Brandgefährlich

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Heute wäre der, dessen Namen hier nur angedeutet wird, 100 Jahre alt geworden.

Auferstanden aus dem Reich der Toten, trat er vor jene Parteizentrale, die seit geraumer Zeit seinen Namen trug. Behutsam tastete er sich Richtung Eingang, betrat das Atrium und verharrte einen Augenblick vor einer Skulptur, die einen zerknautschten, verknitterten Greis wiedergab. Sie trug zu seiner Überraschung seinen Namen auf dem Sockel. Zur Begutachtung abgestandener Kunst ward er jedoch nicht erneuert, weswegen er schnell weiterstrebte, weiter nach oben, dorthin wo die parteiliche Macht gärte, wo Entscheidungsträger ihre Hintern in weiche Ledersessel pflanzten, wo er mit solchen sprechen konnte, die nun seinen Posten, sein ehemaliges Amt innehatten. Aber just in jenem Moment, da er die Anmeldung passierte, faßte man ihn am Arm, forderte ihn auf anzuhalten, sprach ihn sofort mit seinem bürgerlichen Namen an, jenem Decknamen, den er sich in Exiljahren aneignete und unter dem er zu Amt, Würden und Auszeichnungen kam.

Halt, verweilen Sie bitteschön, hieß ihn ein junger Mann. Ihr Kommen wurde mir angekündigt, man hat mich an jenem Tage, da ich diese Stelle antrat, vor Ihrer Wiederkunft gewarnt; man warnte mich, noch bevor ich in die Funktion der Telefonanlage eingeweiht wurde, bereits beim Einstellungsgespräch kam man schon auf Sie zu sprechen. Halten Sie ihn auf, wenn es je dazu kommt, dass dieser Herr dieses Haus betritt, belehrte man mich. Halten Sie ihn davon ab, uns hier droben aufzusuchen, damit er uns aus seinem angesäuerten, verdrossenen Gesicht heraus zürnt. Ich fragte, mich etwas dumm stellend: aber das ist doch der, na, wie hieß er noch?... und sie sagten mir: ja, das ist er! Keine Fragen dazu, schnitt man mich ab. Wir ahnen, dass er zurückkommt, wir glauben, dass er keinen ruhigen Schlaf finden wird - wenn es so kommt, junger Mann, dann sind Sie unser Bollwerk. Löschen Sie den Brand, bevor er überhaupt erst anfacht.

Ihre eigentliche Aufgabe, teilte man mir damals mit, ist dann gekommen, wenn er zurückkehrt, wenn er zu den Liften strebt, wenn er uns an den Kragen will, von uns wissen will, warum alles so anders kam, so viel weniger demokratiewagend, so viel weniger teilhabend - Telefonanlagen, sagte man mir, sind ja keine berufliche Erfüllung; auf die Rückkehr eines Messias zu warten, wenn nötig Jahre, Jahrzehnte, sich dann in den Weg zu stellen, ihn abzuschütteln, fernzuhalten: das ist wichtig, erfüllend, sinnstiftend, das ist eine tatsächliche, eine richtige Aufgabe. Bleiben Sie also unten, streben Sie nicht hinauf, riet man mir. Und ich rate es Ihnen ebenso: bleiben Sie unten, gehen Sie nicht hinauf. Ich bitte Sie inständig! Sehen Sie ein, dass Ihre Zeit vorbei ist, dass die Zeiten einer Partei, die wenigstens so tut, als würde sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, grundlegend vorbei sind. Erkennen Sie bitte, dass Sie nicht mehr gebraucht werden!

Das heißt, Sie werden schon gebraucht. Dringlich gebraucht! Als überhöhtes Bild, als Konterfei nicht nur im Atrium, auch in der Parteihistorie, in der Ahnengalerie. Sagen zu können, wir sind die politischen, parteilichen Kinder dieses Mannes, seine politischen Erben, seine Enkel und Urenkel, "von seinem Geist, durch ihn geschweißt" - all das behaupten zu können, das ist märchenhaft für ein parteiliches Image. Auch dann, wenn die aktuelle Partei mit Ihnen, dem Heiland, wenig bis gar nichts mehr gemein hat. Das sagen nicht die hohen Herren - das sage ich. Wenn man Jahre Zeit zum Nachdenken hat, weil man auf seinen Godot wartet, der möglicherweise genauso zuverlässig ist wie Becketts Entwurf, wenn man als Lohnabhängiger in die Rolle eines Estragon gerückt wird, dann denkt man automatisch über das Warum nach - was treibt diese alten Pfennigfuchser dazu, jemanden wie mich hier entgeltlich warten und beobachten zu lassen? Die Angst, sage ich Ihnen - die Angst! Sie ist es, die mir großzügige Monatslöhne überweist!

Sie fürchten sich vor Ihnen. So sehr, dass sie Sie nicht mal vor Augen bekommen wollen. Dort wo Sie waren, dort waren Sie denen gerade richtig. Sie hatten ihren Laden im Griff, konnten Sozialabbau betreiben, gegen die eigene Parteibasis angehen, haben beschissene Wahlergebnisse überlebt - und dann kommen Sie, in dessen Tradition sie sich wähnen, sich darstellen. Dann stehen Sie plötzlich da, jemand der Freiheit postulierte - eine Freiheit, die die Klientel dieser Partei gar nicht mehr kennt, vielleicht gar nicht mehr will. Die Köpfe der Partei wollen diese Freiheit natürlich schon - für sich selbst. Ihre Rückkehr nährt Hoffnungen, verstehen Sie? Die Menschen würden wieder anfangen an Freiheit zu glauben, auch wenn Sie Entscheidungen mitgetragen haben, die Ihrem Motto, Ihrer damaligen Brandrede, nicht gerecht wurden. Dabei hat diese Partei es so weit gebracht, den Menschen diesen freiheitlichen Irrsinn aus den Kopf zu blasen. All das geschah auch in Ihrem Namen; Ihre politischen Enkel beschmutzten Ihren Namen - man erzählte den Menschen, man hüte Ihr Vermächtnis, jedenfalls so gut es gehe. Sie geben eine tolle Statuette ab, einen feinen historischen Namen, mit Ihnen schmückt man sich gerne - der Emigrant, der Sie waren, das uneheliche Kind, als das man Sie damals verunglimpft hat: das ist alles vorbei. Heute sind Sie ein Markenname, eine schwelgerische Erinnerung, die gute alte Zeit von früher. Aber nur leblos nutzen sie denen, nur schweigend, nur... sagen wir es doch offen: nur tot.

Was soll ich ihm denn sagen, wenn er wirklich je zur Türe reinmarschiert, habe ich meine Arbeitgeber gefragt. Er wäre ja ein alter Mann, auch nach so einer Rückkehr, die so weit ich es überblicken kann, bisher nur einem Messias vor ihm gelang, wird er vermutlich in einem greisen Körper daherkommen. Fragen Sie ihn, meinten Sie darauf, wie er es nur wagen konnte, einfach so ins Leben zurückzukehren - fragen Sie ihn, ob er sich nicht schämt. Fragen Sie ihn, ob ihm die Sentenz von Jefferson bekannt ist, wonach jede Generation ihre eigene Gegenwart gestalten, ihre eigene Politik betreiben müsse! Denn das sei es, weshalb Sie sie nicht mehr hier haben wollen - jetzt seien die Nachfolgegenerationen dran. Und wenn diese nicht mehr Demokratie oder mehr Freiheit wagen wollten, dann sei das rechtens. Erinnerungen seien eine Voraussetzung für die Zukunft, haben sie gesagt. Nichts für einen Chefsessel in höheren Stockwerken. Wie ich Ihnen ja erläuterte, man liebt die Erinnerung an Sie, man nimmt sie mit in die Zukunft - doch sie verblaßen, bleichen aus. Später weiß man oft nicht mehr, was wahr, was ersponnen ist. Man hat Sie gerne als Übermenschen im Kopf, nicht als Menschen aus Fleisch und Blut, der Sie ja waren. Ein Mensch mit Schwächen, Frauen liebend, an Depressionen leidend - das leugnet man heute nicht, das gehört heute zu Ihrem posthumen Markenzeichen, womit auch diese Menschlichkeit-Allzumenschlichkeit zum übermenschlichen Attribut wird. Ihre Fleischwerdung ist ja ein weltliches Ding, denn Sie sind da, wieder in der Welt - man liebt aber den himmlischen Klimbim, die vergeistigte Fleischwerdung eines Heiligen. Keine Partei kann vom Fleisch leben, jede lebt vom Image, vom Ruf, von der Tradition und den Köpfen, die die Partei formten.

Steigen Sie nicht in den Lift! Seien Sie vernünftig. Lassen Sie dieser Generation ihre Politik - wobei diese Generation gar keine Politik hat: sie hat nur Politiker, die wiederum Politik für eine Handvoll Ganoven betreibt. Sagen wir es also anders: Lassen Sie dieser Generation das Desinteresse an Politik, die Verdrossenheit, das Leck-mich-am-Arsch-Gefühl, lassen Sie uns unseren unpolitischen Anstrich, der hernach immer in politischen Katastrophen endet. Steigen Sie nicht ein, drehen Sie um - gehen Sie bitte zurück, dorthin, wo Sie dieser Partei, meinem Brotgeber am nützlichsten sind. Ein guter Parteisoldat würde nun folgen, würde sich ins kühle Grab legen und seine Rolle ausfüllen - zum Wohle der Partei! Nicht in den Lift, ich bitte Sie. Sie würden ja ohnehin nichts bewirken, man würde Sie ausschimpfen, Sie verbal an die Wand stellen, wenn man es nicht schon vorher physisch tut, dort im Lift beispielsweise. Ruinieren Sie dieser Partei doch nicht ihr schönstes Kapitel, diese schöne morsche Erinnerung an bessere Tage; nehmen Sie ihr doch nicht diese blendende Hoffnung, dass es irgendwann mal wieder so kommen könnte - tot sind Sie zu gebrauchen, lebend als Oppositioneller des heutigen Parteigeistes, entweihen Sie sich, ziehen Sie sich Argwohn zu, sind Sie zum Abschuss freigegeben. Auf wen sollen sich die heutigen Parteiführer denn berufen, wenn nicht mehr auf Sie? Sie nehmen den Leuten ja ihre politische Identität - solchen Leuten, die wegen Ihnen ein Parteibuch ergatterten und nachher erst zu den Schweinen wurden, die sie heute sind. Bleiben Sie also, trinken Sie noch einen Kaffee, er geht aufs Haus - aber nicht in den Lift steigen!

