Wie ich die Musik aus dem Land der Austeritätsverordner verteidigte
Freitag, 12. September 2014
Schon als wir das Meerwasserschwimmbad betraten, erblickten wir drei Kerle in Lederhosen und Gamsbart am Hut. Ich sah sie zuerst und zischte nur leise »Joder!« durch die Zähne.
»Schau mal«, rief meine Frau und deutete in die Richtung der drei Männer.
»Nicht mal hier ist man vom Seppelismo sicher«, antwortete ich.
Wir packten unsere Sachen, suchten uns Liegen, cremten uns nochmals extra mit Sonnenmilch ein und ich packte die »Hot Water Music« aus und las was vom guten alten Hank. Der Atlantik brauste, die Gischt zischte und Hank haute auf die Kacke. Es war großartig.
Wir kümmerten uns nicht weiter um die Seppel, nur gelegentlich lugte ich hin. Sie machten es sich auf der Bar-Plattform bequem und packten nach und nach Instrumente aus. Der eine zog plötzlich eine Tuba hervor. Oh Mann, das konnte ja was werden. Das fehlt mir auch noch, dachte ich mir. Meine Befürchtung wuchs, als ich sah, dass es im Minutentakt mehr Trachtler wurden. Plötzlich liefen da auch Frauen in Dirndl herum. Sie reckten ihre durch die Tracht getrimmten Möpse in die Meeresluft. Allerlei Lederhosen wuselten auf der Plattform herum. Die meisten soffen. Es war aber auch warm.
Ich hing nur meine Füße ins Wasser und las weiter. Das Wasser war mir einfach zu kalt, um mich ganz darin zu versenken. Ich bin auch nur so ein Warmduscher. Die Spanier gafften alle zur Plattform. Nicht interessiert, nicht belustigt, einfach nur gelangweilt. Hinter mir zischte die Gischt wie eine gereizte Schlange. Die Wolken verdeckten die Sonne und hüllten das Gebirge ein. Die Wellen schlugen an die Außenmauern das Schwimmbades als begehrten sie Einlass. Es war, als würden die Elemente gegen die Absicht rebellieren, hier gleich in das Tschindarassabum einer Blaskapelle gehüllt zu werden.
Während ich mich über die Außenmauer lümmelte, das Salz des Spritzwassers von meinen Lippen leckte und in die Ferne stierte, fing hinter mir um Punkt zwölf Uhr die Musik an. Sie spielten mächtig mit einem Marsch auf. Der Atlantik vor mir, die Blaskapelle hinter mir. Es war herrlich irrational. Man sollte mal Pasodobles beim Almabtrieb spielen, fiel mir bei der Gelegenheit ein. Ich drehte mich um, ließ die Brandung im Rücken und sah der Szenerie aus weiter Ferne zu. Touristen mit Fotoapparat drängten sich um die Bar. Überall knipste es. Die Autochthonen blieben auf ihren Liegen oder im Wasser. Sie schüttelten den Kopf, einer winkte ab. Sie hatten das Gesicht von Leuten, die sich vor etwas ekelten. Nur eine dicke Señora, die im Wasser den toten Mann gab, summte laut und dirigierte mit dem Zeigefinger mit.
Ich guckte den Spaniern zu, wie sie es ablehnten, die Blasmusik ächteten, sich brüskiert gaben. Das war fast wie damals, als mal Afrikaner auf einem Fest in einer bayerischen Provinzstadt, die mal mein Wohnort war, trommelten und wie Derwische über eine Bühne rauschten, und wie die Bayern große Augen machten, mit dem Kopf schüttelten, kicherten und sich einfach nur in ihrer bayerischen Gemütlichkeit gestört fühlten. Nicht alle natürlich, manche machten genau so mit wie die Señora - nur ohne Wasser, denn das ganze spielte sich ja in der Fußgängerzone ab. Das bestätigte damals nur meine Ansicht, dass jene Stadt nur ein tiefer Suppenteller mit einem unerreichbaren Rand ist. Wie also rüberschauen? Nicht dass mir das Getrommel damals besonders gefallen hätte. Aber ich wusste es zu würdigen. Immerhin ist auch sie die Wurzel moderner Rockmusik. Diese Respektlosigkeit gegenüber fremden Kulturgut und diese Arroganz der Eingesessenen, die machte mich stinkig.
