Der Whistleblower und die Schuld

Mittwoch, 25. November 2015

Schon nach dem terroristischen Zwischenfall mit »Charlie Hebdo« - ja, Zwischenfall, denn man vergisst schnell und bald ist Dschungelcamp und die Prioritäten verschieben sich wieder -, gab es »Terrorexperten«, die nachdenklich mit dem Zeigefinger drohten und laut nachdachten: »Uiuiui, ob uns da der Snowden mal nicht einen Bärendienst erwiesen hat?« Denn er hat die Anti-Terror-Überwachung ja publik gemacht und damit einige Überwachungsmethoden unterwandert und verunmöglicht. Alles zu Lasten der Sicherheit. Natürlich kamen solche Meldungen auch aus dem Pentagon. Nur waren die nicht zweiflerisch. Sie sagte es direkt: Edward Snowden trägt Mitschuld und ist terroristischer Helfershelfer. Kaum waren die Pariser Anschläge ausgestanden, gab es erneut solche Wortmeldungen. Wieder soll Snowden eine Teilschuld haben. Wäre er nicht gewesen, hätte vielleicht vielleicht das Blutbad verhindert werden können. Man weiß es nicht genau, keiner hat bislang ein Verfahren eröffnet, um in nicht eingeschlagene Zeitenläufte doch noch hineinzuschauen. Aber wer weiß, was Geheimdienste leisten könnten, gäbe es keine Verräter in ihren Reihen ...

Der »Spiegel« wollte den Vorwurf mal prüfen. Und siehe da, er stimmt nicht. Alles was Edward Snowden an die Öffentlichkeit brachte, hatte keine Auswirkungen auf den Ausgang des Geschehens. Entwarnung also. Snowden ist unschuldig. Ich frage mich indes, ob eine solche Prüfung überhaupt notwendig ist, um den Mann zu entlasten. Etwas anders gefragt: Ist es nicht einerlei, ob Snowdens Aufdeckungen Folgen hatte oder nicht? Ich meine ja, denn sein Whistleblowing wiegt in jedem Falle mehr als die Unterminierung von Bürgerrechten. Und jetzt das Dilemma zwischen Anschlägen und Aufdeckungen in eine kosten-nutzen-analytische Begutachtung zu stecken, geht am Grundsatz vorbei, dass bürgerrechtliche Freiheiten nicht diversen Sicherheitsaspekten geopfert werden dürfen.

Es ist doch ein Hohn, wenn westliche Politiker sich nach terroristischen Akten hinstellen und ihre Bürger beschwören, sie mögen sich nicht in ihrem Tagesablauf stören lassen. »Lasst euch nicht unterkriegen, macht weiter, geht arbeiten und tut, was ihr immer getan habt.« Dann drehen sie sich um und geben ein Interview, in dem sie Zweifel äußern, ob denn Snowdens Offenbarungen nicht ein dicker Fehler waren. Hätte er damals den Mund gehalten, wäre es unter Umständen jetzt ganz anders gekommen. Weitermachen also? Aber nicht bei den Bürgerrechten. Die dürfen nicht weitermachen, die dürfen dem Ausnahmezustand überschrieben werden. Ja, Bürgerrechte sollten sogar eher der Ausnahmezustand sein. Das passt doch nicht zu den Durchhalteparolen. Ist Heuchelei!

Faktisch gibt es Dinge, die nicht verhandelbar sind. Privatsphäre ist so eine Sache. Auch wenn wir rein virtuell mal annehmen, dass der Whistleblower Dinge präsentierte, die in direkter Linie zu den Terroranschlägen der letzten Zeit stehen, was rechtfertigt dann die Ansicht, dass er einen Fehler begangen habe? Wäre sein Schweigen dann richtig gewesen? Wenn man jetzt also Analysen betreibt, sagt man zwischen den Zeilen auch, dass er unter Umständen auch schuldig sein könnte. Ist er aber nicht! Denn Sicherheit ist etwas, was keinen Anspruch darauf haben darf, Bürgerrechte unter sich zu begraben. Denn eine Gesellschaft, die ihren Bürgern nach und nach Garantien entzieht, ist keine Gesellschaft, der wir alle Sicherheit der Welt erhoffen wollen. Solche Gesellschaften definieren wir nämlich allgemein als Diktaturen. Und denen wünschen wir alles - nur keine Sicherheit. Wir hoffen ja meist sogar, dass solche Regimes unsicher sind. Ob Snowden jetzt nun Anschläge ermöglicht hat oder nicht, ist keine zu stellende Frage. Mit der Wahrheit verhandelt man nicht. Auch wenn es wehtut.

Wir müssen uns bei solchen einfachen Weltanschauungen, die uns den Verkünder der Abläufe hinter den Kulissen als Terrorist verkaufen wollen, doch eigentlich fragen, was wir wollen. Ein Gemeinwesen, in dem es erhöhte Sicherheiten bei gleichzeitiger Einschränkung bürgerlicher Freiheit gibt? Oder nehmen wir lieber in Kauf, doch nicht ganz sicher zu sein, um wenigstens unsere Rechte als Bürger unserer Länder zu behalten? Aber auch diese Optionen sind ja nicht ganz richtig, denn Durchleuchtung von Bürgern und Sicherheit haben eh kaum etwas miteinander zu tun. Das eine ist nur der Vorwand für das andere. So wie jener Ausnahmezustand in Frankreich, der jetzt ins Endlose gehen soll und der in der allgemeinen Stimmung der Betroffenheit einfach ausgeblendet wird. Ist es die Sicherheit wert, dass die Polizei in alle Wohnungen eindringen kann, ohne vorher einen Richter kontaktiert zu haben? Oder dass Habeas-Corpus-Rechte außer Kraft gesetzt werden? Es wird ja nicht nur die bösen Jungs treffen, sondern allerlei andere auch. Gibt man einer Regierung Mittel, dann wird sie sie nutzen. Das ist menschlicher Erfahrungschatz, der ja eben zur Ratifizierung von Bürgerrechten führte. Journalisten, Blogger, kritische Stimmen. Alle können sie fällig werden.

Was genau heißt es eigentlich, wenn der Staatspräsident sagt, die Menschen sollen weitermachen und sich nicht beirren lassen, wenn sie im gleichen Zuge in einem abgeschalteten Rechtsstaat auf Monatsfrist leben müssen? Und was sollen wir Bürger des Westens denn noch verteidigen, wenn uns unser Sicherheitsbedürfnis dazu verleitet, schwer erkämpfte Rechte völlig kampflos aufzugeben? Hätte Snowden Wirkung auf die Sicherheit gehabt, er hätte dennoch richtig gehandelt. Sicherheit schafft man nicht mit Überwachung, sondern damit, die Gefährder zu deeskalieren und die Welt fairer zu machen, damit jeder zu seinem Recht kommen kann.

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