Die Oligarchie der Ja-Sager

Montag, 9. Dezember 2013

oder Die Minderheit, dieser Tyrann.

Nachdem Slomka den SPD-Boss nach der Verfassungsmäßigkeit des Mitgliederentscheid gefragt hatte, erteilte das ZDF tagsdrauf zwei Staatsrechtlern das Wort. Ja, bestätigten sie, dieser Entscheid könnte tatsächlich verfassungswidrig sein. Denn da entscheide eine Minderheit über die Zukunft aller im Lande. Also quasi oligarchische Zustände?

Dieselben Politologen glauben hingegen nicht, dass es in irgendeiner Weise verfassungswidrig ist, wenn eine Minderheit von Reichen - Krysmanski würde von den 0,01 Prozent sprechen - die Mehrheit nach ihrem Gefallen tanzen lassen. Für sie ist es keiner Rede von Verfassungswidrigkeit wert, wenn diese Minderheit Lobbyisten instruiert, ihren politischen Funktionseliten Vorgaben diktiert, zum Schaden aller Deregulierung, Freihandel, Privatisierung und Sozialabbau erpresst. Dieselben Herren Politologen haben schön brav ihren Mund gehalten, als in den letzten Jahrzehnten Spitzensteuersätze und die Körperschaftssteuer gesenkt wurden. Hat das etwa keine Minderheit von langer Hand geplant? Eine, die überdies in Aussicht stellte, dass bei Zuwiderhandlung mit Konsequenzen zu rechnen sei. Wir stellen nicht mehr ein!, drohten sie. Oder: Wir entlassen!

Diese Minderheit, die die Zukunft aller im Lande bestimmte, hat sich noch nie einer staatsrechtlichen Expertise unterziehen müssen. Aber ein Mitgliederentscheid, der ruft Staatswissenschaftler auf den Plan. So ein im Gegensatz zur stillen Plutokratie völlig bescheidenes Unterfangen, treibt gleich zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit. Das sagt viel über die widrige politologische Verfassung dieses Landes aus. Die Zunft beschäftigt sich mit Nebensächlichkeiten, will das Ganze nicht sehen. Dafür wird sie ja auch nicht bezahlt.

Nur weil eine Minderheit ihre Meinung kundtut, muss nicht gleich vom Bruch mit der Mehrheitsgesellschaft gesprochen werden. Wenn die Gilde staatsrechtlich versierter Herrschaften glaubt, dass die Unterbindung einer Absicht durch das Veto einer Minderheit, schon verfassungswidrig ist, dann drängen sich mir doch einige bescheidene Fragen auf: Ist es somit nicht ebenfalls verfassungswidrig, dass die Minderheit körperbehinderter Menschen in diesem Lande auf Barrierefreiheit pocht? Und diese Minderheit der chronisch Kranken, die medizinisch versorgt sein will auf Kosten aller - ist das nicht ein eklatanter Fall von Verfassungswidrigkeit? Wo steht eigentlich in der Verfassung geschrieben, dass die Minderheit alleinerziehender Eltern auf Kosten der Allgemeinheit unterstützt werden sollen?

Wer Verfassungsmäßigkeit alleine an Minderheit und/oder Mehrheit ausrichtet, der muss sich selbst fragen lassen, ob er nicht irgendwie eine verfassungswidrige Ansicht hegt. Ach ja, bevor ich es vergesse, noch eine Frage: Ist es nicht auch irgendwie verfassungswidrig, dass die Minderheit der Aktienbesitzer maßgeblich das Fernsehprogramm für alle gestaltet? Ist das nicht auch Oligarchie, eine Herrschaft der Wenigen über die Vielen?

Ich meine, der Mitgliederentscheid wird als blöder Witz enden. Die Zustimmung wird immens sein. 75 Prozent Zustimmung scheint nicht ausgeschlossen. Wir kennen sie ja, die Sozialdemokraten. Wenn es darauf ankommt ... ich wiederhole mich. Das haben auch die besorgten Staatsrechtler eingesehen, deswegen haben sie kein großes Fass aufgemacht. Sie bekommen ja ihre Regierung noch vor Weihnachten. Alles wird also gut. Warum also weiterhin die Mär von der Verfassungswidrigkeit aufrecht halten? Es ist halt doch nur eine Oligarchie der Ja-Sager und Abnicker.


14 Kommentare:

maguscarolus 9. Dezember 2013 um 08:44  

Es war doch nie anders, als dass verschwindend kleine mächtige Minderheiten einer unsolidarisch zersplitterten überwältigenden Mehrheit mit brutaler Gewalt ihren Willen aufzwangen. Nur wenige Weltsekunden lang sah es jeweils so aus, als könnten Mehrheiten ganze Völkerschicksale wenden, bis dann die ganze Gewalt doch wieder in wenigen Händen konzentriert wurde.
Die Macht des Geldes war in dieser Geschichte in irgendeiner Form immer mit dabei und hat in unseren Tagen alle anderen Maßstäbe, Werte und Machtmechanismen ersetzt.