Klar, hier lag der Fall ein wenig anders. Wer will schon die Musik von Leuten hören, die die Austeritätspolitik ins Land brachten. Aber die Musikanten waren ja nicht Merkel. Sie spielten einfach nur. Ich dachte an die Afrikaner und fand, dass diese Kapelle in einer ganz ähnlichen Situation steckte. Ausgebuht wurden sie nicht. Das leistet man sich heute nicht mehr. Das haben nicht mal die bierärschigen Bayern damals den Afrikanern angetan. Der erste Marsch neigte sich dem Ende zu. Noch ein Tusch. Ein kleines Nachspiel und ein letzter Tusch und es war Schluss. Spärlicher Applaus von den Fotografen. Die autochthone Spießigkeit dachte gar nicht daran. Da juchzte ich laut, gab einen verunglückten Jodler ab. »Juhuhuhuhuhuuuu!« Ein Spanier meines Alters sah mich belustigt an. Er hielt mich sicher für einen seligen Bayern. »Bien hecho, muchachos!« Gut gemacht, Jungs! Heute bin ich mal auf eurer Seite.
Der Spanier staunte nur ein bisschen, dass der dicke Bayer Spanisch lobte und verlor dann das Interesse. Europa, was bist du nur für eine verlogene Angelegenheit. Eine europäische Identität gibt es nicht. Die einen verordnen den anderen Hunger - und Ablehnung gibt es von Westen bis Osten und Norden bis Süden. Kulturelle Vielfalt sei eine europäische Eigenheit, sagen die Romantiker des europäischen Gedankens oft. Ja, diese Vielfalt gibt es. Nur ist sie nicht besonders erwünscht. Na, was wundere ich mich, Europa rückt immer stärker nach Rechts. Da ist kein Platz mehr für ein kosmopolitisches Gewissen. Es ist ein Kontinent der Egomanie und des Chauvinismus. Selbst in Meerwasserschwimmbädern merkt man das zuweilen.
Nein, die Musik war grauenhaft. Nie werde ich verstehen, wie das Leuten gefallen kann. Aber an diesem Tag war ich auf der Seite derer, die mal wieder abfällig begutachtet wurden. Die Kapelle spielte weiter, der Atlantik tobte und ich widmete mich nun meinem Buch. Die machten ihr Ding, ich meines. Die Musik ging mir trotzdem auf die Nerven. Wir blieben zu lange, meine Haut brannte, sie würde sich in einigen Tagen vom Körper lösen. Wir nahmen alle noch einen Schluck Schweppes Naranja, packten zusammen und gingen. Die Blasmusik hörten wir noch, als wir das Schwimmbad verlassen hatten.
Wir kümmerten uns nicht weiter um die Seppel, nur gelegentlich lugte ich hin. Sie machten es sich auf der Bar-Plattform bequem und packten nach und nach Instrumente aus. Der eine zog plötzlich eine Tuba hervor. Oh Mann, das konnte ja was werden. Das fehlt mir auch noch, dachte ich mir. Meine Befürchtung wuchs, als ich sah, dass es im Minutentakt mehr Trachtler wurden. Plötzlich liefen da auch Frauen in Dirndl herum. Sie reckten ihre durch die Tracht getrimmten Möpse in die Meeresluft. Allerlei Lederhosen wuselten auf der Plattform herum. Die meisten soffen. Es war aber auch warm.
Ich hing nur meine Füße ins Wasser und las weiter. Das Wasser war mir einfach zu kalt, um mich ganz darin zu versenken. Ich bin auch nur so ein Warmduscher. Die Spanier gafften alle zur Plattform. Nicht interessiert, nicht belustigt, einfach nur gelangweilt. Hinter mir zischte die Gischt wie eine gereizte Schlange. Die Wolken verdeckten die Sonne und hüllten das Gebirge ein. Die Wellen schlugen an die Außenmauern das Schwimmbades als begehrten sie Einlass. Es war, als würden die Elemente gegen die Absicht rebellieren, hier gleich in das Tschindarassabum einer Blaskapelle gehüllt zu werden.
Während ich mich über die Außenmauer lümmelte, das Salz des Spritzwassers von meinen Lippen leckte und in die Ferne stierte, fing hinter mir um Punkt zwölf Uhr die Musik an. Sie spielten mächtig mit einem Marsch auf. Der Atlantik vor mir, die Blaskapelle hinter mir. Es war herrlich irrational. Man sollte mal Pasodobles beim Almabtrieb spielen, fiel mir bei der Gelegenheit ein. Ich drehte mich um, ließ die Brandung im Rücken und sah der Szenerie aus weiter Ferne zu. Touristen mit Fotoapparat drängten sich um die Bar. Überall knipste es. Die Autochthonen blieben auf ihren Liegen oder im Wasser. Sie schüttelten den Kopf, einer winkte ab. Sie hatten das Gesicht von Leuten, die sich vor etwas ekelten. Nur eine dicke Señora, die im Wasser den toten Mann gab, summte laut und dirigierte mit dem Zeigefinger mit.
Ich guckte den Spaniern zu, wie sie es ablehnten, die Blasmusik ächteten, sich brüskiert gaben. Das war fast wie damals, als mal Afrikaner auf einem Fest in einer bayerischen Provinzstadt, die mal mein Wohnort war, trommelten und wie Derwische über eine Bühne rauschten, und wie die Bayern große Augen machten, mit dem Kopf schüttelten, kicherten und sich einfach nur in ihrer bayerischen Gemütlichkeit gestört fühlten. Nicht alle natürlich, manche machten genau so mit wie die Señora - nur ohne Wasser, denn das ganze spielte sich ja in der Fußgängerzone ab. Das bestätigte damals nur meine Ansicht, dass jene Stadt nur ein tiefer Suppenteller mit einem unerreichbaren Rand ist. Wie also rüberschauen? Nicht dass mir das Getrommel damals besonders gefallen hätte. Aber ich wusste es zu würdigen. Immerhin ist auch sie die Wurzel moderner Rockmusik. Diese Respektlosigkeit gegenüber fremden Kulturgut und diese Arroganz der Eingesessenen, die machte mich stinkig.
Klar, hier lag der Fall ein wenig anders. Wer will schon die Musik von Leuten hören, die die Austeritätspolitik ins Land brachten. Aber die Musikanten waren ja nicht Merkel. Sie spielten einfach nur. Ich dachte an die Afrikaner und fand, dass diese Kapelle in einer ganz ähnlichen Situation steckte. Ausgebuht wurden sie nicht. Das leistet man sich heute nicht mehr. Das haben nicht mal die bierärschigen Bayern damals den Afrikanern angetan. Der erste Marsch neigte sich dem Ende zu. Noch ein Tusch. Ein kleines Nachspiel und ein letzter Tusch und es war Schluss. Spärlicher Applaus von den Fotografen. Die autochthone Spießigkeit dachte gar nicht daran. Da juchzte ich laut, gab einen verunglückten Jodler ab. »Juhuhuhuhuhuuuu!« Ein Spanier meines Alters sah mich belustigt an. Er hielt mich sicher für einen seligen Bayern. »Bien hecho, muchachos!« Gut gemacht, Jungs! Heute bin ich mal auf eurer Seite.
Der Spanier staunte nur ein bisschen, dass der dicke Bayer Spanisch lobte und verlor dann das Interesse. Europa, was bist du nur für eine verlogene Angelegenheit. Eine europäische Identität gibt es nicht. Die einen verordnen den anderen Hunger - und Ablehnung gibt es von Westen bis Osten und Norden bis Süden. Kulturelle Vielfalt sei eine europäische Eigenheit, sagen die Romantiker des europäischen Gedankens oft. Ja, diese Vielfalt gibt es. Nur ist sie nicht besonders erwünscht. Na, was wundere ich mich, Europa rückt immer stärker nach Rechts. Da ist kein Platz mehr für ein kosmopolitisches Gewissen. Es ist ein Kontinent der Egomanie und des Chauvinismus. Selbst in Meerwasserschwimmbädern merkt man das zuweilen.
Nein, die Musik war grauenhaft. Nie werde ich verstehen, wie das Leuten gefallen kann. Aber an diesem Tag war ich auf der Seite derer, die mal wieder abfällig begutachtet wurden. Die Kapelle spielte weiter, der Atlantik tobte und ich widmete mich nun meinem Buch. Die machten ihr Ding, ich meines. Die Musik ging mir trotzdem auf die Nerven. Wir blieben zu lange, meine Haut brannte, sie würde sich in einigen Tagen vom Körper lösen. Wir nahmen alle noch einen Schluck Schweppes Naranja, packten zusammen und gingen. Die Blasmusik hörten wir noch, als wir das Schwimmbad verlassen hatten.
1 Kommentare:
Bin vor Jahren auf einer kleinen Motorradtour zum Kahlen Asten gefahren. Hochsauerlandkreis. 841m ü.NN. Eine tolle Fahrt durch ein frühlingshaftes Land. Oben angekommen durfte ich ein paar Minuten Aussicht und Stille genießen, bis schlagartig eine Musi aufspuite. Irgendeine Werbeveranstaltung eines Touristikvarbandes, komplett mit Mass und Brezn. Bin sofort weiter gefahren. Schade um die Aussicht.
BTW - an einem Sommerabend in einem bayerischen Biergarten oder beim Schützenumzug kann eine Blaskapelle durchaus passen!
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