In der Ruhe läg die Kraft
Dienstag, 31. Juli 2012
Warum nur... warum? Vieles spräche dafür, dass auch in diesem Lande endlich die Unzufriedenheit die Schuhe schnürte, um auf dem Asphalt zu demonstrieren, der so unromantisch Straße heißt. Das muß doch möglich sein! Gibt es denn nicht genug Steine des Anstoßes, ja Felsbrocken der Anstößigkeiten? Sind die mehr und mehr aus den geschäftlichen Interessen erwachsenen Spielregeln unserer Gesellschaft nicht anstössig genug? Mensch, es hat doch schon mal friedlich geklappt! Schon mal kippten Massenkundgebungen einen gesamten Gesellschaftsentwurf! Woran hapert es denn jetzt?
Ausgeruht in den Umsturz
Vielleicht ist es doch so, dass die Menschen, die 1989 den Weg der asphaltierten Öffentlichkeit suchten, genug Kraft aufbrachten, um sich neben ihren beruflichen Leben noch politisch, mindestens aber gesellschaftskritisch zu betätigen. Das Berufsleben war, ohne dass man dem homo de-de-er-icus Faulheit nachsagen darf, weitaus weniger stressig aufgetürmt, wie es heute der Fall in diesem Lande ist. Auch im Osten mühte man sich, schwitzte man, stöhnte es sich angestrengt - der körperlichen Arbeit war genug anwesend. Nur deckte man die Arbeiter und Angestellten nicht vollends ein mit all den Nebenschauplätzen, die die heutige westliche Arbeitswelt zu einer Hölle machen. Das Antreiben zu Höchstleistungen und Normen, die niemand schaffen konnte, dürfte mit dem Jahr 1953 ohnehin unterlassen worden sein - aber auch all die Grabenkämpfe, die Angst vor Arbeitsplatzverlust, das sichere Auskommen, die Abwesenheit eines Klimas, in der einzig und ausschließlich der Profit zählt, die fehlende Zahlenarithmetik unternehmerischer Zuchtmeister, die jeden Handgriff im Geldwert umrechnen...
Neulich, Gespräch mit einem Freund, der es empirisch wissen muß. Dass die Menschen ausgeruht aus der Arbeit kamen, ausgeruht in Anführungsstrichen, meinte er, das habe bewirkt, dass sie die Kraft hatten, ihre Unzufriedenheit zu Markte zu tragen. Leider haben sie das wirklich, zu Markte getragen - recht frei, sodass sie gleich zu freiem Markte landeten und nicht selten böse erwachten. Es klingt zu einfach, und vermutlich ist auch dieser Umstand nur ein Faktor vieler verschiedener Indikatoren, die im Zusammenspiel das ergaben, was wir friedliche Revolution nennen, wenn wir gerade wieder pathetischen Selbstbeweihräucherungen nachgehen. Aber im Vergleich zum Jetzt, zum Hier, zu einer Gesellschaft, die sich strikt durch ihre Arbeitswelt definiert, die Beruf und Erwerb für zentrale Bausteine selbst der Unterhaltungsindustrie erachtet, scheint die These doch Berechtigung zu finden.
Bevor der berechtigte Einwand kommt: natürlich waren das keine paradiesischen Zustände dortmals. Aber ausgeblutet, geschächtet geradezu, wurde die Arbeitskraft eben auch nicht. Man erfüllte sein Soll, war aber nicht dauernd in der Angst, ein zu früh erbrachtes Soll würde zur Erhöhung ebendieses Solls führen. Dieses Immer-noch-mehr-fordern, dieses Effektivieren jeglichen Handstrichs, das erlaubte einen entspannten Umgang mit Arbeit.
Der Knecht auf Arbeit
Dieses Land hat nicht die längsten Arbeitszeiten Europas, aber der Druck am Arbeitsmarkt, vielleicht flankiert von einer Mentalität, die durch In-sich-hineinfressen und bis zur Depression neigenden Ernsthaftigkeit zur Geltung kommt, entkräftet diese relativ gekürzten Arbeitszeiten. Dass in der Kürze Würze liegt, trifft hier zu. Man arbeitet weniger als in der DDR, man arbeitet auch technologisierter als dazumal; was einst Hände taten, verrichten jetzt Maschinen und Computer und beides in Kombination - aber das Berufsleben ist nicht einfacher, nicht ruhiger geworden. In Firmen waltet der Profitismus, den man täglich zu spüren bekommt. Die Arbeitslosigkeit und die industrielle Reservearmee sitzen im Nacken und die Arbeitgeber machen sich die dadurch entstandenen Ängste zunutze. Man schaukelt den Angestellten Zahlen vor, die belegen, dass man zwar gut sei, aber noch nicht gut genug - Zufriedenheit, sich einfach mal zurücklehnen, ist in der hiesigen Arbeitswelt undenkbar. Alles kreist um das Erwerbsleben; Glück wird mit Arbeitsplatz synonym. Und der Verlust desselbigen ist auch der Verlust der Lebensfreude - verliert die einer in diesem Falle nicht, forscht man nach, weshalb da jemand nicht gebrochen ist; ganz normal ist das ja nicht, nicht wahr!
Habe ich morgen noch Arbeit? Was, wenn ich lange erkranke - komplimentiert man mich dann hinaus? Und meine Leistungszulage, erreiche ich die, wenn meine Kollegen nicht schnell genug schrauben, hämmern, Dokumente abheften? Man liest Arbeitsmarktspezifika, man lauscht Berufsneuigkeiten, man glotzt Erwerbslebens- und Wirtschaftsnews. Sicher, die Arbeit ist ein Teil des Lebens hinnieden? Aber ausschließlich? Arbeit unsere auf Erden, geheiligt werde dein Name? Das Recht auf Arbeit, aber das wusste schon Lafargue, befreit nicht - jedenfalls dann nicht, wenn Arbeit geheiligt, einziger Sinnerfüller wird - siehe hierzu "Auf die faule Haut". Ein so ausgelegtes Recht macht den Knecht...
Erschöpfung als Sedativum
In einem solchen Klima gedeiht der Mensch zum Geschäftsmann seiner selbst, zum Sachwalter seiner Arbeitskraft. Für Gedankengänge, die ihn mit seiner Unzufriedenheit bekanntmachten, die ihm Fehlentwicklungen, zu denen die absolutistische Arbeitsmoral ja auch gehört, vor Augen führten, ist vielleicht ausreichend Zeit vorhanden, nicht jedoch Kraft. Er erschöpft sich in seiner ihn erschöpfenden Welt. Im oberflächlichen Gespräch gibt er zu, dass es Fehler im System gibt, aber er sei zu müde, um darüber nachzusinnen. Sediert von seiner Arbeit und den Brandherden, die man um sie herum entzündet, narkotisiert davon, seiner Arbeit nicht mehr gerecht zu werden, somit seinem Arbeitgeber nicht mehr gerecht zu werden, lähmt ihn alleine dieser Bereich seines Lebens für andere Aktivitäten, die nichts mit Regeneration und Erholung seiner Arbeitskraft zu tun haben. Wohlgemerkt seiner Arbeitskraft, der Kraft, die er in Arbeit steckt, denn all seine Kraft verspritzt er in seine Arbeit - unausgeruht und ermattet, innerlich instabil und verunsichert fehlt es ihm an Schwung. Etwas wie 1989 ist in einem solchen Klima, in dem die tägliche Arbeit mit Stressoren und Sorgenherden behängt wird, nicht denkbar.
Arbeit dient der kapitalistischen Gesellschaft als Betäubungsmittel. Zwar wachsen die Heere der Arbeitslosen offen und verdeckt, wenn man sie hinter Scheinarbeits- und Niedriglohnverhältnissen verschanzt, aber das gibt der Unzufriedenheit keine Kraft. Denn auch die Arbeitslosigkeit steckt im narkotisierten Schlaf; auch der Arbeitslose grämt sich, ängstigt sich, erliegt dem Druck einer Arbeitswelt, die immer schneller, brutaler und marktkonformer, heißt: menschenabgewandter wird. Seine Integration in Arbeit ist es, was ihm Kraft rauben soll - die Stigmatisierung seiner Erwerbslosigkeit, die Verhöhnung seiner Existenz als Ballast, nimmt ihm die Energie, seiner Unzufriedenheit eine Stossrichtung zu verleihen, die über sein eigenes Dasein hinausgeht.
In der Ruhe läge die Kraft
Der Treppenwitz dieser Geschichte ist, dass es dem Menschen gelungen ist, die meiste körperlich schwere Arbeit auf Maschinen abzuwälzen, die ihn entlasten sollen und können, dass aber gleichzeitig der Stress und die Belastung innerhalb der Arbeitswelt viel größer zu sein scheinen, als in Zeiten, da es solcherlei Abnehmer schwerer Tätigkeiten noch nicht gab. Körperlich war man ausgesaugt, die Beine waren schwer - aber geistig war man nicht völlig durch einen in alle Nischen hineindampfenden Arbeitsfetisch ausgebrannt. In dieser Ruhe läge die Kraft - aber die Meldungen, die man täglich forciert und dramatisiert, sie lähmen, sie sollen die ganze Kraft der Menschen in Arbeit kanalisieren, damit nie wieder, nie wieder, nie wieder passiert, was einst geschah: der Sturz eines Gesellschaftsentwurfes...
Ausgeruht in den Umsturz
Vielleicht ist es doch so, dass die Menschen, die 1989 den Weg der asphaltierten Öffentlichkeit suchten, genug Kraft aufbrachten, um sich neben ihren beruflichen Leben noch politisch, mindestens aber gesellschaftskritisch zu betätigen. Das Berufsleben war, ohne dass man dem homo de-de-er-icus Faulheit nachsagen darf, weitaus weniger stressig aufgetürmt, wie es heute der Fall in diesem Lande ist. Auch im Osten mühte man sich, schwitzte man, stöhnte es sich angestrengt - der körperlichen Arbeit war genug anwesend. Nur deckte man die Arbeiter und Angestellten nicht vollends ein mit all den Nebenschauplätzen, die die heutige westliche Arbeitswelt zu einer Hölle machen. Das Antreiben zu Höchstleistungen und Normen, die niemand schaffen konnte, dürfte mit dem Jahr 1953 ohnehin unterlassen worden sein - aber auch all die Grabenkämpfe, die Angst vor Arbeitsplatzverlust, das sichere Auskommen, die Abwesenheit eines Klimas, in der einzig und ausschließlich der Profit zählt, die fehlende Zahlenarithmetik unternehmerischer Zuchtmeister, die jeden Handgriff im Geldwert umrechnen...
Neulich, Gespräch mit einem Freund, der es empirisch wissen muß. Dass die Menschen ausgeruht aus der Arbeit kamen, ausgeruht in Anführungsstrichen, meinte er, das habe bewirkt, dass sie die Kraft hatten, ihre Unzufriedenheit zu Markte zu tragen. Leider haben sie das wirklich, zu Markte getragen - recht frei, sodass sie gleich zu freiem Markte landeten und nicht selten böse erwachten. Es klingt zu einfach, und vermutlich ist auch dieser Umstand nur ein Faktor vieler verschiedener Indikatoren, die im Zusammenspiel das ergaben, was wir friedliche Revolution nennen, wenn wir gerade wieder pathetischen Selbstbeweihräucherungen nachgehen. Aber im Vergleich zum Jetzt, zum Hier, zu einer Gesellschaft, die sich strikt durch ihre Arbeitswelt definiert, die Beruf und Erwerb für zentrale Bausteine selbst der Unterhaltungsindustrie erachtet, scheint die These doch Berechtigung zu finden.
Bevor der berechtigte Einwand kommt: natürlich waren das keine paradiesischen Zustände dortmals. Aber ausgeblutet, geschächtet geradezu, wurde die Arbeitskraft eben auch nicht. Man erfüllte sein Soll, war aber nicht dauernd in der Angst, ein zu früh erbrachtes Soll würde zur Erhöhung ebendieses Solls führen. Dieses Immer-noch-mehr-fordern, dieses Effektivieren jeglichen Handstrichs, das erlaubte einen entspannten Umgang mit Arbeit.
Der Knecht auf Arbeit
Dieses Land hat nicht die längsten Arbeitszeiten Europas, aber der Druck am Arbeitsmarkt, vielleicht flankiert von einer Mentalität, die durch In-sich-hineinfressen und bis zur Depression neigenden Ernsthaftigkeit zur Geltung kommt, entkräftet diese relativ gekürzten Arbeitszeiten. Dass in der Kürze Würze liegt, trifft hier zu. Man arbeitet weniger als in der DDR, man arbeitet auch technologisierter als dazumal; was einst Hände taten, verrichten jetzt Maschinen und Computer und beides in Kombination - aber das Berufsleben ist nicht einfacher, nicht ruhiger geworden. In Firmen waltet der Profitismus, den man täglich zu spüren bekommt. Die Arbeitslosigkeit und die industrielle Reservearmee sitzen im Nacken und die Arbeitgeber machen sich die dadurch entstandenen Ängste zunutze. Man schaukelt den Angestellten Zahlen vor, die belegen, dass man zwar gut sei, aber noch nicht gut genug - Zufriedenheit, sich einfach mal zurücklehnen, ist in der hiesigen Arbeitswelt undenkbar. Alles kreist um das Erwerbsleben; Glück wird mit Arbeitsplatz synonym. Und der Verlust desselbigen ist auch der Verlust der Lebensfreude - verliert die einer in diesem Falle nicht, forscht man nach, weshalb da jemand nicht gebrochen ist; ganz normal ist das ja nicht, nicht wahr!
Habe ich morgen noch Arbeit? Was, wenn ich lange erkranke - komplimentiert man mich dann hinaus? Und meine Leistungszulage, erreiche ich die, wenn meine Kollegen nicht schnell genug schrauben, hämmern, Dokumente abheften? Man liest Arbeitsmarktspezifika, man lauscht Berufsneuigkeiten, man glotzt Erwerbslebens- und Wirtschaftsnews. Sicher, die Arbeit ist ein Teil des Lebens hinnieden? Aber ausschließlich? Arbeit unsere auf Erden, geheiligt werde dein Name? Das Recht auf Arbeit, aber das wusste schon Lafargue, befreit nicht - jedenfalls dann nicht, wenn Arbeit geheiligt, einziger Sinnerfüller wird - siehe hierzu "Auf die faule Haut". Ein so ausgelegtes Recht macht den Knecht...
Erschöpfung als Sedativum
In einem solchen Klima gedeiht der Mensch zum Geschäftsmann seiner selbst, zum Sachwalter seiner Arbeitskraft. Für Gedankengänge, die ihn mit seiner Unzufriedenheit bekanntmachten, die ihm Fehlentwicklungen, zu denen die absolutistische Arbeitsmoral ja auch gehört, vor Augen führten, ist vielleicht ausreichend Zeit vorhanden, nicht jedoch Kraft. Er erschöpft sich in seiner ihn erschöpfenden Welt. Im oberflächlichen Gespräch gibt er zu, dass es Fehler im System gibt, aber er sei zu müde, um darüber nachzusinnen. Sediert von seiner Arbeit und den Brandherden, die man um sie herum entzündet, narkotisiert davon, seiner Arbeit nicht mehr gerecht zu werden, somit seinem Arbeitgeber nicht mehr gerecht zu werden, lähmt ihn alleine dieser Bereich seines Lebens für andere Aktivitäten, die nichts mit Regeneration und Erholung seiner Arbeitskraft zu tun haben. Wohlgemerkt seiner Arbeitskraft, der Kraft, die er in Arbeit steckt, denn all seine Kraft verspritzt er in seine Arbeit - unausgeruht und ermattet, innerlich instabil und verunsichert fehlt es ihm an Schwung. Etwas wie 1989 ist in einem solchen Klima, in dem die tägliche Arbeit mit Stressoren und Sorgenherden behängt wird, nicht denkbar.
Arbeit dient der kapitalistischen Gesellschaft als Betäubungsmittel. Zwar wachsen die Heere der Arbeitslosen offen und verdeckt, wenn man sie hinter Scheinarbeits- und Niedriglohnverhältnissen verschanzt, aber das gibt der Unzufriedenheit keine Kraft. Denn auch die Arbeitslosigkeit steckt im narkotisierten Schlaf; auch der Arbeitslose grämt sich, ängstigt sich, erliegt dem Druck einer Arbeitswelt, die immer schneller, brutaler und marktkonformer, heißt: menschenabgewandter wird. Seine Integration in Arbeit ist es, was ihm Kraft rauben soll - die Stigmatisierung seiner Erwerbslosigkeit, die Verhöhnung seiner Existenz als Ballast, nimmt ihm die Energie, seiner Unzufriedenheit eine Stossrichtung zu verleihen, die über sein eigenes Dasein hinausgeht.
In der Ruhe läge die Kraft
Der Treppenwitz dieser Geschichte ist, dass es dem Menschen gelungen ist, die meiste körperlich schwere Arbeit auf Maschinen abzuwälzen, die ihn entlasten sollen und können, dass aber gleichzeitig der Stress und die Belastung innerhalb der Arbeitswelt viel größer zu sein scheinen, als in Zeiten, da es solcherlei Abnehmer schwerer Tätigkeiten noch nicht gab. Körperlich war man ausgesaugt, die Beine waren schwer - aber geistig war man nicht völlig durch einen in alle Nischen hineindampfenden Arbeitsfetisch ausgebrannt. In dieser Ruhe läge die Kraft - aber die Meldungen, die man täglich forciert und dramatisiert, sie lähmen, sie sollen die ganze Kraft der Menschen in Arbeit kanalisieren, damit nie wieder, nie wieder, nie wieder passiert, was einst geschah: der Sturz eines Gesellschaftsentwurfes...
16 Kommentare:
Arbeit dient der kapitalistischen Gesellschaft nicht nur als Betäubungsmittel, sondern auch anderen autoritären Regierungsformen als Kontrollsystem über die Aufenthalte der Individuen/Untertanen. Denn Arbeitsplätze (und auch Schulen) sind Teilzeitgefängnissse, die nicht ungestraft verlassen werden dürfen.
Im Gegensatz zum Müßiggang, zur längeren Untätigkeit, die nicht der Regeneratuion dient und der (anscheinend für viele unerträglichen) Langeweile scheint die protestantische Arbeitsethik in den Köpfen der Menschen unausrottbar zu sein (auch beim Hausherrn dieses Blogs). Die Sozialisation auf eine Ethik, die dem Menschen seinen Wert ausschließlich durch Arbeit vermittelt, hält die riesige Maschine der Arbeitssimulation bei immer schneller wachsender Arbeitslosigkeit und immer weniger Arbeitsplätzen dank Technologisierung am laufen.
So kommt es, dass selbst derjenige noch glücklicher ist, der ohne Bezahlung als Praktikant, auf Probe oder als 1-Euro-Jobber knechten darf, als derjenige, der mit ALG II sein Dasein einigermaßen auf die Kette bekommt.
Und wer es dann noch wagt, in einer Talkshow oder in den Medien zu erklären, dass er auch ohne Arbeit ein glücklicher Mensch ist und gar nicht danach strebt, wieder eine Beschäftigung zu bekommen (Arno Dübel), zieht sich den entfesselten Hass der Arbeitssklaven und auch derjenigen zu, die selber ohne Arbeit ein Leben in Saus und Braus führen können, weil sie entweder andere für sich oder nur noch ihr Geld arbeiten lassen.
Ich wundere mich ehrlich gesagt, wie das alles überhaupt noch funktionierr. Kaum ein Drittel der Bevölkerung ist noch im Erwerbsleben, und die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Erwerbstätigen in Deutschland sinkt und sinkt... seit 1990 ist sie um mehrere Stunden (!) gesunken:
http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbV9.pdf
Ich wünschte, dies hier liesse sich fundiert begründen, um in Diskussionen nicht nur Mutmassungen abzugeben wie in dem Artikel:
"die Belastung innerhalb der Arbeitswelt viel größer zu sein scheinen, als in Zeiten, da es solcherlei Abnehmer schwerer Tätigkeiten noch nicht gab"
Sehr zu empfehlen dazu der Leitartikel in der aktuellen Ausgabe des alternativen Wirtschaftsmagazins Brand Eins, Thema der Ausgabe ist "Nichtstun - und was man daraus machen kann"
"Zu tun, worauf man Lust hat, und nicht, was man muss - das ist eines der ältesten und wichtigsten Ziele der Menschheit. Wir arbeiten hart daran, das zu verdrängen."
www.brandeins.de/magazin/nichtstun/die-not-des-muessiggangs.html
Fazit daraus, Zitat:
"Gegen ein Grundeinkommen gibt es immer das gleiche Argument: Das kann man doch den Arbeitenden moralisch nicht zumuten, dass andere fürs Nichtstun bezahlt werden. Was man nicht sagt, ist, dass die Arbeitenden für diese Moral sehr viel mehr Geld ausgeben müssen als für einen offenen Transfer."
... das Recht darauf, wenigstens den größten Teil seines Lebens selbstbestimmt und ohne Zwänge zu verbringen, kommt durch die Hintertür, leise, langsam, Schritt für Schritt. "Wir können die Arbeitsmoral nicht von heute auf morgen abschaffen", sagt Georg Vobruba. "Aber wir können lernen, pfiffiger mit der Arbeit umzugehen. Wir können anfangen, uns mit uns selbst zu identifizieren und nicht nur dem, was wir tun müssen."
Kann mal jemand Jakob Augstein abfertigen?
"Warum träumen die Linken so gerne vom Verderben? Weil Weltuntergang wichtig ist. Denn ohne Phantasien vom Ende gibt es keine Hoffnung auf einen neuen Anfang. Dystopie und Utopie gehören unweigerlich zusammen.
Wenn man den Fortschritt will, hilft es, den Untergang zu denken. Wunsch- und Schreckbilder gehören zusammen.
Es geht nicht darum, ob die Vorhersagen eintreffen. Es geht darum, den Menschen die Augen zu öffnen."
www.spiegel.de/politik/deutschland/a-847108.html
Damit wäre plötzlich auch Sarrazins Hochrechnung der Gegenwart in die Zukunft (Deutschland in 100 Jahren) probat...
"Es gibt eine Idee, die einst den wahren Weltkrieg in Bewegung setzen wird: Daß Gott den Menschen nicht als Konsumenten und Produzenten erschaffen hat. Daß das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Daß der Magen dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Daß das Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbsinteressen begründet sei. Daß der Mensch in die Zeit gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit den Beinen irgendwo eher anzulangen als mit dem Herzen." Karl Kraus, 1915
Mit den modernen Produktionsmethoden
ist die Möglichkeit gegeben,
dass alle Menschen behaglich
und sicher leben können;
wir haben es statt dessen vorgezogen,
dass sich manche überanstrengen
und die andern verhungern.
Bisher sind wir noch immer
so energiegeladen arbeitsam wie zur Zeit,
da es noch keine Maschinen gab;
das war sehr töricht von uns,
aber sollten wir nicht auch
irgendwann einmal gescheit werden?
Bertrand Russell
Lob des Müßiggangs
www.otium-bremen.de
Das traurige Problem ist doch, dass die Linke nicht mal ihre eigenen Reihen auf Kurs bekommt. Nicht mal ansatzweise.
Da fungieren Gewerkschaften als Handlanger des Kapitals, Petra Pau als Handlanger der Alternativlosigkeit, Gysi redet von Wachstumsnotwendigkeit zur Krisenbewältigung...
Selbst von denen, die hauptberuflich dafür da sind, was dieser Artikel fordert, ist nicht das zu erwarten, was dieser Artikel für unumgänglich hält.
Man könnte fast fatalistisch folgern: Menschen sind nicht geeignet, die Probleme der Menschen zu lösen.
Nur EINS zu diesem Thema:
Wenn ich nur arbeiten darf wenn ich soll, aber nie arbeiten kann wenn ich will, dann mag ich auch nicht arbeiten, selbst wenn ich muss. Wenn ich aber arbeiten darf wenn ich will, dann mag ich auch arbeiten wenn ich soll, und dann kann ich auch arbeiten wenn ich muss.
Bis Anfang der 80er Jahre waren auch die Menschen in der Bundesrepublik gesellschaftlich sehr viel engagierter und politisch interessierter, als dies heute der Fall ist. Man denke nur an die 68er oder die Friedensbewegung zu Beginn der 80er Jahre.
Die Entpolitisierung begann im Westen so ab Mitte der 80er. Der Osten folgte ab Mitte der 90er auf dem Fuße.
Neben dem Faktor Arbeit sollte man aber auch Aspekte wie Bildung, das Aufkommen der privaten Fernsehsender, den Siegeszug des PC und später des Internets nicht außer Acht lassen.
Die selbsternannten Eliten haben begriffen, daß ihnen eine gute Bildung für die breite Masse der Bevölkerung, wie sie während des Kalten Krieges in Ost und West üblich war, gefährlich werden könnte. Und so ist man seit etwa zwei Jahrzehnten dabei, das Rad wieder zurück zu drehen. Eine umfassende Bildung soll es nur noch für eine kleine, auserwählte Schicht geben - für den Rest sind bestenfalls noch Fachidiotenschulungen vorgesehen, damit der Pöbel seinen Herren auch ordentlich Profit einbringt.
Auch das gesellschaftliche Klima insgesamt hat sich geändert. Die letzten großen Demonstrationen in Deutschland waren jene gegen den Irakkrieg 2003 und die Montagsdemos 2003/2004 gegen die Hartz-Gesetze. Erinnert sich noch jemand an die Häme und den Geifer, der den Demonstranten aus Presse, Politik und "Wissenschaft" entgegenschlug? Das hat sicher bei vielen Beteiligten Spuren hinterlassen und war dem zukünftigen Engagement nicht unbedingt dienlich.
Totale Freiheit führt zu höherer Produktivität!
Denn:
Menschen sind am zufriedensten im "Flow"-Zustand, und zwar wenn sie ganz in einer Aufgabe versunken sind und dabei Raum und Zeit vergessen.
Und dieser Flow-Zustand stellt sich naturgemäß häufiger bei der Arbeit ein - selbst wenn man nicht seine Lieblingsarbeitsstelle hat -, nämlich weil man bei der Arbeit mehr Aufgaben-orientiert ist als in der Freizeit.
Völlig logisch.
Kanadische Firmen haben das Experiment gemacht, ihren Mitarbeitern bei der Arbeitszeit völlig freie Hand zu lassen.
Gleiches Gehalt für alle ohne feste Arbeitszeit, jeder kann kommen und gehen wann er will und solange in Urlaub gehen, solange man will.
Das Ergebnis war, dass die Leute MEHR gearbeitet haben als zuvor!
Also: Die totale Freiheit führt zu höherer Produktivität!
(Dies alles auch aus einem Artikel der "Brand Eins")
Die Menschen lesen eben nicht Lukrez oder Epikur.
