Der freie Tod - Das Recht auf Selbstmord
Dienstag, 1. Juli 2008
Da stellt sie sich wieder: die Frage aller Fragen, die ewige Begleiterin menschlicher Moral. Sie ist nicht die letzte aller Fragen, wenn sie auch gemeinhin zum Schluß gestellt wird, sondern vielmehr die erste, allererste Frage des Daseins eines jeden menschlichen Individuums. Diese eine Frage macht uns alle zum Philosophen, ist das "einzige philosophische Problem" (Camus) einiger und das größte philosophische Problem aller Menschen. Angereichert wird die Debatte um den ewigen, endgültigen Ausweg, den Selbstmord, um die Komponente der Sterbehilfe, die als verlängerter Arm des Sich-selbst-beendens fungiert. Apparaturen wurden entworfen, die den Suizid erleichtern, eine aktive Mitwirkung am Herbeiführen des Todes ausschließen sollen, um damit rechtlich, aber auch in Gewissensfragen entlastet zu werden. Was sich hier aber vernünftig äußert, wird in der Öffentlichkeit zerrissen. Die Sterbehilfe polarisiert. Nicht nur Frömmler melden Bedenken an, sondern vollkommen säkularisierte Personen, die freilich nicht merken, dass sie noch immer der uralten christlichen Aversion vor dem Selbstmord frönen, des Christentum Ressentiments in sich gebündelt haben, um die Tat der letzten Befreiung als Untat zu entlarven.
Sterbehilfe und Selbstmord werden in der Folge als gleichwertige Begriffe verwendet, weil die Sterbehilfe als ein Selbstmord mit unterstützender Hand - immer aber verbunden mit dem freien Willen des Betroffenen - anzusehen ist. Die Vielfältigkeit menschlicher Szenarien erlaubt natürlich, dass diese Definition in wenigen Fällen nicht zutrifft - man denke an Komapatienten, deren Erwachen ausgeschlossen ist, Gnadenschüsse in extremen Notlagen, in denen ärztliche Hilfe unerreichbar bleiben wird, oder dergleichen tragische Fälle mehr.
Die immer wieder aufflackernde Debatte um die Sterbehilfe, die mit Vorliebe als der Untergang christlicher Fürsorge dargestellt wird, ist eine verlogene Debatte. Es ist die ummantelte Debatte, die sich um ein Tabu rankt: den Selbstmord. Natürlich leitet eine zweite Person die notwendigen Schritte ein, besorgt Tabletten, Pistolen oder Stricke, baut - wie im derzeitig diskutierten Falle um den Juristen Kusch - eine Selbsttötungsvorrichtung oder unterläßt einfach die Hilfeleistung, wenn sie zusieht, wie der Entgleitende beginnt zu zucken und zu straucheln. Aber der Selbstmord definiert sich nicht - zumindest nicht nur - nach der Hand, die tut oder ruhend unterläßt, sondern nach dem Willen desjenigen, der sich ein Ende setzen will. Der Selbstmord beginnt im Kopf, ist eine Willensformulierung, die bei hartnäckiger Verfolgung dieses Willens, beim Abwägen von richtig oder falsch, zur Tat führt oder eben - wie in der Mehrzahl der Fälle - nicht. Dies betrachtet auch die Justiz so, denn die Beihilfe zum Selbstmord, selbst wenn sie sich als aktives Betätigen eines Pistolenabzugs äußert, wird nicht als Mord ausgelegt, sofern das "Opfer" post mortem beweisen kann, dass sein "Mörder" auf das persönliche Verlangen des Todesmutigen handelte. Straffrei geht man allerdings auch dann nicht aus.
Mit all dem soll gesagt sein: Die öffentliche Polarisierung bezüglich Sterbehilfe ist eine verkappte und unehrliche Form, sich in moderner Art und Weise mit dem Selbstmord zu befassen, ein anachronistisches Herumrudern in ethischen Gewässern.
