Das Europa der Konzerne wächst

Donnerstag, 30. Juni 2011

Das Westfalenstadion heißt jetzt Signal Iduna Park und das Frankenstadion easyCredit-Stadion. Mancher Fußballverein hat, um an Geld zu gelangen, den ehrenwerten Namen seiner Spielstätte in die Tonne geworfen. In England gehört der gesamte Spielbetrieb einer Bank, jedenfalls schlägt sich das im Namen der Liga nieder: Barclays Premier League. Was im Fußball bereits seit Jahren Praxis ist, droht nun als allgemeine Maxime eines neuen Europas umgesetzt zu werden.

Griechenland wurde zu Privatisierungen gedrängt - Portugal verkündete nun, es wolle vorauseilend-gehorsam staatliche Beteiligungen auflösen und in private Hand überführen. Auch der Energiesektor wird dann betroffen sein und der große Reibach multinationaler Konzerne scheint sicher. Die Hellenische Republik, wie sich das griechische Staatsgebilde offiziell nennt, könnte dann durchaus, um Geld zu machen, um aber auch den Einfluss der Finanzmafia auf den Staat zu markieren, den "Sponsor" im Namen tragen: EON's Hellenische Republik oder wer weiß wer da die letzten staatlichen Beteiligungen des griechischen Staates in den Rachen geworfen bekommt.

Was wie ein ausgesprochen mieser Klamauk eines Kabarettisten von Bierzeltformat klingt, ist so abwegig heute nicht mehr. Was wir gerade erleben ist die restliche Zerschlagung staatlicher Einflussnahme und Beteiligung an wirtschaftlichen Fragen. Die Europäische Union macht derzeit klar, dass Staatsgebilde ihr Tafelsilber zu verkaufen haben, damit in private Hände hineingewirtschaftet werden kann. Die Einflussnahme der Lobbyisten in Brüssel ist so gigantisch, dass man fast geneigt ist zu fragen: Warum eigentlich noch Staaten? Wieso modifiziert man die EU nicht so, dass aus dem Staatenbund ein loser Bund multinationaler Konzerne und Konsortien wird? Der Staat als Institution hat abgewirtschaftet, hat man den Eindruck. Die private Handelsgesellschaft, somit juristische Personen, regeln in Zukunft das Weltgeschehen und schreiben globale Geschichte.

Einige Science-Fiction-Stücke haben sich schon vor Jahren damit auseinandergesetzt. Nationen waren darin verschwunden, kolossale Konzerne waren die neuen Wächter des Gemeinwesens, wobei sich das im Wort enthaltene Gemein dort nicht auf Allgemeinheit, sondern auf bodenlose Gemeinheit zurückführen ließ. Auf dem Weg dorthin sind wir. Fortan werden nicht mehr Verfassungen mit - mal mehr, mal weniger - hehren Motiven und Absichten das Zusammenleben organisieren. Grundlage werden Allgemeine Geschäftsbedingungen sein, in denen von Schutz der Schwachen und Armen, von Recht auf Bildung oder Leben, um nur einige Beispiele zu nennen, keine Silbe nachzulesen sein wird. Stattdessen Rentabilität, Effektivität, Kosten-Nutzen-Modelle und allerlei Habgierigkeiten mehr. Der Ausverkauf letzter staatlicher Beteiligungen, um das wirtschaftliche Treiben voll und ganz "dem Privatier" zu übergeben, es lotst uns genau in eine solche moralisch entleerte Zukunft.

Das mag zu pessimistisch sein. Moralisch entleert wird diese Zukunft wohl nicht sein. Sie wird eine neue Ethik kennen und die Herren, die dann kein Mandat mehr benötigen, weil sie ohnehin über jeden Verdacht erhaben sind - immerhin hat sie irgendwann ein Aufsichtsrat gewählt! -, werden den Menschen, die in deren Reich leben, schon eine funktionale Ethik beibringen. Gut ist der, der Rentables tut!, repetieren dann Schülerscharen. Und Kant, lehren dann Gymnasien, habe immer schon gewusst, dass der kategorische Imperativ unbedingt kategorisch effektiv zu sein habe. Es wird nicht an Moral fehlen. Zweifellos wird auch die Weltgesellschaft multinationaler Konzerne Werte verbreiten. Mit denen, die wir heute noch randständig beobachten und wegbrechen sehen, werden sie allerdings wenig... gar nichts zu tun haben. Man wird dem menschlichen Leben nicht grundsätzliche Unantastbarkeit attestieren wollen, es sei denn, der Mensch ist Kunde, Anleger oder, falls hoch genug qualifiziert, Arbeitnehmer.

Nie war die Europäische Union näher am schon lange gärenden Vorwurf, sie sei eine Union der Konzerne. Das ist sie mit jedem Tag etwas mehr, denn sie macht ihre Mitgliedsstaaten erpressbar, indem sie sich für die Omnipotenz privatisierter Unternehmen ausspricht. Handlungspielräume für den Staat sind damit nichtig. Das Primat der Politik ist somit nicht gänzlich verschwunden, es wird nur in die Wirtschaft delegiert. Dort soll Politik gemacht werden, wenn es nach EU geht. Fortan treffen sich nicht mehr beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, es treffen sich die ungekrönten Könige großer Konzerne, die darüber sprechen werden, wie die europäische Gesellschaft geführt werden müsse.

Das gab es schon, als man Unternehmer in Kommissionen setzte, wenn es um neue Innovationen ging, die erdacht werden sollten. Man denke nur an die Hartz-Kommission, die auch und maßgeblich von Unternehmerhand geleitet wurde. Das war nur die Vorstufe, denn fortan werden in Europa nicht nur Kommissionen unterwandert werden, man wird den Konzernen peu a peu immer mehr politische Macht übertragen und sie damit krönen - nicht wählen, denn Konzerne sind nicht demokratisch, sondern streng diktatorisch strukturiert. Dort wählt man nicht und läßt nicht wählen, dort krönt man und läßt sich krönen. So hat sich das keiner ausgemalt, als es immer hieß, Europa müsse endlich zusammenwachsen.



Hier weiterlesen...

Die Prekarisierung stoppen nur freie Arbeitnehmer

Mittwoch, 29. Juni 2011

Freie Subjekte in einem freien Markt machen die unsichtbare Hand handlungsfähig - die reine Lehre des freien (Arbeits-)Marktes will es so. Dieser Grundsatz ist so eindimensional und falsch, wie jede generalisierte Aussage, die den Einzelfall nicht kennt und sich von Dogmen herleitet. Die Jünger der reinen Lehre aber, die uns tagein tagaus erzählen, dass die Freiheit aller Mitspieler innerhalb des Marktspieles Grundvoraussetzung für die bestmögliche Wirkungs- und Entfaltungsweise der Marktkräfte sei, haben nicht den Mut, die Freiheit aller beteiligter Akteuere anzuerkennen.

Miserable Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung, prekäre Freiheit

Die Berichte über Arbeitsplätze, die von Standards der Arbeitssicherheit und von Sozial- und Tarifstandards so weit entfernt sind, wie ein Schimpanse vom Verfassen einer Habilitationsschrift, mehren sich eklatant. Die Kräfte des freien Marktes werfen viele Unternehmen in eine Endlosschleife aus Druck und Stress, verpflichten sie dazu, sofern sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, etwaige Kosten zu minimieren. Hier kommen Personalkosten und die Kosten für Arbeitssicherheit und Umweltschutz ins Spiel, das heißt: hier werden sie aus dem Spiel genommen. Günter Wallraff war vor einigen Jahren in einem solchen Unternehmen, dass dem Druck großer Konzerne ausgesetzt war, tätig - dort erlebte er, wie Sozialstandards zum willkürlichen Gnadenakt des Arbeitgebers, wie die Sicherheit des Personals in Gefahr gebracht und wie möglichst viel Arbeitskraft zu möglichst kleiner Bezahlung ausgepresst wurde. Die Prekarisierung gelangt zuweilen auch in sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse.

Die Kräfte des freien Marktes, die hierzulande Aldi, Lidl oder Netto heißen, schaffen keine Freiheit, sie beschneiden sie. Und das umso mehr, weil Arbeitnehmer an solche Sklaventreiberkonstellationen gekettet sind. Wie gerne würden Arbeitnehmer, die in solchen Verhältnissen vegetieren müssen, einfach hinwerfen! Das wäre ein menschlich verständlicher Akt, denn wo Menschen ohne Würde wie Arbeitsvieh gehalten werden, da kann keine Verpflichtung bestehen, weiterhin präsent sein zu müssen. Doch der Arbeitnehmer ist ein unfreier Akteur, der durch herrschende Regelungen in der Sozialgesetzgebung unmündig gemacht wird. Kehrt er einem solchen Arbeitsverhältnis von jetzt auf gleich den Rücken, so muß er in Kauf nehmen, von der Arbeitsagentur drei Monate auf Nulldiät gesetzt zu werden. Einem solchen Arbeitgeber den Rücken zu kehren heißt dann, nicht nur den Arbeitsplatz zu verlieren, sondern womöglich sogar die gesamte Existenz.

Unfreie Mitspieler innerhalb der großen Freiheit

Solche Leute könnten ja Kuchen essen, wenn sie schon kein Brot haben, könnte man nun einwenden und wendet man üblicherweise auch ein. Sie könnten sich ja einen anderen Arbeitsplatz suchen, wenn der derzeitige Arbeitsplatz nichts taugt. Das ist natürlich Unsinn, denn erstens kann jemand aus einer strukturschwachen Region nicht wahllos seine Stelle wechseln und, zweitens, wird der frei gewordene Prekär-Arbeitsplatz neu besetzt und abermals zur Quelle eines bemitleidenswerten Schicksals. Der Arbeitnehmer ist nicht nur das schwächste Glied in der Kette: er ist das Glied mit der geringsten Freiheit - und mit der Aussicht, beim Verlassen eines prekären Arbeitsplatzes, an dem die Würde nur als Hürde begriffen wurde, drei Monate mit einer Sperre des Arbeitslosengeldes belohnt zu werden, ist die Freiheit nicht nur gering, sie ist schier nicht vorhanden.

Frei handelnde Akteure machen die Lehre des freien Marktes aus. Aber frei sind die Massen von Arbeitnehmern nicht. Hier wird die Freiheit ausgeschaltet. Man erlaubt es ihnen natürlich schon, im Anflug von Freiheitsromantik einen solchen Arbeitgeber zu verlassen - aber dann muß man sich auch die Freiheit nehmen, erstmal ohne Lohnersatzleistung zu sein. Die Freiheit wird nicht direkt beschnitten, man legt nur die Rahmenbedingungen, die freie Entscheidungen erlauben, an die Kette und verunmöglicht es dem Arbeitnehmer, mündig und vollumfänglich seiner Würde geschuldet zu reagieren.

Dreimonatige Sperre aufheben, um den freien Markt wirken zu lassen

Wenn das Dogma, dass freie Akteure die wesentlichen Aspekte innerhalb des freien Marktes regeln, auch nur annähernd stimmt... wenn freie Subjekte Angebot und Nachfrage, Sozialstandards und Sicherheitsaspekte im freien Zusammenspiel, quasi von unsichtbarer Hand, regeln... wenn dies wirklich stimmen sollte, dann sind die Arbeitnehmer dringend von der Unfreiheit ihrer Arbeitsplatzwahl bzw. -abkehr zu befreien. Unternehmen, die ihr Personal wie auszubeutende Verfügungsmasse behandeln, würden sich schön umgucken, wenn Arbeitnehmer und Arbeitslose die Freiheit hätten, sich dieser Praktiken zu verweigern. Möglicherweise würden Arbeitnehmer, die bei schlechter Behandlung einfach abhauten, die Firmenpolitik stark beeinflussen. Die unsichtbare Hand wirkte vielleicht tatsächlich. Und sie würde nebenher den Unternehmer, der den Druck seiner Abnehmer - seien es private Kunden, seien es andere Firmen, die bei ihm Ware zur Weiterverarbeitung bestellen - an die Belegschaft weiterleitet, nicht mehr zum erklärten Feind seiner Angestellten machen, weil er nicht mehr nur die reinen Interessen des Abnehmers, sondern auch die Interessen seiner Belegschaft händeln müsste. So jedenfalls theoretisch...

