Dummokratie

Dienstag, 8. Juli 2008

Es mutet schon makaber an, wenn eine der bekannten politischen Talkshows, in denen sich Politiker und Lobbyisten die Klinke in die Hand geben, einen Sendeabend dem Niedergang der Demokratie widmen. Wenn also dort, wo demokratische Prinzipien mit Füßen getreten werden, weil man unter anderem einseitig berichtet und Gäste aus bestimmten politischen Lagern bevorzugt, oder weil man Lobbyisten zu Wort kommen läßt und sie nicht einmal als solche kennzeichnet - wenn also dort scheinheilig über des Bürgers Aversion gegenüber demokratischen Strukturen gefaselt wird. Was sich so zynisch-phantastisch ausnimmt, war am Sonntagabend bei Anne Will wieder einmal Realität. Anne Will als Anwältin der Demokratie, unterstützt von ausgewiesenen Musterdemokraten wie Brandenburgs Innenminister Schönbohm oder dem FDP-Jundspund Philipp Rösler. Der eine verunglimpfte die halbe Republik im Osten, weil ja in den ehemaligen sozialistischen Bürgern Kindermörder schlummern; der andere qua seiner Parteizugehörigkeit ein Apostel marktradikaler Reformen, und dabei in Kauf nehmend, Millionen von Menschen ihres bißchen Sicherheits zu berauben, sie also zu Fall zu bringen und sie danach auch am Boden liegen zu lassen. Die besten Voraussetzungen also, das Wesen der Demokratie zu bestimmen und des Bürgers antidemokratische Tendenzen zu analysieren.

Freilich steht Anne Will nicht nur für "Anne Will" - sie ist Repräsentantin für allerlei politischen Talk, der beinahe täglich auf diversen Sendern angeboten wird. Das Prinzip ist meist dasselbe: Es werden aktuelle Themen aufgegriffen, bei Bedarf - das heißt: Themenknappheit - erfindet man sich ein solches, lädt vornehmlich Gäste aus einem bestimmten Lager ein - lädt also einseitig ein -, läßt Opposition - gerade auch außerparlamentarische - vor der Türe stehen und stützt sämtliche Thesen auf die Worte einiger Lobbyisten - die eigentlich immer als unabhängige Wissenschaftler auftreten -, die quer durch die "Talkrepublik" wandern, um dem Publikum ihre lohnabhängigen Weisheiten nahezubringen. Nichts Neues - fürwahr! Im Grunde ist es auch nicht neu, wenn Anne Will nun versucht ist, den Demokratieverdruss, an dem ein gutes, ein sehr großes Stück auch die politischen Talkshows schuld haben, zu analysieren und gegebenenfalls als irrationale Stimmung der Menschen zu entlarven. Denn darum geht es ja vornehmlich: Talkshows dieser Art sind nicht darauf eingerichtet, den dortigen Talk-Gästen Einsichten zu vermitteln, also durch Miteinanderreden neue Sichtweisen zu fördern, ebensowenig sind sie als Gespräch zwischen Normalsterblichen und ihren Volksvertretern gedacht. Vielmehr sind sie als Rechtfertigungs- und Einstimmungsprogramm konzipiert. Mittels dieses Instruments, bringt man die Zuseher auf Linie - versucht es zumindest - und redet den produzierten Schwachsinn aus reformerischen Werkstätten schön.

Wie sehr es der Demokratie schadet, seine politischen Botschaften innerhalb einer Minute herunterrattern zu müssen, um den Zeitrahmen nicht zu sprengen, weswegen viele Gäste ja quasi dazu genötigt sind, mit Schlagworten, Verknappungen und Sinnsprüchen zu hantieren, kann gar nicht ermessen werden. Demokratie besteht aus Diskurs! Wenn dieser unterbunden oder - wie es Neil Postman in "Wir amüsieren uns zu Tode" nachzeichnet - verstümmelt angeboten wird, dann fehlt jegliche demokratische Basis. Demokratie ist weniger das Recht auf freie Wahlen - auch wenn dies natürlich unumgänglich ist -, als die Gewißheit, an einem freien und ehrlichen Diskurs teilhaben zu dürfen. Demokratisch sein bedeutet miteinander zu reden, das Recht des Stärkeren auszuschalten, um zwischen starken und schwachen Positionen und Interessen zu vermitteln. Wenn man aber nur verknappte Diskurse anbietet, immer den Zeitdruck im Nacken hat, dann kann kein Gespräch stattfinden, wohl aber ein Aneinandervorbeireden. Man stellt die Menschen politisch kalt, wenn man die demokratische Notwendigkeit des Gesprächs, eben auch das Zuhören bei den Ausführungen des Anderen, verwirft und durch Parolenschwingerei ersetzt. Und seien wir doch ehrlich: Was nützt die freie Wahl, wenn nicht miteinander gesprochen wird? Vielleicht ist es auch genau dieser Grund, warum soviele Menschen in diesen Tagen der Demokratie so ablehnend gegenüberstehen.

Und so nahm es sich eben auch am Sonntag aus, als die illustre Runde dazu überging, des Bürgers Antidemokratismus zu durchleuchten. Selbstkritische Einsichten gab es natürlich auch hier kaum. Kein Wort davon, dass die demokratiefeindliche Haltung aus einem Wechselspiel zwischen Medienbüttelei und bürgerfeindlicher Politik resultiert. Dass also nicht die Demokratie verhasst ist, sondern jene, die diese Demokratie mit ihrer antidemokratischen und volksverachtenden Haltung belagern! Wenn aber doch Einsichten in diese Richtung gingen, dann sprach man vom Vermittlungsproblemen, welche man habe und welche den Bürger von seiner politischen Führung entfremdet. Anders also: Der Bürger ist zu dumm bzw. die Führungsschichten haben nicht ordentlich und dreist genug gelogen, um ihre sozialen Schweinereien, die sie Reformen nennen, mit dem breiten Wohlwollen der Öffentlichkeit durchsetzen zu können. Wie makaber die ganze Veranstaltung von Gnaden des GEZ-Zahlers war, konnte man an den Aussagen der Schriftstellerin Monika Maron ablesen. Sie schätze, gab sie unverdrossen zu, einige SPD-Politiker sehr - Clement, Sarrazin und Steinbrück namentlich genannt. (Später lobhudelte sie auch in dieser Form gen Schönbohm.) Diese lassen sich nicht von ihrer Partei reglementieren und seien demnach unabhängig und demokratisch gesinnt. Was will man da noch einwenden, wenn man ausgerechnet diese Herren zu Aushängeschildern der Demokratie erhebt? Der eine Lobbyist und Marktschreier für weitere Reformen; der andere glänzt durch Speisepläne, die das Hungern zum Maßstab haben, während er zynisch meint, dass Arbeitslose andere Sorgen hätten als den Hunger; und der Dritte im Bunde gab einst offen zu, dass Politik für jene gemacht werden müsse - nur für jene! -, die Leistung für sich und die Gesellschaft erbringen - nochmals ausdrücklich: Nur um solche Leistungsträger habe sich Politik zu kümmern!

Und ausgerechnet dieses Trio ist der Maßstab unserer Demokratie? Ja, so läßt sich auch erklären, warum die Bürger die Schnauze voll haben von unserer Demokratie. Denn wenn es diese Herren sind, die unsere Demokratie repräsentieren, dann fragt man sich wirklich, ob wir eine falsche Begrifflichkeit benutzen. Meinen wir etwa "Aristokratie", wenn wir "Demokratie" sagen? Oder "Plutokratie"? Oder eine undefinierbare Staatsform, die die größten Menschenverächter und Marktschreier großer Konzerne zur Führungsschicht erwählt?
Im Grunde wäre es an der Zeit, dass sich Anne Will erneut entschuldigt. Entschuldigt für eine miese Sendung, die mehr Demokratiefeindlichkeit geschaffen hat, als ebendiese zu analysieren. Eine Generalentschuldigung für Jahre der politischen Dummhaltung - angefangen bei Christiansen, aufhörend bei diversen kleinen Talkrunden in den Dritten Programmen der Öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Eine Generalentschuldigung für alle Blödmacher der TV-Landschaft, angereichert um das Versprechen, sich umgehend zu bessern, wieder journalistisch zu arbeiten und weniger als Helfershelfer der Wirtschaft. Eine Entschuldigung dafür, mitgeholfen zu haben, dieses Land in eine solch politische Agonie gestossen zu haben. Aber was soll dieses Phantasieren? - Bei denen, die Demokratie benötigen, um sich wenigstens ein bißchen sicher zu fühlen im Haifischbecken der Gesellschaft, entschuldigt man sich nicht. Dies tut man nur bei solchen, die mittels ihrer Position Druck erzeugen können. Dort entschuldigt man sich auf Befehl, mit Kotau und devoten Gesten aller Art. Aber wer ist schon der Zuseher? Der Bürger und Wähler? - Und da ist sie wieder die Verächtlichmachung des Souverän, der als Folge die Resignation folgt und die Ablehnung einer Demokratie, die bei Wills und Plasbergs mit Füßen getreten wird...

5 Kommentare:

Anonym 8. Juli 2008 um 22:52  

Ob hierzulande bereits "amerikanische Verhältnisse" herrschen, also eine Plutokratie mit demokratischem Anstrich besteht, ist die Frage. Jedenfalls hat die "Geldherrschaft" gegenüber der "Volksherrschaft" auch mit Hilfe der Polit-Talkshows an Boden gewinnen können und den ökonomischen Machteliten die Möglichkeit eröffnet, das Massenpublikum gezielt mit ihren einseitigen (Abbau-)Vorstellungen von Demokratie und Sozialstaatlichkeit zu beeinflussen.

Man möchte aber meinen, daß die Ergebnisse der Vereinnahmungsversuche angesichts des betriebenen hohen Aufwands (noch) recht dürftig ausfallen. Denn bislang wird die Hauptursache für die Demokratiemisere von den meisten Menschen offenbar nach wie vor bei den Politikern gesucht und nicht etwa bei sich selbst. Die unpolitische Anne Will und der ungeduldige Frank Plasberg sind aber auch zu schlechte "Volksverführer".

Anonym 9. Juli 2008 um 00:03  

"Und da ist sie wieder die Verächtlichmachung des Souverän, der als Folge die Resignation folgt und die Ablehnung einer Demokratie, die bei Wills und Plasbergs mit Füßen getreten wird..."

Wo diese beiden Herrschaften stehen, ist seit kurzem endgültig klar:

http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/auf-den-punkt/Lafontaine;art15890,2550291

So sehen Musterdemokraten aus.

ad sinistram 9. Juli 2008 um 08:08  

Lieber Alexander,

für diesen wertvollen Link danke ich Dir. Man fragt sich, was man geistig zu leisten im Stande sein muß, um in dieser Republik in die Riege scheinintellektueller Prominenz aufgenommen zu werden. Reicht Dummheit oder braucht es schon eine gesunde Portion von Blödheit?

Bezeichnend auch das Schmierstück des Herrn Lehming samit stierendem Blick. Von den Besten spricht er und meint damit Bohlens Geldbeutel, seine beleidigenden Ausuferungen und 08/15-Musikstücke beiseite wischend; dann spricht er von der Ultralinken und meint damit die neue Sozialdemokratie, die sich nun eben LINKE nennt. Welch widerlich konservativ-pseudoliberales Sekret aus diesen Gehirnwindungen doch tropft.

Mir scheint, es reicht hierzulande, wenn man einigermaßen wortgewandt gegen alles hetzt, was nur nach links riecht und schon wird man Redakteur. Vielleicht sollten alle Ausgeschlossenen dieser Gesellschaft hoffen, dass sie die Dummheit ereilen sollte, dann klappt es auch mit der Eingliederung in höhere Kreise.

Kurt aka Roger Beathacker 9. Juli 2008 um 09:25  

Muhaha...

Da will wohl einer der Titanic das Wasser abgraben?

Wer das Ernst nimmt, ist wohl selber schuld ..

Anonym 9. Juli 2008 um 14:34  

Also dieser Tagesspiegelartikel war ja einfach lächerlich.....sowas auch noch zu veröffentlichen hätte ich nur der BILD zugetraut.

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