Der Selbstmord ist also ein Willensakt. Sowohl die Tat selbst, die ja unglaubliche Selbstdisziplin abnötigt, als auch der Entschluss, es überhaupt so weit kommen zu lassen. Er ist, dies kann man getrost festhalten, eine Tat des freien Geistes. Obwohl der Entschluss oftmals von Unfreiheiten motiviert ist, weil der sich Entschließende schwer an seiner Körperlichkeit zu leiden hat - warum auch immer -, also durchaus unfrei über seinen Zustand ist, bewahrt sie demjenigen einen letzten Rest von Freiheit. In der Öffentlichkeit bezeichnen die Anhänger der Sterbehilfe diesen Freiheitsrest als Würde, die man dem Sterbenwollenden zusichert. Der Suizid ist Freiheit, ist Ausdruck von Selbstbestimmung und genau aus diesem Grunde verpönt. Während in der Antike das Töten von eigener Hand bzw. durch die Hand eines vom "Opfer" beauftragten Mitmenschen, als Zeichen von menschlicher Größe und Würde galt, daher der Freitod als unumgängliche Begleiterscheinung der damaligen Gesellschaften einherging; während im Fernen Osten der Freitod durch die eigene Klinge - erleichternd abgemildert durch die Klinge eines Helfers - Formgebung menschlicher Würde war, konnte er innerhalb des christlichen Europa keine Befürworter finden. Der Selbstmord war zuallererst die Flucht des Menschen aus dem Hier und Jetzt, ein Sichentziehen vor seiner Verantwortung, die ihm Gott als Auftrag hat zukommen lassen, ein Abbrechen des göttlichen Plans. Wer sich selbst tötete, setzte Gottes weiser Weitsichtigkeit ein abruptes Ende, spottete ihm damit, funkte in seiner menschlichen Begrenzheit in die Gesamtheit göttlicher Planung. Der Selbstmord wurde zur Tat der Entfernung von Gott, d.h zur Untat des Christenmenschen, weswegen ein Ausharren fern des göttlichen Gartens die (theo-)logische Schlußfolgerung sein mußte. Die helfende Hand eines Selbstmörders, der Sterbehilfe Leistende also, pfuschte in gleicher Weise in Gottes Handwerk und machte sich demgemäß ebenso schuldig. Weil er sich Gott widersetzt, weil er den Plan Gottes außer Kraft setzt, ist er nicht mildtätiger Helfer, sondern brutaler Mörder - wenn schon nicht am Mitmenschen, so doch an der Weitsicht Gottes.
Was sich hier so mittelalterlich-stumpf liest, was man als längst vergangenes Denken zu entlarven meint, findet sich heute, säkularisiert und damit eines Gottes entledigt, immer noch im Denken der Gesellschaft. Und es ist nicht übertrieben, den heutigen Faschismus - d.h. die Bündelung (lat. fasces = Rutenbündel) aller Bereiche zur totalen Mobilmachung für den Markt - die Rolle dieses Gottes zu überschreiben. Wer sich heute selbst tötet, entzieht dem Markt seine Arbeitskraft, spottet dieser wunderbaren Welt der Waren- und Finanzmärkte, kommt den weisen Plänen der Marktgesellschaft in die Quere, weil er die längst eingeplante Arbeitskraft einfach aus sich herausmordet. Der Selbstmörder ist individuell, entzieht sich dem Kollektiv, das dem Markt zu dienen hat, schaut zu sehr auf sich, denkt zu wenig an die Anderen.
