§ 140 SGB III, Zumutbare Beschäftigungen

Mittwoch, 22. April 2015

Da suchte ein Herr J. von einem Hausmeister-Service einen Mitarbeiter. Zur Ergänzung des Teams, wie es hieß. Ich hatte keine Ahnung von der Hausmeisterei, rief allerdings trotzdem an und bekam prompt einen Vorstellungstermin.

Mir saß ein Mann gegenüber, dem aus der Nase Härchen wie schwarze Brummerbeine lugten.
   »Schon mal einen Rasen gemäht?«, fragte er und stütze seine Ellenbogen auf den wackeligen Schreibtisch vor ihm.
   »Nein, so richtig eigentlich noch nie.«
   »Was meinen Sie mit eigentlich noch nie?«
   »Manchmal habe ich als Kind Grashalme aus der Erde gerissen.«
   »Das ist nicht dasselbe. Für einen Arbeitsantritt ist das sogar ein bisschen wenig, finden Sie nicht?«
   »Ich weiß nicht, ich bin bisher auch ohne Rasenmähen durchs Leben gekommen. Besitze ja keinen Rasen.«
   Er überlegte eine Weile und blätterte dabei in einem Taschenkalender.
   »Kommen Sie am Montag vorbei. Ich schicke Sie mal mit einem Kollegen mit. Wir haben mehrere Objekte und Sie schauen sich mal an, ob das was für Sie ist.«
   »Können wir so machen.«
   »Können wir so machen? Wollen Sie nun oder nicht? Sie sind doch zu mir gekommen, also nehme ich an, Sie wollen die Stelle haben. Ist doch so, oder?«
   Ich grinste nur dumm. Arschlöcher sollte man immer angrinsen, wenn man nicht gleich was findet, was man ihnen an die Stirn donnern kann. Das hat auch den Nebeneffekt, dass es billiger und ohne eine Zelle abgeht.
   »Da lassen wir Sie mal einen Rasen mähen. Ich sage es Ihnen gleich: Bei uns müssen sie richtig klotzen und leiden.«
   »Leiden? Haben Sie leiden gesagt?«
   »Haben Sie ein Problem damit?«
   »Mit Leiden schon. Ich wollte Arbeit, kein Leid.«
   Er lachte. Kapos von Strafkolonnen lachten in schlechten Filmen immer, wenn sie ihre Leute bluten lassen.
   »Wir hatten hier mal einen Kollegen, der war schon lange dabei. Aber irgendwann ging ihm die Kraft aus und wir können es uns hier nicht leisten, jemanden mitzuziehen, der nicht die volle Leistung bringen kann.«
   Er nickte mir verschwörerisch zu und ich schüttelte nur ratlos den Kopf, stand auf und vertagte mich auf Montag.

