Lieber arrogant als gefesselt
Montag, 13. Mai 2013
Die von den Medien inszenierte Öffentlichkeit empört sich regelmäßig über Angeklagte, die vor ihren Richter nicht ausreichend unterwürfig und demutsvoll erscheinen. Das befindet man für arrogant, taktlos oder gar höhnisch. Mir jedenfalls ist es lieber, Angeklagte geben sich so wenig reuevoll, als dass sie in Fesseln zur demütigen Haltung gezwungen werden.
Eine reuevolle Körperhaltung
Ohnehin muss ein Rechtsstaat Angeklagte ohne augenscheinliche Reue aushalten können. Zumal ein feixender, sich arrogant gebender Auftritt nicht per se mit Uneinsichtigkeit korreliert. Äußere Haltung und Innenleben sind zuweilen schrecklich diametral entgegengesetzte Indikatoren. Man lächelt manchmal im dämlichsten Augenblick, gibt sich stark, wo man schwächelt. Das Verhalten eines Angeklagten sagt grundsätzlich nichts oder nur sehr wenig über dessen Innenleben aus. Und es ist so gesehen seine Privatangelegenheit, auch wenn es in aller Öffentlichkeit geschieht.
Grundsätzlich ist die in den Medien thematisierte Frechheit von Angeklagten, deren fehlende Reue und Einsicht, die man schon im Gerichtssaal erkennen möchte, ein falscher Ansatzpunkt. Denn Angeklagte sind unschuldig, bis deren Schuld bewiesen und von einem Richter verifiziert wird. Warum also schon vor Schuldspruch reuevoll in den Saal treten? Das ist weder nötig und aus Sicht der Verteidigung sogar noch kontraproduktiv.
Überhaupt ist da eine öffentliche Haltung zu erkennen, die sich bußfertige Sünder für das Blitzlichtgewitter wünscht. Angeklagte, denen schon die Sühne in die Körperhaltung gelegt ist. Denen schon im Gesicht die Schuld eingefurcht ist. Man glaubt, das könnten Opfer und Öffentlichkeit verlangen. Tritt dann jedoch jemand anders als erwartet vor seinen Richter, so wie neulich Zschäpe, glaubt man darin schon die gesamte Selbstgerechtigkeit und den Fanatismus des Angeklagten sehen zu können. Trotz Anklage nicht als Person von trauriger Gestalt aufzutreten: Das nennt diese Erwartungshaltung dann Arroganz. Für die Medien ist die Arroganz etwaiger Täter (aktuell die der Zschäpe) indes nur ein Mosaikstein im modernen Gerichtsjournalismus, der nur bedingt juristisch bewandert, dafür aber mit einem Gespür für Menschliches aufwarten soll.
Einen reuevollen Auftritt herbeifesseln?
Die Zeiten, da man einen Angeklagten mit allen Mitteln brach, sein Auftreten in demütige Bahnen steuerte, indem man ihm Ketten anlegte oder die Hosenknöpfe abschnitt, sind vorbei. Diese Maßnahmen sind mit dem Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit nicht mehr vereinbar. Dennoch scheinen sie immer noch in den Menschen verankert zu sein, dennoch schielen sie unbewusst auf die physisch erzwungene Bußfertigmachung.
Mit einer Zschäpe, die nach der allgemeinen Deutung der Medien arrogant wirken mag, die mit ihren Anwälten fast flirtet, kann ich persönlich allerdings viel besser umgehen als mit einer, die man in Fesseln und Gefangenenkluft vorgeführt hätte. Man kann sich zwar über die laxe Zschäpe ärgern, aber es ist gleichwohl ein Zeichen von Rechtsstaatlichkeit, wenn sie sich so bewegen darf. Alles andere wäre eventuell populärer gewesen, hätte man aber als rechtsstaatlichen Rückschritt ansehen müssen. Insofern sind die Unkenrufe fehlender Reue im Gerichtssaal nicht zielführend, denn das sind Stimmen aus einer Zeit, da schon die Anklage als Beweiselement für die Schuld galt (das lese man gesondert bei Foucault, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, nach) und in der man aus Gründen der Kenntlichmachung dieses Umstandes, den Angeklagten zur devoten Haltung zwang.
Die Arroganz nicht anklagen, sondern gönnen
Von der menschlichen Warte aus kann man natürlich verstehen, dass es für die Geschädigten unerträglich ist, wenn da jemand ohne physisch sichtbarem Schuldeingeständnis den Saal betritt. Objektiv betrachtet ist es eher unwesentlich. Man kann das Benehmen von Menschen weder steuern noch erzwingen, man kann es nur hinnehmen - auch wenn es unangenehm ist. Und gerade in diesem Prozess gegen die tödliche Intoleranz ist das Hinnehmen als demokratisches Prinzip dringend geboten. Zu empfehlen wäre daher, etwaiges höhnisches oder provokantes Verhalten dieser Angeklagten (Zschäpe ist ja nicht alleine angeklagt) gar nicht erst zu thematisieren, es als Beiwerk, als Schau zu ignorieren. Was juckt dieses Verhalten den Rechtsstaat schon? Seine Gerichte haben emotionale Affekte wie das Verhalten der Angeklagten vor der Öffentlichkeit auszublenden. Sie arbeiten steril und unterkühlt, lassen sich nicht beirren - so will es wenigstens die Theorie, so sollte es sein.
Es ist insofern natürlich eine ironische Episode. Da lamentiert der Rechtsextremismus über die Herrschaft der Gutmenschen und erhält gutmenschlich die Freiheit der Arroganz im eigenen Strafverfahren. Das provokante Geflirte der Zschäpe ist insofern viel mehr als das Verhalten einer angeklagten Frau: Es ist ein rechtsstaatliches Bekenntnis. Daran sollten die Geschädigten denken. Wenn die ausgeschlachtete Arroganz (wenn es denn überhaupt Arroganz ist!) dieser Frau überhaupt zu etwas gut sein soll, dann dafür, sagen zu können, dass sie relativ frei agieren kann vor ihrem Richter, nicht zur Demut gezwungen wird, dass sie sogar das Recht hat, sich in dümmlicher Selbstinszenierung zu üben. Die Geschädigten sollten das nicht nur hinnehmen, sondern es ihr geradezu gönnen. Denn es führt das Gedankengebäude dieser Neonazis ad absurdum.
Eine reuevolle Körperhaltung
Ohnehin muss ein Rechtsstaat Angeklagte ohne augenscheinliche Reue aushalten können. Zumal ein feixender, sich arrogant gebender Auftritt nicht per se mit Uneinsichtigkeit korreliert. Äußere Haltung und Innenleben sind zuweilen schrecklich diametral entgegengesetzte Indikatoren. Man lächelt manchmal im dämlichsten Augenblick, gibt sich stark, wo man schwächelt. Das Verhalten eines Angeklagten sagt grundsätzlich nichts oder nur sehr wenig über dessen Innenleben aus. Und es ist so gesehen seine Privatangelegenheit, auch wenn es in aller Öffentlichkeit geschieht.
Grundsätzlich ist die in den Medien thematisierte Frechheit von Angeklagten, deren fehlende Reue und Einsicht, die man schon im Gerichtssaal erkennen möchte, ein falscher Ansatzpunkt. Denn Angeklagte sind unschuldig, bis deren Schuld bewiesen und von einem Richter verifiziert wird. Warum also schon vor Schuldspruch reuevoll in den Saal treten? Das ist weder nötig und aus Sicht der Verteidigung sogar noch kontraproduktiv.
Überhaupt ist da eine öffentliche Haltung zu erkennen, die sich bußfertige Sünder für das Blitzlichtgewitter wünscht. Angeklagte, denen schon die Sühne in die Körperhaltung gelegt ist. Denen schon im Gesicht die Schuld eingefurcht ist. Man glaubt, das könnten Opfer und Öffentlichkeit verlangen. Tritt dann jedoch jemand anders als erwartet vor seinen Richter, so wie neulich Zschäpe, glaubt man darin schon die gesamte Selbstgerechtigkeit und den Fanatismus des Angeklagten sehen zu können. Trotz Anklage nicht als Person von trauriger Gestalt aufzutreten: Das nennt diese Erwartungshaltung dann Arroganz. Für die Medien ist die Arroganz etwaiger Täter (aktuell die der Zschäpe) indes nur ein Mosaikstein im modernen Gerichtsjournalismus, der nur bedingt juristisch bewandert, dafür aber mit einem Gespür für Menschliches aufwarten soll.
