Der unbeschwerliche Schiss, der uns dank Kanzlerin glückt

Freitag, 5. September 2014

Über das Glück, das nur bedingt mit der ökonomischen Lage korreliert.

Ich stand in diesem spanischen Laden herum und blätterte aus Belustigung in einer dieser deutschen Postillen umher, die sie hier verkauften. Schrecklicher Schund. Mir stach jedoch die »Zahl der Woche« ins Auge: »50 Prozent der Deutschen sind so zufrieden wie nie zuvor«. Aha. Eine aktuelle Studie des »Institut der deutschen Wirtschaft« soll das ergeben haben. »Algo más, Señor?«, fragte der Verkäufer. Ich blickte auf, legte die Zeitung weg, sagte »No, gracias, eso es todo« und zahlte. Brot und Serrano-Schinken, das sollte reichen, ich brauchte nicht mehr.

Die Situation in Spanien ist mies, kam mir in den Sinn, als ich aus dem Laden trat. Überall verkaufen sie jetzt Wohnungen zu Schleuderpreisen. Und das in bester Lage. Ganz bewusst habe ich die Gespräche mit einigen Spaniern auf »la crisis« gelenkt. Viele verdienen weitaus weniger als vorher, Urlaub ist für sie beispielsweise ein ferner Luxus aus vergangenen Tagen. Und in der Zeitung las ich parallel, dass jeder zweite Jugendliche dort ohne Ausbildung oder Arbeit sei. Die Tochter meiner Cousine zum Beispiel hüpft von Arbeitsgelegenheit zu Arbeitsgelegenheit. Sie hält sich so über Wasser, wie man das im Deutschen so schön bildlich sagt. Und das in einer wirtschaftlich eher gesunden Region. Gleichwohl habe ich viele Menschen getroffen, die nicht zu Tode betrübt wirkten. Ja, ich sah durchaus viele glückliche Spanier. Zufriedenheit. Wohlbehagen.

Alles halb so schlimm? Nein, das will ich damit nicht sagen. Armut ist noch lange kein Segen. Aber was heißt es schon, wenn man jetzt liest, dass irgendein Volk glücklich sei? Eigentlich gar nichts! Schon gar nicht, wenn es von Monat zu Monat immer glücklicher wird, so wie es in Deutschland der Fall ist. Hier arbeiten Anstalten zur Glücksvermessung täglich daran, dass ein solches Resultat herauskommt. Was aber Wirtschaft und Glücksempfinden miteinander zu tun haben, erschließt sich nicht wirklich. Mag auch die Ökonomie die Basis sein, wenn eine dieser Anstalten klingelt und fragt, wie glücklich man sei, dann denkt man erstmal an das private Glück, das kurzfristig gedacht ja völlig ohne die wirtschaftlichen Zusammenhänge auskommt. Man betrachtet sein Leben und sortiert danach sein Glücksempfinden.

»Zuhause im Glück« heißt ja dann auch eine Sendung auf irgendeinem Privatsender. Ein Titel, der blendend in unsere Zeit passt. Sie feilen alle am gesellschaftlichen Unglück, machen den Arbeitsmarkt zu einem Hort von Unzufriedenheit, aber im eigenen Zuhause kann das Glück noch herumlungern. Schön beschränkt auf die eigenen Zimmer, in der Gemütlichkeit der Privatheit, schafft man sich ein Plätzchen der Behaglichkeit. Ja, dieser Serientitel hat einen geradezu biedermeierlichen Touch.

Passend dazu die Empfehlung, die unter der »Zahl der Woche« in jener Postille stand: »Sind Sie eher unzufrieden? Schreiben Sie täglich drei Dinge auf, die Sie erfreut haben. So entdecken Sie das Glück der kleinen Dinge wieder neu.« Hm, wenn man diesen Ratschlag befolgt, dann kann selbst dem größten Unglück noch etwas abgewonnen werden. So notiert sich der bettlägrige Krebspatient, dass er heute zwei Minuten länger beim Toilettengang ausgehalten hat. Welch Freude! Und übrigens, der Joghurt war heute im Sonderangebot! Was für ein Glückstag! Ach Unglück, selbst du kannst ein Glücksfall sein!

Nach diesem fast schon esoterischen Prinzip arbeiten aber dann auch all diese Institute, die das Glück vermessen und es dann irgendwie mit der guten (Wirtschafts-)Politik in Verbindung bringen wollen. Die fragen bei Leuten an, die eben noch den Ratschlag mit den Notizen des Glücks kleiner Dinge beherzigt haben, die also aufgeschrieben haben: »Heute satter und unbeschwerlicher Schiss. Hämorrhoiden geben Frieden.« Und die so beseelt dann sagen: »Klar, ich bin zufrieden, manchmal auch richtig glücklich.« Und dann schieben die Glücksmesser es flugs der Merkel und ihrer Politik in die Schuhe. Dass es dem problemlosen Stuhlgang zuzuschreiben ist, ahnt ja keiner. Darauf kommt es ja auch nicht an.

Insofern können all diese Spanier, die mir begegnet sind, auch einfach nur so glücklich gewirkt haben, weil sie gut geschissen haben. Dass sie aber deshalb gleich auf die Folgen der Austeritätspolitik, mit der sie es zu tun haben, scheißen, muss man nicht annehmen. Glück und Ökonomie sind halt zwei Begriffe, die man nicht einfach so zusammenbringen kann. Wetten, dass es auch in Nordkorea glückliche Menschen gibt! Und Kubaner leiden Mangel an vielen Gütern, werden aber älter als Deutsche und scheinen immer zufrieden zu sein. Wie kommt das? Ich bin mir sicher, wenn man einen Insassen von Guantánamo fragte, wie er sich heute fühle, dann würde man an manchen Tage hören: »Heute bin ich glücklich, meine Peiniger haben mich unbehelligt gelassen. Kein niederknien, kein erzwungenes Spuken auf den Koran und es gab sogar schweinefleischfreies Essen.« Und wenn an einem Tage viele solcher Insassen nicht gefoltert wurden, könnte man als Schlagzeile formulieren: »Immer mehr Guantánamo-Insassen so glücklich wie nie!«

Glück ist ein Momentaufnahme und kein ökonomischer Faktor. Man kann in der Hölle für Momente glücklich sein und im Himmel durchgehend unglücklich. Ich bin es leid, ständig von Studien zu lesen, die des Deutschen Glück erwähnen und es den jeweils amtierenden Regierungen in die Schuhe schieben. Gestern meldete das Radio wieder so eine Glücksbotschaft. Wenn man dauernd wiederholen muss, dass man glücklich ist, dann stimmt da was nicht. Ich kannte da mal so ein redseliges Dummchen, das hat ungefragt der halben Welt regelmäßig berichtet, wie glücklich es mit ihrem Gatten ist. Am Schluss ist die Frau zu einem anderen geflüchtet und hat ihn sitzen lassen. Kundgetanes Glück bedeutet gar nichts.

7 Kommentare:

epikur 5. September 2014 um 08:50  

Wie so vieles im Leben, ist "Glück" kein Haben-Konsum, kein Besitz und kein dauerwährender Zustand, sondern ein Prozess, ein Augenblick, eine Momentaufnahme. Glück ist Sein und nicht Haben.

Der neoliberale Profitgeier kommt aus seinem Betondenken aber nicht heraus - da zählen nur vermeintliche Fakten, Dinge, die man greifen und besitzen kann. Also wird die ganze Welt, alles Leben, Erfahren und Fühlen in interessensgeleitete Studien, Statistiken und Untersuchungen gequetscht.

Anonym 5. September 2014 um 10:24  

Wenn die Erinnerung nicht trübt, sagte einmal Edward Snowden vor einiger Zeit, dass sämtliche Online-Umfragen in England gefälscht oder manipuliert seien.
Ein jedes Mal, wenn die neuesten Umfragen von Emnid oder irgendeinem anderen Institut herausgegeben werden, erinnere man sich und stelle sich vor, was das für die Ergebnisse dieses Landes bedeuten könnte.

Anonym 5. September 2014 um 14:37  

Glück ist nur eine Momentaufnahme, aber diese Feststellung schwächt deinen Artikel leider, Roberto, weil die Studien ja genau das auch sagen.
Und weil ja nicht ein Moment abgewartet wurde, in dem zufällig die meisten Befragten gerade privat und beruflich glücklich waren - wie soll man das denn machen? - fließen in so eine Statistik sowohl die gegenwärtigen Höhen als auch Tiefen in der Summe ein.
Darauf geben muss man natürlich trotzdem nichts.

Anonym 5. September 2014 um 19:17  

Statistik wird heute nur noch benötigt, um den Anschein einer "wissenschaftlichen Arbeit" zu erwecken. Es werden mathematische Formeln benutzt, aber alle Voraussetzungen, die dafür in der Mathematik gesetzt werden, ignoriert. Der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität scheint nicht mehr bekannt zu sein. Man nimmt für die Statistik "irgendwelche Zahlen", weil andere gerade nicht zur Hand sind oder unerwünschte Ergebnisse liefern.

Würde man die Glückshormone im Körper messen, dann hätte man halbwegs "objektive" Zahlen für eine Glücksstatistik. Stattdessen werden Fragen wie: "Auf einer Skala von 1 bis 10, wie würden Sie sich einordnen?" gestellt. Man greift absichtlich auf "subjektive" Zahlen zu, obwohl es objektivere Zahlen gibt. Dies führt dann dazu, dass man an einem Tag liest, dass die Hamburger am glücklichsten sind, und zwei Tage später, dass Hamburg eine der höchsten Selbstmordraten hat.

Um die beliebtesten Arbeitgeber zu ermitteln, befragt man Studenten, wo sie später gerne einen Job hätten. Man befragt auf keinen Fall die Arbeitnehmer dieser Unternehmen. Die Studenten können lediglich Auskunft über das Image des Unternehmens geben, denn sie arbeiten dort nicht. Interessanter wäre es zu wissen, ob der Arbeitgeber auch bei seinen Mitarbeitern beliebt ist.

Wenn die Statistik zur Erkenntnis kommt, dass Dicke dümmer sind (das habe ich schon mehrfach gelesen, also ruhig googlen), glaubt dann wirklich jemand, dass er durch Abspecken seinen IQ erhöht?

Statistiken sollte man einfach ignorieren.

Grüße
Klotzkopf

Anonym 7. September 2014 um 10:41  

Ich glaube auch keine Umfrageergebnisse mehr. Nichts ist leichter zu manipulieren. Und es wird manipuliert, was das Zeug hält.
Davon abgesehen: es ist schon möglich, daß ein großer Teil der Bevölkerung (vielleicht sogar eine Mehrheit) zufrieden bis glücklich ist. Aber was heißt das schon? Der Narr ist glücklich, weil er nichts weiß und für seine Arbeit nichts zu wissen braucht. Gemäß der Gaußverteilung ist die große Mehrheit dumm.
Die Dummen kann man gut manipulieren und täglich belügen.

So belügt z.B. die Sueddeutsch Zeitung ihre Leserschaft:

Vor einigen Jahren wurde in der SZ in einem Artikel groß über "Witricity" (Wireless Electricity, Kabellose Übertragung elektrischer Energie) berichtet.
Etliche Leser (ich auch) haben damals schon kommentiert, daß das Unsinn ist, weil völlig unwirtschaftlich wegen zu geringem Wirkunkgsgrades.
Nun sind etliche Jahre ins Land gegangen, die vom Artikel damals für die nächsten Jahre versprochenen Innovationen sind ausgeblieben (wie zu erwarten war). Die Lüge war schon damals mit Händen zu greifen.

Kürzlich hat die SZ Satellitenbilder zum Thema Ukraine veröffentlicht. Diese sollten Raketeneinschläge durch die "prorussischen" Separatisten/Russland belegen.
Das einzige, was diese Bilder gezeigt haben ist: weit und breit kein Militär, keine Kampfhandlungen. Nichts.
Verständlich, daß die SZ es deshalb auch unterlassen hat, einen Experten für die Auswertung von Luftbildern zu konsultieren, wie man es sicher gemacht hätte, wäre auch nur irgendwas relevantes zu sehen gewesen.


Und das ist ja lange nicht alles.
Das sind unsere "Qualitätsmedien".


Eurohasenbär, früher SZ-Leser und ehemals Mitglied des SZ-Leser-Forums.

Anonym 8. September 2014 um 12:17  

Hier noch Hintergrundinformation zu dieser seltsamen Glücklichkeitsstudie:

Sie stammt aus dem "Sozio-oekonomischen Panel" des Deutschen Instituts für Wirtschaft:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozio-oekonomisches_Panel

"Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung von über 12.000 Privathaushalten in Deutschland. Die Befragung wird im jährlichen Rhythmus seit 1984 immer bei denselben Personen und Familien (= stets demselben Panel) durchgeführt. Die befragten Personen und Familien wurden „zufällig“ ausgewählt, so dass sie die in Deutschland lebenden Menschen repräsentieren.
...
Themenschwerpunkte sind unter anderem Haushaltszusammensetzung, Erwerbs- und Familienbiographie, Erwerbsbeteiligung und berufliche Mobilität, Einkommensverläufe, Gesundheit und Lebenszufriedenheit.
...
Der Wissenschaftsrat stufte 2008 die Forschungsqualität des SOEP als exzellent ein."

Daniel Grode 7. Oktober 2014 um 22:41  

Freiheit und Glueck sind andere Worte fuer "Nichts mehr zu verlieren zu haben"
( frei uebersetzt von JANIS JOPLIN )
Daniel Grode..ngeraons

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