Menschenrechte fit machen

Freitag, 3. Juni 2011

Der eine, ein mittlerweile einstmaliger Innenminister, der heute einem anderen Ressort vorsteht, verkündete schon vor Jahren, man dürfe Geständnisse, die unter Folter erzielt wurden, nicht einfach mit rechtsstaatlichen Bedenken wegwischen, sondern müsse sie nutzen - jetzt, da die Geständnisse schon mal in der Welt seien, meinte er, könne man sie auch auswerten. Der nächste, ein beleidigt abgedankter Bundespräsident, hielt freie Handelswege für ein durchaus berechtigtes Ziel, um militärisch vorgehen zu dürfen. Die nächste im Bunde, eine amtierende Bundeskanzlerin, freute sich höhnisch, weil ein internationaler Terrorist ohne rechtsstaatliches Verfahren hingerichtet wurde. Und der letzte im Quartett, ein residierender Verteidigungsminister, stellt lapidar fest, dass "Töten und Sterben" eben dazugehört, für den "Teil der Außenpolitik", der sich uniform in Schale wirft, für Soldaten also.

Zur Erinnerung, es handelt sich bei diesen Herrschaften um Vertreter einer Demokratie, die von sich selbst behauptet, ein rechtsstaatliches Gemeinwesen zu sein. Es handelt sich ferner um Vertreter neuer und damit alter deutscher Großmanns- und Großweibssucht, die das Wesen der westlichen Wertekultur in die Welt hinaustragen wollen. (Man ist bescheidener geworden, spricht nicht mehr vom "deutschen Wesen" sondern sieht das Deutsche als einen Teil der westlichen Kultur an - wenngleich als Sperrspitze des Westens.) Es handelt sich um Vertreter eines Kulturkampfes, die mit den Diktatoren und Tyrannen dieser Welt endgültig Schluss machen wollen.

Der Deklaration der Menschenrechte sind diese Großmänner und -frauen in etwa so nahe, wie Äthiopien dem materiellen Wohlstand. Doch genau im Namen dieser Menschenrechte sind sie global unterwegs - wenn die auch nur als Feigenblatt entwertet werden. Das Problem an dieser Kaste von Menschenrechtsignoranten ist, dass sie die Menschenrechte nicht öffentlich ignorieren, sondern sie umdeuten. Nicht gefoltert werden zu dürfen ist Menschenrecht - zu foltern, um den Menschenrechten Nachdruck zu verleihen: das scheint ihnen aber auch legitim - und auch völlig selbstverständlich. Im Namen dieser kalten Krieger und Kriegerinnen wäre Folter, durch Gerichte zugelassen, durch Genf und Strassburg überwacht, kein Verbrechen mehr, sondern Prävention und im Krieg zulässiges Mittel - der Verteidigungsminister könnte schlussfolgern, dass sie immer schon "Teil der Außenpolitik" war oder hätte sein müssen. Unterläge die Folter der rechtsstaatlichen Trias des Vollzugs, mit Anordnung, Durchführung und Kontrolle, so könnten diese Menschenrechtler ihr durchaus "die Menschenwürde Bewahrendes" abgewinnen.

Die deutschen Eliten, die exemplarisch ist für die Eliten dieser Erde stehen, läuten nicht das Ende einer Ära ein, in der man auf Menschenrechte achtete und sei es nur als Ideal, das zwar nicht überall umgesetzt wurde, aber doch bitteschön endlich Wirklichkeit werden sollte. Wer behauptet, die Menschenrechte seien in Gefahr, weil die politischen und wirtschaftlichen Spießgesellen ihnen keine Bedeutung bemessen, der irrt gewaltig - sie sind nicht in Gefahr, sie werden nicht weggewischt, man wird sie "nur" umdeuten, handlicher machen, der Willkür überschreiben - mit etwas Zynismus könnte man auch sagen: die Menschenrechte werden für den Kriegsmarkt (und Krieg ist immer!) fit gemacht. Dann kann im Namen der Menschenrechte Terror betrieben werden. Wären die Eliten nur konsequent dagegen und würden, wie weiland deren Vorvorgänger von Humanitätsduselei salbadern, dann wäre alles viel einfacher - die Verfassungs- und Menschenrechtsfeinde wären, wenn schon nicht gebannt, so doch wenigstens erkannt. Aber hinter ihrer Menschenrechtsmaske ist ihre Menschenrechtsverachtung kaum angreifbar...



13 Kommentare:

Anonym 3. Juni 2011 um 11:57  

Roberto Lapuente meint:

"Aber hinter ihrer Menschenrechtsmaske ist ihre Menschenrechtsverachtung kaum angreifbar... "

Nur Menschenrechtsverachtung?
Nein, Menschenverachtung!
Übrigens ein "Markenzeichen", "Privileg" aller herrschenden Klassen, selbst "bevorrechteter Gruppen" zu allen Zeiten..., manchmal brutal offen, manchmal auch heuchlerisch verklausuliert, ganz nach dem KRÄFTEVERHÄLTNIS der Klassen, der KAMPFBEREITSCHAFT der "weniger Privilegierten"....

MfG Bakunin

Wolfgang Buck 3. Juni 2011 um 14:33  

Danke für diesen Beitrag.

Ich hatte Zeit mir die Debatte um die Bundeswehrreform vergangene Woche anzuschauen. Ich bekam das kalte Grausen. Eine Berufsarmee und Krieg als legitimes Mittel der Außenpolitik. Was unseren Bundespräsidenten noch zum Rücktritt zwang ist heute Allgemeingut (mit Ausnahme der LINKEN). Wie zum Teufel kommen die auf so was ohne auch nur einmal den Widerspruch zu unserer Verfassung zu bemerken? Und die Soldaten? Die leisten den Selben Eid, den ich in den 80ern leisten musste/durfte. Von wegen BRD tapfer verteidigen...im Kosovo, in Afghanistan und morgen in Pakistan? (Pakistan wurde von unserem Kriegsminister explizit als mögliches zukünftiges Ziel benannt!).

Den Rest gab mir heute Morgen die Gedenkfeier zum Tod unserer Soldaten in Afghanistan. Pfaffen die von Jesus sprechen und von dem Leid der Soldaten und der getöteten Afghanischen Verbündeten. Die aber kein Wort der Trauer für Taliban oder für die Zivilisten die kürzlich tot gebombt wurden übrig hatten. Ich muss gestehen nach etwa 15 Minuten hielt ich das nicht mehr aus. Wo geht die Reise hin? Ins Mittelalter oder was?

flavo 3. Juni 2011 um 14:53  

Das Recht der Menschen aus ihrer bloßen Existenz heraus ist es, keiner Kyriarchie anzugehören. Im Konkreten gibt es Handlungen die kyriarchisch sind, prozessual in eine wie auch immer geartete Anordnung von Meisterschaften, Herrschaften, Bevormundschaftungen, Siegschaften, Leitungen, Lenkungen und Unterdrückungen entlang wie immer gearteter Merkmale wie Klasse, Rasse, Nation, Geschlecht, Besitz, Sprache, Meinung, Fähigkeit, Wünsche, Erlebensweisen u.ä. führen.

Anonym 3. Juni 2011 um 16:40  

Treffender Beitrag.

Übrigens, der Bertelsmann-Autor und Philosoph Richard David Precht - hier mehr über ihn -

http://www.nachdenkseiten.de/?p=9654#h12

- Überschrift "Referentenagentur Bertelsmann"

...gibt dieser Vorgehensweise in seinem neuen Buch mit dem Titel "Die Kunst, kein Egoist zu sein" über die Herkunft der Moral, und heutige Zusammenhänge mit "moralisieren" sogar einen Namen:

Shifting Baselines

Ich vermute einmal frei, dass er damit die schubweise Ausdehnung von Grenzen der Moral meint, die Du unter "Menschenrechte fit machen" entlarvst....

Precht übrigens ist in seinem neuen Buch weitgehend autonom was Ratschläge angeht - Er zitiert öfters das Unwort des Jahres "alternativlos" und selbsternannte Experten wie Meinhard Miegel, Raffelshüsen oder Sinn.

Kein Wunder, er ist ja ein Bertelsmann-Referent....

Für so neu halte ich die Vorgehensweise der Bundesregierung nun auch wieder nicht - Bei "LTI" von Victor Klemperer kann man die schon nachlesen - nur ging es da um unsere jüdischen Mitbürger, die nach und nach ausgrenzt, und dann rechtslos und zum Schluß vernichtet wurden - eben mit "shifting baselines", wenn ich Precht richtig verstehe, der andere Beispiele als "LTI" bringt, aber wohl dennoch ins Schwarze trifft, wie unsere Merkel/Rösler-Regierung beweist, und deren Finanzies aus Springer, Bertelsmann & Co.

Da erklärt sich mir übrigens von ganz allein warum man immer die Shoa/den Holocaust bringt, aber nie die Vorgeschichte der Schrittweise Ausgrenzung der Juden - Mit der Diffamierung fing, meiner Ansicht nach, der Völkermord an den Juden an.....bei Guido Knopp & anderen revisionistischen Geschichtsfälschern....

Gruß
Bernie

Anonym 3. Juni 2011 um 16:43  

@Wolfgang

Tja, die CDU/CSU/FDP-Regierung erinnert mich immer mehr an George W. Bush, und da ging die Reise ja tatsächlich ins Mittelalter als er den "Versprecher" von den Kreuzzügen äußerte, und nach internationalem Protest zurückrudern mußte - Merkel, da bin ich mir sicher, orientiert sich nicht an Obama sondern eher an George W. Bush, was natürlich den Kriegsnobelpreisträger Obama keineswegs freisprechen soll.....

Anonym 3. Juni 2011 um 16:54  

"[...]"Shifting Baselines" beschreiben das Phänomen, dass die Orientierungspunkte,
anhand derer Menschen ihre Umwelt beurteilen, sich schleichend verschieben. Das
Konzept stammt aus der Umweltforschung, lässt sich aber auch auf Organisationen
und Gesellschaften übertragen[...]"

...mal beim googeln eine Erklärung gefunden, die es auf den Punkt bringt....

Gruß
Bernie

Trojanerin 3. Juni 2011 um 19:54  

Von der Umdeutung der Menschenrechte zu sprechen, bringt die unsägliche Politik der Bundesregierung und die unsägliche Einstellung bestimmter Eliten auf den Punkt.
Die umgedeuteten Menschenrechte werden Willkür noch mehr Tür und Tor öffnen.
Die Menschenrechte sind dennoch in Gefahr, denn wenn sie frei interpretierbar, umdeutbar sind, dann erfüllen sie ihren Zweck der Achtung der Menschenwürde als oberstes Gebot staatlichen Handelns nicht mehr. Nur, weil Menschenrechte dann noch Menschenrechte genannt werden, sind es keine unveräußerlichen Menschenrechte mehr.

Anonym 3. Juni 2011 um 19:55  

Menschenrechte fit machen

Zwei Sendungen, auch nachzulesen bei FAKT MDR:

Heikles Know-How aus Deutschland für Saudi - Arabien

und

FAKT aktuell:Merkels "Mauerbau"

Das ist unfassbar, wie frech und dreist Politiker heucheln.

Dazu die heutige Trauerfeier, ein Trauerspiel für Deutschland.

Anonym 4. Juni 2011 um 12:23  

Noch betrifft uns die Verletzung von Menschenrechten weitgehend nicht persönlich.
Aber wie lange noch?!

Widersetzen wir uns der Gier des Großen Geldes(GG).
GG führt - alternativlos - zu Diktatur, zur vollständigen Ausbeutung und Verwertung des vorhandenen Menschenmaterials.

Dem GG (Grundgesetz) der Demokratie folgt die systemische Alternativlosigkeit einer Scheindemokratie, die in der Diktatur des Großen Geldes(GG) enden wird.

Das GG bleibt, die Menschenrechte nicht.

Hartmut 5. Juni 2011 um 10:31  

Danke für diesen außergewöhnlich, guten Beitrag ! Die sogenannte herrschende Klasse (Machtmenschen) haben sich zu allen Zeiten nie um das christliche Gebot (Auftrag) der Nächstenliebe gekümmert, bzw. überhaupt wahrgenommen - sie ergötzen sich daran das Volk zu erniedrigen (das Volk arm zu halten - Hartz IV) und allein hierdurch die schwerste Menschenrechtsverletzung (Mißachtung der Würde) zu begehen... Mit einem sehr schönen afrikanischen Sprichwort möchte ich meinen Kommentar schließen : Wer dein Brot hat, hat deine Würde !

daMax 6. Juni 2011 um 08:42  

Guter Artikel! Aber ist "Sperrspitze" ein Wortspiel oder ein Tippfehler?

ad sinistram 6. Juni 2011 um 09:26  

Im Zweifelsfall ist es immer ein Wortspiel.

Anonym 12. Juni 2011 um 06:26  

Die Rechtfertigung, dass die Folter unter gewissen Bedingungen ein adäquates Mittel sei um an notwendige Geständnisse zu gelangen, erinnert an die Argumente der chemischen Industrie, wenn sie Tierversuche für notwendig hält, und sei es nur, um ein neues Shampoo an den Mann zu bringen.

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