Sie sterben uns alle weg...

Mittwoch, 23. November 2011

Ich habe ihn erst sehr spät für mich entdeckt. Erst vor einigen Jahren. Wir seien alle Terroristen, hieß er mich, ließ er seine Frau Barbara Peters singen - Text von ihm, Text von Georg Kreisler. Und der ist nun verstorben.

Virtuose Musik, Schmäh voll sprachlicher Grandezza, zynische Zeilen und spitzbübisches Augenfunkeln - das war es, was mir Kreisler so nahe brachte. Und natürlich sein Umgang mit der Sprache. Seine Lieder stets Affront gegen Machthaber und Zeitgeist. Das machte ihn zum akzeptierten Paria im Kulturbetrieb. Diese sonderbare Stellung besang er auch: "Ich singe lächelnd, denn ich denke an die Pause; die Leute lächeln, denn sie wolln mich gern verstehn. Dann ist die Vorstellung vorüber, und ich sause, und zu Hause fällt mir ein: Es ist schon wieder nichts geschehn."

Beim Taubenvergiften im Park applaudierten sie ihm. Auch bei anderen Liedern, die die große Freiheit des Kapitalismus anfeindeten und zynisch durchleuchteten. Nur das breite Publikum verstand solche Texte weniger - für das war er der Taubenvergifter. Kreisler aber: unverbiegbar! Wo andere katzbuckelnd die Honorationen der Öffentlichkeit annahmen, da sprach er aus, was schon lange hätte gesagt werden müssen. Sein Brief nach Wien zeugt davon. Einen, den sie 1938 noch vertrieben haben, jetzt geehrt?

In die Vereinigten Staaten floh er damals. Mit Musik hielt er sich über Wasser - mit Instrumentalmusik. Im englischen Sprachraum konnte sein Wortwitz nicht gedeihen. Er landete unter anderem bei Charlie Chaplin, für den er in einem Film musizierende Doublehände gab. Chaplin war, so erklärte Kreisler einmal in einer Reportage über seine Person, ein ganz anderer Arbeitgeber. Schon damals galt in Hollywood jene Denkart, die wir später als neoliberale über den Globus stürmen sahen. Chaplin schloss sich dieser aber nicht an, er war freundlich und fair. So einen musste man später freilich als Kommunisten vertreiben...

Kreisler verbandelte sich nicht mit der Macht. Er blieb Künstler; blieb Freidenker. Sprachrohr für etwaige Parteien, Strömungen und Bewegungen war er nie. Dass seine Texte das sind, was wir im politischen Duktus als links bezeichnen, ist nicht Zufall - es ist die Quintessenz seiner Lebenserfahrung. Wer nachdenkt, so könnte man sagen, wird zwangsläufig links denkend. Kreisler war kein schnell mal entbrannter Wutbürger, den die schlechte Laune packte - sein Denken war beharrlich und trotzte jedem Zeitgeist, der sich ihm in den fast neun Dekaden seines Lebens in den Weg stellte

Ich behauptete, im Angesicht der Trauerkultur, die diese Gesellschaft an den Tag legt, wenn jemand möglichst medienwirksam und spektakulär gestorben ist... ich behauptete also, man könne um einen Menschen, den man persönlich nicht kannte, kaum trauern. Vielleicht trauere ich nicht um Kreisler, bin aber wohl traurig; Trauern bedeutet die Veränderung zu erlernen, die das Wegsein eines Menschen mit sich bringt. Ich werde jedoch weiterleben können ohne viel Veränderung. Und doch lebt es sich ärmer weiter. Er war Künstler und nutzte diese Position nicht, um sich mit der Macht zu schmücken, wie es viele Schauspieler und Musiker heute tun. Er hielt sich von der Macht fern, war allerdings deshalb nicht ohnmächtig. Seine Kunst strahlte Macht aus - und sie hat gemacht, dass sich Leute wie ich bestärkt fühlten, weil auch aus berufenerem Munde Kritik am Status quo existierte.

Kreisler machte Mut. Wieder ein Mutmacher weniger. Bleiben uns all die mitläuferischen und vermainstreamten Künstler und Künstleroide, die hin und wieder wutbürgerlich entbrannt so tun, als würden sie der politischen und wirtschaftlichen Macht fernstehen, um just bei irgendwelchen ministerialen Aktionen als Werbefigur herzuhalten. Kürzlich Degenhardt - jetzt Kreisler. Die Unbeugsamen, die den Mainstream, diesen Malstrom, mieden und die sich kein Blatt auf den Mund klebten, sie sterben aus. Uns bleiben dafür Biermänner, einst Dissidenten, heute herrschaftliche Nachbeter, die mit der Macht speisen und sich schon für kritisch erachten, weil sie vor der Kanzlerin keinen Schlips tragen.



12 Kommentare:

christophe 23. November 2011 um 16:10  

Ja, der Kreisler. So einer hat es im deutschsprachigen Raum schwer, wo das Subtile so unverdaulich ist. Er hätte ein größeres Publikum verdient gehabt, aber er hatte einen unverzeihlichen Fehler: Man konnte ihn nicht einordnen! Ich dachte auch, erst Degenhardt, nun er, aber in den Mainstream-Foren heißt es: Erst Loriot und nun er. Das läßt tief blicken!

André 23. November 2011 um 16:36  

Uns bleiben dafür Biermänner, Nuhrs und Mittermeiers (in absteigender Reihenfolge) und andere Komödianten. Die immergleichen Pispers- und Schramm-Links machen auch noch keinen Frühling. Lange lebe der Schweizer Franz Hohler und der Deutsche Gerhard Polt!

Anonym 23. November 2011 um 18:17  

Er war aber doch nicht zynisch! Er war sarkastisch. Er war zwar böse, aber er mochte die Menschen, er verachtete sie nicht etwa. Und ihm war eben nicht alles egal.
Zyniker par excellence sind Harald Schmidt und Dieter Nuhr.

Anonym 23. November 2011 um 21:08  

Ein sehr schöner und treffender Nachruf auf diesen großen Künstler, von denen es leider immer weniger gibt. Leider!

MfG Bakunin

Anonym 24. November 2011 um 00:59  

Ich bin damals in der Mitte der neunziger einmal extra aus Leipzig nach Muenchen gefahren um ihn einmal zu hoeren.

Uhhh war der boese. Bei den Zwischentexten wurde das Lachen im Halse vergasst.

Schwaerzester Humor. Und die Kombination von Sprachwitz, politischer und gesellschaftkritischer Faehigkeit, Klavier virtuose und Gesangeskunst.

Unvergleichlich.

landbewohner 24. November 2011 um 06:39  

ob ich nun trauere oder trauern kann, sei dahingestellt. für mich jedenfalls ist sein tod ein echter verlust!!

Hartmut 24. November 2011 um 09:09  

Anfang der 70er erlebte ich Degenhardt in Hannover, ein wenig später Kreisler in München.
Einige LPs, die ich ab und zu hörte, sind von beiden in schöner Erinnerung.

Ihre tiefsinnigen Lieder, unterschiedlicher Ausrichtung, sind eine echte Bereicherung unserer Kultur. - Dafür empfinde ich großen Dank.

Anonym 24. November 2011 um 11:03  

«Sei ein beherztes Lamm, eine mutige Maus, ein bissiger Spatz, / dann werd ich etwas von dir halten. / Sonst bleibt die gute, gerechte, zivilisierte Welt / noch hundert Jahre lang beim alten.»

Schlusssatz des Nachrufs "Ein tieftrauriger Anarchist" aus der NZZ von heute Morgen, hat mich sehr berührt, dachte dabei sofort an ad-sinistram und daran, welchem Geist Autor wie KommentatorInnen zu gefallen anstreben und in guten Momenten Gewiss sein dürfen, auch zu vermögen...

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/ein_tieftrauriger_anarchist_1.13394255.html

klaus baum 24. November 2011 um 12:56  

Vor wenigen Stunden starb Ludwig Hirsch. Suizid. Im Spital.

http://wien.orf.at/news/stories/2510521/

Anonym 24. November 2011 um 15:52  

Die Reihe muss lauten: Erst Degenhard, dann Kreisler und heute Ludwig Hirsch - dessen rabenschwarze Liedertexte - etwa über den "netten" Herrn Haslinger - auf eine andere Art nicht minder politisch sind als die der beiden Erstgenannten.

Wes

algore85 25. November 2011 um 13:14  

Wow, Ich hatte noch nie von ihm gehört. Der Typ ist genial, da sitzt jeder Vers und geht tief ins Mark.
Das Kapitalistenlied, oder Deine Freiheit-Meine Freiheit, sehr aktuell.

Den Beobachtungen zur Nuhr und Co. schließe ich mich an.

Trönte Torsen 28. November 2011 um 06:26  

Den Namen lange schon gekannt, doch irgendwie nie mit beschäftigt. Ein Fehler.

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