Über die Herbei-Attestierung der Unzurechnungsfähigkeit

Mittwoch, 8. Mai 2013

Der neueste Schrei zur moralischen Entlastung von Steuerhinterziehung ist deren Pathologisierung. Hoeneß, der sinnbildlich für andere wohlhabende Steuerflüchtlinge steht, habe nämlich nicht aus blanker Gier oder elitärer Misanthropie so gehandelt, sondern weil er schlicht und ergreifend süchtig war. Einige Experten verstiegen sich sogar dazu, Hoeneß und Konsorten für glücksspielsüchtig zu erklären.

Ist also Mitleid angebracht für diese Menschen, die sich nicht unter Kontrolle haben, die einer komplizierten Verhaltenssucht erlegen sind? Hoeneß ein pathologischer Spieler und impulskontrollgestört und letztlich mehr Opfer als Täter?

Der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz erklärt in seinem Buch Irre! - Wir behandeln die Falschen unter anderem, dass es grober Unfug sei, Menschen, die keine psychologische Behandlung anstrebten, eine psychologische Krankheit andichten zu wollen. Aus medizinischer Sicht müsse man sogar von einem Missbrauch der Psychiatrie sprechen. In den letzten Jahren habe man Methoden entwickelt, so Lütz weiter, mit denen man auch bei gesund erscheinenden Menschen gewisse psychische Defizite sichtbar machen könne. Die Aberkennung des Begriffs Gesundheit für solche Menschen sei aber ethisch nicht vertretbar. Aufgabe der Psychiatrie sei nicht, alle Menschen für per se krank zu erklären, sondern den wirklich kranken Menschen zu helfen.

Schon hier scheitert der Versuch, den reichen Steuerbetrüger als von Krankheit getriebenen Menschen bewerten zu wollen. Ein gewisses Defizit im Bezug auf finanzielle Maßlosigkeit, macht noch keinen psychisch kranken Menschen, keinen Suchtkranken.

Die Sucht ist nicht lediglich eine lapidare Bezeichnung. Sie geht etymologisch betrachtet auf das Wort "siechen" zurück und ist damit programmatisch "an ein niedergehendes Ziel" gebunden. Sie beinhaltet, dass da jemand "bis zum bitteren Ende" seiner (nicht-)substanzgebundenen Abhängigkeit folgt, ohne Rücksichtnahme, ohne Vernunft. Und geht dabei die Ehe vor die Hunde, droht auch der Bankrott: Die Sucht kennt keine Einsicht, obgleich sie den Süchtigen nicht völlig unzurechnungsfähig macht. Der weiß in lichten Augenblicken von dem Dilemma und geht sehenden Auges in seinen Niedergang. Der Glücksspielssüchtige kennt die drohende Pleite und wird dennoch schwach, kann nicht an sich halten. War bei Hoeneß' Zockerei und die damit verbundene Hinterziehung jemals der Bankrott absehbar? Hat seine Familie unter "seiner Sucht" gelitten? War der Niedergang programmiert? Es ist ein Hohn, einen saturierten Menschen mit wirklich Glücksspielsüchtigen zu vergleichen, die beinahe jeden Tag sich und ihre Familien zwanghaft in ein Jammertal hineinspielen.

Und es ist überdies ein derber Missbrauch von Psychiatrie, jemanden, der so offensichtlich nicht unter "seiner Sucht" litt, als krankhaften Charakter hinzustellen. Wenn ein gewisses Defizit eines Menschen nicht als Beeinträchtigung wahrgenommen wird, so schreibt Lütz, dann gibt es keinen Therapieansatz und man kann in einem solchen Falle auch nur sehr bedingt von Erkrankung sprechen. Hat Hoeneß' Defizit je sein Leben beeinträchtigt? Er hat ja dem Affen nun selbst Zucker gegeben, indem er die an ihn gerichtete Frage, nach einer etwaigen Sucht nicht verneinte. An einen suchtbasierten Mangel an Lebensqualität scheint er jedoch trotzdem nie gelitten zu haben.

Was hier betrieben wird ist die Verballhornung von Menschen, die wirklich an einer nicht-substanzgebundenen Abhängigkeit leiden. Menschen, die ihr Alltagsleben qua Sucht nicht mehr begehen können, die sich gesellschaftlich isolieren und sozial ausgrenzen, die sich aus Scham zurückziehen und nicht selten dem körperlichen Verfall überschreiben. Wollen Hoeneß und die Medien, die ihm Stichwortkarten hinhalten, auf dem Rücken wirklich Süchtiger einen Kurs der Reinwaschung reiten?

Die per Sucht pathologisierte Determinierung aller Steuerbetrüger ist nichts weiter als eine herbeiattestierte Unzurechnungsfähigkeit ohne Anhaltspunkte für eine seriöse Diagnose. Aus einem Akt von Standesdünkel und elitärer Megalomanie im Bezug auf Steuererhebung wird so ein krankhaftes Verhalten stilisiert. Hoeneß und Kollegen sind nicht krank oder glücksspielsüchtig, sondern einfach nur viel zu reich und viel zu selbstverliebt.


8 Kommentare:

Anonym 8. Mai 2013 um 08:05  

"[...]Hoeneß und Kollegen sind nicht krank oder glücksspielsüchtig, sondern einfach nur viel zu reich und viel zu selbstverliebt[...]"

Zustimmung.

Übrigens, ich sehe bei der zunehmenden Zuschreibung von angeblich psychischen Krankheiten noch ein ganz anderes Problem auf uns zurollen.

Hier der Hinweis warum ich darauf komme:

"[...]US-Psychiater Allan Frances warnt vor Kollegen, die am liebsten jeden Menschen mit Alltagsproblemen für verrückt erklären wollen[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/persoenlichkeit/tid-30968/interview-mit-psychiater-allen-frances-eine-diagnose-ist-wie-eine-ehe_aid_974126.html

...ab Mai 2013 ist nämlich die Klassifizierung psychischer Störungen neu geregelt worden, die Mr. Frances hart kritisiert....

Gruß
Bernie

Gruß
Bernie

endless.good.news 8. Mai 2013 um 08:22  

"Ist also Mitleid angebracht für diese Menschen, die sich nicht unter Kontrolle haben, die einer komplizierten Verhaltenssucht erlegen sind? Hoeneß ein pathologischer Spieler und impulskontrollgestört und letztlich mehr Opfer als Täter?"

Bist du arm und Alkoholiker ist es deine Schuld. Bist du reich und ein Dieb, dann ist es die Schuld der Gesellschaft da sie dich zum stehlen genötigt hat.

http404 8. Mai 2013 um 08:46  

Hoeneß und Kollegen sind nicht krank oder glücksspielsüchtig, sondern einfach nur viel zu reich und viel zu selbstverliebt.

Das sehe ich auch so. Manche Menschen schwimmen im Geld und werden dann noch verehrt, wenn sie ein paar Tausender spenden.

Nicht umsonst sind Charity-Veranstaltungen die Beschäftigung von Menschen, die im Luxus leben und sich und ihrem Leben damit einen Sinn zu geben versuchen, natürlich ohne auf den unermesslichen Reichtum zu verzichten. Dabei werden sie dann von Fernseh- und Presse begleitet und unters Volk gebracht.

Ein Mann wie Hoeneß kommt mir immer vor wie jemand, der seine schlechten Seiten mit seinen guten Taten überdecken will.

altautonomer 8. Mai 2013 um 09:32  

Stichwort ADHS/Ritalin:
Der Verbrauch von ADHS-Medikamenten stieg in Deutschland in nur acht Jahren von 34 kg (1993) auf die Rekordsumme von sage und schreibe 1760 kg (2011) – das ist ein 51mal grösserer Umsatz!

cui bono?

Hartmut B. 8. Mai 2013 um 10:01  

Ein Superartikel, der dieses Thema in dieser Kürze nicht besser beschreiben kann. Dafür vielen Dank, Roberto.

Ich bin erstaunt, wie Du so ein schwieriges Thema in allem Wesentlichen beschreibst.

Für Interessierte möchte ich zwei Bücher nennen, die ihnen ein wenig helfen können.

Im Zeitalter der Sucht, Anne Wilson Schaef

und

Vom Hintergrund der Süchte, Raymond Battegay

Dirk 8. Mai 2013 um 11:20  

Netter Versuch der Erklärung… Jeder, der sich schonmal mit Börsenspekulation und sei es auch nur in Form eines der früher sehr beliebten Börsenspiele befasst hat, kann über diesen weiteren Versuch, den Hoeneß irgendwie wieder weiß zu waschen, nur müde lächeln. Schon um ein paar Zehntausend Euronen zu “erspielen”, braucht es einen enormen Zeitaufwand, das schafft man nicht einfach so nebenbei und schon gar nicht als Manager eines Bundesligaklubs.

Anonym 8. Mai 2013 um 11:50  

ANMERKER MEINT:

Ein weiterer Diagnosepunkt in diesen sogeannten Causas ist die pure Gier, die ohne Rüchsicht auf Verluste walten gelassen wird. Die Gier, der der Kapitalismus breiten Raum gibt. Wo kam sie denn her, die Finanzkrise des Jahres 2008: unter anderem aus der gierigen Grundhaltung der Kapitlabesitzer und -vermehrer. Hier wurde mit Existenzen gespielt und gezockt und Herr Hoeneß war mitten drin im Zockersumpf. Mein Mitleid hält sich in Grenzen mit einem Menschen der nicht umsonst einer FußballAG vorsteht, die nichts anderes tut wie der Privatmann Hoeneß: Sie kauft beste Aktien auf vulgo Spieler und das so be-gierig, dass bald nur noch gegen Statisten gespielt werden muss. Herr Hoeneß wurde vom Aufsichtsrat bestätigt, hat also quasi die Lizenz zum Weitergieren erhalten und der Aktionär ists zufrieden und dankt Herrn Hoeneß für seine Spiel(er)sucht. Mitleid? Nicht nötig!

MEINT ANMERKER

maguscarolus 8. Mai 2013 um 20:50  

Das dämonisierende "GIER" kann ich kaum noch ertragen. Ist es nicht vielmehr einfach dieses "Weshalb soll mir nicht dasselbe zustehen wie dem da? Soll ich deshalb etwa ein schlechtes Gewissen haben?"

Wenn alle den Beruf des Raubritters ausüben kann es doch nichts Schlechtes sein?

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