist mittlerweile der Außenspiegel an Kraftfahrzeugen geworden. In Europa kann man sie standardmäßig einklappen; in den USA nicht. So müssen Automobilhersteller immer für beide Märkte zwei Modelle verfügbar haben. Die Befürworter von TTIP sagen nun, dass so ein Freihandelsabkommen Standardisierungen schafft, die kostenintensive Umstellungen von Marge zu Marge an den Fließbändern unnötig werden lässt. Das klingt zunächst nicht dramatisch, hört sich nach Erleichterung und daher durchaus vernünftig an. Das Problem ist nur, dass das Abkommen, so wie es kommen soll, alles mögliche als Handelshemmnis anerkennt – nicht nur Außenspiegel. Eben alles. Auch Qualitätsnormen, die eben nicht für lau zu haben sind. Also auch Tarifverträge oder Umweltschutzverordnungen. Von Freihandel, also dem Aussetzen von Ausfuhr- und Einfuhrzöllen, sprechen die Befürworter übrigens so gut wie gar nicht. Denn Zölle sind schon heute, da dieses Abkommen noch nicht aktiviert ist, eigentlich gar kein Thema mehr im transatlantischen Handel.
Wenn TTIP billigere Prozesse schaffen will, dann geht es solchen Posten an den Kragen, die eben Geld kosten. Und die nach Lesart von international agierenden Unternehmen Handelshemmnisse aufweisen. Klar werden US-amerikanische Unternehmen gegen Sozialstandards mobilisieren, die ihrer Meinung nach ihr Produkt auf dem europäischen Markt lähmen. Das kann allerlei sein. Zum Beispiel auch Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Aber davon profitieren ja nicht nur Unternehmen in Übersee. Gerade auch europäische oder - in unserem Falle – deutsche Firmen würden sich der Abschaffung bestimmter Standards erfreuen. Sie könnten sogar selbst dagegen zu Felde ziehen, weil sie behaupten könnten, dass zum Beispiel die Lohnnebenkosten in Deutschland sie daran hindern würden, so billig zu produzieren, wie etwaige Unternehmen in den USA, womit sie über dem Atlantik faktisch nicht wettbewerbsfähig seien. Genau betrachtet müssen deutsche Unternehmen in Deutschland sogar ein besonderes Interesse daran haben, die Standards auszusetzen, von denen man behauptet, die Amerikaner würden sie gerne ins Nichts auflösen.
Und dann sind da noch die Standards, die die Europäer in den USA auflösen könnten. Schauen wir uns doch nur mal die Deutsche Bank an, die dann die weitaus rigideren Regulierungen des Finanzsektors in Übersee angreifen könnte. Sie könnte sagen, dass das Hemmnisse seien, die ihren Profit schmälerten. Und flugs passen die Amerikaner ihre Standards an die europäische Laxheit an. Die Amerikaner greifen also nicht alleine an. Das wird auf Gegenseitigkeit beruhen.
Wer heute TTIP als amerikanischen Ökonomieterrorismus abtut, der verkennt die Lage. Die Profiteure sind Atlantiker hüben wie drüben. Und gerade auch all jene deutschen Unternehmen, die seit so vielen Jahren bitterlich jammern, wie schlecht es ihnen am teuren Standort Deutschland doch ergehe, hätten enorme Möglichkeiten, ihren Profit weiter zu maximieren und Mitarbeiter immer weniger daran partizipieren zu lassen. Was die Aufhebung der Sozial- und Arbeitsmarktstandards betrifft, werden es weniger »die Amerikaner« sein, als die Vorstandsvorsitzenden »unserer Konzerne«, die eine Aufhebung dieser Regelungen in Angriff nehmen. Denn sie wären auf dieser Ebene die unmittelbaren Profiteure.
Und mancher wird drüben in Austin oder Phili klingen wie jener Geschäftsführer, den ich anfangs erwähnte. Er wird sagen, dass die Europeans hier bescheißen werden und die Europeans dort den Banken Freiräume schaffen möchten. Er hat so recht wie der Geschäftsführer. Und er hat genauso unrecht. Kritik gegen TTIP ist kein chauvinistisches Nationalgefühl – es ist Widerstand gegen eine Internationale superreicher Firmen, die auf beiden Seiten des Ozeans gleichermaßen ticken. Deshalb muss man im übrigen der Meinung sein, dass TTIP zerstört werden muss.
Es ist ja ausgezeichnet, dass auch Menschen aus einem eher politisch konservativen Milieu sich gegen dieses Abkommen aussprechen. Schwierig ist es nur, wenn sie so tun, als sei TTIP ein Generalangriff der Vereinigten Staaten auf die europäische Wirtschaft. Das stimmt so nicht. Denn die Profiteure sitzen auf beiden Seiten des großen Teiches.
TTIP will ja transatlantische Handelshemmnisse auflösen und somit teure Produktionsabläufe unnötig machen. Exemplarisch ist mittlerweile der Außenspiegel an Kraftfahrzeugen geworden. In Europa kann man sie standardmäßig einklappen; in den USA nicht. So müssen Automobilhersteller immer für beide Märkte zwei Modelle verfügbar haben. Die Befürworter von TTIP sagen nun, dass so ein Freihandelsabkommen Standardisierungen schafft, die kostenintensive Umstellungen von Marge zu Marge an den Fließbändern unnötig werden lässt. Das klingt zunächst nicht dramatisch, hört sich nach Erleichterung und daher durchaus vernünftig an. Das Problem ist nur, dass das Abkommen, so wie es kommen soll, alles mögliche als Handelshemmnis anerkennt – nicht nur Außenspiegel. Eben alles. Auch Qualitätsnormen, die eben nicht für lau zu haben sind. Also auch Tarifverträge oder Umweltschutzverordnungen. Von Freihandel, also dem Aussetzen von Ausfuhr- und Einfuhrzöllen, sprechen die Befürworter übrigens so gut wie gar nicht. Denn Zölle sind schon heute, da dieses Abkommen noch nicht aktiviert ist, eigentlich gar kein Thema mehr im transatlantischen Handel.
