Es waren zwei Türkenkinder

Dienstag, 15. Juli 2014

Natürlich empörte das Urteil des EuGH bestimmte Kreise in Deutschland. Sie griffen sich an den Kopf und fühlten sich mal wieder von Europa bevormundet. Alt-»Bild«-Stellvertreter Tiedje bringt es sogar hin, seine Empörung zu Papier zu bringen, ohne auch nur ein einziges Mal das Assozierungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei zu nennen, auf dem die Entscheidung des EuGH beruht.

Dass man Ehegatten nicht ohne die Barriere namens »Sprachtest« nachführen konnte, obwohl der Partner schon in Deutschland lebte und arbeitete, war ein Skandal. Und bleibt einer. Denn die Ablösung dieser Praxis gilt ja nur für türkische Staatsbürger. Alle anderen müssen weiterhin zunächst den Beweis erbringen, ob sie würdig sind für ein Leben in Deutschland. Eheleute, die aus ökonomischen Gründen getrennt sind, haben also auch künftig nicht das Recht, barrierefrei zusammenzukommen. »Es waren zwei Türkenkinder / Die hatten einander so lieb / Sie konnten zusammen nicht kommen / Das Wasser war viel zu tief.« Dabei ist doch primär eigentlich weniger wichtig, ob die Gesellschaft den zuziehenden Gatten versteht. Grundlage der Zusammenführung hat doch zu sein, dass sich die beiden Eheleute verstehen. Eheliches Verständnis geht doch wohl vor Verständigung.

Und steht nicht die Ehe auch unter einem »besonderen Schutz«? Mir war so, als hätte ich da irgendwo mal was davon gelesen oder gehört. Und wäre sie damit nicht ebenfalls wichtiger als die Sprache, wegen der man nicht benachteiligt werden darf? Kommt mir auch bekannt vor! Ach ja, genau: Beides findet sich so im Grundgesetz. Und wie wenig das an manchen Stellen der Gesellschaft berücksichtigt wird, sieht man genau dort, wo der Staat ausländische Eheleute durch repressive Maßnahmen trennt. Die Ausländerpolitik ist jedenfalls von den Idealen des Grundgesetzes schon lange befreit. Sie umschifft dort all das, was dem Menschen und seinen Lebensumständen Würde verleiht.

Doch leider hat der EuGH sein Urteil nicht tiefer begründet. Hat sich nur auf das Abkommen zwischen den beiden Ländern gestützt. Vielleicht folgt da ja doch noch mehr. Und vielleicht könnte Karlsruhe in einem lichten Moment mal sagen: Wer einen hier lebenden Ehepartner von seinem Gatten getrennt hält, der handelt verfassungswidrig in mehreren Punkten. Inklusive dem Grundrecht von der Gleichheit aller Menschen.

Wer jetzt so tut, als sei diese Lockerung der Sprachtest-Praxis der Untergang des Abendlandes, dem sei gesagt, dass diese Verfassungsignoranz viel mehr Untergang beinhaltet, als es einige türkische Ehefrauen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen je bewirken könnten. Die werden sich nämlich Deutschkenntnisse aneignen. Der Alltag wird das erzwingen. Ob die Tiedjes und Konsorten aber je Verfassungskenntnisse erhalten werden, bleibt eher fraglich. Denn in ihrem Alltag ist das nicht notwendig.

5 Kommentare:

Anonym 15. Juli 2014 um 10:09  

ANMERKER MEINT:

Selbst aud die Gefahr hin, dass ich missverstanden werde, will ich Dir heute mal widersprechen, Roberto. es ist nämlich leiser sehr of nicht so, wie Du behauptest. Der Alltag zwingt die betroffenen Frauen sehr oft nicht, sich deutschkenntnisse anzueignen. Allzuoft "sitzen" sie zuhause und verharren ihrem Milieu und sind angewiesen auf die Dolmetscherkünste des Mannes oder ihrer Kinder, warum auch immer. Ich plädiere nicht für einen Sprachtest bei der Familienzusammenführung, aber sehr wohl für einen verbindlichen Sprachunterricht, wenn die Betreffenden im Land sind. Die Sprache des Gastlandes sprechen zu können ist auch ein Teil persönlicher Würde und Emanzipation.

MEINT ANMERKER

Anonym 15. Juli 2014 um 11:25  

Das ist ein beliebtes Spiel der Politik, über das man ja lachen könnte, wenn es nicht so viel Schaden anrichten würde.
Bild und Stammtisch regen sich über etwas auf, in diesem Fall über die anatolischen Bräute, die einfach so in „unser Land“ kommen.
Schnell wird mal ein Gesetz beschlossen, dass das Problem „löst“. (Oft steht ja irgendwo mal wieder eine Wahl an.)
Irgendwann wird es dann von einem europäischen Gericht gekippt und man kann wieder der EU die Schuld geben. „Wir wollten ja was tun, aber die böse EU lässt uns nicht.“

Wolfgang Buck 15. Juli 2014 um 17:00  

"Ausländerpolitik" scheint in erster Linie ein Spielfeld der Partei-Populisten zu sein. So gibt es viel nicht EU-Staaten, bei denen der Nachzug von Familienmitgliedern ganz selbstverständlich nicht an irgendwelche sprachlichen Voraussetzungen geknüpft sind. US-Amerikaner, Kanadier oder Japaner zum Beispiel.

In Düsseldorf gibt es zum Beispiel eine sehr umtriebige japanische Kolonie. Die nachgezogenen Ehepartner und selbst die Kinder haben meist überhaupt keine Deutschkenntnisse und auch kein Interesse die Sprache des Landes in dem sie leben zu lernen. Dazu kommen sie noch aus einer Kultur die nicht unsere "christlich-jüdischen Wurzeln" (was das immer sein soll) teilt. BILD bitte übernehmen sie!

Anonym 15. Juli 2014 um 22:15  

Ein weiterer Aspekt sind die unzähligen Ehefrauen deutscher Männer, welche in ihren Herkunftsländern häufig unglaubliche Strapazen zur Erlangung dieser Sprachkenntnisse auf sich nehmen müssen. Oft genug sind die Goetheinstitute hunderte von Kilometern entfernt. Eine regelmäßige Anreise zum Unterricht ist weder zumut- noch bezahlbar. Als 'Alternative' verbleibt dann nur noch ein Wohnheim oder ein möbliertes Zimmer am Ort des Institutes. In der Zwischenzeit müssen eventuell vorhandene Kinder bei der, hoffentlich vorhandenen, Verwandschaft untergebracht werden und der Ehemann in Dutschland muß das Ganze auch noch bezahlen können. Schließlich können diese Frauen während dieser Zeit auch ihre Arbeit nicht ausführen und sind somit vollständig vom Ehemann abhängig.

Anonym 16. Juli 2014 um 04:54  

Mit der "Wilkommenskultur" im Land der Dichten und Henker ist es halt nicht allzu weit her. Integration bedeutet "in sich aufnehmen", d.h. in erster Linie, dass man bereit ist, den Menschen, der da zu uns kommt, so zu akzeptieren wie er ist. Wie sollte sich ein Mensch in eine Gesellschaft (nennen wir es mal so, auch wenn es keine ist) integrieren können oder wollen, die ihn ablehnt und ausgrenzt? Und es ist ja nunmal eine Tradition in unserem schönen Lande, Migranten, Asylanten und alles auszugrenzen und missachten, was nicht mit Nasenpinsel oder einem obligatorischen Bierbauch durch die Gegend wankt. Es wird zwar gerne von "Freiheit & Gemeinschaft" gefaselt, doch in Wahrheit verbirgt sich dahinter nur ein Zwang zum Konformismus - der jede Individualität im Keim zu ersticken sucht. Aber eine wirkliche und freie Gesellschaft basiert auf Vielfalt. Der Andere, der Fremde, der Paradiesvogel und der Andersdenkende sind die Menschen, die eine Gesellschaft "bunt, lebenswert und attraktiv" machen - ansonsten handelt es sich um eine "tote Gesellschaft". Und wenn sich jemand in unserer Gesellschaft nicht integrieren wollen sollte, so kann ich das gut verstehen, denn auf schlechte Gesellschaft kann und sollte man verzichten. Zu einer gelungenen Integration gehören immer Zwei - und der Mangel an Integrationswilligkeit ist hier sicherlich auf Seiten der deutschen Bevölkerung zu verorten. Wir sind so rückständig und armselig, dass wir sogar Leute als "Migranten" oder "Ausländer" diffamieren, welche hierzulande geboren sind, nur weil ihnen die "Weißwurstoptik" fehlt - aber das sind unsere Mitmenschen. Menschen! Jeder in diesem Land, egal mit welchem Status, ist ein "Mitmensch" und hat ein Recht darauf, als Mensch anerkannt und akzeptiert zu werden.

Naja, was will man von Leuten erwarten, die "We are the Champions!" grölen, weil die "Nationalmannschaft" einen sinnlosen Staubfänger gewinnt, während alles den Bach runtergeht und sie von vorne bis hinten, nur verarscht und abgezockt werden? Wenn die Leute im Ausland ahnten, wie schäbig und widerlich es hierzulande zugeht und wie abgestumpft und verkommen diese "Gesellschaft" ist, würde wohl niemand, sofern er noch alle Sinne beisammen hat, hierher kommen wollen. Mit Sicherheit. Man schämt sich regelrecht, hier noch dazuzugehören. Eigentlich will man mit sowas gar nicht in Verbindung gebracht werden. Naja, egal. :)

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