In nuce
Montag, 11. Februar 2008
"Die Menschen treten in dieses Stadium als langjährig präparierte Empfänger ein; der entscheidende Unterschied besteht in der Einebnung des Gegensatzes (oder Konflikts) zwischen dem Gegebenen und dem Möglichen, zwischen den befriedigten und den nicht befriedigten Bedürfnissen. Hier zeigt die sogenannte Ausgleichung der Klassenunterschiede ihre ideologische Funktion. Wenn der Arbeiter und sein Chef sich am selben Fernsehprogramm vergnügen und dieselben Erholungsorte besuchen, wenn die Stenotypistin ebenso attraktiv hergerichtet ist wie die Tochter ihres Arbeitgebers, wenn der Neger einen Cadillac besitzt, wenn sie alle dieselbe Zeitung lesen, dann deutet diese Angleichung nicht auf das Verschwinden der Klassen hin, sondern auf das Ausmaß, in dem die unterworfene Bevölkerung an den Bedürfnissen und Befriedigungen teil hat, die der Erhaltung des Bestehenden dienen." (Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch") - Was Marcuse bereits 1964 schrieb, fand in diesen Tagen eine journalistische Aufarbeitung, basierend auf die Zustände in den USA und Großbritannien. Naomi Klein beschreibt, daß mit der Arbeitnehmer-Beteiligung - in Form von Aktienprämien - das Klassenbewußtsein der Arbeitnehmer verlorenging. Plötzlich war man Aktionär, nicht nur mehr Arbeitnehmer. Die Nachdenkseiten: "Denn diese beiden, eigentlich diametral entgegengesetzten Interessenlagen mussten die vermeintlich am Unternehmenseigentum beteiligten Arbeitnehmer quasi auch für ihre eigene Entlassung stimmen lassen, um den Wert ihrer Aktien zu erhalten – oder zu steigern!" - Was also Marcuse bereits vor mehr als 40 Jahren formulierte, findet heute eine sublimierte Version, indem man die ideologische "Scheinbar-Beseitigung" der Klassengegensätze um einen materiellen Faktor bereichert.