Ich mochte Günter Grass nicht

Dienstag, 14. April 2015

Ich mochte Günter Grass nicht. Das heißt: Sein Werk. Als Mensch kannte ich ihn zu wenig. Sein Stil sprach mich nicht an. Er war schwerfällig und hatte einen eigenartigen Rhythmus. Ein bisschen so wie ein Rasenmäher, dessen Surren mehr verspricht, als es dann leistet. Die Inhalte machten seine Schreibart nicht besser. Ständig geschah Phantastisches, verwebte sich Realität mit Luftschlössern und man fragte sich, warum Nazis flashmoben und Kinder einfach nicht erwachsen wurden.

Nun gut, man muss wenigstens diesen Aspekt gelten lassen. Schließlich war Grass Vertreter des magischen Realismus. Und vielleicht bin ich da als Europäer unfähig - ganz nach den Worten von Carpentier -, das »Erleben des wunderbar Wirklichen« zu akzeptieren, weil mir die Aufklärung dazwischenkam. Jedenfalls denke ich an das Vorwort, welches Bukowski mal für Fantes »Ich - Arturo Bandini« schrieb. Darin erzählte er, wie er als junger Mann durch die Bibliotheken lief und viele große Autoren las. Alle langweilten sie ihn. Sie erzählten Stories aus einer anderen Welt. Sie nannten die Dinge nicht beim Namen oder schrieben erst gar nicht über das, was er als armer Schlucker so auszubaden hatte. Dann fand er Fante und erstmals schrieb da einer so, wie auch Bukowski das Leben empfand. So ähnlich habe ich Grass konsumiert. Ich fand ihn auf der Suche nach Lektüre, die mir entsprach. Und so las ich ihn und wusste nicht, wo er mich treffen wollte. Und tatsächlich traf er mich nur äußerst selten. Es berührte mich nicht, was er mitteilte. Oft langweilte es mich. Und bei aller Literaturbeflissenheit. Wenn einer nicht unterhält, dann hilft alles nichts. Da bin ich ganz bei Reich-Ranicki. Aber ich habe natürlich auch keine Ahnung von Kunst.

Ja, ich glaube wirklich, es gibt nicht wenige deutschsprachige Schriftsteller, die viel bessere literarische Qualitäten aufwiesen - und die es noch immer besser drauf haben. Aber dennoch muss man einsehen, dass mit Grass eine wichtige Gestalt der deutschen Kultur abtrat. Für mich persönlich weniger wegen seiner Kunst selbst - eher, weil er einer war, der Kunst und politisches Engagement verband, wie kein anderer. Dass da einer phasenweise nicht nur weinselig an seinem Schreibtisch stand und Texte skizzierte, sondern auch klare Aussagen traf, das war aller Ehren wert.

Grass war gleichwohl ein großer Autor, nicht weil er etwa abgedrehte Geschichten schrieb oder einfach nur fesselnd war. Er war es, weil er das, was er da tat, mit einer Würde betrieb, die ihm einflüsterte, es nicht zu abstrakt zu halten. Seine Texte waren es teilweise schon. Abstrakt und ungelenk. Aber das, was er den Menschen erzählen wollte, das hat er auch als reale Person in die Waagschale geworfen und sich so Bewunderer wie Kritiker geschaffen. Er war eine Stimme, die sich auch physisch in den Ring und auf das Podium begab. Nicht immer lag er dabei jedoch richtig. Aber er engagierte sich gegen den Mief und setzte Hoffnungen auf die Sozialdemokratie. Zuletzt hat ihn die SPD allerdings ordentlich verarscht. Wie uns alle. Er sollte ein Manifest mitunterzeichnen, eine große Zeitungsanzeige, in dem einige Prominente den Reformkurs der Schröder-Regierung als notwendig deklarierten. Er tat es. Man muss annehmen, dass er von Hartz IV noch nichts wusste. Wahrscheinlich glaubte er, dass die neue »linke Regierung« mit dem Kohl aufräumen wollte. Das dachten ja viele seinerzeit.

Sein Geständnis, er sei Mitglied der Waffen-SS gewesen, habe ich ihm hingegen nie zum Vorwurf gemacht. Er war jung, sozialisierte durch den Hitlerismus. Woher hätte er es besser wissen sollen? Die Moralisten haben ihn dafür schwer attackiert. Es sind dieselben Moralisten, die jede gegebene Moral aufsaugen wie ein Schwamm und die die Moral des Nationalsozialismus mindestens so unkritisch aufgetunkt hätten, wie die des aktuellen Zeitgeistes.

Man muss nicht betroffen sein, weil er jetzt gestorben ist. Das ist das Normalste von der Welt. Mit 87 kann man sterben und sollte ein Leben gehabt haben, von dem man sagen kann: Mehr kommt eh nicht mehr. Obwohl ich seine Literatur ablehne, muss ich zugeben, dass dennoch einer ging, den man noch immer gut gebrauchen konnte als Widerstreiter gegen den postdemokratischen Wahnsinn und gegen die Jasager-Kultur. Es kommt halt eben nicht nur darauf an, ob einer gut schreiben kann oder nicht, sondern was er daraus macht oder nicht.

7 Kommentare:

Anonym 14. April 2015 um 08:44  

Ihm seine Mitgliedschaft als 17-jähriger in der Waffen-SS zum Vorwurf zu machen, mag ja noch angesichts seines Lebenswerkes zu vernachlässigen sein. Aber die Tatsache, dass er mit diesem Eingeständnis erst 2006 herausrückte, hat ein Geschmäckle.

Ob ihm mit diesem öffentlichen Wissen auch der Literaturnobelpreis verliehen worden wäre, wage ich zu bezweifeln.

Mit seinem Buch über die Gustloff unter dem Titel “Im Krebsgang” wurde er Teil eines gesellschaftlichen Diskurses, der die Transformation der Täter- in eine Opfergesellschaft” betrieb. Dazu passt der Streit im Jahre 2012 um sein antisemitischen Gedicht “Was gesagt werden muss”.

Anonym 14. April 2015 um 09:02  

Dein Text spricht mir aus der Seele.
Danke!

klimbim 14. April 2015 um 13:29  

Hmm, ich dagegen mochte und mag seine Literatur sehr. Eben genau das Abgedrehte, das hier und da wiederkehrende Personal, sein Sprachwitz, das wohlfeile Bedienen an der Grimmschen Theke. Wenn ich Literatur will, die mir die Welt erklärt, lese ich Sachbücher. Manchmal will ich aber nicht die Welt erklärt bekommen, sondern ganz im Gegenteil dazu eine Welt lesen, die so gar nicht von der hiesigen ist. Nur seine "Gedichte" - mit denen konnte und kann ich nachwievor nichts anfangen. Nicht aufgrund ihrer Inhalte, sondern weil meinem simplen Verständnis und schlichten Gefühl zufolge, ein Gedicht zu reimen hat. Es muss fließen. Bei Grass tröpfelte und stockte es leider nur.

klimbim 14. April 2015 um 22:25  

@1
Ach ja, das "antisemitische" Gedicht. Können Sie mir bitte genau erklären, was da nun *antisemitisch* ist.

Ich fand es lediglich eine grobe Zusammenfassung israelischer Außen- und Innenpolitik. Wüsste nicht, wo er Juden ob ihres Judentums angegriffen hätte.

Aber naja, den Titel hat er wohl nun weg.

Eric 15. April 2015 um 09:23  

hallo anonym von 08:44:

“Was gesagt werden muss”...

aber ja, Kritik an der Regierungspolitik Israels ist natürlich immer antisemitisch. Wie primitiv!

kevin_sondermueller 15. April 2015 um 12:10  

Der Tod von Eduardo Galeano
(am gleichen Tag) geht mir
mehr aufs Gemüt.
Er war der mit Abstand bessere
Schriftsteller und engagierte sich unter Lebensgefahr, im
Gegensatz zu G. G., der in der
ehedem wesentlich liberaleren
BRD nie um Leib und Leben
fürchten musste.

Die gewollte und selten gekonnte
Originalität von G. G. ging mir schon immer auf den Senkel. Heute
erscheint sie mir ungenießbar und mit den 70ern untergegangen.

Gerd Hellmood 16. April 2015 um 11:35  

Das ist ein differenzierter Nachruf der "anderen" Art. Man muss ihn literarisch nicht geschätzt haben, um ihn anzuerkennen. Das ist wohl der Tenor. Hervorzuheben ist dieser Abschnitt:
"Die Moralisten haben ihn dafür schwer attackiert. Es sind dieselben Moralisten, die jede gegebene Moral aufsaugen wie ein Schwamm und die die Moral des Nationalsozialismus mindestens so unkritisch aufgetunkt hätten, wie die des aktuellen Zeitgeistes."
Da bin ich mit dem Autor d'accord.
Wer es weiss, der versteht das was gemeint ist auf Anhieb. Anderen auf die Sprünge zu helfen, wäre der dritte Satz besser so formuliert:
Es sind dieselben Moralisten, die jede willkürlich von oben gegebene Moral unreflektiert aufsaugen wie ein Schwamm und die die Moral des Nationalsozialismus mindestens so unkritisch aufgetunkt hätten, wie die des aktuellen Zeitgeistes.

Damit wären wir bei dem "weiten Feld" der Political Correctness, welches in Wahrheit eine sich ungebremst ausdehnende Wüste ist. In diesem Fall nicht eine ohne Wasser sondern eine des fehlenden kontextuellen Verständnisses.
Das kurze Intermezzo des jungen Grass bei der Waffen-SS war so freiwillig wieder nicht, wie unterstellt. Grass hatte sich wohl freiwillig zur U-Boot-Truppe gemeldet. Doch sah man keine Verwendung für ihn und teilte ihn jener zu. Aus nächster Umgebung kenne ich einen Fall, wo sich der zur SS Vorgeschlagene weigerte. Der landete dafür umgehend im Kessel von Stalingrad, als einfacher Landser.
Verwundet wurde er als einer der Letzten ausgeflogen.

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