Es wird keine Belohnung geben.
Homo homini lupus.
Horribile dictu.
Wieder ein scharfsinniger, hervorragend beobachteter und formulierter Artikel.:)
Eine meiner Ansicht nach entscheidende Entwicklung, die viel zu wenig mediale Aufmerksamkeit erhält, wird übrigens in dem Kommentar von pillo angesprochen:
"Die selbsternannten Eliten haben begriffen, daß ihnen eine gute Bildung für die breite Masse der Bevölkerung, wie sie während des Kalten Krieges in Ost und West üblich war, gefährlich werden könnte. Und so ist man seit etwa zwei Jahrzehnten dabei, das Rad wieder zurück zu drehen. Eine umfassende Bildung soll es nur noch für eine kleine, auserwählte Schicht geben - für den Rest sind bestenfalls noch Fachidiotenschulungen vorgesehen, damit der Pöbel seinen Herren auch ordentlich Profit einbringt."
Genau dies entspricht auch meinem Eindruck, aller "Lippenbekenntnisse" zur "Bildungsrepublik Deutschland" zum Trotz. Die Chancen auf eine gute Bildung sind für die Mehrheit in den letzten Jahren eher gesunken. Die Möglichkeiten zu einer "zweiten Chance" (Umschulung, Ausbildung zu einem späteren Zeitpunkt im Leben etc.) wurden anders als behauptet eher zurückgefahren. Auch die Einrichtung von "Eliteuniversitäten" bedeutet keine Erhöhung des Bildungsniveaus, sondern im Gegenteil eine implizite Herabstufung der übrigen Universitäten. Und wenn auch der Bachelor im internationalen Vergleich sinnvoll sein mag und das marode alte Studiensystem dringend einer Reform bedurfte, hat man hier keineswegs für verbesserte Studienbedingungen und mehr Flexibilität und Durchlässigkeit gesorgt, sondern im Gegenteil eher eine "Verschlimmbesserung" vorgenommen.
Ich halte all diese Entwicklungen keineswegs für zufällig.
Die Herrschenden arbeiten schon seit Urzeiten mit der Produktivkraft Angst.
Nur diese garantiert ihnen ihre Herrschaft über die Bevölkerung.Diese Erkenntnis ist ja nicht neu, Machiavelli hat diese Herrschaftstechnik in seinem Werk Il Principe bereits im 16. Jahrhundert eingehend beschrieben.
Es gab wahrscheinlich nur ein sehr enges historisches Zeitfenster für die westliche Welt in der jüngsten Geschichte, nämlich als George Mac Govern 1972 gegen Nixon antrat, eine brandgefährliche Situation für das amerikanische Establishment, dessen kulturelle Werte in den Hunderten von Zinksärgen, die wöchentlich aus Vietnam zurückgeflogen wurden, buchstäblich untergingen.
Der offizielle Diskurs von Vaterland & Patriotismus hatte Anfang der 1970er Jahre keine Chance bei der US Alternativkultur, die für diese kurze Zeit den herrschenden Diskurs wesentlich schwächen konnte.
Die Antwort der Reaktion hieß, ganz im Sinne von Machiavelli Furcht und Schrecken im lateinamerikanischem Hinterhof mit der Einrichtung von Militärdiktaturen zu verbreiten, übrigens wurde damit auch dort der Neoliberalismus mit Gewalt eingeführt, was viele der Apologeten dieser markradikalen Ausrichtung des Kapitalismus gerne unter den Teppich kehren möchten.
In West Europa dagegen ist man langsamer vorgegangen mit einer Strategie der stummen Revolution. Seit drei Jahrzehnten werden nach und nach die sozialpolitischen Errungenschaften der lohnabhängigen Bevölkerung zunehmend eingeschränkt, um letzten Endes jeden Protest gegen die Implantierung des neoliberalen Modells schon im Keim zu ersticken.
Ob tatsächlich noch erfolgreicher Widerstand gegen dieses menschenverachtende System hier möglich ist, wage ich zu bezweifeln. In Zeiten von Facebook & Co herrscht der fragmentierte in viele virtuelle Kontakte aufgespaltene Sozialcharakter vor, der keine Idee mehr hat, dass alles mit allem zusammenhängt.
Wieder einmal ein sehr treffender Artikel.
Er spricht genau das aus, über was ich mir auch hin und wieder den Kopf zerbreche.
Warum ist die heilige Kuh unseres Lebens, "die Erwerbsarbeit" so bestimmend über unser Leben und je weniger Arbeitsplätze für diejenigen, die einen solchen zum Lebensunterhalt benötigen, zur Verfügung stehen, desto entschiedener wird darauf beharrt, dass alle diejenigen, die nicht das Glück haben über einen solchen Arbeitsplatz zu verfügen, nutzlose und schmarotzende Mitglieder der Gesellschaft sind, deren Leben von denen finanziert werden muss, die im Heiligenschein der Ausbeutung baden. "Seht her, was ich erdulde, für Euch, ihr faulen Säcke", das mag wohl die Aussage sein, die da in vielen Köpfen vor sich hinschmort, verbunden mit dem unausgesprochenen Hinweis: "Seid gefälligst dankbar dafür, dass ich das alles auf mich nehme."
So arbeitet es in den Köpfen der Massen, die sich bereitwillig von gleichgeschalteten Medien an der Nase herumführen lassen und denen es mit Sicherheit an Einem mangelt, nämlich der rückhaltlosen Reflexion auch sich selbst gegenüber.
Deutschland, das Land der Duckmäuser und Obrigkeitshörigen.
Beste Grüße
onlyme
Die sinkende Profitrate....daher sind die Maschinen kaum Arbeitsreduziererinnen, sondern verdampft ihr ermöglichtes Kraftersparnis immer gleich sofort.
Ich finde es wirklich seltsam. Der Geschäftigkeitsduktus energetisiert noch das kleinste Haar auf der kleinen Zehe. Man bewegt sie auf und ab, anstatt sie ruhen zu lassen.
Man sollte trotz allem den Vorteil sehen, den unsere heutige Situation auch mit sich bringt, was nicht heißt, dass dies das Bemerkenswerteste an ihr sei oder gar das Meiste. Die Zuspitzung eines Stiles stellt in Aussicht eine auch zugespitztere Durchdenkung und Durcherfahrung dieses Stiles. Die Zuspitzung bringt Schieflagen klarer zum Vorschein. Die Selbstperformativität des Denkens gibt dies dem Denken anheim und führt zunächst zur Einbunkerung und dann zu deren Brüchigkeit und Versprödung, womit neues sichtbar werden muss.
Aber zweifellos versetzt es einen in bangendes Staunen, wenn man auf den Highways des Businessismus Köpfe auf Beinen sieht, die vor Arbeitsethos strotzen. Inkorporierte Ideale. Man möchte sie anfassen und sie fragen, was das alles ist, was sie tun, wie sie leben. Man kann die mentalen Mauerwege des Businessismus geradezu hören in ihren Telefonaten. Die neurotischen Zuckungen und Körperbewegungen, die physiopsychsichen Haltungen und Rituale. Die angespannte Erregung durch Verdrängungsaufwand, wenn einer ohne Obdach das Wort an sie richtet. Aggressionscontainer: die und das, wogegen man aggressiv sein darf: der Faule, der faule Staat, der faule Beamte, ja der ganze faule Süden, die Gaukler, die Gammler, die Umsonstdenker, das mehrwertlose Künstlerische, die Halbtalentierten, die es zu nichts bringen, die Mieter und Mieterinnen, die denen, der Mann abgehaut ist, die mit den Öffis fahren, der Insolvente, generell Interferenzenerzeuger und -erzeugerinnen in generell allen Lebensprozesssequenzen, auch beim Bäcker (jetz hat sie schon bezahl und will jetzt noch'n Gewürzhörnchen), alle die stinken, alle die dreckig sind, alle die schrill sind ohne Mehrwert zu erzeugen. Und alles Dingahfte darüber hinaus, das nicht Inwertgesetzt ist. Das spähende Auge der Inwertsetzung. Die Scannergreifarme des Businessismus, hier eine bahnbrechende Idee, dort eine Novation mit einem Ding. All die Uniformikate des Businessismus, Tonnen an wandelnden Hosenanzügen und Hemden und Lackschuhen. Abertonnen, Tag für Tag. Sitzungen und Absprechungen, Papiere und Tabellen, Strategien und Taktiken, Zahlen und Zeilen in Zirkulation. Transitorische Rechenpunkte als Inkorporierungen des Regimes. Asketischer Analsadismus. Geld, als wolle man es als Grabbeilage mit ins Jenseits nehmen, bar jeder irdischen Dimension. Aufsaugen bei den anderen, sie zur Sparsamkeit zwingen, Lust empfinden beim Sparakt. Erotisierung des Sparaktes, des willentlichen Zurückhaltens der Ausscheidung. Ich habe, ich könnte, aber ich gebe nicht hinaus, ich halte zurück. Der Akt des Sparens. Lebst du noch oder sparst du schon? Ich geniesse das Sparen, höchster Genuß: der andere spart und ich bestimme die Sparhärte.
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