Einen reuevollen Auftritt herbeifesseln?
Die Zeiten, da man einen Angeklagten mit allen Mitteln brach, sein Auftreten in demütige Bahnen steuerte, indem man ihm Ketten anlegte oder die Hosenknöpfe abschnitt, sind vorbei. Diese Maßnahmen sind mit dem Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit nicht mehr vereinbar. Dennoch scheinen sie immer noch in den Menschen verankert zu sein, dennoch schielen sie unbewusst auf die physisch erzwungene Bußfertigmachung.
Mit einer Zschäpe, die nach der allgemeinen Deutung der Medien arrogant wirken mag, die mit ihren Anwälten fast flirtet, kann ich persönlich allerdings viel besser umgehen als mit einer, die man in Fesseln und Gefangenenkluft vorgeführt hätte. Man kann sich zwar über die laxe Zschäpe ärgern, aber es ist gleichwohl ein Zeichen von Rechtsstaatlichkeit, wenn sie sich so bewegen darf. Alles andere wäre eventuell populärer gewesen, hätte man aber als rechtsstaatlichen Rückschritt ansehen müssen. Insofern sind die Unkenrufe fehlender Reue im Gerichtssaal nicht zielführend, denn das sind Stimmen aus einer Zeit, da schon die Anklage als Beweiselement für die Schuld galt (das lese man gesondert bei Foucault, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, nach) und in der man aus Gründen der Kenntlichmachung dieses Umstandes, den Angeklagten zur devoten Haltung zwang.
Die Arroganz nicht anklagen, sondern gönnen
Von der menschlichen Warte aus kann man natürlich verstehen, dass es für die Geschädigten unerträglich ist, wenn da jemand ohne physisch sichtbarem Schuldeingeständnis den Saal betritt. Objektiv betrachtet ist es eher unwesentlich. Man kann das Benehmen von Menschen weder steuern noch erzwingen, man kann es nur hinnehmen - auch wenn es unangenehm ist. Und gerade in diesem Prozess gegen die tödliche Intoleranz ist das Hinnehmen als demokratisches Prinzip dringend geboten. Zu empfehlen wäre daher, etwaiges höhnisches oder provokantes Verhalten dieser Angeklagten (Zschäpe ist ja nicht alleine angeklagt) gar nicht erst zu thematisieren, es als Beiwerk, als Schau zu ignorieren. Was juckt dieses Verhalten den Rechtsstaat schon? Seine Gerichte haben emotionale Affekte wie das Verhalten der Angeklagten vor der Öffentlichkeit auszublenden. Sie arbeiten steril und unterkühlt, lassen sich nicht beirren - so will es wenigstens die Theorie, so sollte es sein.
Es ist insofern natürlich eine ironische Episode. Da lamentiert der Rechtsextremismus über die Herrschaft der Gutmenschen und erhält gutmenschlich die Freiheit der Arroganz im eigenen Strafverfahren. Das provokante Geflirte der Zschäpe ist insofern viel mehr als das Verhalten einer angeklagten Frau: Es ist ein rechtsstaatliches Bekenntnis. Daran sollten die Geschädigten denken. Wenn die ausgeschlachtete Arroganz (wenn es denn überhaupt Arroganz ist!) dieser Frau überhaupt zu etwas gut sein soll, dann dafür, sagen zu können, dass sie relativ frei agieren kann vor ihrem Richter, nicht zur Demut gezwungen wird, dass sie sogar das Recht hat, sich in dümmlicher Selbstinszenierung zu üben. Die Geschädigten sollten das nicht nur hinnehmen, sondern es ihr geradezu gönnen. Denn es führt das Gedankengebäude dieser Neonazis ad absurdum.