Am Montag war ich pünktlich. Der Kollege, mit dem ich über die Objekte tingeln sollte, war auch schon da. Er war genauer gesagt eine Kollegin. Sie sah nicht übel aus. J. war allerdings noch nicht zugegen. Also standen wir vor verschlossenen Türen.
   »Warum hast Du keinen Schlüssel? Und wo ist der Kerl überhaupt?«
   »Keine Ahnung. Kommt manchmal vor, dass er zu spät ist. Schlüssel bekomme ich erst, wenn ich fest angestellt bin.«
   »Ach, du hast nur einen Zeitkontrakt?«
   »Nein, ich mache bei ihm Probearbeit. Das Jobcenter bezahlt mich und ich bewähre mich gewissermaßen beim ihm.«
   »Das heißt, mir soll jemand die zu verrichtende Arbeit zeigen, der selbst noch gar nicht offiziell zur Firma gehört. Das ist ja interessant. Du musst aber schon lange auf Bewährung sein, dass du so gut Bescheid weißt.
   »Seit knapp vier Monaten. Heute Nachmittag will er mit mir über meine Zukunft reden. Ich bin guter Dinge.«
   Ich schüttelte nur den Kopf und zündete mir eine Zigarette an. Ich schüttelte in letzter Zeit irgendwie häufig den Kopf.
   »Sag mal, warum steht hier an der Türe zum Büro M. & G. und nicht J.?«
   »Herr J. hat den beiden den Laden abgekauft. Er war früher bei denen angestellt und dann hatten die zwei Vorbesitzer keine Lust mehr und J. war zur Stelle.«
   »Wie lange ist das jetzt her?«
   »Das war kurz bevor ich mit der Probearbeit bei ihm angefangen habe.«
   »Wie viele Hausmeister hat er denn?«
   »Harry und mich. Harry ist schon was älter, aber cool. Vorher gab es da noch einen, ich weiß nicht mehr, wie der hieß, aber den hat J. gefeuert. Der Mann hat jahrelang für M. & G. gearbeitet und war der Kollege von J. Die beiden konnten sich nicht riechen und dann hat er ihn wegen Arbeitsverweigerung rausgeworfen.«
   »Ich glaube, ich kenne die Geschichte schon. War er denn faul?«
   »Nein, J. wollte nur, dass er mit so einem alten Ding Rasen mäht, du weißt schon, so ein Mäher ohne Elektronik. Und es ging da nicht um eine kleine Wiese, sondern um eine gigantische Fläche, gleich neben einem Hochregallager. Da hat er gestreikt und gesagt, dass könne er nicht täglich leisten. Das gehe zu sehr an seine Substanz. Der Einwand war richtig, finde ich.«
   »Und bei dem willst du einen Arbeitsvertrag. Oh Mädel, du hast Nerven ...«
   Nach einer weiteren halben Stunde und einigen Zigaretten bog J. endlich um die Ecke. Er trug ein heftgroßes Schild bei sich, auf dem ›Rechtsanwalt S.‹ stand.
   »Ah, Fräulein Susanne, schön Sie zu sehen«, sagte er zu meiner Kollegin für diesen Tag und starrte ihr auf die Titten. Mich beachtete er nicht.
   »Schau mal, was ich hier habe.«
   Er zeigte ihr das Schild und sie gaffte ihn ratlos an.
   »Kannst du lackieren und pinseln?«
   Sie antwortete, sie könne es ja versuchen.
   »Dann lackiere das Ding mal hellgrün und schreibe mit dem Pinsel ›Hausmeister J. & Kollegen‹ drauf. Soll ich es Dir aufschreiben? Und schreib ordentlich, ja ...«
   Er lavierte vom Du zum Sie und Susanne tanzte nach seiner Pfeife.
   »Sie sind ja auch da«, sagte er, nachdem er mich endlich wahrgenommen hatte.
   »Die Fahrt mit Susi muss heute ausfallen. Es sei denn, Sie wollen warten, bis sie ihren künstlerischen Auftrag erledigt hat.«
   Ich schüttelte den Kopf und empfahl mich.
   »Warten Sie bitte noch einen Moment«, rief er mir nach.
   »Was ich vergessen habe Sie zu fragen: Beziehen Sie eigentlich Arbeitslosengeld?«
   »Nein«, log ich. »Wieso?«
   »Das ist schlecht. Ich hätte Sie mal für zwei oder drei Tage auf Probe arbeiten lassen. Aber ohne Bezug von Sozialleistungen werden Sie ja wohl kaum bereit dazu sein, oder?«
   »Nein, ich bin nicht bereit dazu.«
   »Verstehe … ich rufe Sie diese Woche an, dann machen wir nochmal einen Termin aus. Vielleicht geht ja trotzdem was. Und Sie freuen sich doch sicherlich auf eine Ausfahrt mit Frau Susanne.«
   Er lächelte zu ihr hinüber, als er das sagte. Und sie lächelte zurück. Sie sahen aus wie ein verliebtes Paar. Ich wollte mir nicht vorstellen, dass es dieser eigenartige Arsch mit ihr trieb.
   »Melden Sie sich einfach«, sagte ich und zog fort.
   Ich hörte noch, wie er Susanne Komplimente machte und sie kicherte und mir tat es leid um das hübsche Ding.
   Von J. und seiner Praktikantin hörte ich nie mehr was.


4 Kommentare:

Anonym 22. April 2015 um 11:48  

Nu' mal ganz unter uns ... Ist das jetzt Belletristik oder aus Deinem Tagebuch? ;-)

epikur 22. April 2015 um 17:19  

Könnte glatt aus Traven´s "Baumwollpflücker" sein ;-) Und wir dachten, diese Zeiten wären vorbei...

Michael 24. April 2015 um 13:40  

"Gastronomie? Da finden Sie ohne Probleme einen Job!"
"Na ja, ob mich jemand einstellt, wenn er hört das ich behindert bin..." (50% - meine Anmerkung)
"Bei uns sind auch welche die zu 100% behindert sind und trotzdem einen Vollzeit Job gefunden haben!"

Das ist O-Ton aus einem Beratungsgespräch in einem JobCenter in Deutschland, im Jahre 2015 nach Christus. Ich war dabei.

Auch dafür sollte Epikur's obiger Satz gelten:
"Und wir dachten, diese Zeiten wären vorbei..."

kevin_sondermueller 27. April 2015 um 13:30  

Könnte durchaus der Realität
entsprechen – ginge sogar als Erfahrungsbericht durch.
Agenda 2010 und Hartz IV hat
die Mehrheit der deutschen Unternehmer zu dekadenten
Schnullis werden lassen, ohne cojones und Arsch in der Hose.
Zahnlose Tiger, die zu faul und abgeschlafft sind, Wild zu bejagen
und sich an Menschen und Hausvieh
vergehen. Dank »freier Marktwirtschaft« wurden Geschäftsmodelle ermöglicht, die
auf einem wirklich unregulierten Markt null Chance hätten. Typen, die man früher kaum als Hilfsarbeiter eingestellt hätt(oder die in einer gerechteren Gesellschaft gesiebte Luft atmen dürften), können sich jetzt »Unternehmer« schimpfen.
Ekelhaft

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP