Demokratie schafft Krise

Mittwoch, 2. November 2011

Was sich Griechenland, nominell immerhin noch eine Demokratie, da traut, ist schon unbegreiflich. Will die dortige Regierung tatsächlich das dortige Volk befragen, ob es den eklatanten Eingriff der EU ins eigene Staatswesen, der diktatorische Folgen zeitigen wird, möchte oder nicht. Ein hin und wieder gefragtes Volk, eigentlich nicht unüblich für eine Staatsform, die sich als Demokratie versteht, ist auch den Börsen suspekt.

Prompt melden die Medien, der DAX reagiere empfindlich, die Märkte seien ungehalten darauf angesprungen, die Börse sei belastet. Wie können die Griechen nur so volksbefragerisch sein, wenn darunter die ganze Wirtschaft leidet? Oder fragen wir essentieller: Welchen Wert besitzt eine Wirtschaftsform, die strauchelt, nur weil das Volk - in einer Demokratie nicht weniger als das Souverän! - an der Neugestaltung seines Gemeinwesens mitentscheiden soll und will? Diese Wirtschaft, die sich rein spekulativ versteht, die schon bibbert, wenn demokratischer Usus praktiziert wird, entblößt den un- oder gar antidemokratischen Impetus, der ihr innewohnt.

Von der empfindlich getroffenen Spekulativwirtschaft berichten die Medien wie selbstverständlich. Dass mit sinkenden Kursen, die nur sinken, weil das griechische Volk befragt werden soll, ungehaltene Aktionäre mehr Kosteneffizienz und höhere Gewinnmargen beanstanden, Arbeitsplätze zur Erlangung dieses Wunsches abgebaut werden, scheint die Medienlandschaft nicht besonders zu interessieren. Man hat hingenommen, dass die Wirtschaft ein spekulativer Marktplatz ist, in dem reale Werte belanglos geworden sind. Welchen Wertverlust DAX-Unternehmen wirklich haben, nur weil sie einige Prozent an der Börse eingebüßt haben, erklärt niemand. Haben sie etwa Prozente ihrer fühlbaren, materiellen Werte, ihrer Produktionsanlagen etwa, ihrer Grundstücke, ihrer Geldanlagen verloren, haben sie gar einige Prozentpünktchen ihres Know-Hows abgegeben, wenn sie an der Börse nach unten tendieren? Was ein Unternehmen wirklich wert ist, ist doch nicht Frage des Börsenkurses, der maßgeblich an Psychologie gekettet ist und weniger an real geschaffenen Werten.

Was eine Wirtschaftsform wirklich wert ist, ist die Frage danach, wie es verteilt, wie es die demokratischen Rahmenbedingungen einbindet und als unveräußerliche Präambel wirtschaftlichen Handels preist. Die Wirtschaft, die heute unsere Lebensrealität ist, sie ist augenscheinlich antidemokratisch konzipiert, sie verträgt nicht mal Volksentscheide, ohne dabei ins Wanken zu geraten. Der Skandal ist nicht, dass Griechenlands Regierung politische Teilhabe umsetzt - skandalös ist, dass wir die Mitsprache der griechischen Bevölkerung als Angriff auf Europa und die europäische Wirtschaft verstehen, weil uns das die Spekulativwirtschaft so weismacht. Zweifel ist erlaubt. Nicht gegenüber den Griechen, die abstimmen sollen, sondern gegenüber einem System, das laut Krise! ruft, wenn Demokratie im Spiel ist.



19 Kommentare:

potemkin 2. November 2011 um 08:20  

Sehr guter Beitrag! Demokratiedefizite werden gerne in China, Syrien oder Weißrussland moniert, aber das Plebiszit ist in den 'westlichen Demokratien' Teufelswerk. Wenn man heute morgen im Radio die Pressestimmen hört, so war das - mit Ausnahme der FR - ein hysterischer Chor. Man würde den griechischen Premier am liebsten in Ketten legen, bis er seinen 'irren' Vorschlag zurückzieht. Wie hieß es doch seinerzeit beim Beitritt von Griechenland? - Es sei schließlich die Wiege der Demokratie... Eben!