Wenn TTIP billigere Prozesse schaffen will, dann geht es solchen Posten an den Kragen, die eben Geld kosten. Und die nach Lesart von international agierenden Unternehmen Handelshemmnisse aufweisen. Klar werden US-amerikanische Unternehmen gegen Sozialstandards mobilisieren, die ihrer Meinung nach ihr Produkt auf dem europäischen Markt lähmen. Das kann allerlei sein. Zum Beispiel auch Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Aber davon profitieren ja nicht nur Unternehmen in Übersee. Gerade auch europäische oder - in unserem Falle – deutsche Firmen würden sich der Abschaffung bestimmter Standards erfreuen. Sie könnten sogar selbst dagegen zu Felde ziehen, weil sie behaupten könnten, dass zum Beispiel die Lohnnebenkosten in Deutschland sie daran hindern würden, so billig zu produzieren, wie etwaige Unternehmen in den USA, womit sie über dem Atlantik faktisch nicht wettbewerbsfähig seien. Genau betrachtet müssen deutsche Unternehmen in Deutschland sogar ein besonderes Interesse daran haben, die Standards auszusetzen, von denen man behauptet, die Amerikaner würden sie gerne ins Nichts auflösen.
Und dann sind da noch die Standards, die die Europäer in den USA auflösen könnten. Schauen wir uns doch nur mal die Deutsche Bank an, die dann die weitaus rigideren Regulierungen des Finanzsektors in Übersee angreifen könnte. Sie könnte sagen, dass das Hemmnisse seien, die ihren Profit schmälerten. Und flugs passen die Amerikaner ihre Standards an die europäische Laxheit an. Die Amerikaner greifen also nicht alleine an. Das wird auf Gegenseitigkeit beruhen.
Wer heute TTIP als amerikanischen Ökonomieterrorismus abtut, der verkennt die Lage. Die Profiteure sind Atlantiker hüben wie drüben. Und gerade auch all jene deutschen Unternehmen, die seit so vielen Jahren bitterlich jammern, wie schlecht es ihnen am teuren Standort Deutschland doch ergehe, hätten enorme Möglichkeiten, ihren Profit weiter zu maximieren und Mitarbeiter immer weniger daran partizipieren zu lassen. Was die Aufhebung der Sozial- und Arbeitsmarktstandards betrifft, werden es weniger »die Amerikaner« sein, als die Vorstandsvorsitzenden »unserer Konzerne«, die eine Aufhebung dieser Regelungen in Angriff nehmen. Denn sie wären auf dieser Ebene die unmittelbaren Profiteure.
Und mancher wird drüben in Austin oder Phili klingen wie jener Geschäftsführer, den ich anfangs erwähnte. Er wird sagen, dass die Europeans hier bescheißen werden und die Europeans dort den Banken Freiräume schaffen möchten. Er hat so recht wie der Geschäftsführer. Und er hat genauso unrecht. Kritik gegen TTIP ist kein chauvinistisches Nationalgefühl – es ist Widerstand gegen eine Internationale superreicher Firmen, die auf beiden Seiten des Ozeans gleichermaßen ticken. Deshalb muss man im übrigen der Meinung sein, dass TTIP zerstört werden muss.
4 Kommentare:
Solche Artikel machen den Eindruck, als ob mit Abwendung von TTIP etwas gewonnen wäre.
Dabei ist TTIP das Unerträglichere des Unerträglichen. Es sollte viel mehr klargemacht werden, dass wir selbst bei Abwendung von TTIP weiterhin beim Unerträglichen stehen. Jede Fixierung auf TTIP lenkt ab.
Ähm ja. Vielen Dank. Jetzt bin ich im Bilde.
Hier herrscht Begriffsverwirrung. Alles wird schlimmer, aber die Feinde sind die "Konservativen" - dabei möchte man doch zurück in den Zustand, bevor es schlimmer war, während die Feinde gerade nicht konservieren wollen, sondern verschlimmern.
Man sieht es mal wieder: Der moderne Stammtisch sind die sozialen Netzwerke, in denen mediale Inhalte geteilt und diskutiert werden. Wobei man mit dem Begriff "Diskutieren" vorsichtig sein sollte. Es ist ja nicht so, dass abweichende Positionen oder Fakten, die dem eigenen Weltbild zuwiderlaufen, dort im Rahmen eines kritischen Diskurses ergebnisoffen debattiert werden. Der weltanschauliche Konsens ist vielmehr das vereinende Element dieser Gruppen. Man filtert Inhalte, die diesem Konsens widersprechen, bereits vorher aus und ist sich vor allem darin einig, dass man sich einig ist.
Kommunikationswissenschaftler bezeichnen diesen Effekt übrigens als Echokammer. Damit wird das Phänomen beschrieben, dass viele Menschen dazu neigen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und sich dabei gegenseitig in der eigenen Position zu verstärken. In den Netzwerken selbst bildet sich dadurch eine fatale Dynamik. Wer den Konsens der Gruppe am Besten trifft, wird geteilt und gelikt und kriegt aus anderen, harmonierenden Kreisen Freundschaftsanfragen. Die Echokammer wächst so, und Facebook und Google sorgen zusätzlich dafür, dass man vor allem Dinge zu sehen bekommt, die das eigene Weltbild stützen...
Kommentar veröffentlichen