Diese Denkweise, ob mit oder ohne göttlichem Wesen, erklärt den Freitod Wählenden zum Feigling und zum Egoisten. Sein freier Wille wird nihiliert, um der eigenen ideologischen Blindheit - die schlimmer als Blindheit gar nicht erst vom Betroffenen selbst wahrgenommen wird - zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Vorurteil ist sein Jahrhunderten in der Volksseele verankert. Von einem Selbstmörder spricht man mit mitleidiger Stimme, meist aber doch mit Unverständnis. Seine freie Entscheidung, seinen Rest an persönlicher Freiheit, schenkt man keinerlei Geltung. Und um wenigstens einen Anstrich von legitimer Selbsttötung gelten zu lassen, machen wir uns die Mühe einen Katalog zu erstellen, wann ein Suizid für uns vertretbar wird. Schwere, unheilbare Krankheiten lassen wir gelten, aber nur körperliche Gebrechen, denn eine zerstörte Seele, die uns beim Nächsten nicht sichtbar ist, wird gerne bezweifelt und daher nicht immer als Motivation toleriert. Und was, wenn der Betroffene nicht krank ist? Wenn er vielleicht "nur" einsam ist? Wenn er seiner Einsamkeit nicht mit oberflächlicher Fitness-Club-Mitgliedschaft oder noch oberflächlicheren Chatbekanntschaften beikommen will? Wenn ihm das Leben einfach als eine Absurdität erscheint, derer er sich nicht widmen will? Eine solche Person, und hat sie ihren Vorsatz noch so gut durchdacht und sich den Anschauungen der großen Denker unserer Welt bemächtigt, wird als Irrer, Lebensmüder und Egoist bloßgestellt. Sein freier Wille, der somit nicht der resignierte Wille eines Kranken ist, wird aufs Schärfste verurteilt; seine lebensverneinende Freiheit wird verurteilt, weil sie der Lebensbejahung der Vielen entgegensteht. Weil soviel Freigeist und sokratische Weltauffassung, soviel Individualismus als Ausdruck von entfesselter Freiheit erkannt wird, erklärt man den letzten, schweren Gang zum einfachsten aller Auswege.
Die Debatten zur Sterbehilfe, die - wie gesagt - Debatten zum Selbstmord nebst Helfer sind, kümmern sich wenig um die Freiheit des Individuums. Jeder von uns kann ja durchaus different über die erste Frage menschlichen Daseins denken; jeder kann andere Ansichten dazu haben, kann den Freitod als Alternative kategorisch ausschließen oder den Freitod als gelungenen Abgang ansehen. Wenn aber die Debatte am freien Willen vorbeigeht, wenn sie die Freiheit des Sterbenwollenden einfach als Umstand kranker Vernebelung des Denkens abtut, dann ist sie verlogen und wenig wertvoll. Die Kämpfer für Sterbehilfe begehen zudem einen grundsätzlichen Fehler, wenn sie sich isoliert für ihre Sache einsetzen und die moralische Ächtung des Selbstmordes aus ihrem Kampf heraushalten, um nicht mit der Gesellschaft anzuecken. Wenn nicht zuerst die Tolerierung des Selbstmordes erwirkt wird und zwar die absolute Tolerierung, die ohne Moralisierungen und Berechtigungskataloge auskommt, dann wird man auch in Sachen Sterbehilfe keine Erfolge zeitigen können. Solange Markt- oder Gottesbigotterien im Wege stehen, wird dem Selbstmord immer etwas Anrüchiges und Verbrecherisches anlasten. Etwas, was sich schon im Wort "Selbstmord" äußert, wenn man also dem Menschen unterstellt, er würde sich selbst ermorden, wenn er seinem Odem ein Ende bereitet. Der Selbstmörder wird zum Täter qua Begriff.
Wenn der Mensch frei sterben kann und darf, wann immer es ihm beliebt, wenn er einem geliebten Menschen hilfreich zur Seite stehen kann - natürlich gesetzlich fixiert, wie so eine Hilfe auszusehen hat, um Schindludereien auszuschließen - dann kann er beruhigt und würdevoll leben. Leben heißt sterben lernen...
Sterbehilfe und Selbstmord werden in der Folge als gleichwertige Begriffe verwendet, weil die Sterbehilfe als ein Selbstmord mit unterstützender Hand - immer aber verbunden mit dem freien Willen des Betroffenen - anzusehen ist. Die Vielfältigkeit menschlicher Szenarien erlaubt natürlich, dass diese Definition in wenigen Fällen nicht zutrifft - man denke an Komapatienten, deren Erwachen ausgeschlossen ist, Gnadenschüsse in extremen Notlagen, in denen ärztliche Hilfe unerreichbar bleiben wird, oder dergleichen tragische Fälle mehr.
Die immer wieder aufflackernde Debatte um die Sterbehilfe, die mit Vorliebe als der Untergang christlicher Fürsorge dargestellt wird, ist eine verlogene Debatte. Es ist die ummantelte Debatte, die sich um ein Tabu rankt: den Selbstmord. Natürlich leitet eine zweite Person die notwendigen Schritte ein, besorgt Tabletten, Pistolen oder Stricke, baut - wie im derzeitig diskutierten Falle um den Juristen Kusch - eine Selbsttötungsvorrichtung oder unterläßt einfach die Hilfeleistung, wenn sie zusieht, wie der Entgleitende beginnt zu zucken und zu straucheln. Aber der Selbstmord definiert sich nicht - zumindest nicht nur - nach der Hand, die tut oder ruhend unterläßt, sondern nach dem Willen desjenigen, der sich ein Ende setzen will. Der Selbstmord beginnt im Kopf, ist eine Willensformulierung, die bei hartnäckiger Verfolgung dieses Willens, beim Abwägen von richtig oder falsch, zur Tat führt oder eben - wie in der Mehrzahl der Fälle - nicht. Dies betrachtet auch die Justiz so, denn die Beihilfe zum Selbstmord, selbst wenn sie sich als aktives Betätigen eines Pistolenabzugs äußert, wird nicht als Mord ausgelegt, sofern das "Opfer" post mortem beweisen kann, dass sein "Mörder" auf das persönliche Verlangen des Todesmutigen handelte. Straffrei geht man allerdings auch dann nicht aus.
Mit all dem soll gesagt sein: Die öffentliche Polarisierung bezüglich Sterbehilfe ist eine verkappte und unehrliche Form, sich in moderner Art und Weise mit dem Selbstmord zu befassen, ein anachronistisches Herumrudern in ethischen Gewässern.
Der Selbstmord ist also ein Willensakt. Sowohl die Tat selbst, die ja unglaubliche Selbstdisziplin abnötigt, als auch der Entschluss, es überhaupt so weit kommen zu lassen. Er ist, dies kann man getrost festhalten, eine Tat des freien Geistes. Obwohl der Entschluss oftmals von Unfreiheiten motiviert ist, weil der sich Entschließende schwer an seiner Körperlichkeit zu leiden hat - warum auch immer -, also durchaus unfrei über seinen Zustand ist, bewahrt sie demjenigen einen letzten Rest von Freiheit. In der Öffentlichkeit bezeichnen die Anhänger der Sterbehilfe diesen Freiheitsrest als Würde, die man dem Sterbenwollenden zusichert. Der Suizid ist Freiheit, ist Ausdruck von Selbstbestimmung und genau aus diesem Grunde verpönt. Während in der Antike das Töten von eigener Hand bzw. durch die Hand eines vom "Opfer" beauftragten Mitmenschen, als Zeichen von menschlicher Größe und Würde galt, daher der Freitod als unumgängliche Begleiterscheinung der damaligen Gesellschaften einherging; während im Fernen Osten der Freitod durch die eigene Klinge - erleichternd abgemildert durch die Klinge eines Helfers - Formgebung menschlicher Würde war, konnte er innerhalb des christlichen Europa keine Befürworter finden. Der Selbstmord war zuallererst die Flucht des Menschen aus dem Hier und Jetzt, ein Sichentziehen vor seiner Verantwortung, die ihm Gott als Auftrag hat zukommen lassen, ein Abbrechen des göttlichen Plans. Wer sich selbst tötete, setzte Gottes weiser Weitsichtigkeit ein abruptes Ende, spottete ihm damit, funkte in seiner menschlichen Begrenzheit in die Gesamtheit göttlicher Planung. Der Selbstmord wurde zur Tat der Entfernung von Gott, d.h zur Untat des Christenmenschen, weswegen ein Ausharren fern des göttlichen Gartens die (theo-)logische Schlußfolgerung sein mußte. Die helfende Hand eines Selbstmörders, der Sterbehilfe Leistende also, pfuschte in gleicher Weise in Gottes Handwerk und machte sich demgemäß ebenso schuldig. Weil er sich Gott widersetzt, weil er den Plan Gottes außer Kraft setzt, ist er nicht mildtätiger Helfer, sondern brutaler Mörder - wenn schon nicht am Mitmenschen, so doch an der Weitsicht Gottes.
