Die Vermessung der Welt mit westlichem Meßschieber
Freitag, 28. Februar 2014
Kürzlich hat mir so ein Kerl die Weltkarte der Pressefreiheit unter die Nase gelegt. Ich sollte mal sehen, wie hübsch weiß und gelb der zivilisierte Teil der Welt da eingezeichnet ist. Fragen hatte ich dennoch. Beantwortet hat er sie mir aber nicht.
Wenn diese Karte auf Berichte und Ansichten von Journalisten baut: Warum ist Nordkorea dann schwarz eingezeichnet, obgleich die ganzen schrägen Vögel, die in Nordkorea Öffentlichkeit herstellen, immer so aufgeregt hysterisch von Kim-Jong-il / -Jong-un / -Il-Sung schwärmen? Ich meine, befragte man diese Leute, würden sie nicht bestätigen, dass es Pressefreiheit in ihrem Land nicht gibt. Neinnein, ihr seht das falsch, es ist unser freier Wille, unsere großen Männer zu loben, würden sie antworten. Warum hat man diesen Ausführungen aber dann nicht geglaubt und sie eingeschwärzt - den Stimmen aus der freien Welt hat man doch auch geglaubt und sie hell kartographiert.
Hätte eine nordkoreanische Organisation eine solche Karte gemalt, dann hätte sie vielleicht einen von der Frankfurter Allgemeinen oder der Bildzeitung gefragt und hätten danach befunden: Die lügen doch. Die müssen einfach lügen. Ganz klar, in Deutschland gibt es keine Pressefreiheit. Die Journalisten dort machen dem Ausland nur was vor.
Passend zu dieser Weltkarte der Pressefreiheit, schrieb Daniel Kretschmar letzte Woche für die taz einen Artikel, den er mit Eine Weltkarte der Zivilisation überschrieb. Die basiere auf einer Studie, die auswertete, wie die Armeen dieser Welt mit homosexuellen Personal umgehen. Die westliche Welt war ganz rosa eingepinselt. Man könnte also meinen, dass dort die Zivilisation herrsche.
Kretschmar befielen wohl ähnliche Bauchschmerzen wie mich. Er schreibt: "Wer zum Beispiel glaubt, dass die Welt sich in eine zivilisierte (die westliche) und eine unzivilisierte (der ganze Rest) unterteilt, benötigt gar keine Datenerhebung um eine Karte zu erstellen, die umso schwärzer wird, je niedriger die angenommene lokale Zivilisationsstufe ist. Diese zahlengestütze Brachialethnologie ist nur das, was sie schon zu Zeiten der Kolonialkriege war: der akademische Weihekranz auf dem imperialen Überlegenheitswahn der westlichen Welt." Das drückt hervorragend aus, wie man diese Kartographie von Wir und der Rest verstehen muss. Sie ist nicht das Resultat der Welt, wie sie ist, sondern einer Welt, wie wir sie deuten und erklären und überdies eine "Aufforderung an unserem Wesen eine ganze Welt genesen zu lassen", wie Kretschmar so trefflich feststellt.
Solche Landkarten machen nichts deutlich, sie verschleiern zudem. Kretschmar verweist hierbei auf manche Reaktion aus Baden-Württemberg, als man dort verkündete, man wolle Homosexualität auch im Schulunterricht berücksichtigen. So weit her kann es mit dem rosa Teint also nicht sein. Insofern ist die weiße Fläche, die das pressefreie Deutschland markiert, auch keine sündenfreie Zone. Oft reicht es schon aus, Mäuschen in den Lokalredaktionen zu spielen. Dort spricht sich der Klüngel aus Lokalpolitik und Redakteuren, aus hiesigen Unternehmern und Journalisten, aus Ämtern und Ressortleitungen zuerst ab, bevor man sich zur Veröffentlichung entschließt - wenn man sich je entschließt. Kann ich was dazu schreiben? Oder setzen wir damit unsere Reputation aufs Spiel? Ärgert das unsere Anzeigekunden? Das Autohaus, das monatlich Werbung schaltet, wird doch vom Vetter des Stadtrats geleitet - warum also den Herrn Stadtrat mit Geschichten brüskieren, die ohnehin keinen interessieren? Wer meldet denn seine Putzfrau schon bei der Bundesknappschaft an?
So war es in Ingolstadt, als ich noch in Ingolstadt war. So ist es in Heppenheim. So wird es in allen Orten sein. So war es auch bei Hellers allmähliche Heimkehr. Dies sind die Grauzonen, die in solchen Karten nicht vorkommen, die es aber gibt und die nicht mal besonders grau sind. Sie sind eher die alltägliche Buntheit in einer Republik, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit klebt und dabei vergisst, dass es mit der Pressefreiheit wie mit allen Dingen ist, die so komplex sind, dass sie einer ausgiebigen Definition bedürfen: Sie wird erst in der Selbstgefälligkeit des Kulturimperialismus eindeutig.
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Hätte eine nordkoreanische Organisation eine solche Karte gemalt, dann hätte sie vielleicht einen von der Frankfurter Allgemeinen oder der Bildzeitung gefragt und hätten danach befunden: Die lügen doch. Die müssen einfach lügen. Ganz klar, in Deutschland gibt es keine Pressefreiheit. Die Journalisten dort machen dem Ausland nur was vor.
Passend zu dieser Weltkarte der Pressefreiheit, schrieb Daniel Kretschmar letzte Woche für die taz einen Artikel, den er mit Eine Weltkarte der Zivilisation überschrieb. Die basiere auf einer Studie, die auswertete, wie die Armeen dieser Welt mit homosexuellen Personal umgehen. Die westliche Welt war ganz rosa eingepinselt. Man könnte also meinen, dass dort die Zivilisation herrsche.
Kretschmar befielen wohl ähnliche Bauchschmerzen wie mich. Er schreibt: "Wer zum Beispiel glaubt, dass die Welt sich in eine zivilisierte (die westliche) und eine unzivilisierte (der ganze Rest) unterteilt, benötigt gar keine Datenerhebung um eine Karte zu erstellen, die umso schwärzer wird, je niedriger die angenommene lokale Zivilisationsstufe ist. Diese zahlengestütze Brachialethnologie ist nur das, was sie schon zu Zeiten der Kolonialkriege war: der akademische Weihekranz auf dem imperialen Überlegenheitswahn der westlichen Welt." Das drückt hervorragend aus, wie man diese Kartographie von Wir und der Rest verstehen muss. Sie ist nicht das Resultat der Welt, wie sie ist, sondern einer Welt, wie wir sie deuten und erklären und überdies eine "Aufforderung an unserem Wesen eine ganze Welt genesen zu lassen", wie Kretschmar so trefflich feststellt.
Solche Landkarten machen nichts deutlich, sie verschleiern zudem. Kretschmar verweist hierbei auf manche Reaktion aus Baden-Württemberg, als man dort verkündete, man wolle Homosexualität auch im Schulunterricht berücksichtigen. So weit her kann es mit dem rosa Teint also nicht sein. Insofern ist die weiße Fläche, die das pressefreie Deutschland markiert, auch keine sündenfreie Zone. Oft reicht es schon aus, Mäuschen in den Lokalredaktionen zu spielen. Dort spricht sich der Klüngel aus Lokalpolitik und Redakteuren, aus hiesigen Unternehmern und Journalisten, aus Ämtern und Ressortleitungen zuerst ab, bevor man sich zur Veröffentlichung entschließt - wenn man sich je entschließt. Kann ich was dazu schreiben? Oder setzen wir damit unsere Reputation aufs Spiel? Ärgert das unsere Anzeigekunden? Das Autohaus, das monatlich Werbung schaltet, wird doch vom Vetter des Stadtrats geleitet - warum also den Herrn Stadtrat mit Geschichten brüskieren, die ohnehin keinen interessieren? Wer meldet denn seine Putzfrau schon bei der Bundesknappschaft an?
So war es in Ingolstadt, als ich noch in Ingolstadt war. So ist es in Heppenheim. So wird es in allen Orten sein. So war es auch bei Hellers allmähliche Heimkehr. Dies sind die Grauzonen, die in solchen Karten nicht vorkommen, die es aber gibt und die nicht mal besonders grau sind. Sie sind eher die alltägliche Buntheit in einer Republik, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit klebt und dabei vergisst, dass es mit der Pressefreiheit wie mit allen Dingen ist, die so komplex sind, dass sie einer ausgiebigen Definition bedürfen: Sie wird erst in der Selbstgefälligkeit des Kulturimperialismus eindeutig.