Anonym 2. November 2011 um 08:27  

Treffer versenkt!!!!

Danke...ich dachte schon ich sei verrückt, fühlte mich schon als einziger Mensch in Dummland, der sich darüber freut, dass das korrupte Regime in Athen unter dem Druck der Straße zusammenbricht. Endlich müssen sie dort das Volk befragen zu diesem Troika-Raubzug. Ich freue mich schon auf das Ergebnis...Tschüss Papandreou!!!

Liebe Griechen: An dieser Stelle ist es mir ein Bedürfnis ganz klar zu stellen, dass mich meine Verbrecher-Regierung nicht representiert und ich ihre Ansichten ganz und gar nicht teile...ganz im Gegenteil, ich schäme mich sehr für diese schäbigen Ausführungen humanen Lebens. Ich unterstütze eure Proteste und wünschte mein eigenes Volk hätte etwas mehr von eurer Einstellung und nicht so viel Blei im Arsch und Holz im Kopf...
Alles Gute dem Griechischen Volk in ihrem Kampf! Wir werden immer ein vereintes Europa bleiben! Das exestiert vielleicht nicht in den beschränkten Horizonten profipolitischem Handelns aber zwischen den Menschen Europas, die so viel klüger sind als ihre Führer!!!

Hartmut 2. November 2011 um 09:28  

Ein kurzer aber sehr guter Artikel !

Auch die beiden ersten Kommentare sind Spitze !

Ich kann nur loben und zustimmen.

Hier zeigt sich endlich, wie demokratiefeindlich die Herrschenden und die Märkte (Wirtschaft) sind ! -
Aber das ist ja nichts Neues.

Nicolai Hähnle 2. November 2011 um 09:53  

Mit diesem Beitrag sprichst du mir aus der Seele. Vielen Dank.

Berggeist1963 2. November 2011 um 09:57  

Wenn ich das alles bislang richtig mitbekommen habe ist diese Volksabstimmung in Griechenland erst mal nur vorgesehen. Den "Märkten" und ihren dienstbaren Geistern in Politik und Medien fällt bis dahin bestimmt noch etwas "originelles" ein, um die ganze Angelegenheit rechtzeitig zu stoppen...

ulli 2. November 2011 um 11:25  

Frank Schirrmacher argumentiert in der FAZ ganz ähnlich: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html

Anonym 2. November 2011 um 11:47  

und da steht heute in der BLÖD Zeitung:
so etwas wie: "Griechenland reisst Europa in den Abgrund".
Wirklich BLÖD Zeitung.

Anonym 2. November 2011 um 12:49  

Die Menschlichkeit, die heute unsere Lebensrealität ist, sie ist augenscheinlich antidemokratisch konzipiert, sie verträgt nicht mal Volksentscheide zum Thema Abschiebung von Migranten oder Todesstrafe, ohne dabei ins Wanken zu geraten...
Gut, dass in vielen Belangen das Volk eben nicht der Souverän ist!

ad sinistram 2. November 2011 um 12:53  

"Gut, dass in vielen Belangen das Volk eben nicht der Souverän ist!"

Ganz meine Rede - in Sachen der Menschenwürde kann es keinen Volksentscheid geben, weil die Würde des Anderen immer auch die Grenze des Nächsten sein muß. Das Referendum in Griechenland aber, es ist legitim, denn es ist nicht unmittelbar gegen die Menschenwürde gerichtet - vielleicht sogar gegenteilig, könnte diese zur Geltung bringen.

Anonym 2. November 2011 um 13:04  

Was Sie da schreiben, wurde gestern und heute zum Glück auch in der Mainstreampresse einem Millionenpublikum angetragen:
„Bravo, Herr Papandreou!“ – spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,795189,00.html
„Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik. Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.“ – faz.net/aktuell/feuilleton/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html

Anonym 2. November 2011 um 13:15  

Abstimmen in dieser Bonner/Berliner Adenauer- "Demokratie", wie unverantwortlich, völlig zu Recht den braven geläuterten befreiten Deutschen seit 1949 strengstens untersagt!(wg. Weimar....)

Liebe Deutsche Imperialisten-Medien, seid nun mal ganz ehrlich und offen, gäbe es in Hellas diese Unverantwortlichkeit gegenüber unserem Deutsch-gallischen Europa, wenn heute noch immer unsere gute alte "Swastica" über der Akropolis wehte?
Nun, den rechten Arm nach oben und ein klares NEIIIIN!!!! Bravo!

Mir wird es in diesem Lande nur noch schlecht, schlecht, schlecht....., man möchte mit einem Kotz-Eimer schon morgens aufstehen!

erich 2. November 2011 um 13:43  

An die falsche Grundannahme, das Betriebssystem der (westlichen)Staaten hieße "Demokratie", knüfen sich halt viele Missverständnisse. Wer weiß, dass das Betriebssystem "Kapitalismus" heißt und die "demokratischen" Instanzen nur zwischengeschoben sind, damit die Kapitalisten nicht in direkte Berührung mit dem Pöbel kommen, sieht oftmals klarer.

Anonym 2. November 2011 um 14:00  

na hoffentlich wagen es die Griechen zukünftig nicht auch noch freie Wahlen abzuhalten...^^

Anonym 2. November 2011 um 14:32  

Ich sehe das ein bisschen anders.
Papandreou will sich absichern, er weiß, was er mit dem EU-Rettungspaket dem Volk aufbürdet.
Sagt das Volk: Ja, wir wollen das Rettungspaket, ist er für alle Schweinereien, die daraus entstehen, entschuldigt. Sagt es aber nein, wir wollen das Rettungspaket nicht, weil wir nicht für die griechischen, französischen und deutschen Banken bluten wollen, ist er ebenfalls für alle Folgen nicht haftbar zu machen - der Souverän hat entschieden! Ein Referendum kann eben auch funktionalisiert werden.
Und diese Gefahr sehe ich hier. Wobei ich ein großer Freund von Volksabstimmungen bin. Die rein formale Sicht auf dieses Thema erscheint mir doch ein wenig kurzgesprungen.

ad sinistram 2. November 2011 um 14:42  

Sicherlich hat Papandreou Absichten. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Textes, der nur die andere Seite, die EU, behandelt - und deren Doppelmoral.

Anonym 2. November 2011 um 15:23  

Blogger Roberto J. De Lapuente hat gesagt...

"Sicherlich hat Papandreou Absichten. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Textes, der nur die andere Seite, die EU, behandelt - und deren Doppelmoral."

Doppelmoral?

Wo gab es jemals eine bürgerliche Politik in den letzten Jahrzehnten, die auch nur éinen Hauch von Moral hätte beanspruchen können?
Und diese EU, ist sie keine Verschwörung der besitzenden und politischen Eliten Europas gegen deren eigene Völker?
Wo soll da wohl Moral herkommen?
Was haben ökonomische Ausbeutung und damit einhergehende politische Unterdrückung überhaupt mit Moral zu tun?

MfG
Bakunin

Anonym 3. November 2011 um 16:52  

Jetzt ist es raus: Die Volksabstimmung findet nicht statt - wie ich es vorausgesagt hatte.

Morgen 4. November 2011 um 12:02  

Guy Sorman glaubt in 'Le Monde', dass die Handlungsweise Papandreous einen ganz anderen Hintergrund hat, als man annimmt: "Griechenland ist ständig durch extremistische Gewalt bedroht, von nationalistischen Rechtsextremen und von marxistischen Linksextremen. Der Bürgerkrieg von 1947 bis 49, der durch eine anglo-amerikanische Intervention niedergeschlagen wurde, ist ein Gespenst, das die griechische Gesellschaft umtreibt, und das gleiche gilt für die Militärdiktatur der Jahre 1967 bis 74... Der Schuldenschnitt und das Referendum sind nur Versuche die Versuchung einer marxistischen Revolution oder autoritären Machtübernahme einzudämmen."
www.lemonde.fr/idees/article/2011/11/03/le-silence-d-antigone_1598285_3232.html

Anonym 26. September 2012 um 10:35  

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