Ikonenschmiede

Montag, 4. Juni 2012

Er war eine Stilikone. Keiner sonst hatte die Amoralität des Neoliberalismus so sehr in sein Gesicht und seine Mimik gefurcht, wie er. Niemand konnte mit nonchalanter Arroganz und Geste herabsehen, bei Regierung speisen und Politik mitbestimmen, wie er es tat. Schon sein überhebliches Auftreten bestätigte: Aha, wir sind im neoliberalen Jammertal angelangt. Diese Stilikone gibt es nicht mehr. Nicht dass sie gestorben wäre - sie ist lediglich abgetreten. Das reicht ja heute schon aus, um als Stilikone zu verblassen. Dean musste sterben, Hepburn auch, um abgelöst zu werden - aber als Stilikone des neoliberalen Zeitgeistes hat man Glück, man muß nur zurück- nicht gleich abtreten, sich auswechseln, ersetzen, erneuern lassen. Ein konsequent konsumptives Lebensgefühl, wie beim Austausch alter Schlappen durch neue.

... mach dich vom Acker, Mann!

Er war die Charaktermaske, die keinen Charakter hatte. Josef Ackermann, neoliberaler Finanzier und Intimus des Kanzleramtes. Sein Gesicht war das Gesicht eines Finanzmarktes, der aus Geld Geld und aus Geld Geld wiederum Geld machte. Er war der Leumund einer Praxis, die ohne Aufwand und mittels outsourcing jeglicher Verantwortlichkeiten, Geld aus Geld filtern wollte. Aus dem Nichts, ohne Schöpfung von fassbaren Werten. Diese Alchemie geschah, während er über Erwerbslose moserte, den fehlenden politischen Mut zu unpopoluären Aktionen rüffelte und den Sozialstaat als schrecklich altmodische Rückständigkeit aus anderen Zeiten diffamierte. Die Ackermänner wurde zum Synonym für gierige, gewissenlose Schlundhälse, die sich in ihrer Jugend Yuppies nannten und für solcherlei Bezeichnung zu alt und zu fett geworden waren. Jetzt waren sie seriöse Investmentbänker, anständige Mitglieder der Gesellschaft - einer Gesellschaft, die so egoistisch gestaffelt sein sollte, wie sie es immer schon waren. Ackermann war das volle neoliberale Programm in persona - sein Konzept gründete auf Deregulierung und Absolutheit des freien Marktes. Eine solche regellose Wirtschafts- und Finanzwelt würde Wohlstand für alle bringen, so sein Ausflucht. Eine Hülse, die er anständig aus dem codex neoliberalis gelernt hat.

Nun ist er weg. Aus dem Amt geschieden - und es rücken fein geleckte Eitelmänner nach. Die haben bislang noch zu wenig gesagt, um als Stilikonen empfangen werden zu können. Westerwelle war eine solche Ikone - sein Nachfolger Rösler ist es nicht, obgleich seine Partei noch radikalere Ansätze zeigt als vormals. Zu bübisch wirkt er, zu tapsig sein Auftreten, zu lächerlich seine Rede. Er ist bestenfalls eine Stilikone für das Hochdienen mit gumpischer Grundausstattung. Gleichwohl sind seine gelben Brigaden radikaler als zuvor. Endsieg um jeden Preis - bedingungslose Kapitulation ist für sie nicht drin. Und dennoch reicht es nicht, um als Ikone dieser egomanischen Daseinsfreude durchzugehen.

Sinnkrise?

Ackermann war Karikatur wie Westerwelle. Sein langes Wirken hat ihn zur Überspitzung seiner eigenen fanatischen Weltanschauung werden lassen. Und nun sitzen da so blasse, so unbekannte, so wenig karikaturöse Gestalten dem hiesigen Finanzzirkus vor. Das riecht schon fast nach Sinnkrise für alle, die das Bild der spekulativen Wirtschaft, des neoliberalen Zynismus zeichnen wollen. Diese bewährte Maske der zynischen Spekulativwirtschaft ist abgetreten. Der, von dem man wusste, was man an ihm nicht hat - Ackermann bot stets Reibungsfläche, er war das fleischgewordene System.

Aber der Neoliberalismus ist gut zu seinen potenziellen Ikonen - Audrey war Pop-Art als Persönchen, danach kam nichts mehr, mit ihrem Tod betrat kein Nachfolger die Bühne. Aber der Neoliberalismus schafft immer wieder neue Ikonen, neue Charaktermasken. Dazu muß nur mal metaphorisch das Victory-Zeichen gegen die Justiz dieses Landes in die Kamera gehalten werden, so wie es einst der Macht-sich-vom-Acker-Mann tat. Die Arroganz gegen die Produktiven und Werktätigen, gegen die Habenichtse und Hungerlöhner ist der Finanzwirtschaft immanent - und damit ist die neue Ikonographie schon programmiert. Andere Strömungen, Lebensgefühle, Bewegungen, Richtungen und Weltanschauungen schaffen nur in Ausnahmefällen besondere Ikonen ihrer selbst - stirbt eine, hievt sich nicht automatisch ein Thornfolger ins Licht. Der Neoliberalismus ist da (selbst-)gerechter, gleichmacherischer, egalitärer. In ihm kann jeder ungestüme Rüpel eine Figur werden, auf die man blickt.

Ackermann ist tot - es lebe der Ackermann, der nun halt anders heißt...



7 Kommentare:

Anonym 4. Juni 2012 um 07:29  

Mit diesem Text verdeutlichst Du auch den Irrsinn der RAF, die meinte, wenn sie der Hydra einen Kopf abschlägt, sei dies ein Erfolg. Nein, die Charaktermasken und Marionetten des Grosskapitals sind austauschbar wachsen immer wieder nach. Es sei denn, Ackermann würde durch Georg Schramm oder Hagen Rether ersetzt. ;-)

ad sinistram 4. Juni 2012 um 07:40  

Vor der RAF hat Dutschke aber schon mal von Charaktermasken gesprochen, die wahllos austauschbar sind - das hat die RAF nie begriffen.

Anonym 4. Juni 2012 um 08:34  

Marc Uwe Kling: Lied für Josef Ackermann

ulli 4. Juni 2012 um 10:09  

Vielleicht werden wir Ackermann eines Tages noch nachtrauern. Immerhin hat er ja - wie abstrus auch immer - mit dem Publikum zu kommunizieren versucht.

Womöglich sind diese Zeiten längst vorbei. Es sind ja auch die Zeiten vorbei, in denen die Banken gigantische Spekulationsgewinne verbuchen können. Heute stehen Griechenland, Spanien und wohl auch Portugal unmittelbar vor einem Bankenchrash, der nur abgewendet werden kann, wenn die Staaten die Banken massiv refinanzieren. Und was es bedeutet, wenn eine ganze Gesellschaft für die Spekulationsverluste der Upper-Class in Haftung genommen wird, kann man in Spanien besichtigen...

Cäcilia 4. Juni 2012 um 10:38  

Das Schauspieler abtreten oder ausgetauscht werden, das es eventuell schon Zweitbesetzungen gibt oder auch zur Zeit hinter den Kulissen ein neues Casting stattfindet, ist mir klar. Aber wer schreibt das Drehbuch? Wer ist der Regisseur? Ist es wirklich nur eine "neverending story", die sich aus sich selbst schreibt.

Ich zitiere aus einem vorhergehenden Blog: "Es sind Bewegungen, Strömungen, Empfindungen, allgemeine Gefühle und Erregungen, Enttäuschungen oder Euphorie, die Geschichte machen. Zeitgeist könnte man das nennen - oder wie Hegel: den Weltgeist. Es sind Denk- und Fühlweisen, die sich aufgrund ökomischer, technischer, relgiöser oder juristischer Vorbedingunen absondern." Ich denke schon seit Tagen darüber nach. Mir ist dazu Professor Dürr eingefallen, der Atomphysiker, der sagt, dass die Welt nicht Materie ist sondern Energie, Geist sozusagen. Materie sei nur verdichteter Geist ... verdichtet durch das Mittelmaß ... der Durchschnitt sozusagen. Veränderung fände auf der Ebene des Möglichen statt. Er benutzt zur Veranschaulichung in seinen Vorträgen ein Pendel, dass aus verschiedenen Ebenen besteht. Das Pendel kann auf der Ebene des Möglichen sowohl in die eine Richtung oder die andere Richtung fallen. Ist es aber erst mal in Bewegung gekommen, gibt es nur noch eine "vorgeschriebene Bewegungsabfoglge".

Meine Frage, mit der ich mich nun beschäftige ist, was ist der Impuls, der aus diesen noch unsichtbaren aber bereits fühlbaren Strömungen Aktionen werden läßt und auch die dazu notwendigen Personen hervorbringt. Ich meine nämlich nicht, dass wenn es Hitler nicht gegeben hätte, die Geschichte ähnlich verlaufen wäre. Es hätte auch ganz anders sein können.

Anonym 4. Juni 2012 um 13:29  

@ ulli:

nichtsdestoweniger hat Ackermann mit seinen Taten den Weg mit vorbereitet für das Casinobankertum, das auf der ganzen Welt grassiert. Er kann sich noch so sehr von den eitlen Finanzfatzken und den Arschkriechern der Systempresse abfeiern lassen: was dieser Typ in den zehn Jahren an Schweinereien fabriziert hat (und damit meine ich vorwiegend Vorbild für andere Finanzverbrecher zu sein), wird die Gesellschaft als Ganzes noch an den Rand des Untergangs bringen.
Ich träume von einem Tribunal, einem unbestechlichen Tribunal, das Gesellschaftsterroristen wie Ackermann aburteilt - und das nicht mit Geld- und Bewährungsstrafen belegt !
Anton Chigurh

Anonym 4. Juni 2012 um 22:32  

Eine sehr treffende und gute Charakterdarstellung eines modernen Machtmenschen.
- Rein biologisch unterscheiden sie sich ja von der übrigen Menschheit keineswegs. - Sie müssen ihren Toilettengang wie alle anderen verrichten und auch sie müssen essen,trinken,schlafen um zu existieren.
Sie unterscheiden sich von "normalen" Menschen dadurch, daß sie zwanghaft ihre Macht ausleben müssen. - Vielleicht deshalb, weil sie nur wenig Macht über sich selbst haben.....

Ein Litaraturhinweis: Der Gotteskomplex, Horst E. Richter

Gruß
Hartmut

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