Natürlich wäre es Quatsch, einzig auf diese freien Mechanismen zu bauen. Der Gesetzgeber kann und soll sich einmischen und Sozialstandards setzen, Marken festlegen und unlautere Methoden auch drastisch bestrafen. Aber es ist derselbe Gesetzgeber, der einerseits den freien Markt unterstützen und beibehalten möchte, der aber dem Arbeitnehmer die Freiheit, die er in einem solchen System eigentlich haben sollte, raubt. Die Prekarisierung der Arbeitswelt kann (oder will?) der Gesetzgeber jedenfalls nicht aufhalten - zu unfähig und zu gut von wirtschaftlicher Seite geschmiert erscheint der Koloss. Freie und mündige Arbeitnehmer, die keine Angst haben müssten, von den Behörden alleine gelassen zu werden, wenn sie dem peinigenden Arbeitgeber von der Schippe hüpften, könnten allerdings gegen die Prekarisierung in Stellung gebracht werden. Denn die Prekarisierung der Arbeitswelt gründet auf dem mangelnden Selbstbewusstsein der unselbstständig Beschäftigten - gibt man ihnen das Selbstbewusstsein zurück, so müssen sich bessere Bezahlung und die Wahrung der Menschenwürde am Arbeitsplatz zwangsläufig neu formieren.

Die Sperre kostet mehr als sie je einzubringen vermag

Der erste Schritt zur Bekämpfung prekärer Arbeitsverhältnisse und dem Ungeist, Menschen generell - auch in noch gut bezahlten Normalarbeitsverhältnissen - als Humankapital zu katalogisieren, wäre es, den Menschen die Grundlagen einer Freiheit zu gewähren, die sie mündig handeln läßt. Daher muß die dreimonatige Sperre, bei "selbstverschuldeter" Aufgabe eines Arbeitsplatzes, verschwinden - nimmt man dies nicht in Angriff, so muß man davon ausgehen, dass die Prekarisierung, wie wir sie zunehmend erleben, gewollt ist. Denn diese Sperre ist ein Instrument zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in diesem Lande. Sie wird als Maßnahme geführt, die Geld einsparen soll, damit Arbeitgeber nicht wie irre kündigen, um sich in die soziale Hängematte zu legen - aber in Wirklichkeit kostet uns diese Maßnahme als Gesellschaft mehr, als sie einspart, denn sie unterstützt und fördert die Minijobisierung, das Aufstockertum, die Umlegung von Personalkosten auf die Allgemeinheit.

Diese sozialpolitische Regelung ist ein Freifahrtschein für Unternehmer ohne Gewissen. Sie hält Arbeitnehmer bei skrupellosen Arbeitgebern und liefert die Belegschaften deren asozialen Praktiken aus. Unmündige Arbeitnehmer können sich nicht zur Wehr setzen und von dieser Regelung profitierende Arbeitgeber sind Halbgötter, die schalten und walten können, wie es ihnen gerade passt. Die Angst um Arbeitsplatz und einer dreimonatigen Sperre macht aus feisten Lumpen allmächtige Gestalten, die sich durchs Tagesgeschäft hindurchkriminalisieren können, ohne große Gegenwehr zu erfahren. Die von ihnen vollzogenen Maßstäbe werden langsam zur allgemeingültigen Richtschnur und wirken auch in Arbeitsverhältnisse hinein, die noch nicht prekarisiert wurden. Unzufriedene Angestellte an ihre Brotgeber zu schmieden, das kommt der Gesellschaft teuer zu stehen - wesentlich teurer, als "Arbeitsplatzflüchtlinge" zu sanktionieren.



Hier weiterlesen...

De dicto

Dienstag, 28. Juni 2011

"Ein deutliches Wort an alle Nörgler und Bremser: Mehr Netto macht mehr Spaß! Nur so geht die Rechnung auf!"
- Ernst Elitz, BILD-Zeitung vom 24. Juni 2011 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Dass Steuersenkungen und "Mehr Netto vom Brutto" zu schwärmerischen Auslassungen führt, ist ja nicht neu. Und dass Elitz einen Hang zur Esoterik hat, den er in vernünftelnde Worte packt, wussten Beobachter bereits auch schon. Ein solcher Psalm aber, dem man förmlich anmerkt, dass er Menschen bekehren, einlullen, mit blumigen Worten auf die Pfade des wahren Glaubens leiten will, wurde aber bislang eher selten in einer Zeitung angestimmt. Elitz betet geradezu eine Credo auf Steuersenkungen; er taumelt in Rausch und Ekstase und schmettert mit Inbrunst eine Andacht, die geradewegs aus dem Gebetsbüchlein des Thomas-Dehler-Hauses zu entstammen scheint. Überraschend ist nur, dass er vergessen hat, seine fast schon religiöse Verzückung mit einem Amen zu beschließen.

Wie in jeder Religion, die etwas auf sich hält, unterlegt auch Elitz seine quasireligiösen Affekte mit Feinden, die es zu bekämpfen gilt. Dabei geht er, wie jeder Kreuzritter, der etwas auf sich hält, nicht ins Detail, sondern drischt sein Breitschwert ohne lange zu fackeln über die Schädel seiner Feinde. Wie in jedem Gebet, das etwas auf sich hält, werden darin Feinde verteufelt und zu unbelehrbaren Ketzern erklärt. Elitz meditiert, huldigt, missioniert - er schwelgt in Steuersenkungs-Visionen, ergötzt sich an der Aussicht, dass "der Bürger" vielleicht am Ende Dreifuffzig mehr in der Tasche hat - Elitz macht sich esoterisch-religiös scharf, betört sich selbst, geilt sich fanatisch auf.

Elitz ist ein schwärmerischer Arschkriecher, der niemals kritisiert, der im überschwänglichen Feuilleton eine Phalanx für die Interessen von Wirtschaft und deren Politik errichtet. So ist er, seitdem er regelmäßig für Springer schreibt - vormals war er Intendant des Deutschlandradios, was man kaum glauben mag und sich besser nicht vorstellen sollte. Dieser Mann feiert ernsthaft das vage Versprechen steuerlicher Entlastungen, die es für untere Einkommen höchstwahrscheinlich im unteren einstelligen Bereich geben wird. Zudem soll diese Steuersenkung, die nicht Hand in Hand mit höherer Steuerbelastung für Gutverdienende verwirklicht werden soll, als Alibi dienen, als letzter Rettungsversuch für den kleinen Koalitionspartner - mit "mehr Netto vom Brutto" greift Merkel den quasireligiösen Wahlspruch der FDP auf, damit diese ihr Gesicht, das sie nie hatte, nicht komplett verliert. Aber Elitz äußert sich dazu nicht, er feiert seinen Gottesdienst, plappert Parolen nach und wagt nicht, sich seines Verstandes zu bedienen. Er glaubt eben - er weiß nicht...



Hier weiterlesen...

Es kriselt

Montag, 27. Juni 2011

Die Medien sind innovativ, wenn es darum geht, Tiefstände mit Schlagworten zu versehen. Es gibt Krisen jeglicher Sorte. Aktuell die Griechenland-Krise und die Euro-Krise, die in Hellas eine Regierungskrise auslösten und demzufolge zu einer EU-Krise wurden - all das geschieht im Fahrwasser der Wirtschaftskrise, die ihrerseits aus der Finanzkrise resultierte. Die Krise ist ein zentrales Wort in der Medienlandschaft - es gibt sie aber nicht singulär, sie tritt nur im Plural auf. Und das nicht ohne Grund...

Es löste nämlich eine (Singular!) Krise aus, wenn es keine Krisen, sondern nurmehr eine Krise gäbe. Die Aufspaltung in Krisenherde ist notwendig, um den Laden am Laufen zu halten. Die oben aufgezählten Krisen, betrachtet man sie nüchtern von einer neutralen Warte aus, sind lediglich die Aufsplitterung einer einzigen Krise. Man suggeriert dem Konsumenten journalistischer Waren jedoch, dass es sich um verschiedenste Krisenfronten handelt, nicht aber um eine einzige große Krise, die viele kleine Schlachtfelder und Scharmützel nach sich zieht. Griechenland-Krise, Euro-Krise, Regierungskrise, EU-Krise als Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise: das sind nicht viele kleinere oder größere Geplänkel: sie stellen die eine Krise dar, die die freie Marktwirtschaft, vulgo: den Turbo- oder Casino-Kapitalismus, am Wickel hat.

Aber davon keine laute Rede, keine ausgiebige Schreibe. Stattdessen werden übersichtliche Getümmel entworfen, die die Krise einer Europäischen Union, die als Religion den freien Markt und das allseits angewandte ökonomische Prinzip, als Glaubensbekenntnis Profitstreben und -denken in jeder Nische des gesellschaftlichen Daseins und als Vaterunser exorbitante Kapitalakkumulation und pekuniäre Unersättlichkeit für sich entdeckt hat... stattdessen wird das Schlaglicht auf Randerscheinungen geworfen, um die Krise dieser inbrünstig neoliberal und reaktionär röchelnden Union zu kaschieren. Nicht der Kapitalismus, wie er in Europa und der Welt leibt und lebt, entleibt und tötet, ist es, der in ein Loch fällt, es sind einfach kleine Erscheinungen, die da innerhalb des Kapitalismus aus dem Ruder laufen, aber das Große, das Ganze, das Großeganze: es ist intakt.

Die Krisen, die die Tünche für die Krise sind, sie suggerieren, dass der Rahmen noch stimmt, dass nur kleine Pinselstriche innerhalb des Gemäldes, das in diesem Rahmen steckt, etwas fehlerhaft gesetzt wurden. Griecheland-Krise ist demnach der Kollaps Athens alleine; die Euro-Krise ist die Kalamität der Währung einzig; Regierungskrise ist eine Konfusion, die ausschließlich unzufriedene Bürger verursachen; die EU-Krise gilt somit als Beklemmung europäischer Organe nur; die Wirtschafts- und Finanzkrise ist das Dilemma der Märkte lediglich - dass aber alle Krisen zusammengefasst als ein einziges Krisenszenario durchgewinkt werden können, kommt da keinem mehr in den Sinn. Jede Krise ist fein säuberlich in seine Kompetenzen gewiesen, sie kann nicht übergreifen und nicht generalisiert verstanden werden - sie ist eine beschränkte Krise, die die unbeschränkte Krise des Systems bedeckt.

Die Taktik derer, die das System weiterhin als alternativlos und als bestes aller möglichen Systeme beschreiben, ist weniger die Leugnung der Krise. Der Turbo-Kapitalismus unserer Tage ist innovativ, wenn es darum geht, seine eigene Agonie hinter Floskeln und falschen Informationen zu verstecken. Er bestreitet die Krise nicht, er schafft viele kleine Duodez-Krisen, die die große Krise des gesamten Komplexes tarnen sollen. Wo Griechenland, Euro, EU oder Banken in der Krise sind, da ist es das kapitalistische System nicht - da bleibt es außerhalb der Diskussion und damit weiterhin alternativlos. Wo ein Land vor dem sozialen Kahlschlag steht, eine Währung moribund keucht, eine Union japst, Banken röcheln, da ist der Kapitalismus wahrscheinlich nur falsch praktiziert worden - mehr aber nicht. Die vielen kleineren Krisen machen klar: das System ist schuldlos, es sind die Teilnehmer am System, die sich irren. Der Rahmen aber, er ist einwandfrei...



Hier weiterlesen...

Ich bin maßlos egoistisch

Freitag, 24. Juni 2011

oder: wie die Schulpsychologie die Kardinaltugenden des Kapitalismus fördert.