Was sich hier so mittelalterlich-stumpf liest, was man als längst vergangenes Denken zu entlarven meint, findet sich heute, säkularisiert und damit eines Gottes entledigt, immer noch im Denken der Gesellschaft. Und es ist nicht übertrieben, den heutigen Faschismus - d.h. die Bündelung (lat. fasces = Rutenbündel) aller Bereiche zur totalen Mobilmachung für den Markt - die Rolle dieses Gottes zu überschreiben. Wer sich heute selbst tötet, entzieht dem Markt seine Arbeitskraft, spottet dieser wunderbaren Welt der Waren- und Finanzmärkte, kommt den weisen Plänen der Marktgesellschaft in die Quere, weil er die längst eingeplante Arbeitskraft einfach aus sich herausmordet. Der Selbstmörder ist individuell, entzieht sich dem Kollektiv, das dem Markt zu dienen hat, schaut zu sehr auf sich, denkt zu wenig an die Anderen.
Diese Denkweise, ob mit oder ohne göttlichem Wesen, erklärt den Freitod Wählenden zum Feigling und zum Egoisten. Sein freier Wille wird nihiliert, um der eigenen ideologischen Blindheit - die schlimmer als Blindheit gar nicht erst vom Betroffenen selbst wahrgenommen wird - zu ihrem Recht zu verhelfen. Das Vorurteil ist sein Jahrhunderten in der Volksseele verankert. Von einem Selbstmörder spricht man mit mitleidiger Stimme, meist aber doch mit Unverständnis. Seine freie Entscheidung, seinen Rest an persönlicher Freiheit, schenkt man keinerlei Geltung. Und um wenigstens einen Anstrich von legitimer Selbsttötung gelten zu lassen, machen wir uns die Mühe einen Katalog zu erstellen, wann ein Suizid für uns vertretbar wird. Schwere, unheilbare Krankheiten lassen wir gelten, aber nur körperliche Gebrechen, denn eine zerstörte Seele, die uns beim Nächsten nicht sichtbar ist, wird gerne bezweifelt und daher nicht immer als Motivation toleriert. Und was, wenn der Betroffene nicht krank ist? Wenn er vielleicht "nur" einsam ist? Wenn er seiner Einsamkeit nicht mit oberflächlicher Fitness-Club-Mitgliedschaft oder noch oberflächlicheren Chatbekanntschaften beikommen will? Wenn ihm das Leben einfach als eine Absurdität erscheint, derer er sich nicht widmen will? Eine solche Person, und hat sie ihren Vorsatz noch so gut durchdacht und sich den Anschauungen der großen Denker unserer Welt bemächtigt, wird als Irrer, Lebensmüder und Egoist bloßgestellt. Sein freier Wille, der somit nicht der resignierte Wille eines Kranken ist, wird aufs Schärfste verurteilt; seine lebensverneinende Freiheit wird verurteilt, weil sie der Lebensbejahung der Vielen entgegensteht. Weil soviel Freigeist und sokratische Weltauffassung, soviel Individualismus als Ausdruck von entfesselter Freiheit erkannt wird, erklärt man den letzten, schweren Gang zum einfachsten aller Auswege.
Die Debatten zur Sterbehilfe, die - wie gesagt - Debatten zum Selbstmord nebst Helfer sind, kümmern sich wenig um die Freiheit des Individuums. Jeder von uns kann ja durchaus different über die erste Frage menschlichen Daseins denken; jeder kann andere Ansichten dazu haben, kann den Freitod als Alternative kategorisch ausschließen oder den Freitod als gelungenen Abgang ansehen. Wenn aber die Debatte am freien Willen vorbeigeht, wenn sie die Freiheit des Sterbenwollenden einfach als Umstand kranker Vernebelung des Denkens abtut, dann ist sie verlogen und wenig wertvoll. Die Kämpfer für Sterbehilfe begehen zudem einen grundsätzlichen Fehler, wenn sie sich isoliert für ihre Sache einsetzen und die moralische Ächtung des Selbstmordes aus ihrem Kampf heraushalten, um nicht mit der Gesellschaft anzuecken. Wenn nicht zuerst die Tolerierung des Selbstmordes erwirkt wird und zwar die absolute Tolerierung, die ohne Moralisierungen und Berechtigungskataloge auskommt, dann wird man auch in Sachen Sterbehilfe keine Erfolge zeitigen können. Solange Markt- oder Gottesbigotterien im Wege stehen, wird dem Selbstmord immer etwas Anrüchiges und Verbrecherisches anlasten. Etwas, was sich schon im Wort "Selbstmord" äußert, wenn man also dem Menschen unterstellt, er würde sich selbst ermorden, wenn er seinem Odem ein Ende bereitet. Der Selbstmörder wird zum Täter qua Begriff.
Wenn der Mensch frei sterben kann und darf, wann immer es ihm beliebt, wenn er einem geliebten Menschen hilfreich zur Seite stehen kann - natürlich gesetzlich fixiert, wie so eine Hilfe auszusehen hat, um Schindludereien auszuschließen - dann kann er beruhigt und würdevoll leben. Leben heißt sterben lernen...
8 Kommentare:
Eine sehr, sehr guter Artikel. DIese GEdankengänge kann ich vollkommen nachvollziehen - ich glaube, du triffst tatsächlich den Kern der Sache.
An dieser Stelle wieder ein paar Zeilen von mir:
"Wenn nicht zuerst die Tolerierung des Selbstmordes erwirkt wird und zwar die absolute Tolerierung, die ohne Moralisierungen und Berechtigungskataloge auskommt, dann wird man auch in Sachen Sterbehilfe keine Erfolge zeitigen können."
Ich denke, ganz ohne Einschränkungen wird man in der Praxis nicht auskommen. Denn ab wann besitzt ein Mensch überhaupt die nötige Reife, um das Für und Wider eines solchen Schrittes ernsthaft abzuwägen? Zwar mag es anmaßend wirken, doch ich bezweifle, dass so mancher Jugendliche über diese Fähikeit verfügt und im Nachhinein heilfroh war, von seinem Vorhaben abgebracht worden zu sein.
Ansonsten wie gewohnt ein starker Artikel, Roberto.
Bemerkenswert !
Die Parallelität zwischen Sterbehilfe und Selbstmord sehe ich auch. Der Respekt vor dem freien Willen ist zudem ein hohes Gut. Die Freiheit des Willens ist aber gelegentlich von theoretischer Natur. Dein Satz "Obwohl der Entschluss oftmals von Unfreiheiten motiviert ist" geht in diese Richtung. Die finale Enscheidung kann durch Zwangslagen ganz erheblich beeinträchtigt sein, bei einem Verbrechensopfer, das mit seinen Traumata alleine bleibt und irgendwann in den Selbsttod flüchtet ... hier ist die "Freiheit" m.E. kritisch zu sehen.
Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt, eine andere Deutung des Selbstmordes hinzufügen. Ein Selbstmord ist der finale Kommunikations- bzw. Beziehungsabbruch. Der sich selbst Tötende entzieht sich aus freier Entscheidung den oft quälenden Beziehungssträngen. Er wirft die zurück Bleibenden auf sich selbst zurück. Ich denke dieses Zurückwerfen ist die Ursache der kulturellen Ablehnung des Selbstmordes. Die christliche Moral ist da nur ein Oberbau, der auf etwas sehr viel tiefer liegendem gründet.
