Der vom Westen traumatisierte Süden

Montag, 8. September 2014

Ja, die Kritik an Israels »Außenpolitik im Inneren« erzeugte antisemitische Auswürfe. Diese gilt es hierzulande zu verurteilen und, falls justiziabel, zu verfolgen. Aber hinter dem Antisemitismus können sich diejenigen, die Israels Vorgehen moralisch legitimieren wollen, nicht verstecken. Was im Nahen Osten geschieht, ist ja nicht einfach nur ein Konflikt. Hier verläuft eine Frontlinie zwischen dem Westen und denen, die den Westen zu hassen gelernt haben.

Insofern ist der Einsatz in Gaza mehr als nur eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern. Nicht einfach nur ein Bürgerkrieg zweier Seiten, die sich gegenseitig zu beweisen suchen, wer mit diesem Konflikt begonnen habe. Es ist ein Stellvertreterkrieg, wenn man so will. Einerseits ein westlicher Staat, der weitestgehend die Solidarität seiner westlichen Partner genießt - und andererseits ein Volk des Trikont, das vielfältig Erfahrungen mit westlichen Mächten machte und von den blockfreien Staaten Verständnis erhält. Die palästinensische-arabische Ablehnung Israels und die dazugehörige Aggression lässt sich schlicht nicht bloß mit einem  »tief verwurzelten Antisemitismus« oder gar »muslimisch begründeten Judenhass« begründen. Dahinter steckt viel mehr. Es ist die Ablehnung, ja der Hass auf den Westen, der in arroganter, doppelmoralischer und zynischer Art mit dem Trikont herumspringt.

Jean Ziegler schrieb vor einigen Jahren genau zu diesem Thema ein Buch. Es hieß: »Der Hass auf den Westen. Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren«. Er vertritt darin die These, dass die Völker des Südens schwer traumatisiert seien durch die Verletzungen des Kolonialismus, der Sklaverei und der Ausbeutung. Zu diesem Trauma gesellt sich die Arroganz und die moralische Überheblichkeit des Westens, die im Kollektivempfinden dieser Völker Hass verursachen. Den aufgeklärten Anti-West-Kurs mancher Länder in Südamerika, sieht er ebenso als Produkt eines emanzipatorischen Dranges, wie all die radikalen Bewegungen des Südens. Dass aber beispielsweise der IS keine Alternative für ein Gelingen des globalen Miteinanders sein kann, steht auch für Ziegler fest.

Im Nahen Osten verläuft eine dieser »weichen Stellen« zwischen Westen und Süden, sozusagen eine Fontanelle, die ständig Gefahr läuft, eingedrückt zu werden. Wenn die muslimische Welt rumort, weil Israel den Gazastreifen attackiert, dann ist das nicht einfach nur irgendein islamischer Antisemitismus oder Judenhass, der die Menschen dazu bringt, sondern es diese abermalige Aktion des Westens gegen den Süden, dieser weitere westliche Angriff auf die trikontinentale Würde, die wütend werden lässt. Und es ist Ohnmacht. Ziegler erzählt, dass die Menschen der südlichen Hemisphäre schon lange nichts mehr vom Westen erwarten. Sie haben diese Heucheleien satt. Glauben den westlichen Verheißungen von »Demokratie« und »Menschenrechten« nicht mehr. Am Fallbeispiel von Nigeria erläutert Ziegler, wie der Westen und seine südlichen Eliten eines der an Rohstoffen reichsten Länder der Welt so sehr ausplündern, dass es zu den ärmsten Ländern der Welt gezählt werden muss.

Warum stellen sich ausgerechnet viele Linke auf Seite Palästinas, verteidigen die Hamas und wenden sich gegen Israel? Diese Frage haben sich in den letzten Wochen einige gestellt. Das sei der strukturelle Antisemitismus der Linken, war eine beliebte Antwort. Natürlich gibt es auch Linke, die antisemitisch eingestellt sind. Meist unbewusst. Allerdings ist das nicht die vollumfängliche Antwort darauf. Die politische Linke steht deshalb gegen diese israelische Politik, weil sie diesen globalen Krieg des Westens gegen den Süden dahinter wittert. Der Gazastreifen ist nicht einfach nur ein Konfliktherd, sondern eben eine Zone des Aufeinandertreffens der historisch bedingten Benachteiligten gegen die Liga derer, die seit Jahrhunderten die restliche Welt unter sich aufteilen.