Lange hat es gedauert, bis er mit seinem etwas wunderlichen Gebrechen, bei seinem Hausarzt vorstellig wurde. Nachdem er im Sprechzimmer etwas herumgedruckst hatte, gesteht er diesem, dass er unter notorischem Egoismus leide und dass er sich dessen epochal schäme.
"Wie äußert sich dieser Egoismus denn", fragt der Hausarzt daraufhin und starrt seinen Patienten erwartungsvoll, nicht wenig amüsiert an.
"Ich gönne niemanden etwas. Am Arbeitsplatz, wenn es da mal freie Kost gibt, dann raffe ich so viel wie ich gerade in meiner Schreibtischschublade verstauen kann. Oder im Supermarkt, wenn es da Schnäppchen gibt, dann bekommt kein anderer Kunde mehr etwas ab. Alles meins! Alles mir! Ich billige niemanden etwas, selbst wenn jemand weniger hat als ich. Meine Gier, mein Egoismus ist fast schon politisch", räumt der Patient offen ein.
Was denn politisch bedeute, will der Arzt jetzt natürlich wissen, der nicht recht weiß, ob dieser Mann scherzt oder tatsächlich an seinem Egoismus Qualen leidet.
"Ich ärgere mich, wenn man Menschen etwas abgibt. Teilhabe ist ein Unwort für mich. Ich befürworte Hartz IV. Ich möchte keinen Mindestlohn, weil das für mich als Konsument teuer werden kann. Steuern sind ein Unding, denn das bedeutet, dass ich abgeben müsste. Ich will aber doch gar nicht so denken. Ich schäme mich so sehr für diese egoistische Haltung, Herr Doktor. Helfen Sie mir!"
Der Arzt schickt ihn letztlich zu einem befreundeten Psychologen, teils, weil er diesen Gierschlund schnellstens loswerden will, teils, weil er tatsächlich annimmt, dass dieser dort bestens aufgehoben wäre. Wenn nicht aufgrund seines Egoismus, so doch, weil er offenbar ein wenig verrückt sei, mit so einem Leiden zu einem Arzt zu wackeln.

Einige Monate später. Der Patient trifft, vielleicht auf dem Postamt, vielleicht beim Einkaufen - wo auch immer? -, auf seinen Hausarzt. Und obwohl der Arzt sich normalerweise diskrete Fragen außerhalb seines Sprechzimmers erspart, fragt er jetzt, im Anflug von Neugier, den Patienten doch, ob denn die psychologische Behandlung bereits erfolgreich sei.
"Ja", erwidert der Patient freudig entzückt, "die Behandlung hat wirklich Erfolge gebracht. Es geht mir gut."
"Das freut mich aber. Sie sind also nun kein Raffzahn mehr?", fragt der Arzt sodann.
"Dochdoch", antwortet der Patient, "aber ich schäme mich dessen nicht mehr."



Hier weiterlesen...

Nomen non est omen

Mittwoch, 22. Juni 2011

Heute: "Plagiatsjäger"

Nachdem von und zu Guttenberg durch das Internetportal Guttenplag bzw. Vroniplag des Plagiats überführt wurde, und die Stoiber Tochter Veronica Saß ihren Doktortitel abgeben musste, wurde nun der Europaabgeordneten der FDP-Fraktion, Silvana Koch-Mehrin, der Doktortitel aberkannt. Auffällig dabei ist, die Sprache unserer bürgerlichen Medien, wenn es um das Thema der Doktortitel-Erschleichung geht. So wird Vroniplag nicht als Aufklärungsplattform verstanden, die im Dienste der Wissenschaft agiert, sondern als Hort von "Plagiatejägern", die unsere vermeintliche "Elite" bloßstellen und stürzen will.

In einem Artikel vom 15. Juni 2011 auf SpiegelOnline wird mehrfach von "Plagiatejägern" gesprochen. In einer Dialektik, welche die vermeintlichen Abschreiber zu Opfern stilisiert. Anonyme Jäger verfolgen Koch-Mehrin, nehmen sie ins Visier und erlegen ihre Beute:
"Koch-Mehrins Doktorarbeit war vor gut zwei Monaten ins Visier der Plagiatejäger der Plattform VroniPlag Wiki geraten [...] kamen die anonymen Plagiatsjäger dann zu einem eindeutigen Ergebnis."
Die TAZ berichtet in einem Artikel vom 21. Mai 2011 vom Alltag eines "Plagiatsjägers" und lässt ihn in keinem guten Licht erscheinen. Das Adjektiv "anonym" soll die Feigheit der Aufklärer unterstreichen. Während sich also Politiker zu den Vorwürfen in der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen und ggf. zurücktreten, verstecken sich die hinterhältigen Jäger im anonymen Web, so der Tenor:
"... vom Jagdfieber gepackt [...] Eine Elite am Pranger [...] seine anonyme Jagd [...] Lässt anonyme Online-User einer Elite auf die Füße treten."
Zeit-Online beweist, dass die Gleichschaltung der Medien nicht nur an den gleichen Themen, des Agenda Settings und der einseitigen Propaganda zu erkennen ist, sondern auch an der gleichen Sprache:
"Am Wochenende haben die üblichen Plagiat-Jäger im Internet wieder zugeschlagen [...] gegenwärtig erneut im Visier der Plagiatjäger."
In einem Blogbeitrag von Vroniplag hat sich ein Autor klar von der Begrifflichlichkeit des verunglimpfenden "Plagiatsjägers" distanziert:
"Liebe Presse,

Ich habe mich noch nie als »Plagiatjäger« bezeichnet. Ich lese Dissertationen und schreibe mir Plagiatsstellen raus. Ich will hier mal klarstellen, wer mich und die anderen Beitragenden hier zu »Plagiatjägern« ernannt hat: Das seid Ihr! Also hört bitte auf, so scheinheilig von »selbsternannten Plagiatjägern« zu sprechen."
Eine Doktorarbeit ist eine wissenschaftliche Arbeit, die neue Erkenntnisse bringen soll und in die Öffentlichkeit getragen wird. Sowohl Arbeit, als auch Titel sind öffentlich zugänglich. Insofern ist es durchaus legitim, wenn Doktorarbeiten von anderen diskutiert und besprochen werden. Würden im übrigen die Vroniplag-Macher ihre Anonymität aufgeben, würde in der Presse wohl zunehmend über die Überbringer als über die Botschaft berichtet werden (Stichwort: Medien-Personalisierung). Zudem würden sicher nicht wenige Aktivisten dann Probleme mit ihren Arbeitgebern bekommen. Die Begrifflichkeiten und die Sprache in der Presse stilisieren die Abschreiber und Titel-Käufer zu Opfern und die Vroniplag-Aktivisten zu Tätern. Einen ernsthaften Diskurs darüber, dass einige Politiker ihren Doktortitel unrechtmäßig erworben haben, findet man in den bürgerlichen Medien hingegen kaum.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

Hier weiterlesen...

Nieder mit dem Grüßaugust!

Dienstag, 21. Juni 2011

Christian Wulff ist nun ein Jahr im Amt und mischt sich zu wenig ein, befinden die Deutschen. Ich finde aber, er macht seinen Job ganz prächtig, denn er hält seinen Mund, gibt keine oder nur ganz wenige Statements ab und verschanzt sich in Bellevue. Damit gibt er dem Amt, das er auskleidet, die Kompetenz, die die Verfassung dafür vorgesehen hat - gar keine!

Das Amt des Bundespräsidenten ist ein repräsentatives, er ist eine neutrale Gewalt im Betrieb der Bundesrepublik. Gesetze unterschreiben darf er - am Gesetzgebungsprozess mitwirken nicht. Das Grüßen, den Arm hoheitsvoll heben und ein lieber August sein: das ist sein Metier. Das Amt des Bundespräsidenten ist ein politisches Nullsummenspiel - es ist ohne Bedeutung, ist leer, nimmt die Rolle eines Ersatzmonarchen ein, der wie in einer konstitutionellen Monarchie von oben herab deutelt und dankt und einen guten Eindruck machen will, grundsätzlich aber nur belangloser Tand ist. Wobei Herrscher einer konstitutionellen Monarchie noch Kompetenzen auf sich vereinen konnten, während es bei seinem profanisierten Gegenstück relativ mager aussieht.

Natürlich hat der Bundespräsident moralische Tugenden anzufachen. Sonntagsreden mit schönem Inhalt, das ist seine Kompetenz. Das hat sich beispielsweise unter Johannes Rau sogar noch nach etwas angehört. Seither (und auch vormals schon) gähnende moralische Leere! Das Amt des Bundespräsidenten ist in einer Zeit, da sich Kandidaten für dieses Amt aus politischen Parteien rekrutieren, die ungefähr soviel moralisches Rückgrat wie Regenwürmer Knochensubstanz besitzen, ein unausgefüllter Sessel. Es ist kaum zu erwarten, dass irgendeiner in dieses Amt gehievt wird, der seiner Partei wirklich die Leviten liest, der Korruption, Lobbyismus, Ausbeutung und soziale Ausgrenzung der unteren Gesellschaftsschichten zungenfertig rügt. Der Schlick, aus dem Bundespräsidenten herauskrebsen, macht keine Dissidenten-Ansichten bellevuefähig. Ethische Koryphäen schwimmen in dem Pool papabiler, oder besser gesagt: bundespräsidentabiler Kandidaten nicht mit - ethische Koryphäen sind Nichtschwimmer.

Nun könnte man sagen, dass es sinnvoll wäre, das höchste und nichtigste Amt dieser Republik mit jemanden auszustaffieren, der nicht aus dieser moralisch-toten Masse der Parteipolitik entstammt. Theologen sind doch Moralisten, glaubt mancher gar irrwegig. Fast hätten wir so einen Mann Gottes, so einen Theo-Lügen dort gehabt. Gauck, der als Freiheitsprophet kündete, dass Freiheit eben nicht bedeute, sich die Freiheit zu nehmen, beim Staat zu betteln, wenn man sich selbst nicht mehr helfen kann... Gauck wäre so ein theokratisch-wirtschaftsliberaler Fanatiker in Bellevue geworden. Freiheit ist, so glaubte er, wenn man sich die Freiheit nimmt, auch nach der hundertzwanzigsten Bewerbungsabsage nicht zu verzagen. Eine weitere imposante Erscheinung auf diesem Posten war der Vorgänger von Aufklärungs-Christian. Der kam nur marginal aus der Politik, hatte zwar ein Parteibüchlein bei den Christdemokraten, war aber bei denen nur selten tätig. So ein Politikfremdling, hieß es damals, der wäre bürgernah und würde auch als moralische Instanz taugen. Seine komplette Amtszeit glänzte er dann neoliberal und am Ende schwadronierte er um Angriffskriege, die ja irgendwie berechtigt seien. Und weil er ja ein Moralist in höchsten Tönen war, trat er auch prompt zurück, als man ihn kritisierte - schließlich ist er Ersatzkaiser und über jede Kritik erhaben, flennte er empfindlich getroffen in die Kameras. Die Leute haben ihn dennoch gemocht: sie haben seinen präsenilen Schimmer von Gesetztheit mit moralischer Integrität verwechselt - das war seine ganze Kunst!

Das Amt des Bundespräsidenten, es war immer irgendwie ein relativ totes Amt. Adenauer hatte das schnell erkannt, nachdem er zuerst erklärte, er würde nun dem Dicken Platz machen, selbst Bundespräsident werden. Als er erfuhr, dass er sich damit selbst ins politische Grab legte, revidierte er flugs seine Pläne und sprang diesem politischen Tod nochmal schnell von der Schippe. Nun aber, in Zeiten, da Moral etwas Gestriges oder Sozialromantisches ist, weil die Einflüsterer aus der Wirtschaft erklären, dass sozialdarwinistische Hypothesen eigentlich mehr sind, nämlich irreversible Thesen, was selbstredend auf die politischen Vasallen abfärbt... in solchen Zeiten, da ist dieses hohe Amt nichtiger als nichtig, toter als tot. Der Effizienzwille hat die Gesellschaft erfasst, alles muß rentabel sein, soll sich rechnen - selbst Kostenneutralität ist schon Verlust, wer soviel einbringt wie er kostet, der ist schon ein Unkostenfaktor. Warum gilt das nicht auch für Bellevue? Warum nicht abschaffen, was keinen Wert hat? Und dabei sind nicht mal Kost und Logis für den BuPrä der ausschlaggebende Punkt. Die arme, politisch totgestellte Sau, die da in Kameras winken soll und immer gute Laune verbreiten muß, die will auch gut gefüttert sein. Aber ist es nicht großherziger und gerechter, wenn man nun die Abschaffung fordert und damit den Kasper aus seinen Winkewinke-Job in Bellevue entlässt?

Eine Win-Win-Situation wäre das allemal. Für das Volk, das keinen ergrauten Onkel benötigt - und für den Onkel selbst, der nicht mehr zum pseudomoralischen Feigenblatt ohne Kompetenz degradiert wäre. Dass McKinsey in Bellevue noch keine Rationalisierung vorgeschlagen hat, das verwundert doch eigentlich sehr...



Hier weiterlesen...

Für ein Europa der Menschen

Montag, 20. Juni 2011

Die Belagerung der Straße, wie wir sie derzeit in Griechenland beobachten können, darf kein europäischer Einzelfall bleiben. Wir sollten das griechische Aufbegehren auch nicht alleine als Akt gegen die Währungspolitik der Europäischen Union verstehen, sondern als ein Verlangen, die EU generell einer Revision zu unterwerfen. Die Staaten der EU, die allesamt Sozialabbau und Ausplünderung der ärmsten Schichten erleben, müssen einer solchen griechischen Wut überstellt werden. Die ausgebeuteten Menschen aus den Nachbarländern Griechenlands dürfen sich nicht verkriechen, sie sollten die an ihnen praktizierte Ungerechtigkeit vergriechen.

Die Europäische Union ist vorallem eines: eine Union der Konzerninteressen, ein multilaterales Tête-a-tête eines ökonomisierten Europas. Ein Europa der Bürger hat es nie gegeben. Man tat fortwährend so, als sei ein wirtschaftlich geeinter Kontinent der Schlüssel dorthin. Das Primat der Politik galt in der EU nicht, dort hatte immer die Wirtschaft die Richtlinienkompetenz inne, was anhand der EU-Verfassung, die später als Vertrag über die Bühne gehen sollte, relativ unkompliziert belegbar war. Zölle sollten für Unternehmer fallen; führt man als Privatperson allerdings mehr als eine vorgeschriebene Anzahl von Zigaretten bei sich, wenn man beispielsweise die tschechische Grenze passiert, so müssen diese verzollt werden. Geschäfte mit Drittländern, die sich keinen Freihandel leisten können, die Schutzzölle benötigen, um das Überleben ihrer eigenen nationalen Wirtschaft zu gewährleisten, sind im EU-Vertrag ausgeschlossen. Die große Freiheit Europas war stets nur die große Freiheit europäischer Multis. Dafür wurde von Brüssel aus zentralisiert und generalisiert, es wurden wenig einträgliche Normen gekappt, um dem ökonomischen Prinzip in jeder gesellschaftlichen Nische Platz zu verschaffen.

Die Europäische Union machte es von jeher ihren Bürgern leicht, sie zu verachten und zu hassen. Der träge Bürokratenapparat, ein Parlament, das keine Entscheidungsbefugnis, sondern Gesetzesentwürfe aus Brüssels Hinterzimmer zu bejahen hat, eine Politik zugunsten Milliardenkonzernen und gegen die Interessen der "kleinen Leute" - und nun obendrauf Sparprogramme für Griechenland, Portugal und Spanien, die die dortigen Menschen existenzieller Nöte und Gefahr aussetzen. Was auf Griechenlands Straßen geschieht ist mehr als ein Akt gegen die europäische Währungspolitik und ihre Auswirkungen, mehr als ein Streich gegen die eigene Regierung - es ist die Ablehnung Europas, wie es sich in der EU zeigt. Europa beweihräuchert sich gerne selbst, indem es sich abendländische Werte attestiert, christliche Moral nennt man die dann auch. Attribute wie Nächstenliebe oder Demut - beides ist in der EU-Politik nur klassistisch nachzuweisen: als Demut vor dem großen Geld - und als Liebe gegenüber demjenigen Nächsten, der genug Kapital besitzt, um am nächsten Ersten (Schmier-)Gelder zu überweisen. Die Liebe zu den Armen und Schwachen, was ja angeblich auch eine europäische Kulturleistung sein soll, wenn man den Sonntagsreden glaubt, ist jedoch nur schwerlich auffindbar.

Sollte das Undenkbare geschehen, sollten nach Griechenland und Spanien, weitere europäische Länder mit von empörten Menschen verstopften Straßen und belagerten Marktplätzen aufwarten können, so sollte es ein Ziel dieser Bewegung sein, die EU, so wie wir sie heute kennen und ertragen müssen, aus der Geschichte zu wischen. Nicht nur moderatere Sparmaßnahmen dürfen die Bürger Europas auf die Straßen treiben: das wäre zu wenig. Der historische Augenblick wäre nicht effizient genutzt, wenn man nicht gleich mehr forderte. Die marktorientierte EU hat zu weichen, sie ist durch eine angebotsorientierte EU zu ersetzen - sie hat das Primat der Politik zu wahren und nicht das Spielzeug der Wirtschaft zu sein. Als Europäer kann man sich in diesem Europa nur fühlen, wenn man von Europa, wie es sich derzeit gestaltet, profitiert hat. Bezeichnenderweise nehmen meist nur Wirtschaftsbonzen und Politikerclowns das Label "Ich fühle mich als Europäer!" in Anspruch. Welcher Arbeitslose sagt das? Welcher Niedriglöhner? Welcher Bauer? Welcher kleine Angestellte? Das Übel des Nationalismus läßt sich nicht tilgen, wenn eine solche EU den Grundgedanken des Internationalismus torpediert und ihn nur für "juristische Personen" einrichtet, nicht aber für alle europäischen Bürger, auch für kleine, unterschichtige "natürliche Personen".

Europa auf die Straße! Und dann fordere es, dass die EU der Wirtschaftsfalken verschwinde. Dann könnten endlich auch verbindliche Normen in den Bereichen Einzug finden, die die EU bislang schmählich vergessen hat. Dann könnte es verpflichtende Mindestlöhne geben! Kündigungsschutz! Gleiche Arbeitnehmerrechte in alle EU-Ländern! All das müsste nicht in jedem Land gleich hoch oder gleich konzipiert sein. Denn auch der Zentralismus hat zu schwinden. Europa ist zu groß, um zentralisiert regiert zu werden. Eine Mindestlohnpflicht müsste sich in der Höhe natürlich an den jeweiligen Zuständen orientieren - mit Dynamik selbstverständlich, die sich über Jahre hinweg nach oben anpasst. Aber dass eine neue EU als Instanz darüber wacht, ob sich ein Land an Sozialstandards hält, das wäre etwas, was wir bisher nur selten erleben durften. Mit der Option zur Sanktion, wenn sich ein Mitgliedsstaat weigert, verpflichtende Sozialstandards einzuleiten.

Eine solche neue Europäische Union hätte letzthin auch die Asyl- und Emigrantendebatte anders, humanistischer, humanitärer zu führen. Lampedusa kann nicht das Halleluja und Amen sein, die Stacheldrahtverhaue vor den spanischen Exklaven in Afrika auch nicht. Eine verbindliche Asylpolitik, die diesen Namen auch verdient, ist für ganz Europa anzuwenden - und über kurz oder lang wäre ein Staatenbund mit den Ländern des Maghreb ein notwendiges Ziel, gerade jetzt, da man sich dort von diesen Hitlerimitationen lossagt. Die Ströme afrikanischer Desesperados, afrikanischer Hoffnungsloser, sie werden nicht durch Stacheldraht, Maschinengewehre oder ein unpassierbares Binnenmeer dazu animiert, in ihren Heimatländern zu verbleiben. Kein Mensch verlässt freudig seine Heimat - kein Mensch setzt sich mit einem Lied auf den Lippen den Gefahren aus, die die Durchquerung eines wilden Kontinents mit sich bringt - kein Mensch sieht mit einem Lächeln den bewaffneten Soldaten und Polizisten Europas ins Auge, die den Auftrag der Zurückdrängung der Massen nach Afrika erhalten haben. Dennoch kommen sie, dennoch wollen sie nach Europa. Die Ströme der Desesperados lassen sich nur zurückhalten, wenn man die Zustände, die in deren Heimat herrschen, erträglicher macht. Weniger Militärausgaben, mehr Entwicklungshilfe. Das wäre eine gerechte Asylpolitik - gerade auch dann, wenn man Diktatoren zukünftig nicht mehr tolerierte und als gute Kameraden in Büros europäischer Staatschefs einlädt, um ihnen dort medienwirksam die Hände zu reichen und zu schütteln.

Die EU war einst eine große Chance - sie wurde aber verpasst und zum Werkzeug "höherer Interessen" abberufen. Manchmal gibt die Geschichte den Menschen ein zweite Chance. Selten zwar, aber immerhin doch manchmal. Möglich, dass diese Chance nun gekommen ist. Dieses Europa, das die EU präsentiert, es muß enden, damit ein Europa der Menschen entstehen kann. Dann könnte es tatsächlich geschehen, dass niemand mehr über protestierende Griechen berichtet, sondern über sich empörende Europäer, die auf griechischem Boden wohnen...



Hier weiterlesen...

Verplantes Leben

Samstag, 18. Juni 2011

Wenn ich so lese, wie sich junge Menschen ein Leben vorstellen, kann ich nur den Kopf schütteln. Alles soll glatt gehen, jeder Stolperstein soll vermieden werden und falls das nicht sichergestellt werden kann, so versichert man sich gegen solche Stolpersteine. Man imaginiert sich ein Leben, das lediglich auf der Sonnenseite stattfinden soll, und die Industrie und Gesellschaft unterstützt diese Einstellung, mach Lebensplanungssicherheit zur obersten Maxime des modernen Daseins. Der endlos gesunde Mensch, den man allerorten reklamiert, ist so ein Produkt aus den Gesunderhaltungsschmieden. Dabei meint Gesunderhaltung jedoch nur, um Nietzsche zu zitieren, dasjenige Maß an Krankheit, das es noch erlaubt, wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen. Das meint heute noch konkreter, so wenig krank zu sein, dass man weiterhin beschäftigt bleiben kann - wer noch beschäftigt ist, der ist auch gesund genug. Das ist die Verdrehung der Vernunft, die früher fragte: Sind Sie gesund genug, um noch zu arbeiten?

Das Alter ist ein anderer Stolperstein, den man heute ausmerzen möchte. Man will zwar alt werden, aber nicht alt sein. Ortega y Gasset schrieb mal, dass das Alter immer noch das einzige Mittel ist, das man entdeckt hat, um lange leben zu können. Diese Weisheit ist heute allerdings aus der Mode, man würde gerne jünger alt. Dieselben Köpfe, die Krankheit als Hemmschuh für einen reibungslosen Lebenslauf auszumerzen versuchen, wollen auch das Alter aus der Welt befördern. Gebrechlichkeiten passen nicht ins moderne Leben, sie halten auf, erzeugen Kosten, kosten Nerven, nerven den Produktionsablauf. Man will den Menschen nicht vergesunden, damit er glücklicher ist - wer das glaubt, der unterliegt einem Irrtum. Man möchte nur, dass der monotone Alltag aus Plackerei und Schufterei ohne Reibungsverluste vonstatten geht.

Und Kinder erst, die behindern ungemein. Kindertagesstätten, in die selbst schon Säuglinge einquartiert werden können, das sehen die Ökonomisierungskapitäne mit großem Wohlwollen. Kinder hemmen, entziehen der Gesellschaft wertvolle Arbeitskraft. Gäbe es zu viele Kinder, so würde manche Branche in Stagnation verfallen. Die Urlaubsindustrie würde jedenfalls dicke Backen machen, denn Kinder sind teuer und lassen nicht viel Spielraum für Hotels mit Zugang zum Strand. Ohnehin empfinden Menschen Kinder immer häufiger als Ballast für ihre Lebensplanung, als Stolperstein für ein Leben, wie man es, manipuliert durch Reklame, gerne leben möchte. Alles will man erleben, alles haben - und die Irrungen und Wirrungen des Lebens, wie sie ganz von alleine entstehen, die sollten bitte bestmöglich vom Leib gehalten werden. Auch ein Grund dafür, warum heute Beziehungen austauschbar sind, wie einst nur Unterwäsche - bei hygienischen Menschen, versteht sich.

Wir leben in einer Zeit, da alles, was nicht konform ins moderne Leben passt, als lebenplanungsschädlich verstanden wird. Der homo oeconomicus und der homo supermercatus wollen Sicherheit haben, sie wollen Pläne hegen, Vorstellungen entwerfen dürfen. Krankheit, Alter, Kinder, Beziehungszwist und so weiter, das stört den Ablauf. Seine zwei Schienen müssen gut geölt und gewienert sein, sonst klemmt der Ablauf. Schiene Beruf und Schiene Privatheit, manchmal auch beide Schienen ineinandergezwirbelt, sollen frei von Hindernissen bleiben. Der Lebensplan darf nicht zu Schaden kommen, alles soll mit Kalkül über die Bühne gehen. Für jedes unliebsame Lebensereignis gibt es eine Lösung, suggeriert dabei die Industrie. Wir können alles passend machen! Und dann liegen sie eines Tages mit Knochenkrebs in der Klinik und können sich kaum mehr rühren, Chemo schlägt nicht an, mindert nicht mal den Wucherungsgrad und sie bekommen zu hören, dass die Allmacht des Menschen über seine Lebensplanung doch nicht hundertprozentig ist. "Unheilbar" gab es in diesem Leben vorher nicht, "nichts zu machen" war ein Spruch für Verlierer - "unheilbar" war aus dem Soziolekt ramschiger Ärzteserien.

Natürlich will ich kein Plädoyer auf Krankheit und Gebrechen halten. Wer ist schon gerne krank? Zum Leben gehört Krankheit aber trotzdem. Wir kennten Gesundheit nicht, wenn wir keine Krankheit hätten. Was ich allerdings verurteile ist, wie man in dieser Gesellschaft mit den Unabwägbarkeiten des Lebens umgeht. Man tut so, als könnte man die Lebensplanungsschädlichkeiten kalkulieren, sie ausschalten und kontrollieren. Kein Bekenntnis dazu, dass der Mensch, gefangen in seinem Schicksal, nichts weiter als eine ganz arme Sau ist. Vorsorge treffen! ist das Schlagwort - wer vorsorgt, der ist hernach abgesichert, den ereilt das Schicksal nicht auf falschem Fuß. Doch genau das geschieht, denn zum Menschsein gehört Krankheit, Alter, gehört es, Verantwortung für andere, seien es Kranke, Alte oder Kinder, zu übernehmen. Das sind natürlich "Stolpersteine", die das schöne und angenehme Leben nach Plan erschweren. Aber genau ein solches Dasein nach Schablone ist nicht der vorgesehene Fall, es ist nicht mal die Ausnahme, es ist schier nicht machbar. Doch unsere Zeit meint, genau so hat Leben stattzufinden, durchgeplant bis unter die Zehennägel.

Und alles was Lebensplänen schadet, wird als Hindernis betrachtet. Wir können noch so viel Mildtätigkeit einfordern im Bezug auf diejenigen, die Hilfe benötigen. Wenn man den Menschen nicht wieder beibringt, dass das Leben nicht durchstrukturiert werden kann, dann wird sich der eisige Zeitgeist, der in Alten, Kranken und Kindern Ballast hineininterpretiert, nicht abflauen, sondern ganz im Widerspruch dazu, er wird nochmal runterkühlen. Nur wenn man von klein an begreift, dass das Leben keine Planwirtschaft ist, sondern voller Entwicklungen, die wir bestenfalls marginal beeinflussen können, dann öffnet sich vielleicht auch das Bewusstsein dafür, dass es ungeplante Momente im Leben geben kann, in die wir alle hineinstolpern könnten. Dann wird uns offenbar, dass wir alt, krank, behindert, arbeitslos oder dergleichen werden können - wenn uns bewusst wird, dass wir selbst der Unabwägbarkeit ausgesetzt sind, dann erkennen wir vermutlich auch wieder den Wert in solchen Menschen, die wir heute noch als Ballast für die Gesellschaft bezeichnen.



Hier weiterlesen...

Sit venia verbo

Freitag, 17. Juni 2011

"Wahrer Friede bedeutet nicht lediglich die Abwesenheit von Konflikten, sondern die Gegenwart von Gerechtigkeit."
- Martin Luther King -

Hier weiterlesen...

Die folternde Gesellschaft

Donnerstag, 16. Juni 2011

Über Folter läßt sich kaum mehr streiten. Sie ist unbestreitbar als Instrument der Ermittlung und Wahrheitsfindung im Herzen der westlichen Gesellschaft angelangt. Über sie wird vorurteilslos diskutiert und sie findet einen breiten Konsens und viele Forderer. Dass sie in bestimmten Fällen eine Berechtigung hat, wird mittlerweile akzeptiert. Fraglich ist nur, in welchem expliziten Fall diese Berechtigung eintritt. So meinen (rechts-)konservative Kreise, dass man Terrorverdächtige foltern solle, um weitere Tote durch vermeintlich geplante Anschläge zu verhindern. Zu erinnern sei da nur an die Worte Wolfgang Schäubles, wonach durch Folter erzwungene Aussagen nicht zu verwerfen seien, wenn sie denn schon mal in der Welt sind. Selbst unter Linken spricht man ganz selbstverständlich von ihr. So äußerte sich selbst Oskar Lafontaine positiv zur Folter, als damals der Frankfurter Polizeipräsident einer Klage ins Gesicht sehen musste, weil er einem Entführer Folter androhte. In bestimmten Fällen sei Folter eine Option, stellte auch Lafontaine klar - und die Bestrafung des Polizisten, so führte er fort, wäre gar eine Katastrophe.

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Folter zwar grundsätzlich ab. Es gäbe aber durchaus Ausnahmen, schiebt man dann aber nach. So wie im Fall Gäfgen damals, den der Rechtsstaat in seiner Ungerechtigkeit zum Fall Daschner machte. Oder wenn man einen Terrorverdächtigen dazu bringen möchte, weitere Komplizen und Vorhaben zu benennen. Unbemerkt bleibt dabei jedoch, dass die Hemmschwelle bereits relativ niedrig liegt, wenn man selbst schon Verdächtige foltern würde. Folter ist verwerflich, weil brutal; sie macht den gefolterten Menschen zur bloßen Verfügungsmasse seiner allmächtigen Peiniger - und: Folter ist unkontrollierbar. Nicht erst, wenn sie am Leib eines Delinquenten geschieht, sondern schon vorher, wenn man über sie beratschlagt. Aus sicheren Tätern, die gemartert werden sollen, werden schnell "ziemlich sichere Täter", dann Verdächtige, danach potenzielle Täter oder gar potenzielle Verdächtige. Das Verbot der Folter ist auch damit begründbar. Es hat seine Berechtigung, weil der folternde Mensch, wenn er erstmal gewaltsam und im beschaulichen Schutz staatlicher Legitimität am Nächsten tätig wird, keine Hemmungen, keine Barrieren, kein Mitleid mehr kennt. Das strikte Folterverbot ist notwendig, denn die leiseste Lockerung dröselt die Menschenrechte auf und installiert ein neues Rechtsbewusstsein, das keine Mäßigung, keinen Einhalt mehr kennt. "Foltert ihn!" wird dann der inflationäre Slogan, wenn man sich keine Mühe mehr machen will mit Menschen, die in die Fänge der Justiz geraten.

Der Gefolterte

Die Folter verändert in ersten Linie denjenigen, der unter ihr leidet. Es ist hierbei unerheblich, ob er als Schuldiger oder Beschuldigter und später als unschuldig Entlasteter aus dem Folterkeller getragen wird. Er wird an dieser Tortur bis an das Ende seiner Tage nagen. Der Einwand, es würde heute keine Folterkeller mehr geben, sondern lediglich - würde man sich heute dazu entschließen wieder zu foltern - "transparente Folter", kann nicht ernstgenommen werden. Gegen seinen Willen fixiert und der Gewalt anderer Menschen ausgeliefert zu sein, das ist keine Frage der Räumlichkeit. Auch die bürokratische Maskerade, die heute vermutlich anwesend wäre, also staatlich einbestellte Beobachter, die einer "Tortur zum Tode" Einhalt gebieten würden, änderte nichts am Trauma, das dort erlitten würde. Schmerz bleibt Schmerz, Ohnmacht Ohnmacht, eine durch Gewalt erzwungene Aussage bleibt eine durch Gewalt erzwungene Aussage, ganz egal, ob im miefigen Keller oder in einer smarten und modernen "Folter-Location".

Die "Tortur zum Tode" zu unterbinden, wäre ohnehin ein Akt, den sich eine folternde Gesellschaft nicht erlauben könnte. Läßt man einen ehemals Gefolterten frei, entweder gleich nach dem Akt, weil er sich plötzlich als unschuldig erwies, oder später, weil er zunächst eine Haftstrafe verbüßen musste, so würde man einen Menschen in Freiheit lassen, der nie wieder Vertrauen in das Land und seine Institutionen haben könnte. Die Radikalisierung eines solchen Menschen wäre nicht nur eine Gefahr, sie wäre vorprogrammiert und auch verständlich. Die Bereitschaft nun wirklich (oder weiterhin) Mittel des Terrors anzuwenden, dürfte niemanden verwundern und könnte dann auch nicht moralisch beanstandet werden. Dies geschähe vermutlich alles zwischen Therapien und Gewaltakten - hierbei ist an Khaled al-Masri zu denken, der nach seiner Freilassung aus einem Folterknast immer wieder straffällig wurde und keinen gesellschaftlichen Anschluss mehr findet. Zwar ist er nicht Terrorist geworden, aber vermutlich unterstreicht das nur seine Unschuld. Denn wäre er vormals in terroristischen Strukturen heimisch gewesen, nach der Tortur wäre er leidenschaftlich zurückgekehrt. So aber explodiert sein Gewaltpotenzial im alltäglichen Leben. Über kurz oder lang müsste sich der folternde Staat Gedanken über die Folgen machen, die er verursacht - und eine "Folter hin zum Tode", wenn schon nicht erlauben, so doch im Stillen befürworten.

Der Gefolterte und die Folternden

Noch ein Aspekt spricht dafür, dass eine folternde Gesellschaft immer eine durch Folter tötende Gesellschaft sein wird. Die Foltermeister und ihr Hilfspersonal wären einem lebenslangen Spießrutenlauf ausgesetzt, wenn ehemalige Opfer wieder in Freiheit gelangten. Die Angst erkannt zu werden wäre erdrückend und lähmend - ein friedliches Leben mit gutem Gewissen ausgeschlossen. Auch der Folterknecht radikalisierte sich im Laufe der Zeit. Er würde, schon aus Gründen des Selbstschutzes, großes Interesse daran haben, den Körper, den er behandelt (ein Rückgriff auf SS-Sprache: Sonderbehandlung etc.!), auch zu entleiben. Wäre er zu zimperlich, könnte es ihm eines Tages das Leben kosten, wenn eines seiner Opfer nach Rache trachtete. Natürlich könnte man sein Gesicht unter Kapuzen verfrachten, nur dann wäre der moderne Folterstaat, der transparent martert und misshandelt, wieder im stickigen Milieu des Folterkellers angelangt.

