Tödlich lärmende Höhenflüge

Montag, 21. November 2011

Sie kam, sah und landete zuvor. Sprach hernach einige bereitgelegte Worte, schwadronierte um die "wirtschaftlichen Höhenflüge", die die neue Landebahn des Frankfurter Flughafens einleiten würde und verschwand. Im Lärm bleiben die zurück, die seit Jahren gegen eben diesen Lärm Widerstand leisten und damit auch um ihr Leben kämpfen.

Tödliche Gefahr

Von 10.000 Einwohnern Nordrhein-Westfalens stirbt nicht mal einer durch einen Verkehrsunfall - aber fast drei Einwohner sterben an den Folgen von Verkehrslärm. Diese Studie mag exemplarisch sein. Lärm ist ein tödlicher Stressor. Das wird in Kauf genommen. Wirtschaftliche Höhenflüge kümmern die Gesellschaft mehr. Filigran ausgetüffelte Maschen verkünden im schönsten Neusprech, dass die an Flughäfen angrenzenden Lärm-Kommunen Profiteure sind. Materielle Gewinner natürlich. Keine gesundheitlichen möglicherweise - aber Gesundheit ist eine Größe, mit der die neoliberale Krämergesinnung nicht rechnen kann. Wie addiert man denn Sachkomplexe, die als einzigen Gewinn Wohlbefinden aufweisen. Unpekuniäre Gewinne können nicht verbucht werden. Gesundheit wird ohnehin überbewertet.

Seit Jahrzehnten kämpfen Anrainer-Kommunen gegen die Expansion des Fluglärms. Anwohner gegen Straßenbauprojekte und Schienenplanungen, die sie in die Lärmhölle versetzen sollen. Letztlich bleibt der Gang zum Arzt, der Herzinfarkt, Bluthochdruck und Schlafstörungen diagnostiziert. Während die Unternehmen, die durch die umgesetzten Verkehrsplanungen wider den Anrainer-Interessen, Gewinne einstreichen, sozialisieren sie die Behandlungskosten für die Patienten, die am Wegesrand zurückbleiben. Teuer bezahlte wirtschaftliche Höhenflüge sind das, die die Kanzlerin da in Aussicht stellt.

Sprachrohre einer dekadenten Ideologie

Letztlich unterstreicht die Kanzlerin nur, wie sehr sie vom Neoliberalismus gegerbt ist. Die amtierende Staatsideologie arbeitet nach diesem Prinzip. Jede Planung, jedes neue Konzept, jeder Neubau, jede Neuinbetriebnahme, jede Neuanschaffung wird nach unmittelbaren Kosten und direkten Nutzen überprüft, die indirekten Kosten aber, die Schäden an Mensch und Natur - wobei man die Natur noch bewusster schützt als den Menschen! -, die klammert man aus. Es sind ja Sozialkassen da, auf denen sich der private Gewinn ausruhen kann. Deshalb ist alles "wirtschaftlicher Höhenflug", auch wenn er ein gesundheitlicher Untergang ist.

Die Sprachrohre dieser dekadenten Ideologie, die flugs auf der Bildfläche erscheinen, wenn es etwas einzuweihen gilt, vor den Folgen aber ganz schnell wieder flüchten, müssen sich fragen lassen, ob sie die gewählten Vertreter des Kapitals oder des Volkes sind. Da sie immer dort auftreten, scheint die Antwort ohnedies gegeben. Und sie müssen sich fragen lassen, inwiefern sie nicht nur am Niedergang des Gemeinsinns schuldig sind, den sich als Sprachrohr ihrer Geldgeber, fröhlich tolerieren. Gegen den Widerstand von Anwohnern Lärmbauprojekte feierlich einweihen, die gesundheitliche Gefährdung der Menschen in unmittelbarer Nähe zu ignorieren: Trägt man da als verantwortliche Person in der Politik nicht auch Mitschuld daran, wenn es infarktet und Blut hochdrückt, was letztlich sogar zum Tode führen kann? Knapper gefragt: Macht der neoliberale Profit-Totalitarismus die Politik nicht gewissermaßen mitschuldig am Tod von Menschen?



5 Kommentare:

Stefan Rose 21. November 2011 um 08:44  

In einem Punkt muss ich - zum Teil - widersprechen: Der neoliberalen Krämerideologie sind Gesundheit und Wohlbefinden keineswegs egal. So lange sich daraus ordentlich Gewinne erwirtschaften lassen (privatisierte Krankenhäuser, Pharma, Vorsorge, Wellness-Industrie), ist man sogar sehr interessiert. Bei Gesundheit und Wohlbefinden als allgemeine Güter sieht's natürlich schon ganz anders aus.

ad sinistram 21. November 2011 um 10:16  

Naja, Stefan, auch wieder nur teilweise richtig. Gesundheit und Wohlbefinden sind für die Neolibs eigentlich nur Prämissen. Ginge Profitmaximierung ohne sie, würden sie es eben ohne sie machen. Naja, vielleicht meintest Du das auch so ;)

Hartmut 21. November 2011 um 10:51  

Ein guter Artikel - danke.

Macht der neoliberale Profit-Totalitarismus die Politik nicht gewissermaßen mitschuldig am Tod von Menschen? - Ja, das macht diese Politik. Unsere Gesetzgeber machen erst wieder Gesetze "für die Menschen", wenn Millionen Menschen Schaden erlitten haben oder getötet worden sind.

(Beispiel: Nach dem 1. und besonders nach dem 2. Weltkrieg wurden fast unmittelbar, nach Erlangen der staatl. Souveränität Gesetze zum Wohle der Hinterbliebenen und für die durch die kriegerischen Einwirkungen erlittenen Gesundheitsschäden Gesetze verabschiedet.) - Wenn die Schäden, die der neoliberale Totalitarismus, am Menschen verursacht, so immens sind, das die Profitmaximierung nicht mehr funktioniert, dann wird wieder der "Vater Staat" zur Hilfe gerufen.

Passend zum Thema möchte ich zwei Bücher nennen:

Die Vertreibung der Stille, Rüdiger Liedtke

Wo Marx Recht hat, Fritz Reheis

Gruß
Hartmut

Stefan Rose 21. November 2011 um 16:01  

Ja, genau so meinte ich das, Roberto. Ich meinte, dass für Neolibs Gesundheit und Wohlbefinden derjenigen, die sich das leisten können, als Ware interessant sind und dem entsprechend im Sinne von Gewinnmaximierung ausbeutbar.
Es ist eben keine so gute Idee, als Dipl.-Morgenmuffel zu früh am Tage zu kommentieren.

Manul 21. November 2011 um 17:52  

Darin zeigt sich aber, dass der Neoliberalismus in dieser Form eine ziemlich unwirtschaftliche Ideologie ist, die kaum in der Lage ist gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären. Man zieht deshalb viele Dinge gar nicht in Betracht, so als ob es vernachlässigbare Größen wären, die man schlicht ignorieren kann. Gesundheit ist nur eines dieser Beispiele und es gibt jede Menge mehr davon, nicht nur auf sozialer Ebene, sondern auch auf Betriebsbene.

Der Neoliberalismus verhält sich für mich daher zur Ökonomie so wie der Kommunismus zum Sozialismus. Es ist eine realitätsferne Ideologie, die sich zwar auf dem Papier anhört, die aber in der Realität überhaupt nicht praktikabel ist. Es ist daher auch kein Zufall, dass in den letzten 25 Jahren die Zeitspanne zwischen den Wirtschaftskrisen immer kürzer wurde, um nun in einer Riesenkrise zu münden, die vielleicht noch zum gesamtwirtschaftlichen Zusammenbruch führen wird.

Volkswirschaft ist nämlich immer ein Null-Summen-Spiel, wo die Profite der einen die Verluste der anderen sind und das ist das, was bei den Neoliberalen irgendwie nie auf der Rechnung steht. Dort gibt es dafür aber Exporte mit extraterristischen Handelspartnern, die erst noch gefunden werden müssen und unerklärbare Bilanzlöcher, die überraschend wie aus dem Nichts auftauchen.

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