Unterwürfig

Dienstag, 9. Juni 2015

Houellebecqs »Unterwerfung« beinhaltet tatsächlich viele Aspekte. Islamophobie, wie man es ihm nachsagte, allerdings nur in Spuren. Wenn überhaupt. Denn der Islam kommt bei ihm nicht schlecht weg. Er skizziert ihn als eine ordnende Kraft für Europas moribundes Demokratiewesen. Diese Ansicht muss man aber auch nicht teilen. Viel mehr aber hat der Mann ein Buch über die letzten Zuckungen der Postdemokratie abgeliefert.

Was hat man nicht alles über dieses Buch gelesen. Islamfeindlich sei es. Oder aber: Da würde endlich einer die Islamisierung des Abendlandes mal trefflich beschreiben. Finger in die Wunde, Salz gleich dazu hinein und all sowas. Tja, ganz so simpel ist sein Roman aber dann doch nicht. Houellebecq war ja nie ein eindeutiger Autor. Er beleuchtete stets viele Facetten und hielt sich so Interpretationsspielräume frei. So auch in »Unterwerfung«. Die Moslems, die in dem Buch zur politischen Macht gelangen, sind eher gemäßigt und wirken nicht wie talibanöse Bestien. Natürlich drücken sie der Gesellschaft ihren Stempel auf. Aber es wäre auch ein langweiliger Roman über eine Zäsur im politischen Betrieb, wenn diese Zäsur überhaupt keine Auswirkungen hätte. Grundsätzlich ist sein Buch aber eine Abbildung der postdemokratischen Wirklichkeit. Houellebecq legt zwar nicht konkret dar, wie es dazu kommen konnte, dass plötzlich die Muslimbrüder und die Front Nationale die letzten Optionen für die Wähler waren. Aber es liegt auf der Hand.

Für ihn hat die liberale Gesellschaft vollkommen versagt. Das ist nicht neu. Wer sein Werk kennt, der weiß, dass Houellebecq eine unterschwellige Sehnsucht nach Ordnung und gesellschaftlicher Harmonie pflegt. Die säkulare Gesellschaft hat durch den Verlust von Religion und Gott Bezüge zur Moral verloren und Hedonismus und Egomanie zu Grundlagen gemacht, die das alte Fundament nicht auffüllen können. Neu ist jedoch, dass Houellebecq nicht mehr dem christlichen Mittelalter sehnsüchtig nachwinkt. Er lässt eine neue Ordnungskraft auftreten: Den Islam. Das ist Religionsromantik in reinster Form. Wer sie mag, bitteschön ...

Die westlichen Demokratien zermürben sich nach Deutung des Autors wie gesagt zwischen dem Hedonismus der einen und der Ausrangiertheit der anderen. Armut und Perspektivlosigkeit auf der einen Seite, satte Egomanie auf der anderen - in diesem Gefälle ist für Parteien der Mitte nach und nach kein Raum mehr. Und in seinem Buch sind es explizit diese Parteien, die sich als Volksparteien verstanden haben, die den Weg allen Irdischen gehen. Sie gehen unter und fusionieren am Ende sogar mit den neuen Mächten. Da hatten sie schon resigniert. Ihr Kampf gegen extreme Positionen war kurz und schwach. Erschöpfte sich in Ritualen, in Worthülsen. Der amtierende Präsident Hollande zum Beispiel, so beschreibt der Autor es, wurde im heißen Wahlkampf nicht mal mehr medial wahrgenommen. Er saß der Republik zwar vor, aber war faktisch nicht mehr existent.

Rituale, Worthülsen, so tun als ob, sich in Statements erschöpfen - das sind die Schlagworte einer Wirklichkeit, die sich von der Demokratie in die Postdemokratie verabschiedet hat. Und haargenau das beschreibt Houellebecq. Neofaschisten und Muslimbrüder sind nur Protagonisten, die in die Szenerie aufgenommen werden, um den Niedergang der westlichen Demokratie zwischen neoliberaler Sparpolitik und elitärer Megalomanie zu karikieren. Sie sind die Germanen, die die römische Dekadenz überrennen und das Vakuum einnehmen, in das sich Rom manövriert hat. Das hat Houellebecq letztlich abgeliefert: Ein Buch über das Schwinden. Eine Enttarnung eines Systems, dass viel von individueller Partizipation spricht, aber letztlich wenig davon bietet.

Die Medien haben aus seinem durchaus trockenen und wenig beschwingten Buch etwas ganz anderes gemacht. Charlie Hebdo hat es auch instrumentalisieren wollen. Das kommt vor. Es gibt immer welche, die Bücher falsch deuten. Alle sind sie darauf angesprungen und haben darüber gesprochen, als ob sie es gelesen hätten. Alle haben eingestimmt in den Chor. Unterwürfig. Kann sein, dass der Islam Unterwerfung verlangt und zu guter Letzt bedeutet das Wort ja auch buchstäblich dieselbe. Aber unterwürfig sind besonders auch die Jünger, die einem vormachen wollen, dass der Islam über uns hereinbricht, wie die Pest in manches mittelalterliche Dorf. Sie sind unterwürfig genug, immer nur das herauszulesen, was sie herauslesen wollen. Das ist nicht die Unterwerfung des Islam, sondern diejenige der Okzidentalen, die etwas retten wollen, was nach Houellebecq unrettbar verloren ist.

Ach so ja, langweilig ist das Buch auch noch. Der Mann hat abgebaut. Aber darum geht es ja nicht ...

1 Kommentare:

Wolfgang Oesters 9. Juni 2015 um 08:05  

Ein meines Erachtens ausgezeichneter Artikel mit vielen vollkommen zutreffenden Beobachtungen und Bemerkungen über den derzeit vielfach immer erbärmlicher werdenden geistig-seelischen Zustand der westlichen "Kulturgemeinschaft", die sich von relativ betrachtet noch immer viel zu wenigen Ausnahmen einmal abgesehen im Großen und Ganzen immer nur noch mehr auf blindwütiges Konsumieren und geradezu besessenes Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten ... hinzubewegen scheint. - Ich habe mich sehr über diesen Aufsatz gefreut; mein herzliches Danke schön dafür!
Solche auf die maroden Grundfeste unserer Gesellschaft zielende kritische Aufsätze bieten meines Erachtens weitaus mehr Unterstützung für die schon längst notwendige Neugeburt unserer westlichen Zivilisation, als viele andere Klageschriften, die oft nur der jeweils neuesten skandalösen "Eintagsfliege" hinterherhecheln.

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