Da simmer ganz oben dabei

Mittwoch, 26. Februar 2014

Auf dem gestrigen Heimweg lauschte ich einem kurzen Bericht in hr1. Darin ging es um den Europarat, der Deutschland Ignoranz im Bezug auf Rassismus attestiert habe. Der Bericht war sehr sachlich. Ich wollte dennoch mehr dazu wissen. Gegen 14:00 Uhr stürzte ich mich auf meinen Laptop.

Ich öffnete die Webpräsenz des Spiegel und scrollte bis runter. Nichts. Kein Aufmacher, kein Teaser zum Thema. Nur über die Suchfunktion landete ich bei einem kurzen Text. Auf Stern.de sah es nicht viel anders aus. Auch da prüfte ich die Startseite bis zum Ende hinunter. Die Stichwortsuche habe ich mir gespart. Wahrscheinlich aus falschem Stolz. Auf der Website der Frankfurter Allgemeine dasselbe Bild. Wie auch auf Süddeutsche.de. Im Zuge der Recherche für diesen Text habe ich dann noch bei der Bildzeitung gesucht. Nichts. Oder besser: Überhaupt nichts. Auch nicht, als ich in der internen Suchmaschine Stichworte eingab. Die haben das Thema gar nicht erst im Angebot. Nur beim Focus war die Anklage des Europarates eine Topmeldung.

Schon vor einiger Zeit war es ganz ähnlich. Damals hat die EU-Kommission festgestellt, dass Deutschland stark korruptionsanfällig sei. Und auch damals hörte ich im Radio davon. Keinen Bericht zwar, aber wenigstens eine Notiz in den Nachrichten. Die war aber gegen die Mittagsstunde schon wieder verschwunden. Als ich mich dann nachmittags in meine Arbeitsecke verkroch, ein wenig schreiben wollte und diese Meldung suchte, um daraus vielleicht einen Text zu basteln, da fand ich erneut nichts. Nur per Suchfunktion bekam ich einige kurze Mitteilungen aufgelistet.

Das halte ich für mehr als seltsam. Wesentlich unwichtigere Meldungen zieren etwaige Webpräsenzen großer Zeitungen weitaus länger. Wenn irgendein EU-Gremium Wirtschaftszahlen hervorholt und Deutschland gut abschneidet, liest man davon noch einen Tag später. Man tackert die Meldung quasi oben fest, damit sie ja gleich zu finden ist und nicht übersehen werden kann. Nur die kritischen Worte Europas verschwinden im Orkus des digitalisierten Journalismus. Man braucht gar nicht zu zensieren und kein Redakteur muss sagen, dass man bestimmte Meldungen besser nicht bringt. Es reicht völlig aus, wenn man kurz darauf hinweist und sie dann ins Archiv verfrachtet. So hat man seinen Informationsanspruch gewahrt und möglichst wenig informiert.

Ich will keine Verschwörung wittern. Aber erstaunlich ist es doch schon, dass die Europäische Union, von der unsere Eliten so schwärmt, immer dann leise gedreht wird, wenn sie nicht Hurra! schreit, sondern den "deutschen Lifestyle" kritisiert. Und deswegen zweifle ich stark daran, dass die deutsche Öffentlichkeit ein richtiges Bild von Europa und der Welt vermittelt bekommt. Wer immer nur mit Vivat! und Hurra! benetzt wird, der lebt wie im Suff, wie in einer rauschhaft verzerrten Realität.

Diese Berichterstattung kommt mir vor wie die vielen Clowns, die man zur Karnevalszeit in der Bütt stehen sieht und die lustig Stimmung! rufen und aus ihrer Hosentasche einen Konfetti-Regen herausziehen, während im Hintergrund eine Kapelle Tata-Tata-Tata spielt. Und wie im Rausch sitzen wir drunten im Saal und glauben sogar, dass wir guter Stimmung sind. Nur warum, das wissen wir nicht so genau.

