Närrische Kritiklosigkeit

Montag, 4. Februar 2008

In vielen Städten, die dem Karneval zugetan sind, entspricht es der alljährlichen Tradition, den Schlüssel des Rathauses, den Narren zu übergeben. Gemeinhin spricht man dann davon, daß die Narren die Macht übernommen hätten. Aus einer hierarchischen, streng strukturierten Standesgesellschaft stammend, erscheint diese "Umkehrung aller Konventionen" als notwendiges Zugeständnis an die ansonsten unterdrückten und ausgebeuteten Knechte. Einmal darf der Knecht zum Herrn und muß der Herr zum Knecht werden; einmal sind die Machthabenden ihrer Macht entblößt und werden mit jener zynischen Herrenmoral abgefertigt, mit der jene sonst zur Abfertigung bereit sind. Im Karneval - so weist es die Tradition aus - steht die Welt kopf, werde Hierarchien umgedreht und Konventionen durch Tollheiten ersetzt. Ungerechtigkeiten aller Art, wie sie dem Knecht im Alltag begegnen, werden verworfen und durch einen Zustand "neuer Herrschaft" ersetzt. Der Karneval soll einen zeitlich begrenzten Ausweg aus den Mühen des Daseins bieten, einer Form temporärer Revolution gleichen. Dies war die Intention, die den Karneval zu einer Institution werden ließ.

Degeneriert begegnet uns diese Form der "Machtübernahme" in der totalitären Gesellschaft vermeintlicher Alternativlosigkeit. Heute vollzieht sich die Schlüsselübergabe im reinen Traditionsbewußtsein, fern jeglicher Interpretation der historischen Wurzeln. Die Herrschaft der Narren bedeutet keine Umwertung des Alltäglichen, sondern stellt eine banale Randerscheinung im karnevalistischen Treiben dar. Die "tollen Tage" installieren kein temporäres Moralsystem im System mehr, sondern laufen konform mit der Herrschaft, legen moralisches Bewerten ab. Die Kritik der Narren an den Herren ergießt sich in Trivialität. Kritikwürdig erscheinen fürchterliche Frisuren, häßliche Brillen, komisch wirkende Dialekte und Zoten aus dem Privatleben der Herren; die Inhalte ihrer Herrschaftsweisen und -ziele bleiben aber sakrosankt.

Konkreter: Der närrischen Kritik wird Ulla Schmidts rheinländischer Dialekt unterworfen, nicht aber die menschenverachtende, profitorientierte Gesundheitspolitik, die sie ihr Werk nennen darf; man spricht über Merkels Achselschweißflecken, ihr Hang zur euphemistischen Rede und ihr neuerdings zur Schau gestellter Rassismus bleiben aber unerwähnt; anzüglich wird Westerwelles sexuelle Neigung thematisiert, aber nicht seine erotische Nähe zum radikalen Wettbewerb in allen Lebenslagen, der Menschen von der Teilhabe am Wohlstand aller disqualifiziert; Spott der Frisur Pofallas, aber bestenfalls dezente Worte zu seiner Stellung als "vorauseilendes Gehorsam" der Kanzlerin. Innerhalb der herrschaftlichen Strukturen erwirkt die Zeit des karnevalistischen Treibens keine Flucht aus den Machenschaften alltäglicher Herrschaft, sondern banalisiert die Methoden der Machthaber und trivialisiert deren Erscheinungsbild.

Nicht nur die Narren tragen somit Kostüme, sondern ebenso wird deren Kritiklosigkeit als Kritik kostümiert. Wenn profane Herrschaft auch bedeutet, zuweilen Menschen Schmerzen zuzufügen, so ist die temporäre Herrschaft der Narren nicht einmal gewillt, mit spitzer Zunge und unumstößlicher Härte, den Machthabern verbale Schmerzen zu bereiten. Eine von Herrenmoral indoktrinierte zynische Vernunft, hämmert den Protagonisten des Karnevals Zurückhaltung ein, erlaubt es nur, sich an Nebensächlichkeiten aufzuhängen. Kurz: Karneval in dieser Form, als scheinbare Machtübernahme des Unterdrückten und dessen, was im Alltag nicht sein kann und darf, stellt ein Spiegelbild einer kritik- und damit alternativlosen Gesellschaft dar. Das Lachen, welches einen wahren Hintergedanken in sich birgt, bleibt innerhalb der kabarettistischen Welt gefangen - im Karneval bleibt es geächtet: Auf das die Knechte nicht die Dreistigkeit und kriminelle Energie ihrer Herren erkennen!

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