Der Folternde ist zunächst ein Täter. Aber im Laufe seiner Tätigkeit wird er zum Opfer voller Ängste, Zwänge und Traumata. Man darf davon ausgehen, dass Folterknechte eine geringe Lebensarbeitszeit hätten. Zwar haben in Vorzeiten auch Menschen lebenslang gefoltert, doch die Sozialisierung damaliger Tage ist mit der heutigen Sozialisierung unmöglich vergleichbar. Ein Menschenleben galt damals wenig - es lag außerdem nicht in der Hand des Folterknechts, es lag in der Hand Gottes, auch während der Tortur. Heute sprechen wir viel vom Schutz des Lebens, für den wir dann sogar foltern. Klar ist natürlich, dass in einer folternden Gesellschaft das menschliche Leben über kurz oder lang weniger Wert besitzt. Dann würde man sich Foltermeister züchten, die keine Skrupel mehr kennen, die nicht mehr humanitätsduselig (Achtung, wieder Nazi-Jargon!) wären. "Für die Menschenwürde foltern" wäre dann als gute Absicht schnell zu den Akten gelegt, die Unantastbarkeit der Menschenwürde müsste geradezu aufgehoben werden, damit Folternde und Gesellschaft ohne schlechtes Gewissen gutheißen könnten, was da im Namen der Sicherheit passiert.

Der Gefolterte und die Gesellschaft

Eine Gesellschaft die hinnimmt, dass ihre Justiz foltern läßt, wandelt sich eklatant. Die Annahme, es bliebe alles wie es war für jene, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist mehr als dumm. Das Klima wird nochmals merklich abkühlen, die Folter lähmt jeden einzelnen Bürger, die Furcht wird hinter jeder Handlung lauern. Was, wenn ich verdächtig werde?, wird man sich fragen. Zivilcourage und Hilfsbereitschaft werden schwinden - es könnten ja Konflikte entstehen bei der Hilfeleistung, und mit etwas Pech gerät man als Hilfsbereiter in die Mühlen der Marter. Der freie und mündige Mensch, der schon heute bedroht ist, wird dann gänzlich ausgestorben sein. Streikende oder demonstrierende Personen könnten ja unter Verdacht geraten - man könnte aus ihnen herauspressen wollen, wer die Demonstration initiiert hat. Selbst wenn für kleinere Vergehen keine Folter vorgesehen wäre - sie wäre auch gar nicht nötig bei Kleinkriminellen -, die Angst davor wäre stets präsent.

Unter Folter verändern sich nicht nur die unmittelbar beteiligten Personen, Gefolterter und Folternder - die gesamte Gesellschaft wandelt sich. Täter und Opfer leiden an Traumata wie die Gesellschaft daran litte. Auf der einen Seite Furcht vor dem staatlichen Terror, der mittels Folter verbreitet wird - auf der anderen Seite Denunziantentum und die Boshaftigkeit einzelner Bürger, die ihren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannten gerne mal der Folter aussetzen möchten, nur als Abreibung versteht sich. Die sowjetische oder aber die nationalsozialistische Gesellschaft kannten solche gesellschaftlichen Verhaltensmuster. Ein Staatswesen, das körperliche Gewalt auf seine Bürger ausübt, wird von nicht wenigen Menschen als "Mechanismus zur Abreibung unliebsamer Mitmenschen" missbraucht. Dann soll der Foltermeister ihnen zu Diensten sein - ein Staatsanwalt, der juristische Vernunft walten läßt, kann nur wenig zur Befriedigung niederer Gelüste gedrängt werden. Der Folterstaat macht aus seinen Bürgern auch dann Bestien, wenn sie nicht direkt mit der Folter zu tun haben. Er legt die niedersten Triebe frei, macht Verleumdung und Zuträgerei zur Normalität, autorisiert die Boshaftigkeit und Schadenfreude.

Ein Staat der Folter wird zum Instrument kleinkarierter Mitbürger, die ihren Gesinnungsterror oder ihren plumpen Menschenhass in die Institutionen tragen - ein Staat unter strengen rechtsstaatlichen Normen, kann nicht zum Instrument des Mobs werden. Der Folterstaat kennt nur die Angst als Urmotiv - der Rechtsstaat (ohne Folter!; denn die Apologeten der Folter würden auch den Folterstaat einen Rechtsstaat nennen) zeugt von Selbstvertrauen. Ein Klima der Angst setzt Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung in Gang, um aus Angst wiederum, Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung zu schürfen, was immer wieder in neuerliche Eskapaden mündete. Das Selbstvertrauen des Rechtsstaates benötigt diesen Mechanismus nicht, ermutigt nicht die Niedertracht und die Verleumdungswut - er schürt keine Angst und merzt somit ängstliche Verhaltensweisen weitestgehend aus.



Hier weiterlesen...

Nachfrage mit Titten steigern

Mittwoch, 15. Juni 2011

Schaut Frauenfußball!, liest man nun an jeder Ecke. Was für eine potente Werbeinitiative doch vor diesem stieftöchterlichen Ableger dieses Sports steht! Mit allen Mitteln wird geworben, in jeder Branche versucht man abzustauben, ein zu stillendes Bedürfnis, das bislang kaum jemand verspürte, zu forcieren, um neue Märkte zu erschließen und Absätze zu türmen. Direkte Werbepartner bieten Frauen-WM-Bahntickets an und werben auf ihren Plattformen, in ihren Werbespots für dieses Ereignis im eigenen Lande. Was auf wenig Gegenliebe stößt, wird mittels Werbung liebenswert gemacht - jedes Mittel ist hierzu recht.

Selbst Discounter, die nicht direkter Sponsor oder Partner der Frauen-WM sind, werben mittelbar dafür und versuchen ein Klima des deutschen Team-Spirits anzukurbeln. "Es geht wieder los!", ist nur einer der aufmunternden Slogans, es nun auch mit der weiblichen Variante dieses Sports zu probieren - dabei werben sie für qualitativ minderwertige Deutschland-Fanartikel made in china und lichten trikotierte Schönheiten ab, die passend zur Feierlaune Bratwürste schwenken und mit herausgewölbtem Busen Bierkastentürme stützen. Die sexiest Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten finde jetzt statt, bekommt man zu hören und zu lesen. Emanzipation bedeutet hier, dass der Frauenfußball, um dasselbe Interesse zu wecken, wie die männliche Domäne dieses Sports, auch mit Rundungen, drallem Arsch und feisten Titten werben soll - hier darf Frau wieder ganz Sexobjekt sein, wenn nachher nur die Zuschauerzahlen stimmen und die Öffentlichkeit Notiz nimmt von den kickenden Damen.

Überhaupt erkennt man an dieser Einheitsfront der Werbeinitiativen, die aus Erbauung und Aufmunterung besteht, dass die "eine Säule der Gewaltenteilung der Marktwirtschaft", so wie man sie uns vereinfacht in Schulen beibringt, kein freier, nicht manipulierter Indikator ist. Da ist ein Angebot, das nur wenige Begehrlichkeiten weckt - und da ist die Nachfrage, die stagniert. Eigentlich müsste nun das Angebot schwinden, doch ein Bombardement der Werbung macht, dass der Eindruck von Nachfrage entsteht. Man bekommt einen Eindruck davon, dass Nachfrage nicht einfach Nachfrage ist, sondern die gezielte Schürung von Bedürfnissen, die zuvor kaum jemand hatte, die nun aber zum unstillbaren Verlangen funktioniert werden. Nachfrage ist nicht, was der Konsument will - Nachfrage ist, was dem Konsumenten oktroyiert wird, haben zu sollen, damit er im Trend liegt.

Die nationale Taumelmachung und Ekstaseproduktion wird von Konzernen übernommen. Allerlei Unternehmen sorgen dafür, dass der deutsche Konsument sich nun auf die Frauen-WM einstellt, sich mit schwarz-rot-gelben Konsumgut eindeckt und dabei eine positive Stimmung ins Land trägt - sowas steigert den Absatz und minimiert die Unzufriedenheit. Dazu packen alle mit an, die davon profitieren könnten. Der Frauenfußball selbst ist nicht Herzensangelegenheit - er ist eine Sache der Geldbörse, der Profitmaximierung. Und deshalb heiligt, wie geschrieben, der Zweck jedes Mittel: Frauenfußball war eine Domäne, die sich kickende Frauen erschlossen haben, nachdem das lange untersagt war vom Fußballverband. Dass Frauen fußballern dürfen ist vielleicht keine große Leistung der Gleichberechtigung, wohl aber ein Mosaiksteinchen - einerlei nun, dass für eine Frauen-WM weibliche Sexobjekte werben, mit Bodypainting-Trikots und dem gewieften Spiel der Reize und den ewigen Lockungen und Stimuli des Weibes. Männer denken nur an eines, sagten uns Feministinnen einstmals, und überhaupt, wenn man ganz ehrlich ist, so wussten sie: Männer sind Schweine - aber zu Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit darf der Mann stimuliert werden, darf sein niederster Instinkt geweckt und seine Lust an üppigen Rundungen aufgegeilt werden. Schweine, die nur Titten angaffen wollen - das sind Männer, die auf solchen Striptease abfahren während des ganzen Jahres. Fahren sie aber nun darauf ab, so sind sie eben lediglich Konsumenten dieses Sports und damit berechtigt, mittels Titten auf Frauensport scharf gemacht zu werden.

So soll ein Klima des Aufbruchs entstehen. Alle schauen nun Fußball, soll der Konsument glauben - und er soll konsumieren: als Zuschauer, als Fanartikelhalter, als Partylöwe. Das Sommermärchen könnte nun jedes Jahr stattfinden, wenn der Frauenfußball nur dieselbe Größe würde, wie es der Männerfußball seit Jahren bereits ist. Alle würden sie in deutscher Kluft durch die Gegend rennen und für einige Wochen abgelenkt sein - das ist der Traum der Industrie, der Politik, der in den Prospekten durchschimmert. Gemeinsam sind sie für den Frauenfußball, nicht weil der so ungemein interessant wäre, sondern weil er ein so ungemein interessantes Geschäftsfeld darstellt...



Hier weiterlesen...

Kulturkampf und Kampf der Kulturen

Dienstag, 14. Juni 2011

Sie leben in unserem Land, befolgen aber unsere Regeln und Gesetze nur dann, wenn sie mit ihrem Kodex vereinbar sind. Es handelt sich um illoyale Bewohner dieser Nation, die einer auswärtigen Instanz folgen, die lediglich ihrem religiösen Gewissen lauschen und dabei eine geistig-moralische Weltherrschaft anstreben. Man müsste sie unseren nationalen Werten unterwerfen, von ihnen absolute Treue einfordern, ihren Haßpredigern Auftrittsverbot erteilen. Hart durchgreifen! Unsere sittlichen Werte und unsere freiheitlich-demokratische Ordnung sind es, denen sie untertan sein sollten. Nicht ihrem Glauben, nicht ihren spirituellen Führern, nicht den Leitlinien ihrer Religion!

Ihr geheiligtes Buch, so wie sie es hermeneutisch entziffern, ist mit unseren Gesetzen nicht vereinbar. Solche Leute sollten keine Kinder erziehen und ausbilden dürfen. Überhaupt sollte man solche Leute aus dem öffentlichen Dienst entfernen. Unverträgliche Elemente unterwandern unsere Nation, sie untergraben unser Selbstverständnis, unsere deutsche Leitkultur. Leute, die ihren Predigern und ihren religiösen Kapitänen aus fernen Ländern mehr Beachtung schenken, als unseren Instanzen, der hiesigen Obrigkeit, gehören empfindlich bestraft und, falls es gar nicht anders geht, aus dem Land geschmissen. Das ist eine Sache von nationalem Interesse, ja, von nationaler Sicherheit geradezu - loyale Bürger braucht ein Land, keine fremdgesteuerten Eiferer.

Moslems? Warum Moslems? Gemeint waren Katholiken, die im Kulturkampf mit denselben Vorwürfen zu ringen hatten, wie die heutigen Muslime in Deutschland. Denen unterstellte man, sie seien ultramontan, gesteuert von "jenseits der Berge" (ultra montes, über den Bergen; gemeint ist der Vatikan, jenseits der Alpen), würden dem Papst gefällig sein, nicht aber der neuen deutschen Nation. Die aufgebauschte Stimmung jener Jahre ließ besonders fanatische Katholikenfeinde behaupten, der Katholizismus würde die Weltherrschaft anstreben. Und der Katholik an sich, der würde den Gesetzen nur dann brav folgen, wenn der Mufti in Rom seinen Segen dazu gibt. Muslime in Deutschland erleben einen Kulturkampf neuer Sorte. Die heutigen Vorwürfe klingen ganz ähnlich. Angereichert wird diese aktuelle Debatte jedoch um biologische Aspekte, die man bei den damaligen Katholiken, die ja Deutsche waren, nicht anführen konnte - auch war die "darwinistische Konfession" noch keine jüngerstarke Kirche.

Der Katholik, der vor anderthalb Jahrhunderten noch jemand war, den man hätte ausweisen wollen, weil er nicht ins deutsche Konzept passte und sich nicht der deutschen Leitkultur unterwarf, sollte sensibilisiert sein, wenn sein muslimischer Glaubensbruder (Sind die Religionen nicht verschwistert?) angefeindet wird. Sein Urgroßvater galt selbst noch als verdächtiges Subjekt. Sollte so eine Erfahrung nicht dem sittlichen Kollektivempfinden zugeschlagen werden? Wäre es nicht Aufgabe des katholischen Klerus, mit Bedacht auf die eigene Vergangenheit, lauthals aufzuschreien, wenn man seinen muslimischen Bruder zu einem Gesellschaftsfeind kriminalisiert? Das widerfahrene Unrecht, sinnigerweise als Grundlage eines generalisierten Moralanspruches? Der Kulturkampf jedenfalls ist deutscher Kult - und das Vergessen auch...



Hier weiterlesen...

In eigener Sache

Samstag, 11. Juni 2011

oder: der Heilige Geist benötigte fünfzig Tage - der Unheilige Geist nur dreißig.

Dieses verlängerte Wochenende ruht ad sinistram. Die Zeilen, die Du gerade liest, lieber Leser, habe ich bereits gestern verfasst. Jetzt bin ich schon abwesend - werfe nur hin und wieder einen Blick auf das, was hier geschieht oder - es ist ja Wochenende - wahrscheinlich doch nicht passiert. Ich reagiere aber auf nichts, keine e-Mails, keine Kommentare, nichts. Sollte die Kamarilla um Merkel meinen, uns am Wochenende einen Bock zu schießen: ich reagiere nicht. Geht Biblis hoch: ich reagiere nicht, jedenfalls nicht bloggerisch, meine Reaktion wäre vermutlich Konservenkaufen und mich noch schnell zu rekatholisieren - kann ja nie schaden. Kurzum, ad sinistram ist erst am Dienstag zurück.

Da Weblogs eine Art Journal sind, das heißt, täglich geführt werden, kennen sie das Prinzip Pause. Bücher nicht. Wer etwas von diesem De Lapuente lesen möchte, könnte es auch in Papierform tun. Zweimal gibt es ihn papierig. Einmal heißt es "Unzugehörig" - ein andermal "Auf die faule Haut". Ich wäre sicherlich nicht traurig, auch via Papier gelesen zu werden. Überhaupt, lieber Leser, habe den Mut, Dich etwas Papiernen zu widmen.

Während ich diese Zeilen reime, zeigen jene Ticker, die dieses manchmal etwas seltsame Land mit Schlagzeilen versorgen, erneut etwas Diskutables an: Stuttgart 21 wird weitergebaut. Ja, die Wende im Schwabenland ist vollzogen, ein erster Grüner, der allerdings nur Grau und Schwarz trägt, ist Ministerpräsident und die Zäsur, so unkten viele, sei nun da. Manche nannten es gar Fortschritt. Kungelei bei Milliardenprojekten, zerdepperte Lebensqualität in Städten: wenn es unter grüner Flagge geschieht, dann scheint das eine Verbesserung zu sein. Mal sehen, wann der erste grüne Ministerpräsident Polizeistaffeln aussendet, die nochmals Kastanien mit Pflastersteinen verwechseln dürfen. Die Grünen haben wirklich Potenzial, sie können umsetzen, was auch alle anderen umsetzen, nur wirken sie dabei so menschlich, total bedrückt und voller Bauchschmerzen bei jeder unpopulären Entscheidung. Der Fortschritt an der Ermächtigung der Grünen ist, dass mit ihnen eine schmerzverunstaltete Gesichtsmimik schwer zusetzender Koliken in die Verantwortung gerückt wurde - endlich mal Politiker, die gegen den Bürger handeln und dabei nicht arrogant wirken, sondern völlig traurig und bedenkenträgerisch. Der Deutsche will doch bevormundet werden, aber nicht von aufgeblasenen Säcken - es müssen schon nette Menschen sein, die ihn drangsalieren und auf den Kopf urinieren. Das gebietet schon die Menschenwürde und Artikel 1...

Nein, Ende, hier endet ad sinistram für einige wenige Tage - selbst, wenn sie in Stuttgart nun Dankgebete an Kretschmann senden, weil er nun die Vernunft nach Stuttgart 21 gebracht hat, ich schweige zunächst. Wir werden die Grünen ohnehin nicht schnell los - es bleibt also viel Zeit, noch etwas dazu zu sagen. In diesem Sinne, frohes Pfingsten... was übrigens vom griechischen pentekoste kommt, der fünfzigste Tag. Fünfzig Tage brauchte der Heilige Geist, um nach dem Scheintode Joshua Ben Josephs hinabgesendet zu werden - Kretschmann und Konsorten brauchten weniger Zeit, um den Scheinheiligen Geist ihrer Vorgänger hinabzusenden, in die Katakomben der Stuttgarter Bauruine. Er trägt nämlich erst seit dreißig Tagen das Kreuz der Macht auf seinen Schultern...

Lieber Leser, wenn Du magst, so darfst Du ad sinistram unterstützen. Entweder per Paypal (siehe rechte Seitenleiste) oder über den gewöhnlichen Bankweg. Hierzu ließe ich den Datenschutz ruhen und teilte Dir gerne meine Kontodaten mit.

Hier weiterlesen...

Ridendo dicere verum

Freitag, 10. Juni 2011

"Man wartet in einem Büro.
Man wartet, bis irgendwer irgendwas spricht.
Man bleibt in der Näh', und man holt sich Kaffee,
und man blinzelt ins amtliche Licht.

Man wartet, als wär man im Zoo.
Man lächelt und weiß nicht, warum man es tut.
Man kriegt einen Schein, und man redet sich ein:
Wer nur wartet, der hat's ja noch gut.

Weit weg in Bonn
trinken sie Kognak und hab'n was davon.
Weit weg in Bonn
oder in London, in Moskau, in Washington...

Nicht genug, dass sie uns verbittern,
nicht genug, dass wir für sie nicht zählen,
nicht genug, dass wir vor ihnen zittern,
sollen wir sie auch noch wählen!

Nicht genug, die Knie voller Schwielen,
nicht genug, die Augen verquollen:
Wir sollen auch das Spielchen spielen,
dass wir es selber so wollen.

Fernseh'n! Stammtisch ist schön!
Lasset die Sorgen zu Haus!
Wein nicht, mein Kind -
wir haben's noch viel schlechter gehabt.
Zahl deine Steuer, denn Waffen sind teuer,
die Sonne wird wärmer, der Himmel wird bläuer -

Ja,
nicht genug, wie sehr sie dich quälen,
nicht genug, dein Leben ist schwer:
Du sollst auch die Regierung wählen,
die alles so lässt wie bisher.

So wartest du halt im Büro.
Du wartest, bis irgendwer Zeit für dich hat.
Ein ähnliches Tier sitzt verschreckt neben dir,
und ihr seid weder hungrig noch satt.

Man bestimmt über dich irgendwo.
Man lässt sich viel Zeit - was ist schon ein Jahr!
Du sitzt und verstaubst, weil du immer noch glaubst:
Es ist so, weil's immer so war.

Weit weg in Bonn
plant man dein Warten für's nächste Jahr schon.
Weit weg in Bonn
oder in Wien, in Paris, in Johannisburg...

Nicht genug, wir sollen sie wählen,
damit sie uns dann überheblich regieren:
Wir sollen diesen Krämerseelen
auch die Partei finanzieren.

Aber auch wenn wir zahlen und wählen wie befohlen:
Am Ende hab'n alle das gleiche Programm.
Bei Aufrüstung, Umwelt, Gewaltmonopolen
arbeiten alle zusamm'.

Eins - Zwei - Demokratei,
dann ist das Leben ein Scherz!
Ohnmacht ist auch eine Macht.
Wem das nicht passt, der soll's noch im Osten probier'n.
Bibel und Fahne, ganz Deutschland mit Sahne,
das eigene Nest, das beschmutzt kein Germane:

Wir Kälber wählen die eigenen Schlächter!
Wir Kälber gehorchen wieder einmal!
Ich höre schon das Hohngelächter
gleich nach der Bundestagswahl.
Ha ha."
- Georg Kreisler, Nicht genug, Wo der Pfeffer Wächst -

Hier weiterlesen...

Ganz unten

Donnerstag, 9. Juni 2011

Zu Tausenden waten sie durch die Meiler dieses Landes. Leiharbeitnehmer werden natürlich auch in der Atombranche eingesetzt - man muß als Unternehmen schließlich wettbewerbsfähig bleiben. Und damit man es doppelt bleibt, damit man für seine Stammbelegschaft nicht schon vor dem Rentenalter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder sogar eine aufwändige Krebsbehandlung abstottern muß, schickt man Externe ins Interne, Fremdpersonal in sensiblere Bereiche der Anlage. Dem Outsourcing von Personalkosten folgte das Outsourcing der Folgen. Wenn man schon das Risiko nicht beseitigen kann, so doch wenigstens die Folgeerscheinungen - pragmatisch sei der Unternehmer, geldreich und krud'...

Solche Lohnsklaven sind ganz unten angelangt. "Ganz unten", so lautete 1985 auch der Titel eines Buches, dessen Autor Günter Wallraff investigativ wie eh und je, in die Rolle es Türken schlüpfte, um in die Niederungen einer fremdländischen Existenz in Deutschland zu gelangen. Dabei wollte er auch erfahren, wie ein Türke auf dem Arbeitsmarkt behandelt wird. Am Ende wollte sein Arbeitgeber, ein Subunternehmer, den man heute Leiharbeitsunternehmer nennen würde, sein ausländisches Personal in einen stillgelegten Meiler schicken, damit dieser gereinigt würde. Der Auftrag hierzu war fingiert; Wallraff wollte wissen, wie weit Subunternehmer gehen würden, wenn man ihnen eine gute Offerte unterbreitet. Sein Arbeitgeber scherte sich um seine Fürsorgepflicht wenig. Die Schauspieler, die die Delegation des AKWs mimten, klärten den Skrupellosen auf, dass die Mitarbeiter danach wahrscheinlich todkrank würden. Das machte ihm ein so schlechtes Gewissen, dass er seine fleißigen Türken nach Erfüllung des Auftrages mit einer kleinen Abfindung zurück nach Anatolien schicken wollte. Dort sollten sie dann ihren kurzen Lebensabend ausklingen lassen und in aller Heimlichkeit verrecken.

Was damals die Leser empörte, juckt heute die Öffentlichkeit kaum mehr. Natürlich, die heutigen Leiharbeiter werden nicht ins Herz der Kernkraft geschickt, um dort zu scheuern. Aber die Tendenz stimmt! Es gibt Leiharbeitsunternehmer und -disponenten, die ihr Personal auch in einen rotierenden Fleischwolf schicken würden, wenn die Zahlungsmoral etwaiger Kunden und Personalabnehmer stimmte. Im Gegenteil, die dramatische Inszenierung Wallraffs, die die Gier der Leiharbeitsbranche unterstrich, sie dient eher dazu, die heutigen Sklaventreiber als moralisch integer zu malen. Die wären gar bitterlich entrüstet, wenn man sie mit Wallraffs Unternehmerexemplar in einen Sack packen würde. Nie würden sie mit ihrem Personal fahrlässig umgehen - ihr Personal sei schließlich ihr Kapital.