Schweigend schlurfte der Wiedergekehrte gen Aufzugsbereich, drückte den Knopf, wartete, blickte zurück zum jungen Mann an der Telefonanlage, vernahm ein Klingeln und stand einer Fahrkabine gegenüber, die schon von zwei jungen Männern belegt war, in der er aber noch Platz fand. Die Schiebetüre schloss sich, die beiden Männer nestelten an seinem Körper, an seinem Hals, wurden grober und es ward ihm plötzlich wieder so dunkel vor Augen wie damals, als er schon einmal starb...

Dieser Text erschien bereits im September 2010 bei ad sinistram.


2 Kommentare:

Anonym 18. Dezember 2013 um 08:51  

ANMERKER MEINT:

Dieser Text ist heute so richtig wie im September 2010. Und er zeigt wieder, wie wenig lernfähig Politiker sind. Aber es sollte doch nicht vergessen werden, dass die Ikone Brandt gleichzeitig mit dem Slogan "Mehr Demokratie wagen" eine der gewaltigsten Gesinnungsschnüffeleien der BRD eingeleitet hat, indem der dem sogennanten Radikalenerlass zugestimmt hat, in dessen Folge die Demokratie mehr beschadet als gewagt wurde. Gut, er hat später eingesehen, dass dies ein Fehler gewesen sei, was wiederum eine gewisse Größe zeigt, aber den Brunnen, den er mit vergiftet hatte, den konnte er damit nicht mehr reinigen. Kommunistenhatz und mehr als probates Mittel, nicht zu viel "Demokratie zu wagen", eigentlich nicht wieder gut zu machen, auch nicht mit einer Entschuldigung. Was da in die Herzen und Hirne der Deutschen gepflanzt wurde, ist uns bis heute als schreckliches Erbe gegenwärtig.

MEINT ANMERKER

Anonym 19. Dezember 2013 um 11:51  

"[...]Kommunistenhatz und mehr als probates Mittel, nicht zu viel "Demokratie zu wagen", eigentlich nicht wieder gut zu machen, auch nicht mit einer Entschuldigung. Was da in die Herzen und Hirne der Deutschen gepflanzt wurde, ist uns bis heute als schreckliches Erbe gegenwärtig[...]"

Und das wo der eigentliche Kommunismus seit 1992 schon mausetot ist, weil er sich selbst erledigt hat, und zwar ganz ohne Sozen oder Grüne oder auch nur Unionisten & sonstige Antikommunisten.

Die Kommunismusblase ist einfach von selbst zerplatzt, und hat den Weg für die Neoliberalen erst gebahnt mit diesem Selbstmord des Kommunismus/Sozialismus weltweit.

Im Punkt geb ich dir aber recht, denn wer was für eine Repulik Deutschland ohne diesen unseligen "Radikalenerlaß" geworden wäre, der übrigens nur für "Linke" nie für Rechte, Rechtsterroristen, alte Nazis & sonstige Fanatiker galt, die nach 1945 weitermachen konnten als wäre nie was geschehen, und nach 1968 erst recht - in Deutschlands Amtsstuben.

Brandt hat da wirklich Geister gerufen, die wir bis heute nicht loswerden - wie manch CDUler zeigt, der keinerlei Berührungsängste zur Schillpartei, und heutigen (Neo-)Nazis hat - nur verbal grenzt die CDU sich ab, aber ansonsten ist man immer dabei wenn es heißt: "Neben uns gibt es keine rechte Partei in Deutschland."

Kein Wunder, dass es keine rechtspopulistische Partei - wie in der letzten großen Weltwirtschaftskrise gibt. Die Rolle hat doch bereits die CDU/CSU/FDP eingenommen, und im Zweifel sogar die Seeheimer der SPD, und Grüne Realos.

Wozu einen zweiten Hitler, als starken Mann, eine starke Frau Europas alias Valküre Merkel reicht da doch völlig aus.....

Zynischer Gruß
Bernie

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP