Vielleicht hatte die Vorsehung mit Absicht noch ein bisschen gezögert

Mittwoch, 23. Juli 2014

Joachim Gauck nannte am Wochenende die Gruppe um Stauffenberg ein »Vorbild für den Kampf für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie«. Sie habe uns gelehrt, »dass wir uns nicht mitschuldig machen [sollten], wenn anderen Unrecht geschieht.« Vor einigen Jahren hat Gauck mal die Anne-Frank-Tage eröffnet. Er hätte ihr Tagebuch mal besser lesen sollen.

Es ist zum Narrativ der letzten beiden Jahrzehnte geworden, dass die Widerstandsgruppe um Stauffenberg Repräsentanten eines besseren, humaneren, friedlicheren Deutschlands gewesen seien. Eines Deutschlands, in dem die Wehrmacht nur ein geknechtetes Werkzeug der Nationalsozialisten war, die überrumpelt und wehrlos in einen Krieg geschickt wurde, den sie nie haben wollte. Solange man aber von Sieg zu Sieg eilte, war es mit Widerstand nicht weit her. Auch Stauffenberg, als berühmtester Kopf dieser Gruppe, war da noch einverstanden. Seit Anbeginn war er das bereits. »Als sich die Menge [am Abend des 30. Januar 1933] zu einer Freudenbekundung formierte, um die neue Regierung Hitler zu feiern«, schreibt Robert Gellately in seinem Buch »Lenin, Stalin und Hitler«, »setzte sich ein junger Leutnant in voller Uniform freudig an die Spitze.« Dafür wurde der junge Mann später von seinem Vorgesetzten getadelt. Sein Name: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. »Eine entfernte Verwandte erinnerte sich, dass sie überrascht war, als sie von seiner Beteiligung am gescheiterten Attentat 1944 erfuhr«, berichtet Gellately ebenda, denn sie hielt ihn für »den einzigen richtigen Nationalsozialisten in der Familie«.

Als ihm und einigen Offizieren das Leid der eigenen Volksgenossen gewahr wurde und sie überdies erkannten, dass mit Hitler die Niederlage unabwendbar würde, entschlossen sie sich zu handeln. Diese Leute mögen keine begeisterten Krieger gewesen sein, keine Freunde des heldenhaften Schlachtens, aber wesentlich kritischer waren sie dennoch nicht. Stattdessen verwiesen sie auf den Ehrenkodex deutscher Soldaten und nahmen aktiv teil an Krieg und Völkermord.

Die Gruppe um Stauffenberg war kein demokratisch gesinntes Widerstandsnest, sondern eine bürgerliche, vornehmlich aus dem Junkertum stammende Riege höherer Offiziere, denen - sobald man Hitler erst mal beseitigt hätte - nicht die Demokratisierung ihres Landes vor dem geistigen Auge vorschwebte, sondern ein Obrigkeitsstaat, der Adel und Eliten bevorzugen sollte. Sozialstaatliche Ideen oder eine Wiederherstellung der Weimarer Verfassung standen überhaupt nicht auf dem Plan. Für sie war der Hitlerstaat ja auch nicht grundsätzlich schlecht, sondern vielmehr ein Staatsgebilde, welches im Kern viel Wahres barg, gerade auch was die Unterdrückung von Minderheiten und sozialistischen Ideen betraf.

»Der beste Beweis ist doch wohl, dass es viele Offiziere und Generäle gibt, die den Krieg satt haben und Hitler gern in die tiefsten Tiefen versenken würden«, notierte die 15-jährige Anne Frank kurz nach dem Attentat in ihr Tagebuch, »um dann eine Militärdiktatur zu errichten, mit deren Hilfe Frieden mit den Alliierten zu schließen, erneut zu rüsten und nach zwanzig Jahren wieder einen Krieg zu beginnen. Vielleicht hat die Vorsehung mit Absicht noch ein bisschen gezögert, ihn aus dem Weg zu räumen.« Die später als Gewissen des »anderen Deutschland« verklärte Gruppe wurde von den damaligen Zeitgenossen also durchaus nicht als Retterin begriffen.

Nein, was sie besorgte waren die negativen Auswüchse, war der Blutzoll, der auf Hitlers Mist erwachsen war - und dort vor allem das Blut der Deutschen selbst; das Blut der Russen, Polen und Juden war nicht in erster Linie Antrieb der Widerstandsbewegung um Stauffenberg, sondern nur indirekt, weil man durch das Abschlachten anderer Völker aussähe wie ein Volk von Mördern. Und um eben nicht wie eine Mörderbande auszusehen, deshalb habe Deutschland den Krieg zu beenden, das Morden zu unterbleiben - und natürlich, damit nicht noch weitere junge deutsche Männer auf den Schlachtfeldern vergeudet würden. Pazifismus war deren Antrieb sicher nicht.

Die Vorläuferbewegung eines demokratischen Deutschlands war sie nicht. Stauffenbergs letzte Worte sollen dem Hochleben des »heiligen Deutschlands« gewidmet gewesen sein; ein demokratisches Deutschland war also nicht sein letzter Gedanke. Seit vielen Jahren schon wird ein eindimensionaler Kult um diese Widerständler betrieben. Stauffenberg als der Kopf wird hierzu als wackerer Held stilisiert, der für deutschen Anstand und deutsches Gewissen steht und für einen gewissen Individualismus im Soldatenrock.

Joachim Gauck hätte Anne Frank lesen sollen. Stauffenberg war ihr zwar nur ein Absatz wert, aber der war realistischer, ausgewogener und weitsichtiger, als die Worte, die der Bundespräsident jetzt dazu formulierte. Und das will schon was heißen. Man kann diesen Männern natürlich gedenken. Aber wenn, dann bitte in aller Ausführlichkeit und ohne hagiographischen Lack. Diese Gruppe lag lange Jahre völlig falsch. Sie bestand aus Mitläufern und (Haupt-)Belasteten, um mal die Kategorisierungen der Entnazifizierung zu bemühen. Man kann nicht mal sagen, dass diese Leute noch die Kurve gekriegt haben. Dazu war es zu spät.

Wahr ist, dass diese Klientel der fruchtbare Boden für den Nationalsozialismus mit all seinen Facetten war. Und das könnte man auch mal sagen.»Vorbild für den Kampf für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie« war die Gruppe hingegen eher nicht. Mal sehen, was Gauck am 9. November über Georg Elser erzählt, wenn sich dessen alleingängerischer Plan zur Beseitigung des Tyrannen zum 75sten Mal jährt.

11 Kommentare:

Anonym 23. Juli 2014 um 08:58  

......Opa "Widerstandskämpfer" wird zu Elser dann nichts sagen.....

Pantoufle 23. Juli 2014 um 09:38  

Ohne an der Aussage Deines Artikels inhaltlich rütteln zu wollen: Nur eine kleine Ergänzung um der Gerechtigkeit willen.
Zur Widerstandsgruppe um Stauffenberg gehörte auch der Kreisauer Kreis, für den das Gesagte nicht oder nur sehr eingeschränkt gilt. Gauck hätte sich deren Ideen in Bezug auf eine demokratische Entwicklung Deutschlands ansehen können; wenn er es nicht tat, sicher aus guten Gründen.

Anonym 23. Juli 2014 um 11:48  

Er war ein Feigling, kein Held. Hab ich bereits in der Schule erklärt, als wir im Unterricht das Thema hatten.

Als Held wäre er im Bunker geblieben und hätte die Bombe neben Hitler gezündet, waren meine Worte damals, mit 14 Jahren.

KwakuAnansi 23. Juli 2014 um 11:58  

Das hat Anne Frank so geschrieben?
Wow. Muss ich das Tagebuch doch mal lesen.

Nina Tabai 23. Juli 2014 um 12:09  

Der Nationalsozialismus wäre schon '33 am Ende gewesen, wenn der Adel welcher damals die Reichswehr kontrollierte den Staatsstreich nicht willfährig mitgemacht hätte. Die Aristokratie hasste die Republik und insbesondere die Sozialisten und Kommunisten schließlich kaum weniger inbrünstig als es die Nazis taten.

Am Liebsten wollte die Noblesse ihren Kaiser zurück, so wie sich jeder Hund nach seinem Herrchen sehnt, ohne den er nicht existieren kann. Der Führer war dann eben das Nächstbeste um die eigenen Pläne (Rückkehr zum Platz an der Sonne) zu verwirklichen - zudem glaubten die von's und zu's in typischen Standesdünkel, den "böhmischen Gefreiten" leicht kontrollieren zu können.

Diese Männer haben über elf der zwölf Jahre Naziherrschaft ihre Arbeitskraft in den Dienst des Faschismus gestellt, haben damit den Holocaust und die jahrelangen Massaker an der Ostfront erst ermöglicht.

30 Sekunden vor Zwölf, als der Krieg bereits lange verloren war, entdeckten sie einen letzten Rest Anstand und Moral in ihrem Leib und beschlossen zu handeln.

Damit haben sie ihre persönliche Ehre bewahrt, anders als die meisten Funktionsträger auf der Managementebene des dritten Reichs - mehr aber auch nicht. Helden waren diese Männer nicht, und Verteidiger der Demokratie erst recht nicht.

klaus baum 23. Juli 2014 um 12:40  

gauck wird vermutlich nichts sagen

Anonym 23. Juli 2014 um 15:59  

Es ist absolut folgerichtig und logisch, dass der obrigkeitshörige Gauck sich positiv über die Attentäter des 20. Juli 1944 äußert und das fast 5 Jahre vorher gescheiterte Hitler-Attentat Georg Elsers vom 08. November 1939 ignoriert.

Kleine Schreiner haben sich in der Weltsicht Gaucks zu fügen oder wie unser Alt-Bundespräsident Herzog so schön auf die Frage eines Journalisten antwortete, was denn das Volk zu seinen Reformplänen sagen würde: "Das Volk heißt Volk weil es folgt".

Anonym 23. Juli 2014 um 18:56  

"Als Held wäre er im Bunker geblieben und hätte die Bombe neben Hitler gezündet, waren meine Worte damals, mit 14 Jahren."

Mit 14 Jahren schon so ein saublöder Maulheld. Respekt!

Nina Tabai 23. Juli 2014 um 22:03  

Georg Elser war Jedermann - und genau deshalb ist die ritualisierte Erinnerung an einen Helden der Elite auch so viel bequemer als an einen Jedermann, erlaubt sie doch jedem Jedermann der damals als kleines Rädchen in der Mordmaschine des Reichs gedient hat zu sagen: Ich hätte ja doch nichts ändern können! Ich hatte damit nichts zu tun. Das war die Angelegenheit von denen da oben. Die hätten das erledigen können, ich nicht.

Georg Elser hat gezeigt, dass noch der kleinste, unbedeutendste Mensch das Schicksal der Menschheit verändern kann. Wäre nicht ein unwahrscheinlicher Zufall dazwischen gekommen (Hitlers Flugzeug musste früher starten) - die Welt sähe Heute fundamental anders aus.

Das ist eine gefährliche Botschaft für die Obrigkeit, welche in Gauck ihren dankbaren Quisling gefunden hat. Deshalb wird man Elser auch weiterhin ignorieren und stattdessen Goldstaub auf das Grab von Stauffenberg streuen, jenen gescheiterten Brutus den sie uns als deutschen Guy Fawkes verkaufen wollen.

Braman 24. Juli 2014 um 14:06  

Georg Elsner war ein Mann aus dem VOLK. Er war also, aus dem verständnis der "Eliten" gar nicht in der Lage, selstständig zu Denken.
Nein, der 'Widerstand' muss aus dem 'Groß- ind Bildungsbürgertum' kommen.
Nur solche Menschen sind in der Lage eine richtige und umfassende Entscheidung zu treffen.
Das v.Stauffenberg schon vor dem Krieg geäußert haben soll, das er im 'Osten' vorhat, große Ländereien zu bewirtschaften (nach deren Eroberung), das liest man nirgends.
Aus meiner Sicht wollte die 'Stauffenberg-Kaste' retten, was noch zu retten war.
Ein anderes, besseres Deutschland für ALLE, das hatten sie ganz sicher nicht im Sinn.
Jens Berger hat mal vor Jahren einen erhellenden Beitrag über die "Helden" vom 20.Juli geschrieben. Eine kritisch-umfassende Biographie über diesen Herrn wird es wohl nie geben denn dann wäre es mit der Heldenverehrung wohl schnell vorbei!

MfG: M.B.

kevin_sondermueller 27. Juli 2014 um 16:11  

Tja, Volksintelligenz und ihre Förderung war zu allen Zeiten unerwünscht (abgesehen von einer kurzen Epoche als Folge des Sputnik-Shocks). Das Volksvieh sollte allenfalls über eine funktionelle Bildung verfügen, um nutzbar zu sein. Heute ist selbst diese Krüppelbildung nahezu unerwünscht, da das durch sie gewährleistete Funktionieren inzwischen automatisiert ist. Man braucht im Sinne Georg Schramms nur noch Dreckfresser als Konsumenten für die die globalisierte Trash-Produktion –
ein Georg Elser wäre heute noch unvorstellbarer als damals. Und vielleicht nicht einmal mehr darstellbar …

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