Vor der Zäsur
Donnerstag, 28. Juni 2012
Noch einige Augenblicke bis zur Zeitenwende in Deutschland und Europa, nur noch einige Stunden. Noch nicht ganz; noch ist Hoffnung. Und die schielt auf das Bundesverfassungsgericht. Das wird sodann einige Spitzfindigkeiten anbringen, drei bis fünf Ungereimtheiten beanstanden und folglich nur noch zusehen, wie die Abwicklung des politischen Gestaltungsrahmens geformt, wie dieser erlischt und radikal versachzwangt wird. Ratifiziert wird die Übernahme der nationalen Souveräntitäten in Europa durch die Brüsseler Exekutive in einigen Wimpernschlägen dennoch sein - fehlt nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten. Auf dessen Weigerung kann man in etwa so hoffen, wie auf die belebende Wirkung eines Aderlasses.
Die Linke, diese angeblich einzige antidemokratische Partei im Parlament, versucht kurioserweise das zu retten, was wir noch Demokratie nannten, weil uns der Präfix Post- irgendwie immer nicht einfiel. Der Dank hierfür wird sein, dass sich Die Linke noch mehr isoliert, dass man sie zu den Bestattern des europäischen Gedankens erklärt und als Spielverderber anschwärzt. Was für Zeiten! Da prescht die Reaktion progressiv voran, da wird der Ständestaat mit ganz neuen kontinentalen Mitteln aufgefrischt - und soziale, ausgleichende Politik führt, obwohl benötigt, obwohl sie Konjunktur haben müsste, nur auf das Abstellgleis der öffentlichen Wahrnehmung und Akzeptanz. Die Linke bekommt hin und wieder zu hören, sie wolle nur Macht und ginge dafür den populistischen Weg - wollte und täte sie ausschließlich dies, hätte sie lediglich dieser Sehr Großen Koalition beitreten müssen, die den ESM zu ratifizieren verspricht.
Was hat man nicht alles gelesen, nachdem Krisen den Kontinent einhüllten, diese vielen kleineren Krisenherde, die von der Strukturkrise des Systems ablenken sollten. Frohnaturen und Schwärmer meinten zuversichtlich, nun sei das Schlimmste überwunden, nun sei diese Politik, die nur noch Wirtschaftspolitik sein wollte, sei der neoliberale Kurs endgültig diskreditiert genug, um auf der Schutthalde der Geschichte zu landen. Tja! Heute wissen wir höchstoffiziell, dass es dieser Neoliberalismus gar nicht war, der das Kriseln machte, es war eher das Zuwenig davon. Daher musste man ihn bestärken, auf dass er bestimmter, entschiedener praktiziert würde - er sollte fast sowas wie Verfassungsrang haben. Und in einigen Stunden wird das auch so beschlossen sein. Zweidrittel des Bundestages verfügen dies dann für Deutschland - und für den Rest Europas, wenn man schon mal zusammensitzt und darüber spricht. Gut, gesprochen wurde darüber nicht, die Regierung malte die Alternativlosigkeit an die Tafel und erzählte Schauermärchen, wie es würde, wenn es nicht so würde, wie sie es gerne sähe.
Diese Alternativlosigkeit ist bald nicht mehr nur Gebärde, sie ist dann offizielles Programm Europas. There is no alternative! ist die neue Präambel. Der Eingriff der Brüsseler Exekutive entzieht dem Parlament Entscheidungsbefugnis, drängt zu neoliberalen Strukturreformen und stellt Sozialpolitik hinten an. Wir können unseren Enkeln in vielen Jahren erzählen, dass wir sowas wie Sozialpolitik erlebt haben, dass wir Gesetze gekannt haben, die als Ziel die Partizipation aller Bürger angaben - Sozialismus... Opa, du hast im Sozialismus gelebt?, wird der Grünschnabel fragen - er wird in der stark unterfinanzierten Schule, deren Lehrpläne freundlicherweise für wenig Geld die Familie Mohn schreibt, davon gehört haben; und er wird davon gehört haben, dass der mutige Beschluss zur ESM Europa vor dem lauernden Sozialismus und seiner widernatürlichen Gleichmacherei bewahrt hat. Wir werden bestenfalls unserem Enkel davon erzählen können, die in Aussicht gestellte längere, immer noch längere und noch längere Lebenserwartung, die uns mit Urenkeln bekannt machen würde, ist erstmal verschoben. Der Bundestag wird ab und an die gesundheitliche Versorgung ausbauen wollen, nur wäre das eine Mehrbelastung im Staatshaushalt, da macht Brüssel nicht mit und verbietet es. Solche Schauermärchen hat die Regierung bislang vergessen zu erzählen...
Neoliberalismus als Verfassungsauftrag - das hätte doch keiner geglaubt vor einigen Jahren! Man hat immer wieder Ansätze davon gesehen: bei der EU-Verfassung, beim Vertrag von Lissabon - aber dass es mal so unvermittelt, so direkt und schroff geschieht, das war nur die Überspitzung diverser Publizisten, die auf diese gefährliche Richtung aufmerksam machen wollten. Das war doch nur ein dramatischer Kniff! Die Krise hätte den Neoliberalismus schrumpfen sollen - aber er ist geadelt worden. Er nennt sich nun konstitutioneller Liberalismus, Monarch qua Verfassung - der außerdem auf Gottesgnadentum fußt: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Hätte Jahwe seinem Mose heutigentags die Leviten, also die Gebote gelesen, so würde dieses ersten Gebot wohl lauten: Ich bin der Alternativlose!
Nie wieder neoliberale Reformen, nie wieder Privatisierungswahn, nie wieder Wettbewerbsdruck im Gesundheitswesen oder bei der Versorgung von Senioren beispielsweise, nie wieder effizientes Bildungswesen zur reinen Berufsvorbereitung statt humanistisches Bildungsideal und Vermittlung von Allgemeinwissen, nie wieder Markt im Sozialwesen, nie wieder ein Primat des Spekulativen vor dem Realen - das hoffte man, glaubte man zum Greifen nahe. Eine historische Chance schien sich zu eröffnen. Das ist eine Zäsur, eine große Wende!, jubelten manche - endlich käme es anders, wieder auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittener. Diese Zäsur ist nun ganz anders da, die Zeitenwende lauert anders als optimistisch gedacht in Startlöchern, wartet nur noch auf die Unterschrift des Bundespräsidenten, der wiederum nur auf die Einwilligung des Bundesverfassungsgerichts wartet. Leider wird das kein beckettsches, kein unaufhörliches Warten sein - dann hat es sich ausgewartet und die Zäsur ist endlich vollzogen.
Vielleicht arrangiert man dann doch noch einen Volksentscheid. Nicht aus Verantwortungsgefühl heraus, nicht weil man sich schämt, über den Kopf derer, die man politisch entmündigt, Entscheidungen zu fällen - nein, ganz kalkulativ. Man muss sich schon verdammt sicher sein, die Medienlandschaft in der Tasche zu haben, um glauben zu können, aus einem Volksentscheid legitimiert herauszugehen. Über die Medien fällt oder erwächst die Übernahme der nationalen Souveränitäten - wir sind bis hierher überhaupt gekommen, weil die Medien derart unkritisch berichteten. Wenn sie nun beginnen, ein mögliches Nein bei einem Volksentscheid als Untergang Europas zu zeichnen, als Niedergang des Wohlstandes und als metaphorisches Einfalltor für leistungsstarke Chinesen und leistungsschleicherische Afrikaner oder Araber, dann wirken sie aktiv mit am neuen Europa. So weit sind wir gekommen! Die Putschisten fordern Volksentscheide, weil sie ganz genau wissen, wie die Medien ihnen zuspielen. Und am Ende waren wir es, die es legitimiert haben - jammert nicht, ihr wolltet es doch!
Ach, und falls der Volksentscheid scheitert, machen wir es eben irisch - dann befragen wir in einigen Monaten nochmals das Volk - und nochmals - und nochmals... irgendwann ist es müde genug, um Ja zu sagen. Infantile Taktik! Kinder quengeln und bearbeiten ihre Eltern solange, bis die Ja zu PlayStation und Wuschelhund sagen. Belästigen, nerven, bearbeiten - dieser kindische Terror nennt sich dann Politik im Namen des Volkes.
Ironie ist vorallem, dass man diese Augenblicke bis zur Ratifizierung nochmal als Teil einer Freiheit genießt, die sich dieses Europa nach dem Krieg stückchenweise erarbeitet hat - dabei ist diese Freiheit schon lange beschnitten und zersetzt. Aber man tut so, als sei das Jetzt noch lebenswert und das Dann nicht mehr. Das adelt das Jetzt, hübscht es unberechtigterweise auf. Schon heute ist die Freiheit des Parlamentes relativ. Sie ist erstickt im Lobbyismus, erstickt von einer ökonomischen Lehre, die sich Selbstzweck ist und keinerlei ethische Inspiration kennt, erstickt in obskuren Machtverhältnissen, die sich in Parolen wie Der Markt glaubt..., Der Markt fordert..., Der Markt reagiert... niederschlagen. Schon jetzt ist dieser Markt der Okkupator des Parlaments - dort ist er so selbstherrlich, dass er sogar schon im pluralis majestatis auftritt, als Die Märkte. Wir geben kein Eldorado auf - im Grunde war Opposition gegen diesen neoliberalen Zeitgeist in den letzten Jahrzehnten nicht mehr, als das wenige Erhaltenswerte, das es noch gab, zu sichern und dabei zuzusehen, wie diese Sicherung scheiterte. Vielleicht war das auch, ohne es in Schutz nehmen zu wollen, das Motiv hinter dem pseudosozialdemokratischen New Labour: Erhalten, was zu retten ist. Aber man rettete von zehn immer nur zwei Sujets - und das auch nur für eine kurze Atempause. Nun treten wir in eine neue Zeit ein und weinen dem Davor nach, obwohl das auch schon marode war - wir wollen abermals nur erhalten. Man war als Opposition so mit dem octopus neoliberalis beschäftigt, mit diesem Kampf gegen Fangarme, die den Aufbruch und Abbau von sozialen Errungenschaften, Traditionen, Lebensgefühlen, Ruheräumen und Entschleunigungen markierte, dass für die Definition eines anderen Weges kaum Zeit blieb. Und definiert man ihn doch, so endet man wie Die Linke - denn alles was heute geschieht ist alternativlos. Wer etwas anderes erzählt, der muss geradezu lügen.
Nochmal durchatmen, noch ist die Zäsur nicht ganz vollzogen. Nochmal Luft einsaugen in dieser anderen Welt, in der es theoretisch noch die Alternative zur Alternativlosigkeit gab. Die Luft schmeckt nachher nicht anders als heute - aber sie wird für einen großen Teil der Menschen das einzige sein, was man sich noch leisten kann. Partizipation unter dem ökonomischen Einfluss des Brüsseler Exekutive heißt, teilzuhaben an Luft und Liebe - denn die fallen nicht in den Bereich der Schuldenbremse.
Die Linke, diese angeblich einzige antidemokratische Partei im Parlament, versucht kurioserweise das zu retten, was wir noch Demokratie nannten, weil uns der Präfix Post- irgendwie immer nicht einfiel. Der Dank hierfür wird sein, dass sich Die Linke noch mehr isoliert, dass man sie zu den Bestattern des europäischen Gedankens erklärt und als Spielverderber anschwärzt. Was für Zeiten! Da prescht die Reaktion progressiv voran, da wird der Ständestaat mit ganz neuen kontinentalen Mitteln aufgefrischt - und soziale, ausgleichende Politik führt, obwohl benötigt, obwohl sie Konjunktur haben müsste, nur auf das Abstellgleis der öffentlichen Wahrnehmung und Akzeptanz. Die Linke bekommt hin und wieder zu hören, sie wolle nur Macht und ginge dafür den populistischen Weg - wollte und täte sie ausschließlich dies, hätte sie lediglich dieser Sehr Großen Koalition beitreten müssen, die den ESM zu ratifizieren verspricht.
Was hat man nicht alles gelesen, nachdem Krisen den Kontinent einhüllten, diese vielen kleineren Krisenherde, die von der Strukturkrise des Systems ablenken sollten. Frohnaturen und Schwärmer meinten zuversichtlich, nun sei das Schlimmste überwunden, nun sei diese Politik, die nur noch Wirtschaftspolitik sein wollte, sei der neoliberale Kurs endgültig diskreditiert genug, um auf der Schutthalde der Geschichte zu landen. Tja! Heute wissen wir höchstoffiziell, dass es dieser Neoliberalismus gar nicht war, der das Kriseln machte, es war eher das Zuwenig davon. Daher musste man ihn bestärken, auf dass er bestimmter, entschiedener praktiziert würde - er sollte fast sowas wie Verfassungsrang haben. Und in einigen Stunden wird das auch so beschlossen sein. Zweidrittel des Bundestages verfügen dies dann für Deutschland - und für den Rest Europas, wenn man schon mal zusammensitzt und darüber spricht. Gut, gesprochen wurde darüber nicht, die Regierung malte die Alternativlosigkeit an die Tafel und erzählte Schauermärchen, wie es würde, wenn es nicht so würde, wie sie es gerne sähe.
Diese Alternativlosigkeit ist bald nicht mehr nur Gebärde, sie ist dann offizielles Programm Europas. There is no alternative! ist die neue Präambel. Der Eingriff der Brüsseler Exekutive entzieht dem Parlament Entscheidungsbefugnis, drängt zu neoliberalen Strukturreformen und stellt Sozialpolitik hinten an. Wir können unseren Enkeln in vielen Jahren erzählen, dass wir sowas wie Sozialpolitik erlebt haben, dass wir Gesetze gekannt haben, die als Ziel die Partizipation aller Bürger angaben - Sozialismus... Opa, du hast im Sozialismus gelebt?, wird der Grünschnabel fragen - er wird in der stark unterfinanzierten Schule, deren Lehrpläne freundlicherweise für wenig Geld die Familie Mohn schreibt, davon gehört haben; und er wird davon gehört haben, dass der mutige Beschluss zur ESM Europa vor dem lauernden Sozialismus und seiner widernatürlichen Gleichmacherei bewahrt hat. Wir werden bestenfalls unserem Enkel davon erzählen können, die in Aussicht gestellte längere, immer noch längere und noch längere Lebenserwartung, die uns mit Urenkeln bekannt machen würde, ist erstmal verschoben. Der Bundestag wird ab und an die gesundheitliche Versorgung ausbauen wollen, nur wäre das eine Mehrbelastung im Staatshaushalt, da macht Brüssel nicht mit und verbietet es. Solche Schauermärchen hat die Regierung bislang vergessen zu erzählen...
Neoliberalismus als Verfassungsauftrag - das hätte doch keiner geglaubt vor einigen Jahren! Man hat immer wieder Ansätze davon gesehen: bei der EU-Verfassung, beim Vertrag von Lissabon - aber dass es mal so unvermittelt, so direkt und schroff geschieht, das war nur die Überspitzung diverser Publizisten, die auf diese gefährliche Richtung aufmerksam machen wollten. Das war doch nur ein dramatischer Kniff! Die Krise hätte den Neoliberalismus schrumpfen sollen - aber er ist geadelt worden. Er nennt sich nun konstitutioneller Liberalismus, Monarch qua Verfassung - der außerdem auf Gottesgnadentum fußt: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben! Hätte Jahwe seinem Mose heutigentags die Leviten, also die Gebote gelesen, so würde dieses ersten Gebot wohl lauten: Ich bin der Alternativlose!
Nie wieder neoliberale Reformen, nie wieder Privatisierungswahn, nie wieder Wettbewerbsdruck im Gesundheitswesen oder bei der Versorgung von Senioren beispielsweise, nie wieder effizientes Bildungswesen zur reinen Berufsvorbereitung statt humanistisches Bildungsideal und Vermittlung von Allgemeinwissen, nie wieder Markt im Sozialwesen, nie wieder ein Primat des Spekulativen vor dem Realen - das hoffte man, glaubte man zum Greifen nahe. Eine historische Chance schien sich zu eröffnen. Das ist eine Zäsur, eine große Wende!, jubelten manche - endlich käme es anders, wieder auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittener. Diese Zäsur ist nun ganz anders da, die Zeitenwende lauert anders als optimistisch gedacht in Startlöchern, wartet nur noch auf die Unterschrift des Bundespräsidenten, der wiederum nur auf die Einwilligung des Bundesverfassungsgerichts wartet. Leider wird das kein beckettsches, kein unaufhörliches Warten sein - dann hat es sich ausgewartet und die Zäsur ist endlich vollzogen.
Vielleicht arrangiert man dann doch noch einen Volksentscheid. Nicht aus Verantwortungsgefühl heraus, nicht weil man sich schämt, über den Kopf derer, die man politisch entmündigt, Entscheidungen zu fällen - nein, ganz kalkulativ. Man muss sich schon verdammt sicher sein, die Medienlandschaft in der Tasche zu haben, um glauben zu können, aus einem Volksentscheid legitimiert herauszugehen. Über die Medien fällt oder erwächst die Übernahme der nationalen Souveränitäten - wir sind bis hierher überhaupt gekommen, weil die Medien derart unkritisch berichteten. Wenn sie nun beginnen, ein mögliches Nein bei einem Volksentscheid als Untergang Europas zu zeichnen, als Niedergang des Wohlstandes und als metaphorisches Einfalltor für leistungsstarke Chinesen und leistungsschleicherische Afrikaner oder Araber, dann wirken sie aktiv mit am neuen Europa. So weit sind wir gekommen! Die Putschisten fordern Volksentscheide, weil sie ganz genau wissen, wie die Medien ihnen zuspielen. Und am Ende waren wir es, die es legitimiert haben - jammert nicht, ihr wolltet es doch!
Ach, und falls der Volksentscheid scheitert, machen wir es eben irisch - dann befragen wir in einigen Monaten nochmals das Volk - und nochmals - und nochmals... irgendwann ist es müde genug, um Ja zu sagen. Infantile Taktik! Kinder quengeln und bearbeiten ihre Eltern solange, bis die Ja zu PlayStation und Wuschelhund sagen. Belästigen, nerven, bearbeiten - dieser kindische Terror nennt sich dann Politik im Namen des Volkes.
Ironie ist vorallem, dass man diese Augenblicke bis zur Ratifizierung nochmal als Teil einer Freiheit genießt, die sich dieses Europa nach dem Krieg stückchenweise erarbeitet hat - dabei ist diese Freiheit schon lange beschnitten und zersetzt. Aber man tut so, als sei das Jetzt noch lebenswert und das Dann nicht mehr. Das adelt das Jetzt, hübscht es unberechtigterweise auf. Schon heute ist die Freiheit des Parlamentes relativ. Sie ist erstickt im Lobbyismus, erstickt von einer ökonomischen Lehre, die sich Selbstzweck ist und keinerlei ethische Inspiration kennt, erstickt in obskuren Machtverhältnissen, die sich in Parolen wie Der Markt glaubt..., Der Markt fordert..., Der Markt reagiert... niederschlagen. Schon jetzt ist dieser Markt der Okkupator des Parlaments - dort ist er so selbstherrlich, dass er sogar schon im pluralis majestatis auftritt, als Die Märkte. Wir geben kein Eldorado auf - im Grunde war Opposition gegen diesen neoliberalen Zeitgeist in den letzten Jahrzehnten nicht mehr, als das wenige Erhaltenswerte, das es noch gab, zu sichern und dabei zuzusehen, wie diese Sicherung scheiterte. Vielleicht war das auch, ohne es in Schutz nehmen zu wollen, das Motiv hinter dem pseudosozialdemokratischen New Labour: Erhalten, was zu retten ist. Aber man rettete von zehn immer nur zwei Sujets - und das auch nur für eine kurze Atempause. Nun treten wir in eine neue Zeit ein und weinen dem Davor nach, obwohl das auch schon marode war - wir wollen abermals nur erhalten. Man war als Opposition so mit dem octopus neoliberalis beschäftigt, mit diesem Kampf gegen Fangarme, die den Aufbruch und Abbau von sozialen Errungenschaften, Traditionen, Lebensgefühlen, Ruheräumen und Entschleunigungen markierte, dass für die Definition eines anderen Weges kaum Zeit blieb. Und definiert man ihn doch, so endet man wie Die Linke - denn alles was heute geschieht ist alternativlos. Wer etwas anderes erzählt, der muss geradezu lügen.
Nochmal durchatmen, noch ist die Zäsur nicht ganz vollzogen. Nochmal Luft einsaugen in dieser anderen Welt, in der es theoretisch noch die Alternative zur Alternativlosigkeit gab. Die Luft schmeckt nachher nicht anders als heute - aber sie wird für einen großen Teil der Menschen das einzige sein, was man sich noch leisten kann. Partizipation unter dem ökonomischen Einfluss des Brüsseler Exekutive heißt, teilzuhaben an Luft und Liebe - denn die fallen nicht in den Bereich der Schuldenbremse.
16 Kommentare:
Sagen wirs mal so: Die rhetorische Trickserei setzt die Abschaffung der Demokratie mit Europa gleich, das heißt, man nennt die Entmachtung des Parlaments EUROPA, man verbirgt hinter dem Wort Europa diese Entmachtung und behauptet dann, wer gegen das Entmachtungskonstrukt ESM ist, der ist gegen Europa.
Vielen Dank für diesen Artikel.
Drückt er ziemlich genau das aus, was ich empfinde ..., Hoffnungslosigkeit, irgendwie.
Wir befinden uns auf dem direkten Weg in eine Diktatur, Diktatur der Wirtschaft und des Geldes.
Die Konsequenz wird sein, dass bitteres Lernen vor uns liegt.
Lernen, was die Macht des Volkes bewirken könnte, wäre man nicht so satt, so träge, so faul und natürlich würde nicht die Angst regieren, und man darum versucht das Bisschen zu retten, was man meint noch retten zu müssen. Jeder für sich halt, keine Solidarität und schon gar kein soziales Bewusstsein.
Verständlich dies alles, aber diese Haltung beraubt uns unserer Zukunft und die unserer Kinder gleich dazu.
Beste Grüße
onlyme
Der Weg ist das Ziel. Eine Redewendung. Aber es sieht anders aus.
Das Ziel bestimmt den Weg. So müsste es lauten.
Das Ziel ist die Herrschaft des Kapitals. Der Weg dahin wurde durch die geistig moralische Wende des Bimbeskanzlers eingeleitet.
Seine Geldgeber ... die bestimmten die Richtung des Weges.
(unbequemer)
Auch hier wieder: Die Piratenpartei bietet die Lösung des Problems. Da werden nicht von oben herab Vorgaben an das Volk herangetragen.
Wobei es doch Aufgabe der Linke wäre, mit einer Utopie von der Internationalen gegenzuhalten, als Alternative. Warum tut sie das nicht? Ich verstehe das nicht.
Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale
Endlich kommt die INTERNATIONALE und die linken haben nichts besseres zu tun wie dagegen zu klagen. Lachhaft :-) jetzt habt ihr den Sozialismus den ihr immer wolltet
Wie jeder Beitrag der in den letzten Wochen im Netz gegen die gar nicht schleichende " entdemokratisierung ", ist auch dieser in den Wind geschrieben. Wir müssen leider alle, die wir versuchen, den Wahlbürger über die gegen ihn gerichteten Gesetze zu informieren, einsehen, dass dieser Wahlbürger an den derzeitig gravierenden Veränderungen, absolut kein Interesse hat.
Eine Aussage in diesem Beitrag stört mich: Zitat " Vielleicht arrangiert man dann doch noch einen Volksentscheid. Nicht aus Verantwortungsgefühl heraus, nicht weil man sich schämt, über den Kopf derer, die man politisch entmündigt, Entscheidungen zu fällen - nein, ganz kalkulativ. Man muss sich schon verdammt sicher sein, die Medienlandschaft in der Tasche zu haben, um glauben zu können, aus einem Volksentscheid legitimiert herauszugehen." Wenn das so ist, und leider habe ich keinerlei Zweifel daran, heisst das im Klartext, dass wir uns alle die Finger wundschreiben für die Idioten. Warum schreibt ihr nicht Klartext. Diese Bürger sind schlicht intellektuell überfordert und haben keinerlei Interesse an den Einschränkungen ihrer demokratischen Rechten.
Bisher haben 13616 Mitzeichner eine ePetition gegen den " Fiskalpakt " unterschrieben!
Wir sollten uns also darüber im Klaren sein, dass wir naiv oder doof sind, zu glauben, es würde irgendjemand interessieren, dass sich seine Lebensumstände gravierend zum Nachteil verändern.
Eine manchmal sehr frustrierte suann.
Du hast doch verstanden, was ich damit sagen wollte - also ist es auch Klartext.
Das Thema der objektiven Klarheit, ist so alt, wie es "Subjekte" gibt, über die sich andere "subjektiv-objektiv" darüber stellen. Diese Aufklärung - hat nur Scheiße produziert. Der spirituelle Glauben an die Vernunft, beim gleichzeitig abgöttisch illustrem Trennen menschlicher Eigenschaften, zugunsten systemischer Außenansichten, hat niemals das Problem lösen können, dass der Overviewer, - immer selber drinnen steckt. Zeit, - dazuzulernen. Man kann nur versuchen mitzunehmen, - das Verurteilen, gehört denen, die sich darüber stellen. Der nächste der sagt, es sind alles Idioten, - weiß bereits auch, wie er sie lenken will.
@Roberto J. De Lapuente
Ich denke suann wollte sagen, dass Du noch zu verklausuliert und intellektuell schreibst. Das versteht ein Ottonormalverbraucher eventuell nicht. Der Schreibstil setzt zu viel Wissen um die Funktionsweise des Manipulationsapparats voraus. Aber der Ottonormalstinker VERTRAUT den Massenmedien noch. Die Leute VERTRAUEN darauf, dass ihnen in ARD/ZDF & Konsorten objektiv weitestgehend richtige Informationen vermittelt werden. Dieses Vertrauen müssen wir brechen. Eine Möglichkeit wäre eventuell wenn man plakativer die Lügen dokumentiert.
Als im Winter 2008/2009 die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte und viele vom Ende des Kapitalismus oder wenigstens dem Ende des Neoliberalismus schwadronierten rieb ich mir verwundert die Augen. Aus zwei Gründen:
Zum einen hatten die Verkünder des Endes offenbar noch nie etwas von Naomi Klein (Die Schock Strategie) oder Slavoj Zizek gehört oder ihre Thesen nicht ernst genommen.
Zum Anderen folgte auf die Weltwirtschaftskrise der Zwanziger ja auch nicht das Ende des Kapitalismus sondern im gegenteil der Vorläufer des Neoliberalismus in Form der NSDAP. Zählt heute nur noch die Freiheit des Leistenden zählte damals nur die Freiheit des Stärksten. In beiden Fällen wurden und werden vermeintliche Versager oder Systemgegner für ihre eigene Prekäre Lage verantwortlich gemacht. Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Nazis früher und den Neoliberalen heute scheint mir der zu sein, dass die Neoliberalen gelernt haben "mit Messer und Gabel zu essen". Die Repression kommt heute nicht mehr so offensichtlich mit Judenstern und KZ daher sondern eher unterschwellig im Kleinen. Mit Verleumndung und Hartz IV.
Nein. Die Entwicklung hin zur kompletten Entkernung des Grundgesetzes und dem Abgeben von wesentlichen Steuerungsrechten an die Brüsseler Lobbyisten kann nicht wirklich verwundern.
Es wird noch viele Jahre dauern und noch viele negative Entwicklungen geben von denen wir heute noch nicht einmal träumen bis das neoliberale Kartenhaus in Flammen aufgeht.
Von welch grenzenloser Naivität muss man eigentlich befallen sein, um noch an die Macht von Politik und Politikern zu glauben?
In unserer Naivität vermuten wir Macht - die wir ja angeblich jemandem verliehen haben - wo lange schon keine mehr ist. Oder besser gesagt nie war. Politiker wissen das sehr wohl. Es geht nur darum, aus den Gegebenheiten politisches Kapital für die jeweiligen Parteien zu generieren. Gottgegebenheit ist der Geldgegebenheit gewichen. Als es noch die Lagerkämpfe gab, glaubten wir noch an politische Stärke und fanden uns damit ab, dass Mehrheit halt Mehrheit bedeutete und man sich doch dieser Mehrheit zähneknirschend unterzuordnen hatte. Da dieses Spiel für Politiker offensichtlich an Reiz verloren hat, wird uns klar, dass wir einer Illusion erlegen waren. Im Augenblick werden wir von der einen in die andere Unmündigkeit geführt. Wir waren nie mündige Bürger und werden es auch nicht mehr. Es mag ehrenwert sein, dass DieLinke die imaginäre Demokratie zu retten bereit ist. Sie hat aber nicht die geringste Chance. Dies aber nicht aus den genannten Gründen sondern weil der nächste Schachzug von Wirtschaft und Kapital bereits feststeht. Menschen, die Milliarden gemacht haben wären töricht, nicht auf eine Eventualität vorbereitet zu sein. Eine Kanzlerin Wagenknecht wäre also weder ein Schrecken für die Wirtschaftselite noch eine Hoffnung für die sozial Benachteiligten. Politik ist bestenfalls ein lästiger Umstand, mit dem es gilt, fertig zu werden. Profit zu generieren ist oberstes Ziel. Die Mittel hierzu stehen bereit und werden eingesetzt. Hierzu gehört es halt auch, alle Völker einzulullen und ihnen den Glauben zu vermitteln, es sei der Souverän und es ginge eine Macht von ihm aus. So hält man Ruhe, ohne Soldaten, ohne Söldner und Schlägertrupps.
Und nun hört auf, einen Schuldigen zu suchen und genießt soweit ihr könnt die Vorzüge, die euch noch geboten werden. Es werden weniger werden.
@FetteBeute
danke für die "uebersetzung " trifft kurz und besser meinen beitrag. sorry, für den verwirrenden post
nice weekend suann
FetteBeute sagte: "Aber der Ottonormalstinker VERTRAUT den Massenmedien noch. Die Leute VERTRAUEN darauf, dass ihnen in ARD/ZDF & Konsorten objektiv weitestgehend richtige Informationen vermittelt werden."
Es ist viel krasser: Man findet letztlich ALLES, was hier festgestellt wird, auch in den Mainstream-Medien.
In einer Statistik über Polit-Talkshow-Gäste der ersten Monate des Jahres teilt sich z.B. Sarah Wagenknecht mit ein paar anderen üblichen Verdächtigen den 1.Platz.
Man kann eigentlich zu jedem Thema hier eine Sendung zu guter Sendezeit heraussuchen, in der jemand genau das darstellt, was hier steht.
Das war mal anderes, und es ist das Verrückte, dass mittlerweile alle diese Positionen vor großem Publikum immer wieder gesagt und begründet werden können, ohne dass es etwas bewirkt...
Was die Mehrheit der Parlamentarier am Freitag abgenickt hat, kann man ohne jede Überteibung als Ermächtigungsgesetz betiteln.
Was in diesem ESM-Vertrag steht, ist so unglaublich, dass es irgendwie surreal wirkt. Der Verstand weigert sich beinahe, dies als tatsächlich so geschrieben und gewollt zu akzeptieren.
Für alle, die sich noch nicht so detailliert mit dem Thema auseinander gesetzt haben, hier die "schönsten Schmankerl" aus dem Vertragstext.
Artikel 8, Abs. 1.: Das genehmigte Stammkapital beträgt 700 Milliarden EUR. [...]
Artikel 9, Abs. 3: [...] Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt dieser Aufforderung einzuzahlen.
Artikel 10, Abs. 1: Der Gouverneursrat überprüft das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals des ESM regelmäßig, mindestens jedoch alle fünf Jahre. Er kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern und Artikel 8 und Anhang II entsprechend zu ändern. [...]
Artikel 21, Abs. 1: Der ESM ist befugt, zur Erfüllung seiner Aufgaben an den Kapitalmärkten bei Banken, Finanzinstitutionen oder sonstigen Personen und Institutionen Kapital aufzunehmen.
Artikel 25, Abs. 1: Verluste aus den Operationen des ESM werden beglichen.
a) zunächst aus dem Reservefonds,
b) sodann aus dem eingezahlten Kapital und
c) an letzter Stelle mit einem angemessenen Betrag des genehmigten nicht eingezahlten Kapitals, der nach Maßgabe des Artikels 9, Absatz 3 abgerufen wird.
Artikel 32, Abs. 2: Der ESM besitzt volle Rechtspersönlichkeit, er besitzt die uneingeschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit.
[...]
Artikel 32, Abs. 3: Der ESM, sein Eigentum, seine Mittelausstattung und seine Vermögenswerte genießen [...] Immunität vor gerichtlichen Verfahren jeglicher Art [...]
Artikel 32, Abs. 4: Das Eigentum, die Mittelausstattung und die Vermögenswerte des ESM genießen [...] Immunität vor Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen.
Artikel 32, Abs. 5: Die Archive des ESM und sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden, sind unverletzlich.
Artikel 32, Abs. 6: Die Geschäftsräume des ESM sind unverletzlich.
Artikel 34, Abs. 1: Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats, [...] sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen.
Was soll man dazu noch sagen?
Einfach nur erschütternd!
Heilix Blechle, nun muss auch schon neben den "Märkten" " ethische Inspiration " herhalten. Ginge alles auch kürzer: Den ehemaligen Frontstaat muss keiner mehr sponsern, die Insassen glauben zu lassen, sie hätten alles persönlich + marktgerecht erwirtschaftet, glaubt, wenn Schmiddi aus HH es trötet, jeder.
Bin also für'ne Volksabstimmung zur Verhinderung weiterer. (Außer über Löw)
Diese Alternativlosigkeit ist (...) dann offizielles Programm Europas.
Schön gesagt. Ja, war doch schon 1933 so, usw.
Das Problem ist, die kritisch Masse an Widerspenstigen ist noch nicht erreicht (und vielleicht auch noch nicht erreichbar), Menschen sind geduldig.
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