De dicto
Montag, 7. Juli 2008
"Grünen-Chef Reinhard Bütikofer empfindet die Ausstellung als Skandal: Es sei "eine empörende Veranstaltung" und "eine Banalisierung von Verbrechen, das finde ich nicht hinnehmbar", sagte Bütikofer am Samstag. Darum zeigte er Verständnis für den Angriff auf die Wachsfigur: "Manchmal muss direkte Aktion sein."Zum Gesagten sei angemerkt: Was haben die Berufsbedenkenträger, auch gerade jene von den Grünen, gewettert, als einige Erwerbslose, die sich die Drangsalierung und die gesellschaftliche Ausgrenzung durch die Hartz IV-Reformen nicht gefallen lassen wollten, durch direkte Aktionen bemerkbar machten. Als Arbeitsämter - die sogenannten Job-Center - gestürmt und besetzt wurden, um dort dem aufgestauten Ärger Luft zu verschaffen, als man sogenannte Montagsdemonstrationen aufleben ließ, da spürte man wenig vom "Geist der direkten Aktion" in den Räumen derer, die für den Unmut verantwortlich waren. Seinerzeit war man darum bemüht, die Aufwiegler als dreiste Zeitgenossen mit überquellendem Anspruchsdenken hinzustellen.
- BILD-Zeitung, Ingo Gentner am 6. Juli 2008 -
Aber im Angesicht einer Wachsfigur, die Adolf Hitler gleichen soll - was sie nur spärlich tut; ein Bärtchen und ein Seitenscheitel machen noch keinen Führer! -, da ist die Aktion, wenn schon nicht ausdrücklich erlaubt, so doch moralisch legitim. Aus einem Zeitgenossen, der einst der "koalitionären Vernunft" zusprach, der Unzufriedene gerne mundtot gesehen hätte, diese in Verruf bringen wollte, weil sie den Begriff "Montagsdemonstration" als zu schützendes, geradezu heiliges Wort der Vorwendezeit mißbrauchten, wird damit ein Rebell für Arme. Weil das Dritte Reich an einer Wachsfigur wiederaufleben könnte, soll die Dekapitation des Wachsführers als zeichensetzender Akt revolutionärer Gesinnung besehen werden. Dieses ärmliche Unterstützen zivilcouragierten Auf-die-Barrikaden-Gehens, setzt sich darüber hinweg, dass anderorts in Deutschland schon seit Jahrzehnten Wachsfiguren vieler Nazi-Granden ausgestellt waren. Bütikofer weiß davon nichts, kümmert sich nicht darum, denn wenn die BILD aufwiegelt, wenn sie eine Randerscheinung des politischen Alltags, eine Nichtigkeit aufbläht, dann muß das "grüne Bedenken" bedient werden, muß es so aussehen, als sei man mit denen, die sich für eine scheinbar edle Sache einsetzen.
Bütikofer ist nicht einsam. Viele reihen sich ein in die Riege derer, die sich vor einer Wachsgestalt fürchten, aber gleichermaßen die reale, lebendige, aus Fleisch und Blut gemachte Bedrohung leger zur Seite wischen. Wenn gegen die Bushs und Schröders zur "direkten Aktion" gerufen wird, wenn man aufsteht gegen asoziale Reformen und die weiterführende Verarmung ganzer Gesellschaftsschichten oder gegen die unmenschlichen Ausbeutungsmechanismen in der Dritten Welt, dann beschwichtigt man, verurteilt man die Aufwiegler, bittet um Vernunft und Weitsicht, unterbindet Meinungs- und Versammlungsfreiheit, vertuscht außerparlamentarische Oppositionsarbeit, bezeichnet die Demonstranten als unvernünftige Spinner. "Direkte Aktion" bedeutet in der mediengelenkten bzw. -fixierten Demokratie, einem Wachsidioten die Birne abzureißen. Aus einem Kinderstreich für geistig Arme, wird somit eine politische Aktion, ein Akt von Zivilcourage. Und es heißt auch: Jeder der gegen faßbare Resultate der Politik auf die Straße geht, macht sich zum Staats- und Gesellschaftsfeind, zum arbeitsscheuen Arbeitslosen, der sein Anspruchsdenken gesichert wissen will, zum Sozialromantiker, zum verträumten Pazifisten und zu guter Letzt: zur persona non grata.
2 Kommentare:
Es ist doch so schön einfach, politisch korrekten Abscheu zu heucheln angesichts eines toten Diktators aus Plastik, dessen Botschaft vergessen scheint, betrachtet man all die Mutligkeit im angesicht eines immer totalitärer werdenden Staates hier und heute.
Wozu sich den lästigen Fragen des Alltags widmen, wenn man auch viel einfacher soziale Kompetenz vorspiegeln und in der Boulevardpresse punkten kann?
Vom Steinewerfer der "direkten Aktion" der 68er zum angepaßten stinknormalen Bundesaußenminister, das ist nicht nur der Karriereweg des Joschka Fischer; damit ist in gewisser Weise auch der Entwicklungsgang der Partei der Grünen beschrieben.
Man ist eben "angekommen" in der Bundesrepublik und dabei - leider - nicht viel besser gewesen als die gescholtene Vätergeneration.
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