In Kulturen die den Selbstmord akzeptieren (akzeptiert hatten) war dies meines Wissens in einen definierten sozialen Kontext eingebettet. So stand z.B. die Möglichkeit des Seppuku doch nur Samurai von Stand zu. Auch der Selbstmord im islamischen Kontext ist mit der Märtyrerfunktion verknüpft, interessanterweise sieht auch die christliche Märtyrerverehrung darüber hinweg, dass ein Märtyrertod im Kern eine Willensentscheidung ist, sich töten zu lassen.
Zunaechst einmal ist die Bezeichnung "Selbstmord" ohnehin eigentlich unangemessen, denn die fuer einen Mord erforderlichen Kriterien (Heimtuecke, niedere Beweggruende, Habsucht usw.) kommen im Falle einer Selbsttoetung wohl samt und sonders nicht in Betracht.
Den Freiheitsaspekt, den Du hier herausgearbeitet hast, wuerde ich dennoch nicht so ohne weiteres akzeptieren wollen. Natuerlich ist vom Ergebnis her eine Selbstoetung immer exakt das Gleiche wie die andere - was aber ist mit den Beweggruenden? Die Freiheit liegt ja nicht im Resultat sondern in der Handlung.
Deine These: "Wer sich heute selbst tötet, entzieht dem Markt seine Arbeitskraft, spottet dieser wunderbaren Welt der Waren- und Finanzmärkte, kommt den weisen Plänen der Marktgesellschaft in die Quere, weil er die längst eingeplante Arbeitskraft einfach aus sich herausmordet. Der Selbstmörder ist individuell, entzieht sich dem Kollektiv, das dem Markt zu dienen hat, schaut zu sehr auf sich, denkt zu wenig an die Anderen." halte ich fuer ziemlich wackelig und sie kippt m.E. spaetestens dann, wenn es um Menschen geht, fuer die der Arbeitsmarkt schlicht keine Verwendung findet. Der Selbstmoerder - das muss man zumindest annehmen duerfen - nimmt sich nicht in jedem Fall das Leben, weil er gegen die Gesellschaft ist - oft genug duerfte es gerade andersherum sein und mancher nimmt sich das Leben (eigentlich muesste man sagen nimmt sich den Tod), weil die Gesellschaft nicht fuer ihn (da) ist oder nicht fuer ihn da zu sein scheint. Mit Mut oder Feigheit hat das leben/sterben wollen ohnehin nichts zu tun. Denn es gehoert kein Mut dazu etwas zu wollen und man kann sich seinem Willen auch nicht "feige" entziehen. Mut und Feigheit stehen erst in ambivalenten Lagen und zwar aus dem Moment des nicht gewollten, das bei der Durchsetzung des eigenen Willens u.U. in Kauf zu nehmen ist oder den eigenen Willen durchkreuzen kann. Das bedeutet: Mut (oder Leichtsinn - je nach Lage) kommt erst dann ins Spiel, wenn man sein Leben riskiert, obwohl man es unbedingt behalten moechte.
Auch die Verweise auf den anderen Umgang mit der Selbsttoetung in anderen Kulturen und Zeiten haben so ihre Tuecken: teilweise ist der Akt dort mit Zwang verbunden - er entspricht also keineswegs dem individuellen "freien Willen" (der ja auch nicht mehr als eine Hypothese ist - an die man glauben oder die man bezweifeln kann), sondern ist eine Folge sozialen Drucks - also mitnichten eine "freie" Entscheidung. In der Antike hat man mit der "Unfaehigkeit" zum Selbstmord sogar die Sklaverei gerechtfertigt und zwar etwa wie folgt: "Es gibt Menschen, die zum Sklaven geboren sind, denn den "Menschen" zeichnet aus, dass er die Freiheit besitzt sich selbst das Leben zu nehmen. Diese Freiheit kann auch einem Sklaven nicht genommen werden. Wenn er also lieber als Sklave lebt, statt sich das Leben zu nehmen, dann beweist das, dass er zum Sklaven eben geboren ist."
Wirklich "frei" koennte man eine Selbsttoetung wohl bestenfalls dann nennen, wenn sie voellig "grundlos" begangen wuerde. Im Moment, in dem man alle Optionen fuer ein Weiterleben haette und sich frei gegen sie entschiede. Ich glaube aber, dass eine solch freie Entscheidung hoechst selten anzutreffen sein duerfte.
Natuerlich kann und darf und soll man keinen Menschen zwingen, gegen seinen eigenen Willen am Leben zu bleiben - das steht ganz ausser Frage. Man darf ihn jedoch dazu ueberreden (wollen). Aber einen Selbstmord "tolerieren" - wie soll das gehen? Man kann ihn, wo er vollzogen wurde, ohnedies nur hinnehmen. Dass man das gemeinhin nur hoechst ungern tut, ist leicht zu erklaeren: niemand leidet unter seinem eigenen Tod - aber jeder unter seinem eigenem Leben (und Sterben), unter dem Gedanken an den eigenen Tod und unter dem Tod des/der Anderen - und sei es nur, weil er an die je eigene Sterblichkeit erinnert..
Ausgerechnet ein FDP-Politiker, nämlich Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll, macht sich zum Vorkämpfer eines weiteren staatlichen Verbotes gegen die individuelle Selbstbestimmung! Eine Schande!!!
Mutatis mutandis schriebe ich:
Was sich hier so mittelalterlich-stumpf liest, was man als längst vergangenes Denken zu entlarven meint, findet sich heute, säkularisiert und damit eines Gottes entledigt, immer noch im Denken der Gesellschaft. Und es ist nicht übertrieben, den heutigen Faschismus - d.h. die Bündelung (lat. fasces = Rutenbündel) aller Bereiche zur totalen Mobilmachung für den STAAT - die Rolle dieses Gottes zu überschreiben. Wer sich heute selbst tötet, entzieht dem STAAT seine Arbeitskraft, spottet dieser wunderbaren Welt der Kriegs- und Fiskalknechtschaften, kommt den weisen Plänen der sozialen Gesellschaft in die Quere, weil er die längst eingeplante Arbeitskraft einfach aus sich herausmordet. Der Selbstmörder ist individuell, entzieht sich dem Kollektiv, das dem STAAT zu dienen hat, schaut zu sehr auf sich, denkt zu wenig an die Anderen.
Ansonsten kommen wir - wie so beängstigend oft - mal wieder zur selben conclusio! :-)
P.S.: Kennst Du die wunderbaren Aufsätze des inzwischen (ohne Fremdeinwirkung) verstorbenen libertären Wissenschaftstheoretikers (Popperianer) Gerard Radnitzky zum Thema Sterbehilfe?
Noch eine Anmerkung:
So unbestritten das Recht des Einzelnen, sein Leben zu leben oder es eben zu lassen, ist. Man wird doch sehr darauf achten muessen, dass diese Entscheidung nicht den besonderen (kommerziellen) Interessen anderer ausgeliefert wird und ich frage mich, ob man das wird gewaehrleisten koennen.
Vielleicht sehe ich das ja zu schwarz, aber ich sehe sie schon am Kiosk haengen, die Zeitschriften mit Titeln wie z.B.: "Schoener Sterben".
Moeglicherweise eroeffnen sich auch gewissen Scharlatanen voellig neue Einkommensquellen:
- "Das Jenseits, wir sagen Ihnen, was sie dort erwartet"
- "Ihr Logenplatz im Paradies - nur kurze Zeit erhaeltlich. Jetzt zuschlagen! (lassen) ;-)"
- "1000 Tips, wie Sie sich Ihr Leben nehmen lassen koennen, ohne im Fegefeuer zu enden" .. usw. usf.
Lieber Roger,
ich hatte gestern eine Diskussion mit einer mir bekannten, von mir sehr geschätzten Diskussion. Wir kamen zum gleichen Ergebnis: Die Sterbehilfe läuft Gefahr - davon muß man in dieser Gesellschaft ausgehen - zum kommerziellen Geschäft zu werden. Private Sterbehilfe darf auf keinen Fall zum Berufszweig werden. Auch dann wäre die Entscheidung kaum noch frei, sondern würde von einem Parasiten beeinflußt, der am Tod des vielleicht noch Zweifelnden profitieren würde.
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