Seit damals, seit den Achtzigerjahren hat sich aber auch einiges geändert. Damals gab es zwar Arbeitsstellen auch nicht wie Sand am Meer, aber man hatte als Mensch und Humanressource auf dem Arbeitsmarkt noch etwas mehr Auswahl. Den Spruch, dass man nicht jeden Scheißjob mache, konnte man sich noch erlauben, ohne dass eine aufgebrachte Öffentlichkeit nach Sanktionen und Arbeitslager schrie. Nur die Leute ganz unten, Türken beispielsweise, durften sich solche Sprüche nicht erlauben, wie Wallraff bewies. Die sollten froh sein, dass sie arbeiten dürften. Die Zeiten haben sich gewandelt. "Ganz unten" habe die deutsche Gesellschaft aufgerüttelt, liest man zuweilen, nach dem Buch, so heißt es dann auch, habe sich viel verbessert. Eine Weile mag das zutreffend gewesen sein. Ausländischen Arbeitskräften kam etwas mehr Respekt zu, sie wurden als Teil der Belegschaft wahrgenommen. Heute sind wir aber nicht dort angekommen, dass alle gleichberechtigt den Spruch, man wolle nicht jede Scheißarbeit machen, aufsagen dürfen - die Gleichberechtigung besteht vielmehr darin, dass ihn alle nicht anbringen dürfen, ohne dafür mit brodelndem Hass überbrüht zu werden.

Dass bei den einen der Reichtum, bei den anderen die Tumore wachsen, so schreibt Stephan Erdmann, das sei Wettbewerb. Die Öffentlichkeit kann sich da nur bedingt entrüsten, wenn nun herauskommt, dass Leiharbeiter das neue Strahlenproletariat (Erdmann) seien, denn immerhin haben auch die ihre Arbeit. Scheißjobs, so weiß es das aktuelle Deutschland, gibt es gar nicht. Wenn Arbeit Geld bringt, dann ist sie nicht Scheiße, dann ist sie ein Bottich voller Edelsteine, auch wenn die zufällig so aussehen wie Brennelemente - pecunia non olet: das ist zum Motto dieser Marktwirtschaft geworden, von der die einen behaupten, sie sei weiterhin eine Soziale, während die anderen sagen, sie sei zu einer gänzlich Freien verkommen. Besser im AKW-Meiler, als im BA-Verteiler! Jede Arbeit ist zumutbar - alles ist besser als Arbeitslosigkeit! Und solche, die Arbeitsplätze vermitteln und zur Verfügung stellen, erhalten einen glitzernden Orden des Vaterlandes. Wirkliche Patrioten schaffen Arbeit. Patriotisch ist, wer Arbeit schafft! Die einen polieren Innenwände von Meilern, die anderen polieren Vaterlandsorden - aber alle tun sie nur ihre Arbeit...



Hier weiterlesen...

Ein publizierender Taliban

Mittwoch, 8. Juni 2011

SpOn-Maulheld Matussek ist ein talibanischer Schwärmer. Zu der Ansicht gelangt man, wenn man seine Schmähworte an die Adresse von Margot Käßmann liest. Gut, sein Geschriebenes dürfte Normalität für einen sein, der das Zölibat verteidigt, die Kirchensteuer aber, weil sie ihm ans Säckel geht, verurteilt - Normalität für einen Katholiken, der dem Protestantischen nichts abgewinnen kann und dem Islamischen, mit dem Käßmann beten möchte, schon gleich gar nichts.

"Beten statt bomben" sprach die Käßmann. Vom Beten kann man halten was man mag, dass die Theologin es aber metaphorisch meinte, steht wohl außer Frage. Nicht aber für Matussek, der sich einen ganzen Text lang aufgeilt an diesem Bild und letztlich feststellt, dass man sehr wohl beten und bomben könne. Nicht nur das man es kann, man muß es gewissermaßen sogar. Beten wird nämlich erst dann sinnvoll, wenn man bombt. Bruder Matussek benötigt wohl schärfere Brillengläser, wenn er überhaupt noch ein Gestell auf der Nase trägt. So ein Mordsbalken vorm Gesicht macht das Tragen einer Brille ja nicht gerade einfach. Denn beten und bomben, ist das nicht eigentlich das Geschäft der Taliban? Hat man sie nicht deshalb global geächtet, weil sie mit dieser Verbandelung von Religion und Militanz auftreten? Und nun Matussek, der dasselbe Weltbild mit christlichem Anstrich verbreitet?

Nicht, dass er nun, da er das talibanische Weltbild kopiert, plötzlich die andere Seite verstehen würde. Für ihn sind alle Moslems Taliban und alle Taliban Moslems. Feinheiten stören da nur und sollten auch nicht publiziert werden, wird er sich gedacht haben. Daher vermengt er die Taliban mit dem Iran, obwohl die einen Schiiten und die anderen... ja, was sind die eigentlich? Was die betreiben ist doch nicht sunnitisch, richtet sich nicht nach der Sunna - es ist paschtunisches Stammesallerlei, vermengt mit einigen islamischen Tendenzen, ein Synkretismus eben. Matussek geht selbstverständlich noch weiter, er schreibt von der "Frauenvernichtung [...] wie im Iran" - Matussek hat seinen Thilo und die anderen xenophoben Heilgen brav gelesen. Dumm nur, dass der Iran Männerquoten an Hochschulen eingeführt hat, weil der Frauenüberschuss immens ist. Seit Betty Mahmoody im Iran war, hat sich einiges getan - man erinnere hierbei an die Fertilitätsrate, die als Indikator dienen kann: je niedriger sie liegt, desto höher das geschlechterübergreifende Bildungsniveau - im Iran hat sie sich seit 1980 halbiert. All das konnte er freilich nicht in seinen Text verweben, sonst wäre das gesamte Konzept käßmannscher Schmähung nicht mehr so richtig stimmig gewesen. Oder sind viele Frauen an Hochschulen möglicherweise ein Zeichen für Vernichtung? Vernichtung durch Vorlesungen, als Abwandlung dessen, was man einst "durch Arbeit" vollbrachte?

Dieses Brett vorm Kopf, dass da einen gebildeten und studierten Menschen aus dem aufgeklärten Westen vom gerechten Krieg schnattern läßt, steht eigentlich für sich. Was ist der gravierende Unterschied zwischen den Gotteskriegern verschiedener Frömmigkeiten, die ja immer auch Gerechtigkeitskrieger und überdies Selbstgerechtigkeitskrieger sind? Matussek hält dem eigenen Feindbild das Händchen und ähnelt denen, die er für different und andersartig erklärt, eklatant. Da wütet er hektisch in der Kirchengeschichte umher, wildert bei Augustinus und dem Aquinaten, die den gerechten Krieg, der mit Gebet und Gewalt einherging, für dogmatisch rechtens erklärt haben. Das waren aber andere Zeiten - und, was noch peinlicher für Matussek ist, mit diesem Herauspicken passender Heiligensprüchlein und Bibelverse, gleicht er abermals seinem Gegenspieler vom muslimischen Ende der Welt. Auch der Koran predigt an vielen Stellen Fürsorge, Liebe, Besinnung - die Eiferer greifen sich nur jene Stellen heraus, die sich mit Gürtelbomben vereinbaren lassen. Das schöne an heiligen Büchern ist, dass man sie in jede Richtung deuten kann: als Seelenbalsam und Seelensammler, als Lebensberater und als Lebensbeender. Die Bibel kennt auch das Feuer und das Schwert - und sie kennt die Liebe. Da erscheint beispielsweise eine Gestalt, Matussek hat vielleicht schon mal von ihr gelesen, die sich Jesus nennt und die eine Liebeslehre predigt. Den hat er aber natürlich nicht zitiert, der hätte nicht ins Gerüst gepasst. Jesus ist out, die Exegese ausgerichtet nach Blut und Gewalt liegt im Trend. Auch unter Katholiken, auch unter Christen.

Wie sollte er auch maßhalten wollen oder können? Fanatismus erblindet. Matussek ist ein solches Beispiel für fanatische Blindheit. Oberflächlich bezirzt er sich an Margot Käßmann, dieser femininen Sünde für einen jeden Katholiken, der was auf sich hält. Der Katholik vernichtet keine Frauen, wie es, frei nach Matussek, der Iran üblicherweise tut - der Katholik macht das Weibliche nur verächtlich und will es nicht ordiniert vor sich sehen; er hasst ein bisschen, stellt sich seinen Scheiterhaufen nur vor, nicht auf. Doch sei es drum! Denn das ist nur die Oberfläche, tiefgründiger begutachtet ist sein Schmierstück von kultivierter (nicht gebildeter: an Bildung fehlt es da meilenweit!) Ablehnung und dem bitteren Haß auf Muslime durchzogen. Er spricht ja auch vom Islam, wie von einer zentralisierten Lehre, die in Berlin Kreuzberg genauso praktiziert wird, wie in Pakistan oder in Nigeria. In einer solchen religiösen Blindheit ist es unmöglich zu erkennen, dass selbst der eigene Verein nicht an einem Strick zieht. Das Christentum in Deutschland gleicht dem in Rußland nicht - und das Christentum auf Kuba ist durchzogen vom Voodoo und ist damit ein christlich inspirierter Synkretismus. Es ähnelt somit dem afrikanischen Ableger vom Christentum ungemein. In Westafrika leben Christen in Vielehe, in Arabien sagen Christen zu Gott ebenso Allah. Wer kennt denn in Hamburg oder München einen Christen, der drei Frauen hat und dafür dem dreifaltigen Allah dankt? Und das, obwohl das Christentum so schön homogen ist?

Matusseks unerträgliche Tirade gipfelt darin, dass er versucht, aus Margot Käßmann eine Terrorhelferin zu stilisieren, die zuweilen mit der PDS marschiert. Das ist doppelt tragisch. Einmal, weil er verschlafen hat, dass es die PDS nicht mehr gibt - und dann noch, weil er damit eindeutig macht, dass der Kampf gegen Entrechtung und Krieg nicht in den christlichen Parteien, sondern bei den politischen Parias angelangt ist - dort, wo vielleicht mal marginal der Extremismus wütete, stehen heute verloren die Apologeten der Maßhaltung. Das ist traurig und man sollte sich dafür schämen. Aber zurück zur Stilikone des Terrors, die Käßmann für Matussek ist (die PDS wahrscheinlich aber auch). Muslime sind Terroristen. Matussek weiß das, wie es die Sarrazinisten dieser Republik auch wissen. Er ist es, weil der Koran es aus ihm macht. Und wer mit solchen beten will... ach was, man kennt die Logik ja bereits! Sie gehört zum Repertoire der Diffamierung in diesem Deutschland. Wer sich dieses Repertoires bedient, der hat kein Ohr mehr für Metaphorik. Denn als diese war das gemeinsame Gebet sicherlich gemeint. Käßmann wollte sagen: versucht den Feind zu verstehen - hört ihm zu - begreift sein Anliegen - habt kein Vorurteil - seid offen, wenn ihr vielleicht auch nicht immer versteht, wie er denkt, fühlt, handelt - bedenkt, er kommt aus einem anderen Kulturkreis, was sein Handeln auf andere historische und traditionelle Füße stellt. Das ist jesuanisch: liebet eure Feinde! Auch das war nämlich eine Metapher, denn dieser Jesus hatte sicherlich nicht ausgiebige Zungenküsse oder lange Penetration im Sinn, die man seinem Feinde angedeihen lassen sollte.

Matussek wollte das natürlich nicht verstehen. Aber auch das gehört zum Repertoire der Diffamierung, zur christlichen Hardliner-Eiferei seltener Sonntagsgäste in Sankt Sonstwo. Nicht verstehen zu wollen: das ist die traurige Kunst des Fanatismus - bei Taliban wie bei Katholiban...



Hier weiterlesen...

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP