... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 30. Juni 2015

»Der Untertanengeist hat Spuren in der Geschichte der Öffentlich-Rechtlichen-Fernsehanstalten hinterlassen: Kriechspuren.«

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Besuch der alten Dame

Montag, 29. Juni 2015

Alle hatten sie Ratgeber zum Hofprotokoll zur Hand. Wie reagieren, wenn man auf Frau Queen trifft und wie tief knickst man? Dann die Nachricht: Volker Bouffier hätte die alte Dame fast getätschelt. Nie zuvor war mir dieser Mann sympathischer als da. Radiosender waren ohnehin im Dauermodus. Eine Reporterin, die am Rollfeld stand, war tierisch gespannt, was Königin wohl heute tragen würde. Der Boulevard stand ganz in seinem Saft. Und man hat mal wieder deutlich gesehen, weshalb einst auf deutschen Boden keine gekrönten Häupter selbige verloren.

In Dürrenmatts »Besuch der alten Dame« kommt eine solche zurück in die Stadt. Sie wird mit allen Ehren empfangen, schließlich gilt sie mittlerweile als Berühmtheit. Im Laufe ihres Besuchs (und weil sie der Stadt ein Angebot macht, das diese im Grunde nicht ablehnen will) streifen die Einwohner ihren zivilisatorischen Tarnanzug ab und kehren eine andere Seite hervor. Ein bisschen so war es letzte Woche, als die Königin von der Insel auf der Insel der Seligen, vulgo »krisensicheres Deutschland« genannt, strandete. Alles wofür Monarchie, Aristokratie, Imperialismus und Privilegierung durch den Zufall der Familienzugehörigkeit steht, war urplötzlich kein Thema mehr, sondern bestenfalls ein Kavaliersdelikt, das man als Demokrat per definitionem schon mal stillschweigend hinnehmen kann. Dürrenmatt gab seine Roman den Untertitel »Eine tragische Komödie« - wahrscheinlich ist das zwangsläufig immer so, wenn alte Damen auf Besuch sind.

Es gibt scheinbar nach wie vor eine tiefe Sehnsucht in der Bevölkerung, ein Amt mitsamt der Familie, die einzig und alleine für selbiges in Frage kommt, zu mystifizieren. Die Demokratie ist da profan. Denn theoretisch kann ja jeder in ihr wen darstellen. Und die Leistungsgesellschaft? Klar, für die kleinen Leute zählt sie schon noch. Die sollen sich anstrengen. Der Geldadel braucht eh keine Anstrengungen. Und dem blaublütigen Adel sollte einfach alles in den Schoß fallen, weil es immer so war. Herr Guttenberg war ein Beispiel dafür, mit welchen Vorschusslorbeeren dieses Volk immer noch Adel ausstattet. Köpfe verloren Könige nie auf deutschen Boden. Heute sowieso nicht mehr. Enthauptungen sind selten geworden. Aber dass man Sehnsucht hat, den Adel weiter zu be-, wenn man ihn schon nicht enthauptet, sagt viel über dieses Deutschland aus.

Nur ein kurzer Absatz zum Maßstab, den dieses Deutschland hat: Wir wollen in diesem Lande keine Flüchtlinge empfangen, die vielleicht zu Sozialfällen werden können. Die größte Sozialschmarotzerin der Welt allerdings, die bekommt Wein kredenzt, dessen Flaschenpreis bei 2.200 Euro liegt. Der Besuch der alten Dame zeigte durchaus, wie verzerrt die Wahrnehmung im Lande mittlerweile ist.

Der Untertan ist halt immer noch tief in der Seele verankert. Und die Aristokratie beeindruckt fast wie eh und je. Revolution? Wenigstens Protestkultur? Menschen, die Queens zujubeln, die machen dergleichen nicht. Die finden nichts Kritikwürdiges an Gottesgnadentum und Privilegierung und verurteilen stattdessen alle, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht kennen. Heute Queenwinken, morgen die Lokführer oder Postboten ausschimpfen, weil sie sich etwas anmaßen, was sich der Untertan nicht leisten sollte.

Dieses Deutschland wird sich sicher keinen König mehr leisten. Einer zu Besuch kehrt aber alle Affekte heraus. Aber es ist wahrscheinlich wesentlich mehr eine Gesellschaft, die die Aristokratie befürwortet, als eine, die demokratische Standards als Selbstverständlichkeit nimmt. Wer unkritisch Adel empfängt und daraus ein Volksfest macht, während er Streiks verteufelt und für gefährlich deklariert, der muss sich die Frage gefallen lassen, in welcher Gesellschaft er seinen Stand sieht. So richtig demokratisch wirkt das jedenfalls nicht. Aber wie sagte die Queen einst: »... a killer queen / gunpowder gelatine / dynamite with a laserbeam! / Guaranteed to blow your mind! / Anytime!«

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Warum lügen, wenn man ehrlich sein kann?

Freitag, 26. Juni 2015

oder Die repressive Transparenz.

Die »Frankfurter Allgemeine« berichtet aktuell von einer neuen Studie. Sie leitet den Bericht wie folgt ein: »Wer kein typisches Vollzeitarbeitsverhältnis hat, verdient weniger - das ist klar. Doch Leiharbeiter, Minijobber und Co haben auch mehr Probleme im Privatleben, zeigt nun eine Studie.« So weit, so erfreulich. Endlich nimmt auch ein konservatives Blatt mal die neue Armut unter die Lupe. Die FAZ merkt allerdings noch in einem Halbsatz an: »... die [Studie wurde] allerdings von einer gewerkschaftsnahen Stiftung mitfinanziert.«

Diese Transparenz ist interessant für eine Zeitung, die über viele Jahre Expertenmeinungen an die Öffentlichkeit brachte und nicht besonders darauf achtete, in welchen Interessenskonflikt diese Fachleute steckten. Bernd Raffelhüschen war einer dieser Kandidaten. Auch ihn hat die »Frankfurter Allgemeine« über viele Jahre hinweg hofiert und als einen Fachmann ausgewiesen, der klare Ansagen zur staatlichen Rente machte und den großen Durchblick hatte. Dass der Mann jedoch Posten in der Versicherungsbranche kleidete und schon alleine deswegen ein großer Anhänger der privaten Alterssicherung sein musste, hat die »Frankfurter Allgemeine« nicht ganz so dramatisch gestört. In dem Falle war ein transparentes Erscheinungsbild für die Redaktion nicht ganz so wichtig. Da biss man sich auf die Zunge.

Wenn aber nun eine Studie erläutert, dass diese wunderbaren Arbeitsplatzmodelle der neoliberalen Revolution, der »Prekarisierung« um mal das entscheidende Schlagwort zu nennen, zu einer Verunsicherung der Lebensumstände in allen Bereichen des alltäglichen Lebens führte, dann muss man natürlich gleich mal durch Transparenz diskreditieren und es herunterspielen. Wenn da eine Gewerkschaft ihre Finger mit im Spiel hat, dann kann es ja nicht richtig sein; dann sind die Thesen so falsch wie alles, was Gewerkschaften in diesem Land derzeit so anrichten, nicht wahr?

In die »repressive Toleranz« beschrieb Marcuse diese »repressive Transparenz« (er verwendete diesen Ausdruck in seiner Schrift nicht) und enttarnte sie als Ausdruck eines totalitären Denkens. Er schrieb: »Andere Wörter können zwar ausgesprochen und gehört, andere Gedanken zwar ausgedrückt werden, aber sie werden nach dem massiven Maßstab der konservativen Mehrheit (...) sofort bewertet (das heißt: automatisch verstanden) im Sinne der öffentlichen Sprache – einer Sprache, die a priori die Richtung festlegt, in welcher sich der Denkprozeß bewegt. Damit endet der Prozeß der Reflexion dort, wo er anfing: in den gegebenen Bedingungen und Verhältnissen. Sich selbst bestätigend, stößt der Diskussionsgegenstand den Widerspruch ab, da die Antithese im Sinne der These neubestimmt wird.« Ein bisschen alltäglicher ausgedrückt: Man kann heute alles sagen und schreiben, aber man kann es immer so sagen und schreiben, dass vom Momentum der Aufklärung nichts übrigbleibt. Man ist mit Ehrlichkeit verlogen gewissermaßen.

Man kann also heute Propaganda ganz nüchtern betreiben. Warum lügen, wenn man ehrlich sein kann? Man berichtet einfach - und ganz süffisant unterbreitet man dann, dass zu der ganzen Thematik noch eine Kleinigkeit zu erwähnen sei und diskreditiert damit das Gesagte gänzlich. Und der Prozess der Reflexion endet just in diesem Augenblick. Man denkt nicht mehr nach, weil man von Parteilichkeit keine Objektivität zu erwarten hat und die Thesen wahrscheinlich ideologisch gefärbt sind. Dass Raffelhüschen parteilich und ideologisch war, konnte man ja nicht wissen - man verschwieg es ja absichtlich. Die gegebenen Bedingungen und Verhältnisse bleiben bestehen. Und Leiharbeit und Minijobs bleiben letztlich doch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind keine Arbeitsplatzmodelle, die Tristesse und Einsamkeit schaffen.

Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, wenn eine Tageszeitung die Financiers von Studien nennt und diesen Hintergrund zu bedenken gibt. Aber wenn, dann bitte immer. Als die FAZ einst ganz intensiv Propaganda für neoliberale Reformen machte, da schwieg man sich aus. Da waren die Analysen von Sinn, Raffelhüschen, Hartz, Rürup oder wie sie allen hießen (und noch heißen) unantastbare Erkenntnisse, die man nicht durch Nennung diverser Verquickungen mit der Wirtschaft entweihen wollte. Man wollte die Jungs ja nicht diskreditieren.

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Ester Seitz oder Klick it like plemplem

Donnerstag, 25. Juni 2015

Lutz Bachmann, Kathrin Oertel und nun Ester Seitz. So heißen die neuen Volkstribune einer Gesinnung, die sich patriotisch gibt, aber letztlich nur vom Stammtisch auf die Bühne drängt. Sie sind inhaltsleer, verbalradikal und vom Typus her Verlierer. Aber sie haben Facebook und Twitter.

Ester Seitz sieht aus wie ein junges Mädchen, dass sich unter Rechtsradikalen verloren hat. Sie pflegt einen naiven Blick und macht nicht den Eindruck einer Frau, die grundsätzlich mit rechter Ideologie hausieren geht. Aber sie tut es. Nach eigenen Aussagen wollte sie die Lutz Bachmann des Westens werden. Denn Pegida habe sie politisch aufgeweckt. Und weil dem so war, meldete sie für den vergangenen Samstag in Frankfurt am Main einen Demonstrationszug für wahrhafte Patrioten an. Der Erfolg blieb zwar aus, aber Ester Seitz ließ sich von den Kameraden feiern. Sie hüllte sich in eine Deutschlandfahne und gab die Jeanne d'Arc der Braunen. Und sie hatte sichtlich Freude dabei. Endlich erhielt sie die Aufmerksamkeit, die sie sich gewünscht hatte. Nicht nur »15 minutes of fame« – ein ganzer Tag gehörte ihr. Auch wenn es letztlich nur etwa 150 Hools und Neonazis waren, die sich auf ihre Einladung hin in der hessischen Metropole einfanden – die Gegendemonstranten waren immerhin auch wegen ihr auf den Straßen.

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Fuck the Kanzlerin!

Mittwoch, 24. Juni 2015

Unglaublich. Schrieb er doch »Fuck the US-Imperalism«, dieser Lafontaine. Wirklich unglaublich. Das war natürlich wieder mal für manchen Aufmacher gut. Und alle sind sie mehr oder minder empört von dem Linken und seinem Hass. Dass er sein »Fuck the US« nicht einfach so in die Welt setzte, sondern sich von einer US-Diplomatin inspirieren ließ, wird nur beiläufig erwähnt.

Lafontaine ärgerte sich via Facebook zurecht darüber, dass der US-Verteidigungsminister die Europäer dazu aufrief, sich gegen Russland zu formieren. Er nennt dieses Vorgehen (auch zurecht) verlogen. Und ein Verteidigungsminister, der dezent auf Konfrontationskurs lotst, der verteidigt auch nichts mehr - der weist in den Krieg und ist daher ein Kriegsminister. Die Europäische Union brauche laut Lafontaine unbedingt eine Außenpolitik, die den US-Imperialismus eindämmt. »Fuck the EU«, sagte die US-Diplomatin Nuland vor einigen Monaten. Lafontaine tat es nun dieser Frau gleich und schloss sein Statement mit den Worten ab: »Fuck the US-Imperalism«. Bloß dessen deutlicher Hinweis auf Nulands damalige Aussage geht bei den Empörten natürlich unter. Für sie hat Lafontaine sich ohne Not einen Angriff auf einen guten Freund geleistet.

Er war dabei noch äußerst taktvoll. Denn es ist ja nicht nur der US-Imperialismus, dem man das Fuck wünschen kann, sondern auch den politisch Verantwortlichen dieser kleinen Republik, die die imperialistischen Gimmicks des großen Bruders aus Übersee tolerieren und decken. Bis heute haben wir kein klares Wort von der Bundeskanzlerin zur NSA-Geschichte erhalten. Man weiß, dass das Bundeskanzlerinnenamt seit Jahren darüber im Bilde war. Reaktion bislang: Keine. Aussicht auf Reaktion: Weniger als keine. Man nimmt es nicht nur hin, dass ein fremder Geheimdienst die Privatsphäre und die Bürgerrechte der Menschen hierzulande ignorierte - man deckt die ganze Praxis auch noch und geht zur Tagesordnung über und berichtet, wie die nette Frau Kindern in einer Kita Märchen vorliest. Wenn es nicht mehr weitergeht, dann setzt man sich Knirpse auf den Schoß und sieht nett aus. Gleichwohl gibt man nebenher im Namen der US-Außenpolitik den Agent Provocateur in der Ukraine-Angelegenheit und nimmt in Kauf, dass Kinder aus ukrainischen Kindergärten immer mehr Kriegstraumata erleiden.

Nein, wer uns wirklich und als hiesiger Stellvertreter des US-Imperalismus fickt, dass ist diese Bundeskanzlerin. Sie tut es, wenn sie so tut, als wisse sie von nichts. Wenn sie schweigt. Wenn sie Agentenpraxen hinnimmt. Wenn sie Snowden abweist. Wenn sie Anfragen kleinhalten oder am langen Arm verhungern lässt. Und wenn man ganz ehrlich ist, dann müssen wir ja nicht gleich beim ganzen Imperialismus der Vereinigten Staaten anfangen, sondern sollten vor unserer eigenen Haustüre beginnen und »Fuck the Bundeskanzlerin« rufen. Fuck sie und ihre Kamarilla. Sie und ihre politische Praxis. Sie und dieser Stil aus Sedativa und Unschuldslämmerei.

Eines ist wieder mal deutlich geworden in diesem Deutschland: Es ist schlimm und verwerflich, wenn jemand »Fuck the US-Imperialism« sagt - wenn aber eine Kanzlerin »Fuck the Bürger« als Motto ihrer Agenda führt, dann ist es billig und recht. Das mit der Merkel war von Anfang an einfach nicht gefickt eingeschädelt.

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In Vielfalt einfältig

Dienstag, 23. Juni 2015

»In Vielfalt geeint« war mal so eine Losung, mit der man Europa umschrieb. Aber vielfältig sollten daran vielleicht nur Landschaften oder Nationalgerichte sein. Die politische Leitlinie hingegen nicht. Auf diesem Gebiet herrschte und herrscht Einfalt. Das kann man dieser Tage blendend sehen.

Im Jahre 2000 sollte ein Europamotto her. Vorschläge gab es einige. In die Endrunde schafften es verschiedene. Zum Beispiel: »Unsere Unterschiede sind unsere Stärke«, »Einheit in Vielfalt« oder »Alle verschieden, alle Europäer«. »In Vielfalt geeint« hat dann den Zuschlag bekommen. Und man merkt schon, in welche Richtung die Parole gehen sollte. Der gelebte Pluralismus im Bund der kontinentalen Staaten sollte unterstrichen werden. Das suggerierte Variationsbreite, Buntheit und Fülle. Die Europäische Union erklärt, dass das eine »Bereicherung für den Kontinent [darstelle]«. Die europäische Identität sei vielschichtig, farbig und habe viele Facetten. Das klingt gut, nach Liberalismus und einem Bekenntnis zu Alternativen, Mannigfaltigkeit und Wahlmöglichkeiten. Die aktuellen Geschehnisse um Griechenland und seine Regierung zeigen jetzt eindrücklich, wo dieses Credo zur Verschiedenartigkeit aufhört. Der politische Kurs innerhalb eines Mitgliedslandes gehört jedenfalls nicht auf die Liste der Vielfalt in dieser kontinentalen Union.

Es geht einzig und alleine um Kulturen, Traditionen und Sprachen (wobei das in Berlin schon mal anders gesehen wurde, als es hieß, dass man wieder Deutsch in Europa spreche), um Trachten, Nationalgerichte und Folklore. Aber dass Vielfalt auch heißen könnte, die Leitlinie der neoliberalen Politik zu verlassen, davon will man innerhalb der Europäischen Union nichts wissen. Nationale Regierungen, die abgleiten vom Kurs, haben keinen Anspruch darauf, sich auf die Vielfalt politischer Grundrichtungen zu berufen. Hier haben sie einfältig zu sein. Sind sie es nicht, droht ihnen der Rauswurf, verbannt man sie aus diesem Europa, das so stolz ist auf seine Verschiedenartigkeit. Eine linke Regierung ist aber so verschieden, dass man den europäischen Grundgedanken aufgibt und den ganzen Rest der ehemaligen Grundidee lächerlich macht.

Dort wo man in Vielfalt vereint ist, herrscht eigentlich nichts anderes wie Alternativlosigkeit. Grauer Alltag und Einheitsbrei. Dieses real existierende Europa ist politisch und ökonomisch gesehen für die Einfalt. Aber »In Vielfalt geeint« ist ein tolles Leitmotiv, eine PR, die den Menschen Europa zugänglich macht. Man muss dieses Motto also hegen und pflegen. Nur darf man es nicht als Versprechen sehen. So wie jeder Werbejingle Dinge in Aussicht stellt, mit denen man nicht rechnen sollte, so wie kein Gnom ein Womanizer wird, wenn er sich Axe in die Achselhöhlen schmiert, so ist auch diese Parole nur bedingt auch so gemeint. Wie vielfältig Europa ist, sieht man dieser Tage an dem Einsatz der Einfältigen, die Griechenland auf Linie zu bringen versuchen. Vielfältig ist hierbei nur die Niedertracht und das Maß an Boshaftigkeit. Sie sind in Vielfalt vereint, die politische Einfalt wiederherzustellen.

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Aus fremder Feder

Montag, 22. Juni 2015

»Die meisten Menschen würden sich beleidigt fühlen, wenn ihnen eine Beschäftigung vorgeschlagen würde, Steine über eine Mauer zu werfen und sie dann wieder zurückzuwerfen, bloß um ihren Lohn damit zu verdienen. Aber viele werden in keiner würdigeren Weise beschäftigt.«
- »Die Welt und ich«, Henry David Thoreau -

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Generalstreik, damit die Chefetagen aufwachen

Freitag, 19. Juni 2015

Endlich traut man sich in diesem Land wieder rücksichtsloser zu streiken. Ob bei der Bahn, in Kindergärten oder bei der Post: Man wagt wieder Ausstände, um seine Interessen durchzuboxen. Aber so richtig beeindrucken lassen sich die Arbeitgeber nicht. Ein Generalstreik wäre jetzt nötig.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als seien viele Jahre ins Land gegangen ohne Streik. Klar, es gab immer wieder mal Streiks zwischendurch. Aber so geballt wie augenblicklich kamen sie uns nicht ins Bewusstsein. Jetzt schwillt die Streikmoral an. Es scheint wieder eine Selbstwahrnehmung von Arbeitnehmern zu geben. Endlich. Man streikt wieder rücksichtsloser und uneingeschränkt. Das war in den Jahren zuvor noch anders. Da blickte man immer genau darauf, dass der volkswirtschaftliche Schaden nicht allzu hoch ausfällt. Mit dieser Streikmoral war aber nicht zu punkten. Möglich, dass auch die Gewerkschaft der Lokomotivführer Beispiel war, dass jetzt auch ver.di mit mehr Engagement in den Arbeitskampf geht. Zugeben werden sie es nicht. Aber einerlei - dass nun endlich wieder gewerkschaftliche Stärke gezeigt wird, ist keine schlechte Entwicklung.

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Wer hat keine Koordinaten?

Mittwoch, 17. Juni 2015

Die europäische Sozialdemokratie ist richtig verhunzt. Nicht nur die, die wir hier haben. Alle rudern sie im Morast, den New Labour über diese gute alte Einrichtung auslud. »Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten« hieß dann auch der Name des berühmten Modernisierungskonzepts. So richtig nach vorne stürmen Österreichs Sozis jetzt auch. Das ist ein Mut, den hiesige Sozis noch nicht hegen. Aber ausgeschlossen dürfte auch hier nichts mehr sein.

Im Burgenland koalieren Sozialdemokraten und die netten Damen und Herren der FPÖ. Jener Partei, deren ehemaliger Parteichef ehemalige SS-Mitglieder für ihren ehemaligen Einsatz lobte und als brave Staatsbürger hinstellte. Zum Glück ist alles im letzten Satz ehemalig. Aber die Bereitschaft der Sozialdemokraten des Kontinents, sich mit allerlei reaktionären, kryptofaschistischen, homophoben, rassistischen, sozialdarwinistischen, korrupten und/oder islamophoben Koalitionspartnern einzulassen, scheint nicht ehemalig zu sein, sondern eher so ein neuer Trend. Die Burgenländer Sozis machen einem jedenfalls nichts mehr vor. Sie zeigen uns allen den nächsten Modernisierungsschub der Sozialdemokratie auf. Die deutsche Variante experimentiert noch mit der Vorstufe. Traut sich noch nicht an Rechtspopulisten heran.

Aber genau das muss eine moderne Partei, die keine Konturen mehr außer die eigene Machtbesessenheit hat, heute tun. Man darf nicht wählerisch sein. In der SPÖ waren auch Stimmen zu hören, die den Schritt so rechtfertigten: »Mit uns geht’s immer mehr bergab, da bleibt uns ja gar nichts anderes übrig, als vom klaren Nein zur FPÖ abzugehen.« Tja, so geht die Sache aus, wenn man über Jahre seine Ideale streicht, Kernwählerschaften verprellt, sich Liebkind bei den Bossen macht und in neoliberale Fußstapfen tritt. Dann schwinden die Prozente und man japst von Wahl zu Wahl, verliert den Anschluss, kommt meist nur noch als kleiner Koalitionspartner in Frage und muss Alternativen in dieser alternativlosen Zeit schaffen. Und dann geht man eben mit Parteien zusammen, die nicht alle Latten am Zaun haben.

Schon vor hundert Jahren fragte man: Wer hat keine Koordinaten? Sozialdemokraten! Sozialdemokraten! So oder so ähnlich hat der Spruch doch geheißen, oder? Falls nicht, so hätte er so lauten sollen. Er traf schon so oft zu. Aber so evident war er wohl nie. Die Genossen aus dem Burgenland sollten auch ein »Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten« schreiben und nach Brüssel, in den Hauptsitz der europäischen Sozis, schicken. Die Fortsetzung dieses Bestsellers an den Wühltischen des politischen Niedergangs wäre nur der nächste Schritt. Und er wäre konsequent.

Und ich werde indes den Eindruck nicht los, dass die Genossen aus dem Burgenland nur zynischer und aufrichtiger sind, als die Genossen anderswo. Sie machen einem wenigstens nicht vor, dass sie mehr oder besser sind, als sie es letztlich sind. Und mal ehrlich, von New Labour bis zur Querfront mit Rechtspopulisten, ist es eigentlich kein besonders großer Schritt. Aber er muss halt gemacht werden. Also nicht verzagen, lieber Gabi, sollte die Union rechtsrücken, kannst du immer noch den Hofnarren in deiner Koalition spielen. Die neuen Sozialdemokraten Europas machen das eben so. Oh Zeiten, oh Sitten.

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Zu Ohren gekommen

Dienstag, 16. Juni 2015

Letzte Woche, das war der Gipfel. Also alle Welt sprach davon. Vom Gipfel. Von dem auf Schloss Elmau. Gipfel gibt es aber immer wieder. Gipfelkonferenzen durchziehen das politische Leben. Beim Gipfel der G8minus1 fiel es aber eklatant auf: Da tagte doch kein Gipfel, sondern bestenfalls die, die im Basislager 1 zelten und sich nicht mehr weitertrauen an die Spitze.

Denn »Gipfel« meint den höchsten Punkt. Die Spitze des Berges. Ganz oben. Ein Maximum und nicht mehr zu steigernder Punkt. Vom Gipfel aus geht es nur hinunter. Hinauf nicht mehr. Denn man ist am Ende des Berges angelangt. Aber genau das war dieser Gipfel zu Elmau nicht. Denn für die amtierenden Repräsentanten der Nationen gibt es von ihrem Amt immer noch einen Weg nach oben. Nämlich den, den sie nach ihrer politischen Karriere einschlagen können: In die Wirtschaft. In Aufsichtsräte und Vorstände von Firmen, die nicht nur den Markt beherrschen, sondern ganze Erdteile und letztlich auch das Geschehen auf der Welt.

»Gipfel« täuschte mal wieder darüber hinweg, dass auf dem oberen Ende der Berge nicht die sitzen, die man gemeinhin wählen darf, sondern solche, die sich den Platz aus dem Gefühl ihrer ökonimischen Stärke heraus sicherten. Ungefragt. Und ungewählt. Bei diesen Gipfeln sitzen also letztlich nicht die Höchsten zusammen, sondern Leute, die höchstens mittelgradig entscheidungsrelevant sind. Aber das gipfelt letztlich in der Einsicht, dass »Gipfel« ein schrecklich unreflektiertes Wort im Bezug auf solche Treffen ist. Es trifft ja mitnichten zu.

Vielleicht sollte man ganz im alpinistischen Sinne vom »Talstützpunkt der G7« sprechen. Von einem Basislager. Das würde den Irrtum ausschließen, dass diese Leute ganz oben in der Hierarchie der kapitalistischen Weltordnung sind. So wüsste man: Aha, da treffen sich nur Abteilungsleiter, die vielleicht weisungsbefugt sind, aber nicht im Namen ihrer Unternehmen entscheiden dürfen. Sie hocken in Zelten, die wie Schlösser, Yachten oder riesige Strandkörbe aussehen, am Fuße des Gipfels zusammen und warten auf ihren Aufstieg: Nach dem Amt. Vielleicht haben sie dann mehr zu sagen.

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Der Schein schafft das Bewusstsein

Montag, 15. Juni 2015

»Hört endlich auf, Dreck zu fressen«, ruft Denise Wachter dem »Stern«-Leser entgegen. Aufhänger sind die neuen alten Entdeckungen von Wallraff. Dinge, die jeder wissen konnte und viele wussten und die erst jetzt wieder in die Agenda aufrücken, weil RTL etwas dazu sendete. Genauso schnell wird die Empörung auch wieder verschwinden. Na ja, jedenfalls sollen wir keinen Dreck mehr fressen. Richtig so! Aber der Aufruf Wachters verkennt die Lage.

Wachter schreibt richtig, dass die Menschen den Bezug zu ihrer Nahrung verloren haben. Sie wollen anonymes Fleisch ohne Tiergesicht und Tieraugen. Das niedliche Mitwesen soll mit dem, was wir auf unserem Teller liegen haben, nichts zu tun haben. Wurst soll Wurst sein und nicht das Produkt aus einem ehemals lebenden Wesen. Und sie behauptet auch ganz richtig, dass Essen heute in erster Linie billig sein muss. Die Menschen gieren nach günstiger Sättigung und vergessen darüber auch nachzufragen, woher das stammt, was sich ihr Körper einverleibt. Daher ist ein neues Bewusstsein nötig. Nachfragen und so. Wer das tut, der wird den Dreck, den wir heute oft essen, nicht mehr verzehren wollen. Wenn wir die Entfremdung zum Essen ablegen, dann fällt quasi die Billigheimelei und der Dreck landet im Abfall und nicht in unseren Mägen.

Das klingt alles logisch und auch irgendwie richtig. Aber es erinnert an das grüne Ermahner-Leitmotiv. Die Grünen predigen seit Ewigkeiten vom Bewusstsein und davon, dass man das billige Produkt meiden kann, wenn man sich bewusst macht, wie es entsteht. Sie fanden von jeher, dass der Verbraucher diese Macht hätte, wenn er nur wollte. Da gibt es nur ein Problem: Der Verbraucher ist kein Machtmensch. Der Großteil der Verbraucher ist eher machtlos, weil er nicht die Wahl hat, einfach mal teurere Produkte zu erwerben oder regelmäßig sein Fleisch beim Schlachter und Metzger um die Ecke zu holen. Viele Verbraucher können sich die Metzgerwurst nicht mal einmal pro Woche leisten, weil dies ihr Haushaltsbudget sprengen würde. Die Verbrauchermacht ist eine leere Worthülse, weil sie nur dort aktiv sein kann, wo der Verbraucher auch Macht im Geldbeutel hat. Doch daran scheitert es.

Die Lohnzurückhaltung der letzten Jahrzehnte hat bewirkt, dass viele Arbeitnehmer heute dringender im alltäglichen Leben sparen müssen, als je zuvor. Millionen von Menschen sind arbeitslos oder arbeiten unter Bedingungen, die direkt in der Armutsstatistik münden. Welche Macht sollen diese Menschen im Supermarkt haben? Sie sehen den billigen Schinken für 88 Cent und ein Regal weiter oben ein Produkt eines regionalen Metzgers, das besser aussieht, eine gesündere Farbe hat, ja vielleicht sogar ordentlich produziert wurde (sicher ist das allerdings nicht) und das dafür auch gleich 2,39 Euro kostet. Qualität kostet - ganz klar. Diese Wahl wird trotzdem keine Qual, wenn man auch nächste Woche noch etwas essen muss von Geld, das diese Woche schon zu knapp ist.

Das ist das ewige Problem in einer Gesellschaft, in der Löhne stagnieren und die Kaufkraft schwindet. Klar, der Verbraucher ist auch schuld an diesen Zuständen. Weil er den Dreck kauft und frisst, wird Dreck hergestellt und verkauft. Aber es ist ein arroganter und dekadenter Ansatz, einfach mal zu einem neuen Bewusstsein aufzurufen. Die Grünen haben das bis heute nicht kapiert. Sie haben nicht begriffen, dass Ökologie und Soziales zusammenhängen. Eines alleine klappt nicht. Verbrauchermacht stärken bedeutet indirekt immer auch, den Sozialstaat zu stärken. Dafür zu sorgen, dass Löhne steigen und die Lohnersatzleistungen gewährleisten, dass man nicht täglich günstige Tiefkühlkost konsumieren muss. Ökologisches Verständnis benötigt autarke Verbraucher. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Es wird sich nichts ändern können. Der Dreck wird weiterhin in unserem Bauch landen. Er ist systemimmanent. Der Sparstaat fabriziert nicht nur Armut, er schafft auch Märkte, auf denen man mit absoluter Kaltschnäuzigkeit eine Klientel bedient, die sich nur diese Qualitätslosigkeit leisten kann. Für viel zu viele muss es heute günstig sein. Dafür können sie nichts. Wer den Menschen bewusst machen will, welchen Dreck sie fressen, der muss ihnen die finanziellen Mittel dazu geben. Nur mit Münzen und Scheinen kann man bewusster konsumieren. Und wusste nicht schon Marx, dass der (Geld-)Schein das Bewusstsein schafft? Jedenfalls so ähnlich ...

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Zwei wertlose Ehen oder Anne Boleyn führte eine gute Ehe

Samstag, 13. Juni 2015

Es kommt nur noch selten was Brauchbares aus sozialdemokratischen Mündern. Im Zuge der Debatte zur Homo-Ehe gab es einen Zwischenruf eines Sozialdemokraten namens Roth. »Und was ist mit der Bundeskanzlerin?« soll er gerufen haben. In der Union sind sie deswegen empört. Nicht oft hat bis dato jemand im politischen Betrieb das krude Weltbild der »Familienschützer« so prägnant auf den Punkt gebracht wie eben jener Roth.

Die Konservativen tingeln nun durch die Talkshows und unterbreiten der Öffentlichkeit ihr Weltbild. Es gehe ihnen um den Schutz der Familie, sagen sie. Daher das Nein zur Homo-Ehe. Sie könne nicht gleichgestellt werden. Besonderer Schutz entstehe quasi durch die Zeugungskapazitäten, die die traditionelle Ehe ermögliche. Anders gesagt, geht es ihnen ums Kinderkriegen. Man müsse Bündnisse zwischen Mann und Frau besonders schützen, weil aus ihnen eine richtige kleine Familie werden könne. Das geht aus deren Ausführungen immer wieder deutlich hervor. Wenn es um Ehe geht, legen sie gleich verbal mit Kindern nach, als ob beides immer synchron geschehen würde. Wenn nun eine Ehe kinderlos bleibt, wie kann sie dann bei dieser Lesart überhaupt noch Anspruch auf Schutz haben? Und im Zuge dieser Logik sind beide Ehen der Kanzlerin völlig wertlose Partnerschaften gewesen, die sich den besonderen Schutz des Staates erschlichen haben.

Roth hat das mit seinem kleinen Zwischenruf auf den Punkt gebracht. Er hat nicht weniger getan, als das gesamte Denkmodell dieser »Geistesgrößen« zu enttarnen. Wenn die fehlenden Fertilität ein Kriterium ist, um eine Konstellation nicht zu fördern, dann müssten viele Ehen zwischen Männern und Frauen unwirksam sein.

Insofern führte beispielsweise Heinrich VIII. eine gute zweite Ehe. Aus seiner ersten wollte und wollte kein Kind entstehen. Und als er abends bei Anne Will den Thomas Goppel reden hörte, betrat er die Kemenate seiner Catalina und sagte: »Hör zu, unsere Ehe hat keine Grundlage. Der Goppel hat es mir gerade bestätigt. Ich will die Scheidung.« Die erzwang er dann und heiratete Anne Boleyn. Beide führten eine glückliche Ehe. Denn sie bekamen ein Kind. Heinrich musste nicht mehr den Kopf verlieren. Das tat dann dafür Anne. Ehe ist ein Geben und Nehmen. Aber die Ehe an sich war gut. Das bittere Ende muss man so stehenlassen. Jede Ehe endet auf die eine oder andere Art mies. Deswegen kann sie doch vorher glücklich gewesen sein.

Ach komm schon, werden jetzt einige sagen. Heinrich und Anne und Elizabeth: Das ist doch Mittelalter - was hat das mit der Debatte zu tun? Epochal betrachtet ist die Einschätzung zwar falsch (das Mittelalter endete schon vorher), aber grundsätzlich stimmt es: Es geht in der Debatte um Mittelalter. Goppel und sein Auftritt: Das war mittelalterlich. Heinrich VIII. Privatleben heranzuziehen ist daher gar nicht so unstatthaft. Wer sich geistig auf dem Niveau von 1530 bewegt, dem kann man auch die Protagonisten jener Jahre als Vorbilder auf die Nase binden. Und der muss sich gefallen lassen, dass man die zwei Ehen seiner Chefin thematisiert und für kritisch betrachtet.

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In den Schnee gepisst

Freitag, 12. Juni 2015

Gut, ihr Umweltschützer, dann jubelt und feiert mal schön. Lasst die Kanzlerin und die anderen G6 hochleben. Und wenn ihr dann ausgejubelt habt, dann schnell zurück auf den Teppich und realisieren: Scheiße, das war nur ein Beschluss unter Marionetten. Einer, den man eigentlich erst gegen die Industrie und die Lobbyisten durchboxen müsste.

Was dort beschlossen wird, das sind Absichtserklärungen. Mehr nicht. Vorhaben eben. »Ob die auf dem Gipfel eine Beschluss verkünden oder gemeinsam was in den Schnee pissen, hat die gleich Verbindlichkeit.« Der Satz ist leider nicht von mir. Er ist von Volker Pispers. Und er zielt ins Schwarze. Genau so ist es. In Elmau saßen Leute, die nicht nur Mehrheiten brauchten, um ihre in netter Atmosphäre beschlossenen Beschlüsse in die Tat umzuwandeln. Dort saßen vorallendingen Leute, die zunächst bei Konzernen antichambrieren und katzbuckeln müssen, um etwaige Beschlüsse verwirklichen zu wollen. Denn allen Berichten zum Trotz, dort hockten eben nicht die mächtigsten Menschen auf Erden um einen Tisch. Es waren eher die Befehlsempfänger der mächtigsten Gesellschaften der Welt, die man in die Alpen verfrachtete. Aber ohne Rücksprache mit der Automobilindustrie, den Lobbyverbänden, den Mineralölunternehmen und der Schwerindustrie ist da nichts zu machen.

Aber die Medien tönen, als werde auf solchen Veranstaltungen die Welt verändert. Als sei es von existenzieller Bedeutung, wenn dort in Schnee gepisst wird oder man Schneeengel fabriziert. Sie halten die schöne Vorstellung aufrecht, dass die Fäden der Welt von denen gezogen werden, die die Wähler dieser Welt mit Fäden ausstatten. Gerade so, als gäbe es das Primat der Politik noch.

Bloß das gibt es eben nicht mehr. Nicht in zentralen Fragen. Da ordnet sich alles dem Wirtschaftslobbyismus unter. Und ob diese Leute auf ihrem Schloss nun beschlossen haben, die Erde zu einem saubereren Ort zu machen oder nicht, ist in etwa so, als würde ich heute spontan den Beschluss fassen, mir eine Villa im Toskana-Stil am Rande der Weinberge mit Pool im Patio zuzulegen, ohne jedoch vorher mit dem Kundenberater meiner Bank gesprochen zu haben, der mich gemeinhin berät und mir Kredite auch verweigern kann. Die Staats- und Regierungschefs zu Elmau haben etwas verkündet. Gut. Sie haben aber nicht danach gefragt, ob sie dafür überhaupt Kredit erhalten. Jubel erscheint da doch vorschnell.

Am Ende scheitert es dann vielleicht, wie es immer scheitert. Einer aus der Gruppe schert aus, verbalisiert, dass die Pläne zunächst nicht umsetzbar wären und dann heißt es, dass man gewollt hätte, aber da ist mal wieder einer abgesprungen, tut uns leid. Unter Umständen wird das der nächste Republikaner bestellen, der ins Weiße Haus zieht und traditionell keinen Hang zum Umweltschutz hat. Bei der Bildzeitung tourt Jeb Bush schon mal vor dieser Tage. Gewöhnen wir uns schon mal an sein Gesicht.

Man sollte sich in der Postdemokratie abgewöhnen, die Dinge, die man uns serviert, auch als die Dinge anzusehen, die wir verzehren dürfen. Beides hat in diesem Nachsystem keine Korrelation mehr. Beides ist voneinander unabhängig. In der Postdemokratie geht es für die Verantwortlichen darum zu punkten, sich medial aufzuhübschen, sich als Gewissenhaftigkeit für die nächste Wahl zu qualifizieren und lauter so Absichten mehr. Umwelt- und Klimaschutz kommen gut an. Sie garantieren Zuspruch. Was dann konkret geschieht, das muss man ja nicht gerade in Elmau besprechen. Hinstellen, was sagen, Einheit zeigen und sich feiern lassen. Aber das letzte Wort, das sprechen andere. Das sagt man nur eher selten, denn es soll demokratisch aussehen im Westen.

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Opposition ist auch nicht übel

Donnerstag, 11. Juni 2015

Regieren wäre schon schön. Das wollte Gysi auch den Linken mit auf den Weg geben. Regieren ist bekanntlich ja auch das Ziel jeder Partei. Stimmt das eigentlich? Und was heißt »Regieren« überhaupt? In einem kapitalistisches Europa heißt links regieren vielleicht eher, aus der Opposition heraus seinen Stempel aufzudrücken.

Die Linke sollte also unbedingt in Angriff nehmen, bald schon auf Bundesebene zu regieren. Das jedenfalls ist das Schlusswort, das Gregor Gysi seiner Partei mit auf dem Weg gab. Natürlich hat er recht. Regieren, also der Gesellschaft seinen Stempel aufzudrücken, dafür politisiert man doch, tritt einer Partei bei oder wählt sie zumindest. Die »potenzielle Regentschaft« ist so eine Art Urmotiv des Parteienwesens. Wer antritt, der will auch das höchste denkbare Ziel erreichen. Sonst müsste er quasi gar nicht erst antreten. Regierungsbeteiligung ist also der Antrieb jeder Partei. Wer sie nicht im Auge behält, der widerspricht dieser Metaphysik des Parteilichen. Aber stimmt das eigentlich? Ist das Regieren das finale Ziel jeder Partei? Oder haben Parteien auch ein Leben außerhalb dieser Logik?

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Später Dank

Mittwoch, 10. Juni 2015

Nochmal recht herzlichen Dank an GuttenPlag Wiki. Man kann es eigentlich nicht oft genug sagen. Und je öfter er jetzt als »Elder Statesman« den Mund aufmacht, desto dankbarer muss man sein. Danke, dass ihr seine politische Karriere verhindert habt. Hoffentlich nachhaltig.

Denn was der Mann absondert, zeigt nur, dass man da in der Union mit einem Mann zündelte, dessen Ausrichtung mit »konservativ« wahrscheinlich noch als »zu links« definiert wurde. Kürzlich erklärte er seiner Haus- und Hofpostille, dass beim Treffen der G7 einige Gutmenschen am Rande demonstrierten. (Nee, einen Link setzen wir hier mal nicht. Aus Gründen des guten Geschmacks.) Gutmenschen. Das ist die Sprache der Neonazis. Aber der Mann, der Bundesminister war, nimmt dieses verunglimpfende Wort in seinen Text auf, als sei nichts dabei. Der Gutmensch ist einer, dem man nachsagt, dass er seinen Humanismus und seinen Altruismus in der harten Wirklichkeit völlig falsch anwendet. Er ist ein gefährlicher Schwächling, der die Ordnung stört. Es handelt sich um einen Begriff, der diejenigen, die im Zuge anderer Prämissen als Machtgeilheit oder Profitorientierung handeln, als nicht richtig überlebensfähig verunglimpfen soll.

Laut Deutschen Journalisten-Verband geht das Wort auf die Nationalsozialisten zurück. Den Anhängern des Kardinal Graf Galens, der gegen die Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens predigte, sagte man Gutmenschentum nach. Wirklich erstaunlich, dass einer, den sie zum Bundeskanzler machen wollten, heute dieses Unwort benutzt, als sei nichts daran. Bei den Abendlandsern kommt eine solche Ausdrucksweise gut an. Und das aus dem Munde eines Doktors. Na ja, fast ...

Härte gegenüber Putin mahnt er außerdem an. Von einem Atlantiker ist freilich gar nichts anderes zu erwarten. Aber dass er Putin als trotziges und rülpsendes Kind karikiert, dem man mal ordentlich den Hosenboden versohlen sollte, das wirft ein erschreckendes Bild auf die Weltsicht des Ex-Doktors ab. Ist die Welt ein Kindergarten und politische Zusammenhänge vergleichbar mit den Ereignissen einer Kindestagesstätte? Wenn einer loslegt, die Welt mit solchen Vergleichen erläutern zu wollen, muss man in Lauerstellung gehen. Das ist nicht nur dumm - das ist hochgradig bagatellisierend. Denn mit Gouvernantenmethoden lassen sich europäische Probleme nicht beheben. Man sperrt kein nerviges Kind aus, sondern einen Repräsentanten eines Landes, das von der Fläche mehrfach Europa in sich aufnehmen könnte. Wer den exklusiven Westen mit Infantilitäten gleichsetzt, der verwechselt Kriegstreiberei mit einem Kinderspiel und offenbart sein Kindergartenniveau. Und dieser Mann war Minister und wollte noch höher hinaus. GuttenPlag Wiki, vielen lieben Dank. Man kann es wahrlich nicht oft genug wiederholen.

Trittin, der jetzt gegen G7-Treffen ist, unterstellt der ehemalige Minister nun, er habe damals selbst G7-Treffen mitorganisiert. Und damit sind wir angelangt in 1984. Saß der Mann dem Miniwahr vor? Scheint so, denn bis vor kurzen gab es noch keine G7. Den einen haben sie abgetrieben; da warens nur noch Sieben. Aber das hat er einfach ausgeblendet. Wie ein wahrer Miniwahr-Angestellter tilgt er die Vergangenheit und tut so, als habe Putin und Russland nie dort existiert. Was, Ostasien war unser Freund? Quatsch, Ozeanien war es. Immer schon. Und mit Ostasien waren wir im Krieg. Es war nie anders.

Letztlich ist der Mann dann auch noch enttäuscht, dass die Leute nicht gegen Trittin, sondern gegen die G7 auf die Straße gehen. Gegen die Hungermacher, die Ausbeuter, die Profiteure, die Kriegsinkaufnehmer. Unglaublich dergleichen, oder nicht? Wie gesagt, nochmals herzlichen Dank, dass der Typ nur noch beschissene Kommentare in Zeitungen schreiben darf. Mehr wäre ein Debakel. Und mit der Merkel schlagen wir uns schon desaströs genug. Es muss ja nicht immer schlimmer kommen, als es eh schon ist.

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Unterwürfig

Dienstag, 9. Juni 2015

Houellebecqs »Unterwerfung« beinhaltet tatsächlich viele Aspekte. Islamophobie, wie man es ihm nachsagte, allerdings nur in Spuren. Wenn überhaupt. Denn der Islam kommt bei ihm nicht schlecht weg. Er skizziert ihn als eine ordnende Kraft für Europas moribundes Demokratiewesen. Diese Ansicht muss man aber auch nicht teilen. Viel mehr aber hat der Mann ein Buch über die letzten Zuckungen der Postdemokratie abgeliefert.

Was hat man nicht alles über dieses Buch gelesen. Islamfeindlich sei es. Oder aber: Da würde endlich einer die Islamisierung des Abendlandes mal trefflich beschreiben. Finger in die Wunde, Salz gleich dazu hinein und all sowas. Tja, ganz so simpel ist sein Roman aber dann doch nicht. Houellebecq war ja nie ein eindeutiger Autor. Er beleuchtete stets viele Facetten und hielt sich so Interpretationsspielräume frei. So auch in »Unterwerfung«. Die Moslems, die in dem Buch zur politischen Macht gelangen, sind eher gemäßigt und wirken nicht wie talibanöse Bestien. Natürlich drücken sie der Gesellschaft ihren Stempel auf. Aber es wäre auch ein langweiliger Roman über eine Zäsur im politischen Betrieb, wenn diese Zäsur überhaupt keine Auswirkungen hätte. Grundsätzlich ist sein Buch aber eine Abbildung der postdemokratischen Wirklichkeit. Houellebecq legt zwar nicht konkret dar, wie es dazu kommen konnte, dass plötzlich die Muslimbrüder und die Front Nationale die letzten Optionen für die Wähler waren. Aber es liegt auf der Hand.

Für ihn hat die liberale Gesellschaft vollkommen versagt. Das ist nicht neu. Wer sein Werk kennt, der weiß, dass Houellebecq eine unterschwellige Sehnsucht nach Ordnung und gesellschaftlicher Harmonie pflegt. Die säkulare Gesellschaft hat durch den Verlust von Religion und Gott Bezüge zur Moral verloren und Hedonismus und Egomanie zu Grundlagen gemacht, die das alte Fundament nicht auffüllen können. Neu ist jedoch, dass Houellebecq nicht mehr dem christlichen Mittelalter sehnsüchtig nachwinkt. Er lässt eine neue Ordnungskraft auftreten: Den Islam. Das ist Religionsromantik in reinster Form. Wer sie mag, bitteschön ...

Die westlichen Demokratien zermürben sich nach Deutung des Autors wie gesagt zwischen dem Hedonismus der einen und der Ausrangiertheit der anderen. Armut und Perspektivlosigkeit auf der einen Seite, satte Egomanie auf der anderen - in diesem Gefälle ist für Parteien der Mitte nach und nach kein Raum mehr. Und in seinem Buch sind es explizit diese Parteien, die sich als Volksparteien verstanden haben, die den Weg allen Irdischen gehen. Sie gehen unter und fusionieren am Ende sogar mit den neuen Mächten. Da hatten sie schon resigniert. Ihr Kampf gegen extreme Positionen war kurz und schwach. Erschöpfte sich in Ritualen, in Worthülsen. Der amtierende Präsident Hollande zum Beispiel, so beschreibt der Autor es, wurde im heißen Wahlkampf nicht mal mehr medial wahrgenommen. Er saß der Republik zwar vor, aber war faktisch nicht mehr existent.

Rituale, Worthülsen, so tun als ob, sich in Statements erschöpfen - das sind die Schlagworte einer Wirklichkeit, die sich von der Demokratie in die Postdemokratie verabschiedet hat. Und haargenau das beschreibt Houellebecq. Neofaschisten und Muslimbrüder sind nur Protagonisten, die in die Szenerie aufgenommen werden, um den Niedergang der westlichen Demokratie zwischen neoliberaler Sparpolitik und elitärer Megalomanie zu karikieren. Sie sind die Germanen, die die römische Dekadenz überrennen und das Vakuum einnehmen, in das sich Rom manövriert hat. Das hat Houellebecq letztlich abgeliefert: Ein Buch über das Schwinden. Eine Enttarnung eines Systems, dass viel von individueller Partizipation spricht, aber letztlich wenig davon bietet.

Die Medien haben aus seinem durchaus trockenen und wenig beschwingten Buch etwas ganz anderes gemacht. Charlie Hebdo hat es auch instrumentalisieren wollen. Das kommt vor. Es gibt immer welche, die Bücher falsch deuten. Alle sind sie darauf angesprungen und haben darüber gesprochen, als ob sie es gelesen hätten. Alle haben eingestimmt in den Chor. Unterwürfig. Kann sein, dass der Islam Unterwerfung verlangt und zu guter Letzt bedeutet das Wort ja auch buchstäblich dieselbe. Aber unterwürfig sind besonders auch die Jünger, die einem vormachen wollen, dass der Islam über uns hereinbricht, wie die Pest in manches mittelalterliche Dorf. Sie sind unterwürfig genug, immer nur das herauszulesen, was sie herauslesen wollen. Das ist nicht die Unterwerfung des Islam, sondern diejenige der Okzidentalen, die etwas retten wollen, was nach Houellebecq unrettbar verloren ist.

Ach so ja, langweilig ist das Buch auch noch. Der Mann hat abgebaut. Aber darum geht es ja nicht ...

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... wenn man trotzdem lacht

Montag, 8. Juni 2015

»Es gibt zwei Möglichkeiten, Karriere zu machen: Entweder leistet man wirklich etwas, oder man behauptet, etwas zu leisten. Ich rate zur ersten Methode, denn hier ist die Konkurrenz bei weitem nicht so groß.«

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Die skandalisierte Kritik, die ein Bekenntnis zur NSA ist

Freitag, 5. Juni 2015

Die fußballbegeisterten Deutschen können sich nun mit der NSA versöhnen, denn sie hat an der Verhaftung der FIFA-Funktionäre mitgewirkt. Jedenfalls sieht der Springer-Primus das so. Das ist nur einer von vielen Persilscheinen der Bild-Zeitung für die NSA.

Vor einigen Tagen hat die Bildzeitung mal wieder klargestellt, dass die NSA ja doch nicht ganz so mies sei. Immerhin habe sie nach Ansicht der Zeitung angeblich dafür gesorgt, dass der FIFA-Sumpf jetzt trockengelegt würde. Denn den Vereinigten Staaten stünden starke Mittel zur Verfügung – und jeder Staatsanwalt könne die Hilfe des Geheimdienstes anfordern, wenn er es für nötig hält. Beweise für diese These liefert die Bild jedoch nicht.

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Nur 55 Prozent Würde

Mittwoch, 3. Juni 2015

Lutz Hausstein hat es mal wieder getan. Er hat die Menschenwürde in Ziffern bemessen. In Euro. Freilich, die Menschenwürde ist eigentlich unbezahlbar. Aber so kann man in dieser Welt wohl nicht mehr argumentieren. Also muss einer rechnen. Und da kam Lutz ins Spiel. Bei 730 Euro im Monat fängt die Menschenwürde an. Alles darunter ist unwürdig.

Der derzeitige Eckregelsatz deckt die Würde des Menschen, die bekanntlich ja unantastbar sein soll, nur zu 55 Prozent ab. Ein Minimum an Lebensstandard ist damit nicht zu machen. Man muss knapsen, sich vom Mund absparen und sich die Haare selbst schneiden. Für Sparfüchse und Romantiker natürlich kein Problem. Aber die sind kein Maßstab die Würde betreffend. Lutz Hausstein hat dezidiert aufgelistet, wieviel ein Mensch benötigt, um partizipieren - das heißt: um würdig an dieser Gesellschaft teilhaben - zu können. Aber der Regelsatz des Arbeitsministeriums ist nur ein Teilzeit-Regelsatz, einer, der bei 55 von 100 aufhört, weil es die neoliberale Agenda und ihre manischer Sparzwang so vorgibt. Und nicht mal diese Semi-Würde ist unantastbar, denn von ihr sanktionieren sie auch noch Beträge weg, wenn sie glauben, dass man es verdient hat.

Kurz vor Weihnachten crowfundete Hausstein, um seine Studie finanzieren zu können. Die Finanzierung ging recht flott. Eine ganze Menge Menschen hatte wohl im Gefühl, dass mit der Würde, wie man sie im Sozialgesetzbuch errechnet, irgendetwas faul sein muss. Dass sie dort nur ein Alibi ist, eine Maßnahme, die suggerieren soll, dass keiner hinten runterfällt. Aber wenn man dann mal drinsteckt, wenn man diese Leistung bezieht, geht es recht schnell. Ersparnisse brauchen sich auf. Dringend notwendige Anschaffungen werden verschleppt. Überall Entbehrung und Knappheit. Aus der DDR blieb nicht viel. Den Hartz-IV-Beziehern blieb aber das mangelwirtschaften. War ja nicht alles schlecht im Osten, nicht war liebe Austeritätsjünger?

Was Lutz Hausstein errechnet hat, ist schlicht und ergreifend, dass die Würde des Menschen im neoliberalen Deutschland eben doch antastbar ist. Und zwar massiv. Das ist ja in vielen Bereichen so. In Asylbewerberheimen oder an Arbeitsplätzen. Dort fehlen nicht unbedingt nur 45 Prozent bis zur vollen Würde. Eher so 75 bis 95. Aber nichtsdestotrotz fehlt die Vollwertigkeit eben auch, wenn man einen dieser verfluchten Anträge zur Gewährung von Sozialleistungen ausfüllen muss. Dank Lutz Hausstein wissen wir es mal wieder. Aber Wissen ist eben noch lange keine Macht.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 2. Juni 2015

»Der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.«

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Guten Tag, guten Abend und gute Nacht

Montag, 1. Juni 2015

Was immer er auch tat, um seine Welt zu entdecken und hinter die Fassade des Hochglanzes zu spähen, die ihm umgab - immer kam etwas dazwischen. Irgendetwas Hanebüchenes oder Kurioses. Als sich der Schauspieler, der vor Jahren seinen in der See ertrunken Vater spielte, wieder ins Bühnenbild schummelte, und er ihn zufällig an der Bushaltestelle entdeckte, da drängte ihn plötzlich eine Gruppe regelrecht aufgestachelter Läufer von »dem Toten« ab. Und als er sah, dass der Lift gar keiner war und dahinter Kameramänner und Beleuchter Kaffeepause machten, da hieß es Minuten später im Radio, dass in diesem Gebäude mit Bauarbeiten begonnen wurde.

Nichts war den Machern der »Truman Show« zu albern, um ihren Star, um Truman Burbank in diesem überdimensionalen Studio, in der ihm bekannten Welt, zu halten. Mal imitierten sie ein Atomleck, weswegen die Straße aus der Stadt (und aus dem Studio) heraus gesperrt war. Oder es verstopften exakt immer dann Autos den Kreisverkehr, wenn Truman sich auf Erkundungsfahrt machen wollte. Einen Flug ins Ausland konnte er nicht buchen, weil alle Flüge voll waren. Selbst in einigen Wochen. Und als die Sehnsucht nach seinem verstorbenen Vater dieses unkalkulierte Fernweh zur Gefahr für die Sendung werden ließ, stand der eben wieder ganz offiziell von den Toten auf. Die ungeheuerliche Erklärung bereitete der Regie kein Kopfzerbrechen. Er würde es wohl schon schlucken, dieser Trottel.

Ungefähr so läuft es nun am Rande des Schlosses Elmau. Man möchte wie Truman hinter die Kulissen gucken, den Mächtigen auf den Pelz rücken und ein Protestcamp initiieren. Und irgendeine Regie entblödet sich nicht, ein Verbot mitsamt hanebüchener Begründung zu liefern: Hochwassergefahr. Gut möglich, dass gar kein Wölkchen am Himmel steht. Aber wenigstens hat man eine Erklärung, um dieses lästige Verhalten der Anti-G7-Aktivisten zu unterbinden. Und wolkenloser Himmel heißt ja nicht, dass man nicht behaupten könnte, es regnete Ozeane vom Himmel.

Als die »Truman Show« damals ins Kino kam, lobte man Regisseur Peter Weir für seine Beobachtungsgabe. Er habe die Auswüchse des Reality-Fernsehens auf die Spitze gebracht und logisch zu Ende gedacht, was irgendwann wohl auch Realität werden würde. Heute muss man sich fragen, ob nicht die Machthaber Weirs Film geguckt haben und logisch in die Praxis umsetzen, was ihm bzw. dem Drehbuchschreiber (immerhin für einen Oscar nominiert) vorschwebte. Denn das Scheinidyll von Seahaven - so der Name der Orts, in dem Truman aufwuchs und der wie gesagt in einem gigantischen Studio liegt - ähnelt diesem Westen durchaus. Der kann zwar nicht das Wetter simulieren, aber es so prognostizieren, dass es passt - und er kann immerhin Demokratie und Partizipation simulieren. So tun als ob alles noch funktionert.

Irgendwas kommt eben immer dazwischen. Truman hat das schnell geschnallt. Wir lernen es indes Jahr für Jahr ein Stückchen mehr. Ob nun Regie bei der »Truman Show« oder G7- oder G8-Veranstalter: Keine Ausrede ist zu blöd. Und wenn Meteorologen den Regen ausschließen, dann schicken sie eben eine Horde von Joggern, die die Demonstranten abdrängt. Wenn man Menschen in eine simulierte Wirklichkeit sperren will, muss man flexibel sein und um keine Ausrede verlegen. Nichts ist absonderlich genug, alles kann irgendwie als Stellungnahme herangezogen werden. Man macht sich nicht mal mehr die Mühe, den Menschen stichhaltige Argumentationen zu liefern. Früher hatte man Phantasie bei der Entdemokratisierung. Man entwarf Ausreden, die man schlucken konnte. Seitdem wir Postdemokratie sind, ist es auch mit der Erfindungsgabe aus.

Die »Truman Show« war keine Demokratie. Musste sie ja auch nicht sein. Was ungefähr geschehen sollte, stand im Drehbuch. Und die, die sind auf Elmau treffen, legen jetzt mal wieder das Storyboard fest. Guten Tag, guten Abend und gute Nacht, liebe Restdemokratie. Du bist es nicht mal mehr wert, dass sie dich mit guten Ausreden zu Grabe tragen. Wo ist der Ausgang aus diesem Studio und der imitierten Idylle? Aber sie lassen uns nicht raus. Und rein schon gar nicht. In Elmau. Sie bleiben unter sich da oben.

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