In neoliberalen Wäldern

Freitag, 1. Juni 2012

Wie bekümmerte Naturmenschen, die durch Wälder pilgern, gehen sie durch den Dschungel neoliberaler Lebensart. Sie bestaunen die welke Krone, das braune Blattwerk, dieses absterbende Leben auf Ästen. Sie nehmen zur Kenntnis, wie es Blätter niederregnet, sie sich mit letzter Faser, letzter Fiber ans Geäst heften, sich gegen die Bräune des Verlöschens stemmen. Es ist Frühling, dennoch stirbt der Baum; es ist warm, doch er erkaltet. Kein Wachstum, nur Verrecken. In Zeiten des Sprießens nur Niedergang. Das bekümmert manchen.

Ein Förster passiert die Situation. Er tröstet nicht, sondern gibt Erklärung. Er nennt die Auszehrung der Böden als Grund, teilt der Austrocknung des Grundes Schuld zu, das Wurzelwerk verkümmere im ausgelaugten Terroir - es liegt an der siechen Wurzel, sagt er. Daran krankt es - zu wenig Mineralienzufuhr. Alle Therapie an der Krone sei unsinnig; an die Wurzel muß man, heilt sie, heilt der gesamte Wuchs, urteilt er. Die Krone sei nur Wirkung, nicht Ursache. Wirkung, die man sieht, die die Ursache, die man nicht sieht, erdrückt mit ihrer Präsenz. Unter die Oberfläche gehen, um Zusammenhänge zu erkennen, philosophiert er - sich nicht von äußeren Eindrücken manipulieren lassen.

Sie hören dem Förster ungenau zu, geistesabwesend auch. Sie hören ihn, hören seine Erklärung und deuten zum Himmel, zu wenig Sonne, meinen sie, zu wenig Licht. Der Förster verneint, daran liege es gerade nicht; nimmermüde erklärt er abermals, dass man an die Wurzel gehen müsse. Aber die Krone..., antworten sie nur betrübt. Sie wollen den Ausführungen nicht folgen. Der Baum stirbt, man sieht es - was könne man denn dagegen tun?, fragen sie, als habe es die vom Förster erklärte Ursache nie gegeben.

Wie bekümmerte Naturmenschen, die durch Wälder pilgern, gehen sie durch den Dschungel neoliberaler Lebensart. Sie sehen den moribunden Eindruck, das Siechtum der öffentlichen Hand, von Kultur oder arbeitsrechtlichen Gepflogenheiten, sehen die Folgen von Sparpolitik, abgehetztes Pflegepersonal, arbeitende Arbeitslose und verwahrloste Stadtteile, bemerken an sich selbst die Wirkungen dieses Krepierens im Monatstakt und betrauern sich leidvoll. Man spricht sie darauf an, kommt mit ihnen ins Gespräch, erklärt ihnen, es sei das System die Wurzel dieses Übels, spricht von Systemimmanenz und vom System, das dieses System hat und erntet zwar Nicken, jedoch auch Desinteresse, wenn die Erklärungen zu allgemein werden, wenn sie sich vom eigenen Schicksal zu sehr entfernen.

Es geht stets um die eigenen Sorgen im System, nicht um das System, das die Sorgen bereitet - wie bekümmerte Naturmenschen, die Kronen betrauern, wo es der Wurzel zu helfen gälte. Mit dem System, das man uns aufoktroyierte, scheint niemand unzufrieden - die Rolle innerhalb des Systems, sie macht mürbe. Hätte man selbst nur eine glanzvollere Krone, ein wenig mehr Sattheit im Grün, weniger verdorrte Stellen, man würde die morbide Wurzel glatt für gesund erklären.



12 Kommentare:

christophe 1. Juni 2012 um 07:22  

Sehr schöner Text! Deshalb wird auch immer nur auf solche 'Experten' gehört, die die eigene Ideologie bestätigen. Gutachter, die auf einen grünen Zweig kommen wollen, wissen das...

Anonym 1. Juni 2012 um 07:58  

Das neoliberale "Roundup™" ist Schuld, sollte es doch üppig blühende Neolib-Landschaften bringen und die neoliberalen Gärtner ackern immer noch.

Minderleister®, die auf den Komposthaufen der Geschichte gehören!

Inglorious Basterd 1. Juni 2012 um 08:01  

Nicht zur Veröffentlichung:
Lieber Roberto. "aufoktroyieren" gibt es nicht. Oktroyieren heißt aufzwingen und hat das "auf" bereits zum Inhalt. Mußte mich selber vor Jahren von meiner Frau (Germanistik MA.)belehren lassen. Vgl.: In kein(st)er Weise, optmal(st), einzig(st).

ad sinistram 1. Juni 2012 um 08:21  

Danke Inglorius Basterd. Mir ist das bewusst - ich habe das aber absichtlich so gewählt, um zu "dramatisieren". Man liest das aber relativ oft - auch in Tageszeitungen.

Anonym 1. Juni 2012 um 08:45  

Der text hat mir sehr gut gefallen. Es ist genau das richtige bild. Ich würde es auch so wählen. Gefällt mir total gut.

Seit einigen bereits habe ich mich zunehmend aus der konsumwelt entzogen. Zugegeben zwangsweise zuerst, weil mir die mittel entzogen wirden. Aber der zwangsweise 'entzug' hat mich der natur immer näher gebracht. Nicht nur weil ich jetzt einen garten beackere und wie generationen zuvor wenigstens teilweise meine lebensmittel selbst herstelle.
Was anfangs kompensation und ersatz gewesen ist, wurde zum lebensinhalt und zu einer art 'luxus': verbundenheit mit der natur, zeit, und 'gute' arbeit...

Nichts desto trotz muß ich eines anmerken:

Ein wirklicher naturmensch würde so wie in dem text nicht reagieren. Ein mit der natur verbundener mensch WEISS um das zusammenspiel der faktoren, die die gesundheit eines baumes beeinflussen. Und wenn ewig die sonne scheint, ohne daß es regnet, dann beginnt der baum eben zunehmend zu verdorren.
Daß die wurzel dabei verdorrt, ist übrigens falsch. Im gegenteil, sie wird sich weiter verzweigen und vor allem weiter in die tiefe gehen, einfach um an mehr wasser zu kommen. Unter nderen aus diesem grunde sehen die oberirdischen teile so trocken aus. Die pflanze konzentriert sich auf ihr wurzelwerk. Manche lassen den oberiridischn teil dann tatsächlich vertrocknen. Andere treiben notblüten etc.

Nur ein der natur entfremdeter 'natur'mensch kann so fehlerhaft interpretieren, wie im text. Dieser braucht dann in der tat den 'förster' oder andere experten, um die natur wieder zu verstehen. Aber ganz richtig ist eben doch, daß jeder dabei nur seine eigene stellung sieht innerhalb des systems. (hier übrigens ein bruch im bild, vom betrachter des baumes als subjekt hin zum baum als subjekt selbst. Aber geschenkt. Künstlerische freiheit muß sein.)

Würde ich einen solchen text schreiben, so hörte ich im übrigen auch an eben dieser stelle auf. Da fällt mir nämlich auch keine lösung ein, was man da tun kann. Mit einer so ängstlich jeder auf sich selbst gerichteten gesellschaft. Es ist ja sooo verständlich, jeden für sich betrachtet. Aber auch gleichzeitig sooo falsch! Aber was tun damit? Ich weiß es leider auch nicht... und bin darüber einigermaßen bekümmert...

Gruß

konyhakert

Hallo 1. Juni 2012 um 11:02  

Das gleiche ist es mit all den Experten, die vor der "menschengemachten" Klimaveränderung warnen. Politisch gesteuert von den Regierungen, die Förderung und Preise praktisch nur den Warnern zugestehen.

Als Kind in den '80ern während der Umweltbewegung und des Erstarkens der Grünen war ich der festen Überzeugung, dass ich in spätestens 10 Jahren in einer Welt ohne Pflanzen leben würde. Ich habe damals Bilder gemalt, die meine Vorstellung davon wiedergeben.
Seitdem gebe ich nichts mehr auf Expertenprognosen.

Es gibt auch einen großartigen Song zu dem Thema, "Only an Expert" von Laurie Anderson. Er handelt davon, wie sich ganze Expertenindustrien durch ihre Diagnosen ihr eigenes Klientel schaffen, hier der Text:
www.lyricsmania.com/only_an_expert_lyrics_laurie_anderson.html

Anonym 1. Juni 2012 um 20:02  

@konyhakert 01.06. 08:45

Ihren Ausführungen schließe ich mich an ..

@Herr De Lapuente, Gedankengänge wunderbar verarbeitet in Literarisches. Nicht neu, ich weiß, trotzdem wollte ich es noch einmal anmerken :).

@Hallo 01.02. 11:02
"Das gleiche ist es mit all den Experten ... Politisch gesteuert von den Regierungen"

Wenn es stets nur so sei, würden sich Experten nicht ständig streiten.

Und auf den Text bezogen, verurteilt man den Förster, packt ihn einfach in die "Experten"-Kiste oder mag ihm doch so gar nicht zuhören, dann schaut man halt auf sich, auf die Krone und wartet weiter auf mehr Grün, mehr Sonne. Wie man das Problem löst, nun, solches erarbeiten zumeist dann doch wieder Experten.

Denn eine solche Haltung:
@De Lapuente:"Es geht stets um die eigenen Sorgen im System, nicht um das System, das die Sorgen bereitet - wie bekümmerte Naturmenschen, die Kronen betrauern, wo es der Wurzel zu helfen gälte."

halte ich glatt für einen Fehler, wenngleich auch völlig menschlich verständlich.

Aber, den Experten vom Grunde auf, auszusortieren, weil man möglicherweise eine völlig falsche und kindlich geprägte Vorstellung davon bekam weil eben Kind?), was die einstigen Experten - so es überhaupt welche waren - zu verkünden wünschten (gebe auch zu bedenken, Experte ≄ Experte, der arme Förster ...).

Unser Globus ächzt, in Jahrhunderten gesehen, mal mehr, mal weniger. Doch steht es außer Frage ... Wir trieben, früher wohl unbewusster, als wir das heute tun (zumindest hier in die Breitengraden), arges Schindluder mit dem Planeten und ganz abgelegt haben wir das mitnichten.

Gehen Sie davon aus, weil es Experten waren, einst, die Ödnis derart nicht kam, wie sie das erwarteten, es gäbe keine Umweltschäden? Sei alles nur erfunden, von bezahlten und von Regierungen instrumentalisierten Experten?

Gruss
Rosi

Anonym 2. Juni 2012 um 01:40  

Das ist aber eine merkwürdige einstellung. Weil man in den 80ern geglaubt hat, bereits in zehn jahren würde es keine pflanzen mehr geben, weil man also einer hysterie aufgesessen ist, nun gleich die ganze klimakatastrophe als unsinn abzutun... das ist ungefähr so, als würde man an den winter nicht glauben, nur weil er nicht übermorgen kommt, obwohl er vorhergesagt ist. Und es ist gerade sommer...
Ignorierst du denn alle fakten, die seit dem selten genug durch die presse gehen, zumal jetzt wo nur noch das geld zählt und von banken und schulden etc. Die rede ist? Selbst die pole beginnen zu schmelzen...

Und experten haben auch jeweils nur ihre spezialgebiete, zu denen sie wirklich auskunft geben können. Und wenn sie wirklich experten sind, dann haben sie die fakten sorgfältig geprüft. Was heute allerdings auch nicht mehr selbstverständlich ist.

Anstatt gleich ganz den glauben zu verlieren, wäre es daher vielleicht angebrachter, nicht blindlings alles zu glauben, keiner hysterie anheim zu fallen, sondern statt dessen selbst zu überprüfen, sich aus verschiedenen quellen zu informieren, um sich selbst ein eigenes bild machen zu können und so auch selbst urteilsfähig zu sein. Oder?

Don M. Tingly 2. Juni 2012 um 10:46  

das entscheidende enthält für mich der letzte absatz. das entscheidende und gleichzeitig das frustrierendste: der zustand des waldes (um im bild zu bleiben) ist den meisten egal, solange es dem eigenen baum noch einigermaßen gut geht. und auch dessen bevorstehender tod interessiert nicht, solange man die eigene absehbare lebensspanne noch in der grünen krone sitzen kann.

will sagen: die krankheit des systems stört nicht, solange man selbst nichts merkt. die zwangsläufigkeit, mit der einem das gleiche schicksal droht, wie denjenigen, die man um sich rum bereits in agonie liegen sieht, wird verdrängt. erklärungen will man nicht hören, berauscht sich lieber am moment.

gerne lassen wir uns von neoliberalen scharlatanen erklären: "was wollt ihr denn? schaut euch doch um! es ist doch alles in ordnung bei uns. schlecht geht es nur anderen, weil sie faul und dumm sind."

wir haben uns wieder zurückgezogen in vor-aufklärerische unmündigkeit. nur ist es diesmal nicht "der liebe gott", der die mächtigen reich macht und die armen im himmelreich entlohnen wird, sonder diesmal ist es der "freie markt", der schon dafür sorgt, dass alle ihren "gerechten lohn" erhalten.
der klerus heißt jetzt BILD oder ZDF. das gelobte land Media Markt. die messe wird am "verkaufsoffenen sonntag" gefeiert und Anshu Jain ist der neue vorstandsvorsitzende von gottes gnaden.

es scheint Aristoteles lag wirklich richtig, als er das leben der sklaven bei einem gerechten herren für erstrebenswerter als ihre freiheit erklärte.

es scheint als wäre der mensch tatsächlich mit der freiheit überfordert.

Anonym 2. Juni 2012 um 12:40  

Farbe! Wasserfeste Farbe, in schönem sattem Grün, zur Besprühung der Kronen.
Ursache und Wirkung - wen interessert das heute noch?

der Herr Karl

Anonym 3. Juni 2012 um 13:54  

@Der Herr Karl

Niemanden, Sie haben völlig recht, stimmt auffallend, keinen tangiert es, nicht für die eigene Existenz, nicht für die der anderen.

Weder jene, die sich die Kronen mit Wasserfarben auffrischen müssten - sofern das Astgerüst überhaupt noch steht -, noch solche, die über füllige Kronen verfügen.

Nur bin ich mir manchmal nicht ganz sicher, wen es weniger interessiert; ist doch alles nur rein virtuell oder so ähnlich.

Insoweit:
@Don M. Tingly
"denjenigen, die man um sich rum bereits in agonie liegen sieht, wird verdrängt."

Ach, wenn es doch nur so sei ... dann könnte man es möglicherweise einfacher durchbrechen.

Wenn jedoch niemand mehr zuhört, auch die von der "Agonie" bereits Betroffenen nicht ... sie alle nach den Farben greifen ... dann, ja dann landen wir eben dort, wo wir heute verharren.

Ein einig Volk voller Menschen, mit bunter Wasserfarbe an den Fingern ... manche nehmen gar Permanent Marker ... Doch über die "Zeichnungen", da wird sich heftig gestritten ... wohl wahr ...

Gruss
Rosi

Anonym 9. Juni 2012 um 11:42  

sehr gute beschreiung der heutigen zeit

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