6 Kommentare:
Bei aller Zustimmung, das menschliche Gedächtnis ist schwach.
Interessant wäre zum Beispiel der Umgang mit der terroristischen Baader-Meinhof-Bande vor Gericht - als Vergleich.
Gibt es einen solchen Vergleich? Wenn ja, wo finde ich den? Oder ist es historischen Umständen geschuldet, dass die damals völlig anders behandelt wurden als Frau Tschäpe 2013? Liegt es daran, dass nach 1945 viele ehemalige Nazis Richterroben trugen, und der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Richter beim Baader-Meinhof-Prozeß schon bei A. dienten?
Gruß
Bernie
@Bernie 8:42Uhr
ANMERKER MEINT:
Mir geht es ähnlich. Auch ich habe sofort an die Baader-Meinhof-Clique gedacht, deren Mitglieder sich ja einiges herausgenommen haben vor den jeweiligen Gerichten und deren Verhalten jeweils voyeuristisch kommentiert wurde von den Medien. Allerdings war es den Mainstreammedien schon immer eher ein Herzensbedürfnis nach links zu treten als zur Kenntnis zu nehmen, was rechts außen geschah. Insofern frage ich mich, was das Locken auf einer Glatze drehen im Augenblick soll. Vielleicht der Beginn eines groß angelegten Ablenkungsmanövers von dem politischen Gehalt des bevorstehenden Prozesses? Wir wissen z.B. gar nicht, wie wir Frau Zschäpe einzuschätzen haben - politisch, gesellschaftlich, intellektuell. Da gibt´s nicht so viel juornalistische Reibungspunkte - also Locken drehen? Unabhängig davon ist es richtig, dass der Rechtsstaat seine Stärke darin beweist, dass er Angeklagten ihre Würde lässt. Ob die das dann zu schätzen wissen, ist eine andere Frage. Was allerdings bei eingezschäpten Neonazis zu bezweifeln ist.
MEINT ANMERKER
Zweifellos. Solches Gemime solle niemanden interessieren, am wenigsten den Justizapparat. Aber mit den Affekten ist es so eine Sache. Schnell sind sie angefacht und unsere Anordnung reizt geradezu zur ekstatischen Verklärung im Massengefühl, mitgeteilt über das Massenmedium. Jeder löst sich gerne in Gefühlen auf, die eine ganze Masse fühlt. Der Zorn, die Empörung, die Zufriedenheit der Masse. Überall wo Vereinzelung herrscht, herrscht ein Sog zur Auflösung in der Vermassung. Sündenbockpfade, Ausschlüsse und Devianzdiagnosen bieten sich aus allen Richtungen an und Stellen die Zuläufe zur Vermassung dar.
Auf jeden Fall waren Baader und Co. nicht so chic gemacht wie der Teufel...
Türkische Medien:
"[...]“Nazi-Braut” in “Hitler-Pose”
Veröffentlicht am 7. Mai 2013 von FrankN
Der Prozessbeginn um die Mordserie der NSU-Terroristen in München erregte in der Türkei erwartungsgemäß großes Aufsehen. Fast alle Zeitungen berichteten über den Prozessbeginn auf der ersten Seite und zeigten sich überrascht vom Verhalten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, das sie als arrogant und unangemessen beschrieben. „Entspannte Haltung wie im Wohnzimmer“, titelte die liberale Milliyet und illustrierte den Artikel mit einem großen Bild von Zschäpe im Gerichtssaal. Deutschland stehe mit dem Prozess vor einer „Nazi-Prüfung“, urteilte das Blatt, und zeigte ein kleineres Bild der Nebenklägerin (und Buchautorin) Semiya Şimşek, deren Vater Enver im Jahr 2000 ermordet wurde, mit der Überschrift: „Şimşek sagt, sie vertraue dem Gericht nicht.“[...]"
Quelle und kompletter Text:
http://gruss-vom-bosporus.berliner-zeitung.de/2013/05/07/nazi-braut-in-hitler-pose
"Der getretene Wurm krümmt sich. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von neuem getreten zu werden. In der Sprache der Moral: Demut." - Friedrich Nietzsche
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