Man muss gewisse radikale, ethno-rassistische oder tribalistische Exzesse nicht gutheißen. Sie aber einfach als Barbarei abzutun, als das in die Welt gekommene Böse, das jetzt beweise, wie gut der Westen doch letztlich sei, das gehört ins Spektrum des spezifisch westlichen Rassismus. Der Islamische Staat ist eben nicht nur das Böse - er ist eine Reaktion auf die doppelzüngige Politik des Westens. Die Hamas ebenso. Sie ist in weiten Teilen judenfeindlich und will programmatisch die Beseitigung Israels - ohne diese Exzesse zu entschuldigen: Auch das sind Früchte des Hasses auf den Westen. Das muss man zumindest verstehen. Ohne es gleich gutzuheißen.

Es sind halt Ausgeburten dieses wirtschaftlichen Weltkrieges, den der Westen gegen den Süden führt. Mit radikalen Antworten gießen südliche Gruppierungen freilich Öl ins Feuer. Aber andererseits zeitigen Traumata manchmal irrationale Verhaltensmuster. Taliban, IS oder Hamas, aber auch simbabweanische Schlägertrupps oder die Raza cobriza, sind solche Muster. Sie sind insofern vom Westen geschaffene Geister, sind Reaktionen und sie einfach nur als »das Böse« zu etikettieren, ist zu plump und wie gesagt Teil eines rassistisch geprägten West-Chauvinismus. Die Terrorangst des Westens wird nie ein Ende finden, wenn er nicht aufhört, sich als »universelle Weltmacht« zu begreifen. Wenn er einsieht, dass er Traumata verursacht hat und diese immer weiter vertieft und mit seiner Haltung die Gemüter des Südens zum Kochen bringt, dann kann dieser Planet auch ohne Fanatiker »organisiert« werden. Aber nur dann.

4 Kommentare:

TaiFei 8. September 2014 um 07:56  

"Die Terrorangst des Westens wird nie ein Ende finden, wenn er nicht aufhört, sich als »universelle Weltmacht« zu begreifen. Wenn er einsieht, dass er Traumata verursacht hat und diese immer weiter vertieft und mit seiner Haltung die Gemüter des Südens zum Kochen bringt, dann kann dieser Planet auch ohne Fanatiker »organisiert« werden. "
Diese Analyse scheint mir am Ziel vorbei zu laufen. Die "Terrorangst" ist doch ein idelales Mittel der herrschenden Klasse, ihre Herrschaft weiter zu festigen. Wen betrifft denn der Terror? Zumeist bleibt er doch auf die dritte Welt beschränkt. Die meisten Opfer des muslimimischen Terrors sind immer noch die Muslime selbst. Sollte der Terror dennoch mal in die 1. Welt gelangen, so trifft es auch hier kaum die herrschenden Eliten. Allerdings eignet er sich dann hervorragende dafür den Sicherheitswahn zu verstärken und Grundrechte auch in der 1. Welt abzubauen. Allein schon die Zielrichtung des "Terrors" beweist doch, dass es sich hier um ziemlich hilflose Akte der Gewalt herrscht. Keiner der bisherigen Akte war in der Lage die wirkliche Infrastruktur und die wirtschaftliche Dominanz zu gefährden.

Anonym 8. September 2014 um 10:22  

Wie wahr! Verstehe eh nicht, warum man daran:

"Die Terrorangst des Westens wird nie ein Ende finden, wenn er nicht aufhört, sich als »universelle Weltmacht« zu begreifen"

noch festhält, wozu das gut sein soll.

Gruss
Rosi

Felix Klinkenberg 8. September 2014 um 12:32  

In einem ist der Herr Ziegler, entweder schlecht Informiert oder er hat nicht die Traute, dermaßen gegen den Stachel zu löcken. Diese ganzen Al CIAda Mordbrenner, sind alle Geschöpfe, des GB/US Imperiums, die sie immer und immer wieder, aus sehr durchsichtigen Gründen, für ihre Interessen einsetzen. Der derzeitige “ Kalif“ , ist zB. In einem US Ausbildungslager, im unterworfenen Irak ausgebildet worden und pflegt sehr intensive Kontakte, mit den US Repräsentanten.
Zu Israel, nur so viel, alle die die Semiten ( Palästinenser ) kennen lehrten, berichten von äußerst Gastfreundlichen Menschen. Die friedlichen und auf die Zusammenarbeit mit den Angestammten Bewohnern ausgerichteten Kibbuzim, haben mit ihnen, auch folgerichtig keine Probleme, sie sind ja auch nicht mit Feuer und Schwefel gekommen, sondern haben höflich gefragt, ob sie sich dort Ansiedeln dürfen und ob man ihnen etwas Land verkaufen würde. Das ist die Basis, für ein friedliches Miteinander.

galeano 13. September 2014 um 05:46  

Die West-Kolonialismus- und West-Neokolonialismustraumatisierungen der Völker im eurasischen Balkan, in Südamerika usw. stellt de Lapuente sehr mutig und -wie Jean Ziegler-auch empathisch nachvollziehbar dar.In Les damnés de la terre hat Ähnliches schon Frantz Fanon vor zig Jahren für Algerien aufgezeigt.
de Lapuentes kluge & mutige Kritik der Anwendung der neokoloniale Interessen verbergenden Antisemitismuskeule, auch die Keule des "strukturellen" Antisemitismus,mit der ein Robert Kurz m.E. teils verblendet,operierte, finde ich ermutigend. Diese Keulen sollen die tägliche Demütigung und Entwürdigung, die neokoloniale Beraubung der vom westkapitalistischen Imperialismus und seinen globalen Kapital-Konglomeraten(Finanzkapital, das aber vom Realkapitalismus letztlich abhängig bleibt- da hat Kurz unbedingt recht) dominierten Völker verschleiern. Das gilt jetzt auch für das ukrainische Volk. Es wird à la Brzezinski-Imperialismus westlichen Usurpationsinteressen von Nato und EU einverleibt. In der Ostukraine ist komplementär dazu ein russischer Neokolonialismus -wenn auch primär defensiv -aktiv.Aber faktisch weist er national-kolonialistische Züge auf. Der Widerstand der ebenfalls neoliberal agierenden russischen Machtelite gegen die westkapitalistische Aggression in der Ukraine müßte der Ostukraine entweder eine nationale Souveranität zugestehen o d e r mit allen Mitteln eine größtmögliche Autonomie in einer ukrainischen Föderation in Zusammenarbeit mit noch vernünftigen Teilen der EU-Machteliten betreiben! Es sind ethnische, nationalistische Kräfte, die hier in gewisser "sozialontologischer" Eigenständigkeit letztenlich auf östlicher wie westlicher "Neokolonialismusseite" direkt und indirekt aus der globalen Kapitalismuskrise herrühren.
Die tiefenökonomischen Ursachen der gegenwärtigen Imperialismen in Ost und West, die Robert Kurz z.B. in Weltordnungskriege herausgearbeitet hat, Stichwort:
Mehrwertmassenschrumpfung- und die davon ausgelöste wahrscheinlich irreversible globale Kapitalismuskrise , dürfen bei der Beurteilung der politisch-militärisch-kriegerischen Pervertierung heutiger Trikont-Widerstandsbewegungen gerade gegen den Westimperialismus nicht ausgespart werden. Krisenkapitalismus in West wie Ost generiert Kriegskapitalismus, Neokolonialismus samt des Widerstandes der heutigen "damnés de la terre". Aber zu Fanons Zeit konnte noch auf ein Gelingen der Freiheitskämpfe gehofft werden.
Als nationale Berfreiung, Würdezunahme , gelangen sie auch zunächst. Aber die furchtbare Übermacht des ab Ende der 70.Jahre stagnierenden und jetzt regredierenden Weltkapitalismus verhinderte neue, transkapitalistische , bessere Wirtschafts- und Sozialordnungen im Trikont, leider auch in Cuba.
In ALBA-Südamerika ist gerade der letzte Versuch einer nicht-terroristischen Befreiung vom Kapitalismusjoch in Gefahr, zu scheitern. In den BRICS-Staaten werden gemischte Ökonomien mit halb-staatsterroristischen Strukturen versucht. Eine wirklich solidarische, transkapitalistische, materialistisch-sozialethische Produktionsordnung, Gesellschaftsform, die -gemessen an der ungeheuren Fertilität der vom siechen Kapitalismus bereitgestellten Produktionsmittel eigentlich prinzipiell schon eine fast reine D i s t r i b u t i o n s ordnung sein könnte(siehe die Untersuchungen von Reichtumspotentialen des gerade verstorbenen Physikers Hans-Peter D u e r r!)müßte vom Weltprekariat(den riesigen Massen verarmter und verarmender Menschen im Krisenkapitalismus Ost wie West), den vernünftigen Teilen der neokolonial entwürdigten und sich militant dagegen wehrenden Völker, den sozialethisch und intellektuell kompetenten Mittelklassenteilen im Weltkapitalismus auf den Weg gebracht werden. Das ist m.E. nur durch hochgradige aktive internationale Vernetzung der genannten Kräfte möglich. Fangen wirs an mit dieser emanzipatorischen Vernetzung!

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