Aber nicht darüber nachdenken, das vermiest die Stimmung. Tata-Tata-Tata. Was kümmert uns der Europarat! Jedenfalls nicht, wenn er sich mit solchen Kinkerlitzchen befasst. Tata-Tata-Tata. Unsere Erwerbslosenquote ist niedrig. Das ist wichtig. Wie die so niedrig gehalten wird? Komm, wirf nochmal Konfetti, du da oben in der Bütt, nicht dass hier die Stimmung gleich im Keller ist. Und stimm es nochmal an, unser aller Lied. Da simmer ganz oben dabei! / Dat is prima! / Viva Germania!


8 Kommentare:

Anonym 26. Februar 2014 um 11:57  

wenn unsere "freie Presse" solchen "negativen Meldungen" die ihnen zustehende Plattform bieten würde, dann würde damit den Deutschen ihre geliebte Illusion geraubt, die Größten, Besten, Schönsten, Ehrlichsten und vor allem die Fleißigsten der Welt zu sein.
Eine solche "Berichterstattung" funktioniert immer. Siehe auch USA. Dort ist die Bevölkerung, nach massiver Meinungsmache, gegen ihre eigene Krankenversicherung, oder gegen Gewerkschaften/Betriebsrat eingestellt. Auch bei uns hatte das früher schon mal funktioniert. Man denke nur an die Machtübernahme der NSDAP. Auch dabei spielte die Presse eine unrühmliche Rolle. Nun sind wir wieder in der Zeit der (rechten) Probaganda und des Verschweigens wichtiger Ereignisse angelangt. Orwell läßt grüßen. Bei mir erzeugt diese Entwicklung ein gewisses Unbehagen.

stefanbecker 26. Februar 2014 um 12:45  

Hallo Roberto,


ich schrieb einmal den Nachdenkseiten,dass es mir beim lesen der Selben so vorkommt,
wie meinem Vater es in den Kriegsjahren vorkam, als er z.B. den Feindsender BBC hörte.
In dem Deutschland hat es immer nur eine Wahrheit gegeben. Andere wurden tot geschwiegen.
Und offenbar wiederholt sich die deutsche Geschichte wieder einmal.
Leider wollen das nur wenige bemerken. Sie gehören allerdings nicht zu denen.

Anonym 26. Februar 2014 um 14:00  

Die Rechten wittern bei solchen Meldungen eine Verschwörung, die Deutschland Demut auferlegen soll, damit es zahlungswilliger wird...
Aber überhaupt vermisse ich kritische Berichterstattung über diesen "Europarat" in den Medien. Was ist das, was hat er zu melden?
Übrigens findet sich die Nachricht jetzt bei Spiegel Online, zeit.de, tagesschau.de und anderen..
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/europarat-kritisiert-rassismus-und-intoleranz-in-deutschland-a-955415.html

Anonym 26. Februar 2014 um 14:09  

Passend dazu, war vorhin Aufmacher bei Spiegel Online:

"Vergleich in der Euro-Zone -
Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland am größten -
Manche haben Millionen, andere nur Schulden: Laut einer DIW-Studie sind die Vermögen in keinem Euro-Land so ungleich verteilt wie in Deutschland. Der durchschnittliche Besitz von Arbeitslosen hat sich seit 2002 fast halbiert."

Da hat Spiegel Online Deutschland so richtig Salzsäure in die Wunde geschüttet.

www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/vermoegen-in-deutschland-ungleicher-verteilt-als-im-rest-der-eurozone-a-955701.html

Anonym 26. Februar 2014 um 20:30  

@Anonym vom 26. Februar 2014 14:09

Stimmt genau.

Übrigens erlebe ich, bzw. meine Familie, derzeit am eigenen Leib wie es ist von schuldenlos in Schulden reinzurutschen. Schuld ist diesmal tatsächlich der dt. Staat.

Schon mal was von der Legionellenordnung gehört? Nein? Gast- bzw. Beherbergungsbetriebe müssen diese, umstrittene, Verordnung seit Anfang Januar umsetzen - Die für uns zuständige Heizungsbaufirma hat schon eine Legionellenprüfung durchgeführt - für sage und schreibe 600,-- Euro, und wurde prompt fündig. Kein Problem dachten wir, beheben wir das Problem mit den Legionellen, aber zunächst hat uns der Heizungsbaumensch eine zweite Prüfung ins Haus angemeldet - wieder 600,-- Euro weg. Wohlgemerkt bei einem Saisonunternehmen, wo gar nicht sicher ist, ob wir es weiter betreiben - da Erbengemeinschaft.

Dem (geld-)gierigen Heizungsbauer ist das nicht genug, denn ab 2017 gibt es wieder so ein Gesetz wonach alte Heizunganlagen umgerüstet werden müssen, von Staats wegen - Er rechnete uns einmal die Kosten vor 20.000 - 25.000 Euro.

So schnell kann man als schuldenfreier Betrieb wieder in Schulden rutschen - in .de, und dies schreibe ich obwohl ich die Maßnahme für sinnvoll halte, die alten Ölheizungen auf moderne Heizungen umzurüsten.

Wie bereits erwähnt, "unser" Unternehmen wird in der Rechtsform einer gesetzlichen Erbengemeinschaft weitergeführt, und soll sich demnächst eh auflösen.

Wenn es nach mir geht ohne Schulden, aber anscheinend muß die Heizung sogar umgerüstet werden, wenn wir aus unserem saisonalen Unternehmen ein Bau mit Mietwohnungen machen....

Wie bereits erwähnt, ich seh's nicht ein, und geh - sobald ich das Angebot habe - zur Energieberatung der Gemeinde, denn unser Wohnhaus ist bis dato schuldenfrei....

Man sieht wie schnell es gehen kann....auf geldgierige Handwerker zu stoßen, die keine Rücksicht auf die Kunden nehmen, ja nicht einmal auf meine schwer an Parkinson erkrankte Mutter - seit Dezember....wir haben hier wirklich andere Sorgen als die oben erwähnten.....

Scheißegal, denkt der Handwerker sicher, hauptsache ich hab meine Kohle....

Deutschland im Jahre 2014 n. Chr. - ein Schei....land für kranke, arme und alte Menschen sowie für Menschen, die aufgrund persönlicher Schicksalsschläge wieder auf Arbeitsuche müssen.....

Trauriger Gruß
Bernie

jakebaby 26. Februar 2014 um 21:36  

Dieser Link http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/Country-by-country/Germany/DEU-CbC-V-2014-002-ENG.pdf
macht heute unter rassistisch, xenophoben, homophoben, etc. die Runde, wobei die sich natuerlich allesamt vehement gegen diese boese Europa empoeren, welches ihnen ihre faschistisch getuenchten Meinungen beschneiden moechte.
U.A. wird auf Page20 der locker zurueckhaltend, investigative Umgang mit Sarrazin bemaengelt.
"39. In view of the similarity of T. Sarrazin remarks with those of the case Le Pen47, ECRI considers that the response by the authorities and the SPD is insufficient. It was with good reason that the CERD decided that the lack of an effective investigation following Mr Sarrazin’s remarks constituted a violation of Articles 2 (1) d, 4 and 6 ICERD.48"

Moeglicherweise mit ein Grund diesen Ball flach zu halten, um den armen Thilo, in seinen kommenden 20 Talkshows, nicht auch noch damit zusaetzlich zu behelligen.

jakebaby 26. Februar 2014 um 21:51  

@ Anonym 26. Februar 2014 14:09

"[...] Salzsäure in die Wunde geschüttet."?

Seit Jahren weisen UN, diverse internationale Watchdogs, Menschen/Buergerrechtsorganisationen Deutschland auf seine fuehrende Schere, Bildungs/Sozialabbau .. Lohndumping, etc. hin.

Dafuer kriegen sie von Deutschland ausschliesslich den Finger!

Anonym 3. März 2014 um 14:01  

Nur eine kurze Anmerkung, weil es im Kommentar nicht deutlich geworden ist: Der Europarat ist keine (!) Institution der EU (anders als der Europäische Rat und der Rat der EU). Vielmehr handelt es sich um ein internationales Gremium auf das u.a. die EMRK zurückgeht und das den EGMR ins Straßburg unterhält. Der EGMR wiederum hat sich in den letzten Jahren im Kampf für die Menschenrechte in den Signatarstaaten sehr verdient gemacht (zum Ärger einiger Signatarstaatsregierungen bspw. der des UK).

VG
jansalterego

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