Der Schein schafft das Bewusstsein
Montag, 15. Juni 2015
»Hört endlich auf, Dreck zu fressen«, ruft Denise Wachter dem »Stern«-Leser entgegen. Aufhänger sind die neuen alten Entdeckungen von Wallraff. Dinge, die jeder wissen konnte und viele wussten und die erst jetzt wieder in die Agenda aufrücken, weil RTL etwas dazu sendete. Genauso schnell wird die Empörung auch wieder verschwinden. Na ja, jedenfalls sollen wir keinen Dreck mehr fressen. Richtig so! Aber der Aufruf Wachters verkennt die Lage.
Wachter schreibt richtig, dass die Menschen den Bezug zu ihrer Nahrung verloren haben. Sie wollen anonymes Fleisch ohne Tiergesicht und Tieraugen. Das niedliche Mitwesen soll mit dem, was wir auf unserem Teller liegen haben, nichts zu tun haben. Wurst soll Wurst sein und nicht das Produkt aus einem ehemals lebenden Wesen. Und sie behauptet auch ganz richtig, dass Essen heute in erster Linie billig sein muss. Die Menschen gieren nach günstiger Sättigung und vergessen darüber auch nachzufragen, woher das stammt, was sich ihr Körper einverleibt. Daher ist ein neues Bewusstsein nötig. Nachfragen und so. Wer das tut, der wird den Dreck, den wir heute oft essen, nicht mehr verzehren wollen. Wenn wir die Entfremdung zum Essen ablegen, dann fällt quasi die Billigheimelei und der Dreck landet im Abfall und nicht in unseren Mägen.
Das klingt alles logisch und auch irgendwie richtig. Aber es erinnert an das grüne Ermahner-Leitmotiv. Die Grünen predigen seit Ewigkeiten vom Bewusstsein und davon, dass man das billige Produkt meiden kann, wenn man sich bewusst macht, wie es entsteht. Sie fanden von jeher, dass der Verbraucher diese Macht hätte, wenn er nur wollte. Da gibt es nur ein Problem: Der Verbraucher ist kein Machtmensch. Der Großteil der Verbraucher ist eher machtlos, weil er nicht die Wahl hat, einfach mal teurere Produkte zu erwerben oder regelmäßig sein Fleisch beim Schlachter und Metzger um die Ecke zu holen. Viele Verbraucher können sich die Metzgerwurst nicht mal einmal pro Woche leisten, weil dies ihr Haushaltsbudget sprengen würde. Die Verbrauchermacht ist eine leere Worthülse, weil sie nur dort aktiv sein kann, wo der Verbraucher auch Macht im Geldbeutel hat. Doch daran scheitert es.
Die Lohnzurückhaltung der letzten Jahrzehnte hat bewirkt, dass viele Arbeitnehmer heute dringender im alltäglichen Leben sparen müssen, als je zuvor. Millionen von Menschen sind arbeitslos oder arbeiten unter Bedingungen, die direkt in der Armutsstatistik münden. Welche Macht sollen diese Menschen im Supermarkt haben? Sie sehen den billigen Schinken für 88 Cent und ein Regal weiter oben ein Produkt eines regionalen Metzgers, das besser aussieht, eine gesündere Farbe hat, ja vielleicht sogar ordentlich produziert wurde (sicher ist das allerdings nicht) und das dafür auch gleich 2,39 Euro kostet. Qualität kostet - ganz klar. Diese Wahl wird trotzdem keine Qual, wenn man auch nächste Woche noch etwas essen muss von Geld, das diese Woche schon zu knapp ist.
Das ist das ewige Problem in einer Gesellschaft, in der Löhne stagnieren und die Kaufkraft schwindet. Klar, der Verbraucher ist auch schuld an diesen Zuständen. Weil er den Dreck kauft und frisst, wird Dreck hergestellt und verkauft. Aber es ist ein arroganter und dekadenter Ansatz, einfach mal zu einem neuen Bewusstsein aufzurufen. Die Grünen haben das bis heute nicht kapiert. Sie haben nicht begriffen, dass Ökologie und Soziales zusammenhängen. Eines alleine klappt nicht. Verbrauchermacht stärken bedeutet indirekt immer auch, den Sozialstaat zu stärken. Dafür zu sorgen, dass Löhne steigen und die Lohnersatzleistungen gewährleisten, dass man nicht täglich günstige Tiefkühlkost konsumieren muss. Ökologisches Verständnis benötigt autarke Verbraucher. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Es wird sich nichts ändern können. Der Dreck wird weiterhin in unserem Bauch landen. Er ist systemimmanent. Der Sparstaat fabriziert nicht nur Armut, er schafft auch Märkte, auf denen man mit absoluter Kaltschnäuzigkeit eine Klientel bedient, die sich nur diese Qualitätslosigkeit leisten kann. Für viel zu viele muss es heute günstig sein. Dafür können sie nichts. Wer den Menschen bewusst machen will, welchen Dreck sie fressen, der muss ihnen die finanziellen Mittel dazu geben. Nur mit Münzen und Scheinen kann man bewusster konsumieren. Und wusste nicht schon Marx, dass der (Geld-)Schein das Bewusstsein schafft? Jedenfalls so ähnlich ...
Wachter schreibt richtig, dass die Menschen den Bezug zu ihrer Nahrung verloren haben. Sie wollen anonymes Fleisch ohne Tiergesicht und Tieraugen. Das niedliche Mitwesen soll mit dem, was wir auf unserem Teller liegen haben, nichts zu tun haben. Wurst soll Wurst sein und nicht das Produkt aus einem ehemals lebenden Wesen. Und sie behauptet auch ganz richtig, dass Essen heute in erster Linie billig sein muss. Die Menschen gieren nach günstiger Sättigung und vergessen darüber auch nachzufragen, woher das stammt, was sich ihr Körper einverleibt. Daher ist ein neues Bewusstsein nötig. Nachfragen und so. Wer das tut, der wird den Dreck, den wir heute oft essen, nicht mehr verzehren wollen. Wenn wir die Entfremdung zum Essen ablegen, dann fällt quasi die Billigheimelei und der Dreck landet im Abfall und nicht in unseren Mägen.
Das klingt alles logisch und auch irgendwie richtig. Aber es erinnert an das grüne Ermahner-Leitmotiv. Die Grünen predigen seit Ewigkeiten vom Bewusstsein und davon, dass man das billige Produkt meiden kann, wenn man sich bewusst macht, wie es entsteht. Sie fanden von jeher, dass der Verbraucher diese Macht hätte, wenn er nur wollte. Da gibt es nur ein Problem: Der Verbraucher ist kein Machtmensch. Der Großteil der Verbraucher ist eher machtlos, weil er nicht die Wahl hat, einfach mal teurere Produkte zu erwerben oder regelmäßig sein Fleisch beim Schlachter und Metzger um die Ecke zu holen. Viele Verbraucher können sich die Metzgerwurst nicht mal einmal pro Woche leisten, weil dies ihr Haushaltsbudget sprengen würde. Die Verbrauchermacht ist eine leere Worthülse, weil sie nur dort aktiv sein kann, wo der Verbraucher auch Macht im Geldbeutel hat. Doch daran scheitert es.
Die Lohnzurückhaltung der letzten Jahrzehnte hat bewirkt, dass viele Arbeitnehmer heute dringender im alltäglichen Leben sparen müssen, als je zuvor. Millionen von Menschen sind arbeitslos oder arbeiten unter Bedingungen, die direkt in der Armutsstatistik münden. Welche Macht sollen diese Menschen im Supermarkt haben? Sie sehen den billigen Schinken für 88 Cent und ein Regal weiter oben ein Produkt eines regionalen Metzgers, das besser aussieht, eine gesündere Farbe hat, ja vielleicht sogar ordentlich produziert wurde (sicher ist das allerdings nicht) und das dafür auch gleich 2,39 Euro kostet. Qualität kostet - ganz klar. Diese Wahl wird trotzdem keine Qual, wenn man auch nächste Woche noch etwas essen muss von Geld, das diese Woche schon zu knapp ist.
Das ist das ewige Problem in einer Gesellschaft, in der Löhne stagnieren und die Kaufkraft schwindet. Klar, der Verbraucher ist auch schuld an diesen Zuständen. Weil er den Dreck kauft und frisst, wird Dreck hergestellt und verkauft. Aber es ist ein arroganter und dekadenter Ansatz, einfach mal zu einem neuen Bewusstsein aufzurufen. Die Grünen haben das bis heute nicht kapiert. Sie haben nicht begriffen, dass Ökologie und Soziales zusammenhängen. Eines alleine klappt nicht. Verbrauchermacht stärken bedeutet indirekt immer auch, den Sozialstaat zu stärken. Dafür zu sorgen, dass Löhne steigen und die Lohnersatzleistungen gewährleisten, dass man nicht täglich günstige Tiefkühlkost konsumieren muss. Ökologisches Verständnis benötigt autarke Verbraucher. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Es wird sich nichts ändern können. Der Dreck wird weiterhin in unserem Bauch landen. Er ist systemimmanent. Der Sparstaat fabriziert nicht nur Armut, er schafft auch Märkte, auf denen man mit absoluter Kaltschnäuzigkeit eine Klientel bedient, die sich nur diese Qualitätslosigkeit leisten kann. Für viel zu viele muss es heute günstig sein. Dafür können sie nichts. Wer den Menschen bewusst machen will, welchen Dreck sie fressen, der muss ihnen die finanziellen Mittel dazu geben. Nur mit Münzen und Scheinen kann man bewusster konsumieren. Und wusste nicht schon Marx, dass der (Geld-)Schein das Bewusstsein schafft? Jedenfalls so ähnlich ...
5 Kommentare:
Das ist schon alles richtig. Aber die Menschen werden ihre Lage erst verbessern, wenn sie aufhören sich als Opfer zu begreifen, sondern anfangen, sich als selbstbestimmt handelnde Subjekte zu verstehen. Dazu müssen sie gar nicht Sartre lesen. Sie müssen nur aufhören zu sagen: Wegen des Kapitalismus habe ich nur so wenig Geld und muss deswegen diesen ganzen Dreck in mich hineinstopfen und am Ende sogar noch 5 Jahre früher sterben. Ich habe keine Wahl. Sie sollten lieber sagen: Obwohl ich arm bin, fresse ich diesen Dreck nicht und koche mir lieber selbst Gemüse der Saison, was nicht so teuer ist. Die Sprache sagt es ja schon: Wer alles schluckt, schluckt halt wirklich alles.
Hallo Roberto,
hier muss ich dir - ausnahmsweise - mal widersprechen. Die Lohnmisere in Deutschland taugt nur sehr bedingt als Begründung für das Verhalten, auch noch den letzten elenden Fraß zu kaufen, wenn er denn nur billig ist. Denn nicht boomt hierzulande mehr als der Verkauf von Tiefkühl - und Convenienceprodukten. Die sind oft nicht gut, aber teilweise sehr teuer und "bequem". Außerdem ist in Ländern wie z.B. Italien die Auswahl und Qualität von Lebensmitteln ungleich besser als hier, obwohl die Menschen weitaus weniger Geld haben.
Es ist daher m.E. ein kulturelles Problem. Die meisten Deutsch sind schlichtweg Barbaren, was Essen angeht und geben ihr Geld lieber für Autos oder elektronischen Bockmist aus.
Hallo Roberto,
ein anderes Problem neben dem Mangel an Kaufkraft ist doch auch die Marktmacht der Discountriesen.
Alternativ kann man nur noch auf Feinkostläden oder "Bio- Märkte" ausweichen, ob da die Qualität den Mehrpreis rechtfertigt ist ein anderes Kapitel.
Der Schlachter an der Ecke dürfte genau wie der Bäcker ein Auslaufmodell sein.
Und falls irgend jemand denkt das dort noch selber geschlachtet wird, Pustekuchen. Im Regelfall dürfen die Schlachter in Städten nicht mehr selber schlachten und beziehen ihr Fleisch von Grosszerlegebetrieben.
Dazu mal einen Link zur Sueddeutschen, die titelte: "Die Schlachtordnung"
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fleischwirtschaft-die-schlachtordnung-1.2459935-4
Das erinnert schwer an Upton Sinclair: "Der Dschungel" von 1906.
Auf der anderen Seite haben wir auch das Problem der ständigen Beschleunigung und Ausweitung der Arbeitsbeanspruchung, was den Run auf Tiefkühl - und Convenienceprodukten erklären könnte.
Wenn ich nur an Tortelinni in Sahne- Schinken -Soße denke,schaudert es mich.
Grüße flurdab
Hallo Roberto, sicher ist etwas wahres dran an der These. Ich denke aber eher, dass das Problem mit der Dummheit der Bevölkerung einhergeht, die Reklame verblödet und es schlicht am fehlendem Bewusstsein der Leute liegt, sich dadurch zu schädigen, miese Dinge zu Verköstigen. Es dauert halt etwas, bis die schädlichen Auswirkungen kommen und da verzichtet man eher bei Qualität, als auf die Handyflat. Motto: "Ich bin ja nicht blöd." Auch die Faulheit ist nicht zu unterschätzen. Bauernmärkte, Bio-Läden sind mit mehr Zeitaufwand verbunden, schlussendlich auch noch kochen; dann doch lieber die TK-Ware in den Ofen und nebenher mitm Tablet surfen. Und wer liest schon die Inhaltsstoffe auf der Rückseite? Eier, Mehl, Salz, Zucker, Hefe, Milch, saisonales Obst und Gemüse anstatt fertig spart soviel, dass die hochwertigen Fleisch- und Käsewaren drin sind.
Ich stimme dem Artikel zu, zumindest teilweise.
Denn bei den Lebensmittel kommen mehrere Probleme zusammen:
-Das erste hat Roberto gut beschrieben. Gute Lebensmittelqualität muss man sich auch leisten können. Wer nicht genug Geld hat, wird bei der Billigware bleiben müssen- auch gegen seinen Willen.
-Das zweite Problem ergibt sich aus der umgekehrten Fragestellung: Kaufe ich automatisch qualitativ hochwertigere Lebensmittel, wenn mein Budget größer ist? Ich würde sagen: Wahrscheinlich nicht. Denn anders als vielleicht noch unsere Großeltern, wissen viele von uns gar nicht mehr, was ein gutes Lebensmittel auszeichnet. Die wenigsten von uns waren mal bei einer Schlachtung dabei, oder haben für den Eigenbedarf Kartoffeln angebaut; wir kennen Lebensmittel oft nur in der fertig verpackten Variante.Von der Natur haben wir uns mehr und mehr entfremdet,was man auch an unserer extrem romantischen Naturvorstellung festmachen kann.
-Des weiteren haben die großen Foodkonzerne kein Interesse daran, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel herzustellen, wenn zusammengepanschte, mit Aromen aufgepeppte Billigware eine deutlich höhere Gewinnspanne verspricht. An objektiver Verbraucherinformation haben sie logischerweise ein noch geringeres Interesse.
Aktivisten wie foodwatch verschlimmern mit ihrer Forderung nach einer "Lebensmittelampel" diesen Trend noch massiv, wird dadurch doch dem allgemeinen Gepansche weiter Vorschub geleistet. Hauptsache die Werte für Fett, Salz und Kalorien stimmen. Der Rest ist wurscht.
-Wenn wir Verbraucher aber keine Ahnung mehr von Lebensmitteln haben und das Informationsmonopol einseitig bei den Herstellern liegt, dann kommt es zu dem, was man eine Akerlofspriale nennt: Wer nicht erkennen kann, ob ihm minderwertige Ware untergejubelt wird oder nicht, wird langfristig zu Billigprodukten tendieren. Nur dort kann er sicher sein kann, dass das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Das aber macht den Markt kaputt, weil Anbieter qualitativ höherwertiger Ware kaum eine Chance haben, es sei denn im Luxussegment.
Von daher: Ja, wir brauchen höhere Löhne zur Stärkung der Kaufkraft. Aber das ist kein Allheilmittel.Sinnvolle Regeln, die ehrliche Lebensmittelanbieter schützen, und Gepansche als solches erkennbar werden lassen, sind mindestes ebenso wichtig.
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