The Mistaker 9. Dezember 2013 um 09:50  

Nun ja. Daß die Bundes- SPD seit 20 Jahren eher als Polit- Hure dasteht, sollte nicht überraschen. Überraschend ist auch nicht, daß die paar Hanseln aus der provinzialen Politebene, die noch an "echte" Sozialdemokratie glauben, totgesülzt werden. Im Übrigen hat die SPD wie kaum eine andere Partei im Laufe der vergangenen Jahrzehnte den neoliberalen Irrsinn mit sozialen Slogans dermaßen versucht zu übertünchen. Daß man nun in eine große Koalition einheiratet (oder einheiraten muss), ist schon absehbar gewesen. Minderheiten sind schnell totgeschrieben, weil deren Lobby eben nicht mächtig genug ist, dem neoliberalen Gestänker Paroli zu bieten. Ich aber kann nachts schlafen, weil ich es kommen sehen habe.

Anonym 9. Dezember 2013 um 10:05  

Bleiben wir doch einfach beim Koalitionsvertrag. Bei einem Koalitionsvertrag müssen alle beteiligten Parteien zustimmen, also nicht nur die SPD. Lassen wir uns doch noch mal den Anfang Ihres Artikels auf der Zunge zergehen. Zwei Staatsrechtler erklären da, der Mitgliederentscheid der SPD über den Koalitionsvertrag "könnte tatsächlich verfassungswidrig sein. Denn da entscheide eine Minderheit über die Zukunft aller im Lande. Also quasi oligarchische Zustände?" Falls es verfassungswidrig und quasi oligarchische Zustände sind, wenn ca. 472.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen, wie ist es dann bei der CDU und der CSU? Wer entscheidet da über den Koalitionsvertrag? Auch nur eine Minderheit von 472.000 Abstimmungsberechtigten? Oder das Parteipräsidium, das sind bei der CDU 17 Personen, oder der gesamte Bundesvorstand, dann hätten wir 60 Personen. In der Realität wird Merkel eh allein entscheiden. Also: 472.000 = Minderheit, verfassungswidrig, oligarchisch; 60 = nicht verfassungswidrig, eine Mehrheit, demokratisch? Wieviel muss als Staatsrechtler eigentlich von Zahlen verstehen? Wenn der SPD-Mitgliederentscheid aus den genannten Gründen tatsächlich verfassungswidrig sein sollte, dann hieße das, die einzige Möglichkeit, so etwas zu entscheiden, wäre ein Volksentscheid. Und für viele andere Fragen würde das dann auch gelten. Also: Warum ist der Punkt Einführung von Volksentscheiden nicht in den Koalitionsvertrag gekommen, wenn es nach Meinung solch grandioser Staatsrechtler offenbar die einzige Möglichkeit ist, zu demokratischen Entscheidungen zu kommen?

Anonym 9. Dezember 2013 um 11:15  

Wenn aber dann doch ein "Ja!" beim Mitgliederentscheid herauskommt, könnte man das Ergebnis ja immer noch als verfassungswidrig ansehen....

Peinhart 9. Dezember 2013 um 12:39  

Die Grundfrage erweiterter Herrschaft 'willst du, dass meine Horden über deine herfallen' ist von der Mehrheitsdemokratie um die eigentliche Schlacht verkürzt worden. Immerhin. Viel weiter sind wir aber nicht gekommen, und in den 'lustigeren' Momenten des Parlamentarismus ahnt man auch die Saalschlacht noch.

Hartmut B. 9. Dezember 2013 um 12:59  

Es ist in der Tat so, wir werden von wenigen beherrscht. Die BRD als Beispiel wird von 2 Personen beherrscht Springer und Mohn.... alle anderen sind Lakaien dieser Herrschenden....
Unsere Staatsrechtler, vielleich mit der großen Ausnahme von H. von Arnim
glaubten (und predigten) nie etwas anderes, als wir hätten die beste Demokratie aller Zeiten - Das jedoch sind alles gut dotierte Staatsdiener, die keinerlei Kritik wagen und ständig den Herrschenden nach dem Maul reden........ so isses......

Anonym 9. Dezember 2013 um 14:45  

Vielen Deutschen ist Demokratie suspekt, weil sie den Gedanken nicht ertragen können, daß ihre Meinungen nicht von der Mehrheit geteilt werden. Solange im Hinterzimmer entschieden wird, kann man sich alles mit VT erklären und darf sich als Teil einer heimlichen, schweigenden und unterdrückten Mehrheit fühlen.
Die Staatsrechtler blasen populistisch in dieses Horn und wenn dann einer ein Buch darüber schreibt, ist ihm der Verkaufserfolg ganz sicher gewiss.

Peinhart 9. Dezember 2013 um 15:52  

@Hartmut B - Nein, so isses nich. Die Stufe von Herrschaft, bei der man einfach auf Personen zeigen konnte, die haben wir mit dem Feudalismus tatsächlich hinter uns gelassen. Oder glaubst du ernsthaft, wenn irgendeine neue RAF die beiden Damen dahinmorden sollte, geriete deswegen das Machtgefüge dieser Republik auch nur für Stunden durcheinander?

Manfred 9. Dezember 2013 um 16:07  

Ist es nicht verfassungswidrig, wenn eine Minderheit von Staatsrechtlern, Verfassungsrechtlern oder Politologen bestimmen will, was verfassungswidrig ist und was nicht?

landbewohner 9. Dezember 2013 um 17:52  

zdf propagandafunk - immer auf unterstem niveau und so saudummm, daß man sicher sein kann, die dort verantwortlichen hätten weder beim ddr-staatsfernsehen geschweige denn in der "freien werbewirtschft" je eine anstellung erreicht.

Anonym 9. Dezember 2013 um 19:10  

Oligarchen / Funktionäre / Lobbyisten

BVerfGE 2, 1 – SRP-Verbot
Rn. 41
„... Lebendiges politisches Leben könnte dann zugunsten eines bloßen Funktionärtums erstickt, der echte Politiker in die politische Vereinzelung getrieben werden. Daß damit letztlich auch Gefahren für den demokratischen Staat selbst heraufbeschworen werden können, mag unter Hinweis auf das Verhalten der demokratischen Parteien bei ihrer Entmachtung und anschließenden Vernichtung durch die NSDAP im Jahre 1933 hier nur angedeutet werden. “
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv001002.html

Die verbotene Willkür unter der NSDAP, der "Unterdrückung; Diskriminierungen; Ausbeutung und Enteignungen etc.", heute unter Hartz IV, wurde bereits vom BVG einmal zur Verurteilung herangezogen.
vgl. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006132.html Rn. 126 - 144
Das was da verurteilt wurde findet man fast 1:1 unter Hartz IV wieder!

Die christliche CDU/CSU reist unter falscher Flagge, Wählertäuschung. Es sind Capitalisten einer Diktatorischen Union der Lobby mit ihrer – Todsünde der Gier – für Banken; Versicherungskonzerne; Waffenlieferanten und Globalplayer.
Zudem ist es absolut unverständlich wie – viele Christen – die CDU/CSU wählen können. Glauben die ~ 41% Wähler das Sie zu den Reichen – der Todsünde der Gier – gehören? (Das schreit nach Pisastudie, Ethik - Schizophrenie )
Selbst der Papst ist gegen diese Politik:
http://www.vatican.va/holy_father/francesco/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium_ge.html#Nein_zu_einer_Wirtschaft_der_Ausschlie%C3%9Fung

Anonym 9. Dezember 2013 um 19:52  

Na toll

"Hartz IV Bezieher sollen nach Plänen der künftigen schwarz-roten Bundesregierung in den ersten zwölf Monaten ihrer Beschäftigung vom Mindestlohn ausgeschlossen werden"
(http://bit.ly/IWc2GE)

Bei Achtfuffzich pro Stunde und ca 130 bis 150 Stunden im Monat stocken die meisten wohl auf.
Also bekommen sie keinen Mindestlohn :p und damit weniger als 8,50.

Letztendlich bedeutet dies, dass der Mindestlohn nur für die gilt, die jetzt noch mehr verdienen. Super ausgedachte Volxverdummung.

Hartmut B. 9. Dezember 2013 um 20:37  

@Peinhart

Hier hab ich mich total abstrakt ausgedrückt - natürlich geb ich Dir Recht - Ich habs halt vom Symbolcharakter her gesehen. Die Machtstruktur der BRD würde sich natürlich nicht verändern....
Im konkreten Sinne ist das natürlich total übertrieben.... doch ich wollte damit zum Ausdruck bringen, daß dieses Land de facto eine Oligarchie ist...... mehr nicht......
Wenn Du aber meinen Kommentar als Aufruf zu einem potentiellen Mord, auslegst, dann tust mir Leid.............. so long......

The Mistaker 12. Dezember 2013 um 10:07  

Ein kurzer Nachtrag:

Ich bin über die Entwicklung der sozialen Demokratie schier verzweifelt. Ich trinke,ich rauche und was am schlimmsten ist, ich habe resigniert. Diese Welt aus FC Bayern und Deutsche Bank liegt mir nicht. Dummerweise habe ich aber zwei Kinder, für die es sich lohnt, weiter anzustänkern.
P.S.: ad sinistram ist seit Jahren eine vielgelesene Seite, Danke dafür, daß ich mich nicht so allein fühlen muß.

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