Der Intellekt, der nur auf Dummheit gründet

Freitag, 29. April 2016

Ich verrate meinen geneigten Lesern etwas. Seid nicht enttäuscht. Aber ich bin ein Blender. Weder sonderlich belesen noch klug. Letzteres wirkt nur so, weil die breite Öffentlichkeit so viel unbelesener und unklüger ist als ich. Vor vierzig Jahren hätte sich keine olle Sau für meine Versuche hier interessiert. Einer nannte mich kürzlich mal einen Intellektuellen. Das meinte er ganz ernst. Ich habe viel gelacht. Erst laut, dann noch im Nachgang für mich selbst. Ja doch, schon irgendwie ein schönes Gefühl, wenn einer einem so ein Attest für einen gut funktionierenden Verstand erteilt. Aber halt auch so eine Fehldiagnose. Nichts in der Art bin ich. Nur ein normaler Kerl, der tippt und zu viel Zeit hat. Die anderen, die laut schreien, die sind halt nur so dumm. Ich will nicht mal »die anderen« sagen, denn das klingt so beliebig und trifft auch die, die ich nicht treffen möchte. Der Zeitgeist ist ein Vollidiot. Sagen wir es so. Das ist unverbindlicher.

Dummheit ist ein gigantischer Absatzmarkt geworden. Man landet mit ihr nicht auf Sonderschulen. Ich weiß, das war jetzt politisch nicht korrekt, Sonderschule sagt man nicht mehr, aber jeder hat einen frei. Man landet mit ihr in der Mitte der Gesellschaft oder bei Alternativen, die man Deutschland gibt. Rottet sich gegen Moslems zusammen, klickt sich durch die Weiten des Internets im Freiheitskampf und verengt seinen Blick auf kleine Nischen, die man einen für die große weite Welt verkauft. Die Mitte ist rechts, links davon galoppiert aber nicht minder die Minderbegabung. Da wird weltfremd debattiert und reflexhaft gebissen, wenn man mal was sagt, was nicht so ist, wie man es dort gerne hätte. Die Geister, die von Revolution salbadern, will ich gar nicht erst aufzählen. Menschen, die glauben, dass so das Bessere ins Schlechte tritt, tritt man am besten in den Arsch. Auch nicht ganz korrekt, politisch gesehen. Arschtritte sind nicht pazifistisch. Wie gesagt, jeder hat mal einen frei.

Ich schaue dem Treiben zu, manchmal seiere auch ich was dazu ab. Meist mit Abstand, nicht direkt, wenn die Scheiße dampft. Das finde ich mittlerweile nur noch müßig. Wenn alle im Bottich rühren, verliert man schnell die Kontrolle über den Brei. Außerdem tat Abstand immer gut, in jeder Sache. Ob beim Zwist mit Freunden, bei Ehekrach, bei Alkoholfahnen: Einen Schritt zurücktreten und zunächst abwarten, was da kommt. Danach kann man es besser einschätzen, wenn es auch nicht immer besser wird. Aber alles andere halte ich für dumm. Ich bin deswegen nicht gleich gescheit, weil ich nicht sofort mit an den Bottich hopse. Ich halte das nur für normal, nicht weiter sensationell oder intellektuell. Der Schnelllebigkeit zu enteilen, um sich und das, was man sagen will, ein wenig zu entschleunigen, das ist keine Hochbegabung - es ist nur jene Normalität, die das dumme Zeitalter aus den Augen verloren hat.

Ja, das ist mein Glück als Mittelmaß: In einer verdummten Epoche mein Leben zu fristen. Das ist die Chance für jeden, der im Mittelmaß stecken geblieben ist. Mittelschicht, Mittelstand - das ist heute gar nicht mittelmäßig, sondern dämlich. In so einer Zeit kann der Mittelmäßige zwar nicht leben wie die Made im Speck, aber wohl wie ein Philosoph im Dreck, so mit suggerierter Weisheit und Ansehen und dem vermittelten Eindruck, man wäre geistig gesehen doch eine große Nummer. Neben Dummen sieht der Dumme gut aus, wenn er gerade einen intelligenten Gesichtsausdruck fertigbringt. Und so ist das mit mir, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich eine solche große Nummer bin. Die anderen sind nur eine kleine, das ist die ganze Wahrheit dahinter. Einäugiger König unter Blinden, der ich und meinesgleichen sein können, weil es die Zeit zulässt. Man muss sich mit dem Zeitalter gutstellen, in dem man sein muss. Das Beste daraus machen. Ich versuche es. Nie war es so leicht klug auszusehen.

Ich tue so, also bin ich. Ohne ein Adorno zu sein, ein Marcuse, ein Dutschke oder gar ein Kant oder auch nur dessen Diener. Ob man wohl behaupten könnte, dass diese alten Köpfe auch nur gut aussahen, weil alle andere so doof waren? Keine Ahnung. Man kann nicht alles wissen. Da bleib ich mir treu - in meinem Mittelmaß.

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Die Zukunft, die in der Vergangenheit gesucht wird

Donnerstag, 28. April 2016

Der Soziologe Michael Kimmel hat mit seiner Betrachtung der zornigen weißen Männer Amerikas auch gleich Pegida und AfD analysiert. Bei uns hat sich der Zorn jedoch emanzipiert. Wir haben hier »Angry White Men and Women«, die eine gestrige Welt erhalten wollen.

Vor zwei Jahren berichtete Michael Kimmel in seinem Buch von den »Angry White Men« seines Landes, die »auf Frauenemanzipation und Immigranten, auf Farbige und Homosexuelle, auf die Gleichstellung der Geschlechter und auf die im Weißen Haus« wütend seien. Mit Abstrichen und kleinen Makulaturen ist diese Zornesanalyse auch auf Europa und speziell auf Deutschland übertragbar. Allerdings muss man sich für uns hier fragen, ob diesem Zorn lediglich ein Kontrollverlust der Männlichkeit zugrunde liegt, wie Kimmel es für die Vereinigten Staaten diagnostiziert. Wahrscheinlich sind wir in Old Europe ein bisschen gleichberechtigter. Hier zürnen auch die weißen Frauen, zschäpesieren Ausländer, petrylieren Parolen und steinbachen Vorurteile in die Köpfe der Menschen. Aber der Hass des weißen Menschen auf alle diejenigen, die es nicht sind oder die als Weiße nicht so leben, wie sie es sich anständigerweise vorstellen, ist gleichwohl ein Faktor in dieser Republik geworden. Und die Mechanismen der verärgerten weißen Leute hüben wie drüben gleichen sich frappierend.

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Ein, zwei, viele Hartz IV geschaffen

Mittwoch, 27. April 2016

Erst war es nur eine Agenda für die Bundesrepublik. Mit Schulterklopfen im Inneren für die Macher und Sanktionen für die, denen man nachsagte, nichts machen zu wollen. Zur Finanzkrise warb man mit diesem deutschen Produkt europäisch und schocktherapierte Krisenländer mit Hartz IV. Fordern und fordern für Griechenland, Leistungsentzug bei Zuwiderhandlung und Unwillen, den Faulen mit Druck in die Puschen verhelfen. Europa sollte das deutsche Reformzelotentum inhalieren und der Geist der Armenverwaltung, entlehnt aus antiquierten Einrichtungen, die noch Arbeitshäuser hießen, sollte der neue europäische Wind sein, der durch die Verwaltungen pfiff. Aktuell bekommen Geflüchtete dieselbe Rosskur zu spüren. Wer schriftlich dokumentierte Integrationsziele in Integrations- und Eingliederungsvereinbarungen nicht einhält, den geht es ans schmale Salär, der wird sanktioniert und dem droht nicht bloß Leistungsentzug, sondern gleich die komplette Abschiebung, die die Willkommenskultur zu einer potenziellen Und-Tschüss-Kultur macht. Ein, zwei, viele Hartz IV. Am eisernen deutschen Besen soll die Welt genesen. Und die Kehrwoche, diese muffige Erfindung der schwäbischen Hausfrau, will und will nicht enden.

Die Reformen des Sozialstaates haben nicht nur die Strukturen der Verwaltung und der darin enthaltenen Verwaltungsakte modifiziert, sondern gleich noch schwarze Pädagogik zur Sozialstaatsräson emporgehoben. Man könnte auch sagen, dass die Reformen des Sozialstaats eine einzige große Reform des Sozialstaatsgedankens mit seinem impliziten Welt- und vor allem Menschenbild waren. Und damit nicht genug, denn die schwarze Pädagogik ist bereits über sich selbst hinausgegangen, zu einem »Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung« geworden, das alle Aspekte des Gemeinwesens erfüllt. Sie ist ein kategorischer Imperativ, der in einer Atmosphäre aus Drohung, Pression, Existenzangst und einer schwärenden Aussicht darauf, bald schon ohne eigene vier Wände auskommen zu müssen, seinen Gestaltungsrahmen absteckt. Die Absicherung als Leitmotivation sozialstaatlicher Intervention ist flöten gegangen. Unsicherheit hält klein.

Das Dasein ist hart hier auf Erden, jeder gegen jeden, nur die Toughen schaffen es, alle anderen haben ein Problem, sind dem Darben übergeben. Die neue deutsche Welle ist eine neue deutsche Härte, eine darwinistisch inspirierte Kompromisslosigkeit. Für »Sozialromantik« ist da bekanntlich kein Platz mehr. Man braucht jetzt ein strenges Regiment im globalen Dschungel, nicht Hilfsbereitschaft und Einspringen einer Solidargemeinschaft, um die Härten des Lebens abzufedern. Das war der frühere Anspruch an der Idee des (Sozial-)Staates. Existenzängste zu mildern, sie quasi zu einem Relikt martialischerer Zeitalter zwingen, keine Furcht mehr haben zu müssen, weil menschliche Grundbedürfnisse nicht gestillt werden können: Das war ein Leitgedanke, warum man das eigentlich machte. Das ist mit Hartz IV und dem Bild des Menschen, das darin enthalten ist, nicht mehr von Bedeutung, ist geradezu verstümmelt worden. Es ist ein unsozial sozialstaatliches Prinzip, weil es darauf gründet, dass man sich nicht mehr als Societas wahrnimmt, sondern als Konfrontationskurs. Sich der eigenen Existenz nicht mehr fürchten zu müssen, war mal, im Wettbewerb konfrontiet man mit der Endlichkeit und der Furcht davor - und das im satten Reichtum der Güter. Was Sozialstaat früher war, ist heute das Gegenteil in der deutschen Schule der Sozialgesetzgebung. Und das länder- und ressortübergreifend, als Patentrezept und Generalplan für alles und jeden.

In Hartz IV bündelt sich die ganze Kälte, der ganze rohe Umgangston eines Raumes und einer Zeit, die gesellschaftliches Zusammenleben und Zivilisation als raubtierhaften Kriegszustand begreift und demgemäß strikte Regularien und Schwarzpädagogik anwendet, um die Protagonisten des brutalen Weltentheaters im Griff zu halten. Denn wer unter Druck setzt, der schafft Angst, schafft Gehorsam, schafft eigentlich mündige Subjekte aus, schafft als Ersatz eingeschüchterte Objekte. Existenzangst ist so ein Mittel der Kontrolle.

Darum geht es letztlich bei allem, was bei den ein, zwei, vielen Hartz IV, die man jetzt an allen Fronten schafft, im Zentrum dieses Generalplans steht. Man stattet alles mit hartzvierischen Grundelementen aus, weil man so Menschen, Völker, Heimatlose besser erdrücken und bedrängen kann. Wer sich fürchtet, der knickt ein. Wem man nach dem Leben trachtet, nach einem Bett, nach dem Essen, der bleibt geschmeidig. Integration schafft man so nicht. Nicht am Arbeitsmarkt, nicht für Geflüchtete in einer etwaigen neuen Heimat. Wer sich fürchtet, der zieht sich zurück, dem geht Selbstbewusstsein flöten. Wer sich so eingliedern soll, kann es bestenfalls unter Wert, falls überhaupt. Aber die Befürworter des Hartz IV-Gedankens sind so in ihrem negativen Menschenbild verfangen, dass sie gar nicht begreifen können, wie sehr Angst lähmt und das Gegenteil dessen bewirkt, was sie als Ziel anführen. Sie merken nur, dass Angst nicht Wunder wirkt und folgern daraus, dass es vielleicht doch noch zu wenig Angst gibt. Verschärfungen. Mehr Sanktionen. Kürzung. Ausweisung. Teufelskreis der Furcht.

Diese politischen Eliten sind so in diesem Wahn gefangen, der sie seit der geistig-moralischen Wende und ihren Lambsdorff-Papieren beschäftigt und der seit spätestens Anfang dieses Jahrtausends auch reformerischen Eifer trug, dass sie gar keine anderen Ansätze mehr zu finden in der Lage sind. Das religiöse Mantra der Bundesregierung ist die Repetitio des Hartz IV, die stupide Abspulung immer gleicher Existenzangst verbreitender Initiativen, die nicht zielführend sind, nur verschrecken sollen. Denn der Dschungel gebiert eben Daseinsnöte. Sie haben es aufgegeben stolz darauf zu sein, in einer Zivilisation leben zu dürfen, die Entbehrung und die Angst des Menschen an ihr zu zerbrechen, für sich bändigen wollte. Diese politischen Eliten pflegen ein unzivilisiertes Menschenbild.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 26. April 2016

»Früher war Bayern ein Volk mit einer langen Geschichte. Jetzt beginnt die Geschichte Bayerns mit der CSU und bietet nur noch Anekdoten.«

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Macht nix

Montag, 25. April 2016

Wahlumfragen und Deutschlandtrends muss man nicht immer glauben. Tun Sigmar Gabriel und die SPD auch nicht. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zwar sieht es so aus, als würde man bei der nächsten Bundestagswahl einen historischen Tiefstwert einfahren, aber über den Kurs und den Kursleiter wird weiterhin nicht debattiert. Man ist zufrieden mit dem, was man erreichen kann und fegt Personalien unter den Teppich, hält fest an der Agenda der Stunde und an der von 2010, die schon vor dieser Jahreszahl thematisch falsch war. Manche sagen, der Parteivorsitzende mache das aus Machtversessenheit. Aber ist das ein Blick auf die Macht, wenn man kontinuierlich der kleine Terrier einer Bundeskanzlerin bleiben will, selbst wenn diese taumelt? Der Mann ist nicht geil auf die Macht, sondern auf die Machtlosigkeit seiner Partei.

Darum geht es ihm doch letztlich. Er hat sich verstiegen in der Ansicht, dass er persönlich nur wen darstellen kann, wenn seine Partei eine machtlose Splittergruppe bleibt. Wäre der Mann wirklich machtgeil, wie man ihm das zuweilen unterstellt, müsste er den müden Haufen ganz anders anpacken, ihn wecken aus diesem neoliberalen Halbschlaf. Er müsste die Richtung ändern, weg von Freihandelsabkommen rücken, faulen Asylpaketen einen Laufpass erteilen, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik radikal umkehren und dem großen Geld und den noch größeren Steuerbetrügern klare Schranken aufzeigen. Kurz, Gabriel müsste dann das werden, was seine Partei namentlich vorgibt zu sein: Sozialdemokratisch. So gäbe es Aussichten auf die Macht, auf eine Regierung ohne Union, auf eine linke Alternative in Zeiten des Rechtsruckes. Aber er will ja viel zu gerne bloß Koalitionspartner ohne nennenswerte Machtperspektiven bleiben.

Mit dieser Umkehr könnte er nebenbei Wählerstimmen abfangen, die heute in Alternativen für Deutschland Hoffnungen investieren. Hoffnungen freilich, die sich bereits a priori zerschlagen und damit nichts als verlorene Anteile der Partizipation sind, weggeworfene Stimmen für eine weggeworfene Demokratie. Wäre dieser Mann am Ruder wirklich ein machtveressener Kapitän, wäre er dem Willen zur Macht verfallen, dann müsste er gegenteilig handeln. Nicht so, wie er es jetzt tut. Denn wie es jetzt läuft, gefällt er sich ganz gut in der Rolle seiner Machtlosigkeit, in der er ein bequemes Nischendasein im Merkelismus fristen darf. Ohne große Macht zwar, aber dafür ausgestattet mit einem Posten, Einladungen zu Feierlichkeiten und regelmäßigen Berichten in der Presse; außerdem hofiert von denen, die für ein Freihandelsabkommen richtig was springen lassen.

Nein, mit Macht hat das nichts zu tun. Nur mit seinem Gegenteil. Macht nichts! Braucht er nicht. Will er nicht. Nicht, dass er ohnmächtig wäre. So stellt er es freilich oft dar. Aber das wäre dieser Parteivorsitzende durchaus nicht, wenn er es anders wollte. Er könnte sich ja aufrappeln, wird nicht durch eine fremde Kraft am Boden gehalten. Er ist eher so wie einer, der pathologisch darauf abzielt, seine eigene Machtlosigkeit den anderen zur Schau zu tragen und in diesem Wissen brilliert, weil er mag, wenn seine masochistische Ader zur Kenntnis genommen wird. Und je öfter die anderen sagen, dass er mal die Arschbacken zusammenkneifen soll und es in der Hand hätte, desto sturer bleibt er ein machtloser Kerl, der sich in seiner Rolle sonnt und daraus eine Befriedigung filtert.

Sigmar Gabriel ist nicht die voluminöse Ausformung dessen, was man den Willen zur Macht nennen könnte. Der Psychotherapeut Alfred Adler meinte mal, dass der Wille zur Macht eine Überkompensation des Minderwertigkeitsgefühls sei. Insofern muss man Gabriel attestieren, dass er so ein Gefühl nicht kennt, er ist sich seines Selbstwertes bewusst, braucht keine Machtallüren. Oder er kompensiert es anders, indem er politisch machtlos bleibt und wirtschaftlich mächtig. Auch so kann man ja seinen Selbstwert bestimmen und sich honorieren lassen. Das Primat der Politik ist eben aus der Mode, dort gibt man sich schnell Machtlosigkeiten hin, nennt sie dann aber Ohnmacht, obgleich man sich ja tatsächlich auf die Beine stellen könnte, wenn man nur möchte. Aber da Macht heute Geld und ein Aufsichtsratposten ist, scheint der Wille zur Macht in die Privatwirtschaft und ihre Denkfabriken abgewandert zu sein.

Politisch betrachtet ist der Parteivorsitzende der deutschen Sozialdemokratie aber kein machtversessener Typ, nur weil er an seinem Stuhl klebt, obwohl die Aussichten auf einen Aufschwung an den Urnen so unrealistisch sind, wie die Einführung eines Winterdienstes und der Kauf von Streufahrzeugen in Kinshasa. Dort sitzt er in all seiner gewollten Machtlosigkeit. Es macht ihm nix. Er will keine politische Verantwortung, keine politische Macht, keine potentia. Seine Potenz ist, dass er bei der Wirtschaft was gilt und sie ihn um sich kümmert. Es ist geil auf seine Machtlosigkeit, mit der lebt er ganz gut.

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Die Säulen der Gesellschaft bei Penny

Freitag, 22. April 2016

Ich war erstmal bei Penny. An der Mainzer Landstraße, gleich dort, wo zur Mittagszeit die Wichtigen aus ihren Büros hinabsteigen, um sich ein eingeschweißtes Sandwich oder eine Flasche stilles Wasser zuzulegen. Und Mittagszeit war gerade, als ich dort vorbeikam und mich entschloss, hier gleich noch meine Einkäufe zu erledigen. Die Wichtigen, die Leute von Bahn und Personaldienstleister, von Call-Centern und Drückerbanden, von Buchhaltungen und Verwaltungsetagen, von der Allgemeinen und aus den Redaktionsstuben, sie alle drangen und drängten schon vor. Sie traten ja stets in Grüppchen auf und zwangsläufig lauschte man ihren Gesprächen. So kriegt man Satzfetzen mit und schaut gleichzeitig auf die Notizen, die man sich wegen der Waren, die man haben will, gemacht hat.

»Ich habe Dreihundert, stell dir das vor!«
   Der Kerl, dem sie das steckte, nickte nur und antwortete:
   »Schon unglaublich, was die Zähähefem [Anmerkung: lautmalerische Wiedergabe des Gesagten] ausspuckt.«
   »Dreihundert, nach nur einer Woche. Das ist ein F15.«
   »F15, ja, F15 ...«
   Dann fielen viele englische Worte und bei »Facility« wechselte ich das Regal und traf schon auf die nächsten Gestalten, die hinter ihrem Schreibtisch vorgekrochen waren. Zwei Männer, die mit einer Frau ein Gespräch führten, das so anspruchsvoll war, wie deren ausgesuchte Kost, eine kleine Schale mit Salatfetzen und Fertigdressing.
   »Nee, vergiss es, gefrorenes Steak schmeckt nicht wie ein frisches Stück, ich habe das gestern mal probiert, keine Chance.«
   Versuch und Irrtum eines Lafers, sie versuchten Kommunikation und irrten sich, diese auf einem bestimmten Niveau halten zu können.
   »Nee, echt, geht gar nicht, nicht lecker.«
   »Das gibt es echt gar nicht«, antwortete die Frau angeregt.
   »Doch, habe es ja ausprobiert, glaub mir mal.«
   »Tu ich ja, echt nicht zu glauben.«   
Er sprach weiter vom Steak, die Frau schaute indes weg und der andere Kerl erklärte, dass er heute schon den Schimmel am Hörer hatte. Hahaha. Sein Lachen war ein Ausbund an Blödheit, die es auch selbst wusste. Dann schlurften sie weg.

»Hast du schon die neuen Facility and Service-Standards im Intranet gegoogelt«, fragte eine große Dicke einen kleinen Unscheinbaren bei den Säften.
   »Nur die primären Processes«, antwortete er.
   »Pre Sale, oder?«
   »Ja, aber auch After Sale und Retrofit Indizes.«
   »Das bleibt hoffentlich Commodity.«
   »Ich glaube schon, aber alles weiter Business-to-Business.«
   Dann lachten beide herzlich und er erzählte was von einer Klara, die einfach nicht wusste, wie der Hase im Geschäft lief.
   »Ihre dicken Dinger sind es halt«, unkte das dicke Ding und der Kleine kicherte intrigant und stellte sich wohl vor, wie es wohl wäre, dazwischen zu stecken.
   Mich trieb es weiter Richtung Kasse, an eine lange Schlange, in denen es von Wichtigkeiten in Person nur so wimmelte. In der Reihe neben mir standen die F15-Philosophen und sie redeten immer noch in Zahlen und sagten »F15« hier, »F15« dort und »F15 dürfte dem Ossi vom Controlling gefallen, da krieg ich nen Like«. Gekicher, dann stellte der eine fest, dass Zähähefem sich gelohnt habe.

Unmittelbar vor mit standen zwei junge Frauen, die nur aus Modetrends und Styling zu bestehen schienen. Die eine hatte wohl ein Gesicht unter einer fetten Schicht Make-up, die andere machte es wohl schon länger mit Pinsel und Pulverdöschen, denn das Zeug wirkte in ihrem Gesicht etwas platzierter. Sie quatschten über Gefühle und Kollegen, lavierten zwischen Intriganz und Garstigkeit, ließen kein gutes Haar an Leuten, die gleich neben ihnen im Großraumbüro saßen, kamen dann zur Kundschaft, die sie telefonisch abfertigten und die angeblich nie ihre Rechnungen bezahlen wollten. Asoziale seien das. Sie hopsten nur so von Thema zu Thema und hasteten gleich weiter, zum Partner der clownesk Geschminkten nämlich, deren Tünche sich unterm Ohr schon pellte. Mich streiften Satzfetzen voller Lebens- und Beziehungsweisheit: »Isch sage dir, du musst den Typen auch betrügen, dann klappt bleibt er.« Jeder gegen jeden. Daraus bestand ihre Welt, was anderes war ihnen gar nicht mehr beizubringen. Sie zogen in den Krieg, egal auf welchem Boden sie standen. Ob im Job, in der Beziehung oder wenn sie sich im Bad schminkten. Alles war Konfrontation, bunt, schrill und laut und so tiefgründig, wie die Schlagzeilen der Illustrierten, die uns Wartenden in der Schlange anstarrten und die uns in helle Aufregung versetzen wollten, weil ein Herr Rossi sein Glück nicht gefunden habe.

Irgendwann zahlte ich dann doch. Dieser Kelch ging an mir nicht vorbei. Immer wollen die anderen Geld von mir. Ich könnte ja ohne. Danach tütete ich das Zeug ein, ging zur Haltestelle und setzte mich in die 21, als die anhielt. Eigentlich ist es unglaublich, dachte ich so bei mir. All diese Leute, die zur Mittagsstunde hinter ihren Schreibtischen vorkriechen und hinabsteigen auf die Straßen, die man sonst nur ans Telefon kriegt, wenn man bei Unternehmen anruft, die Rechnungen ausstellen und die Geschäfte verwalten, die Angestellte unter sich haben und Beitragszahler oder Leiharbeiter ausnehmen, all diese Leute, sie gelten als die Säulen dieser Gesellschaft, als Leistungsträger und Krone unserer Art zu leben. Diese traurigen und banalen Figuren sind die Armee des westlichen Kapitalismus, halten sich für was Besseres. Nicht zu glauben, wie gesagt.

Mein Blick schweifte aus dem Fenster, ich sang leise vor mich hin, »... Penny Lane is in my ears and in my eyes / Wet beneath the blue suburban skies ...«, wir zuckelten an der Warte vorbei. Dort standen die Verbratenen und Angeschissenen und nippten am Bier, wieherten lauthals und sogen sich den abgepackten und portionierten Teer in ihre Atemwege. Tief in ihrem Inneren wollten sie wahrscheinlich auch nur dazugehören, den Traum erleben, in dem sie es geschafft haben, mittags runter zu Penny eilen und idiotische Vorstellungen abliefern.

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Mahlerische Klänge

Donnerstag, 21. April 2016

Ein bisschen gleicht die Szenerie in diesem Lande der Biographie, aber auch der Logik Horst Mahlers. Linke Anklänge im rechten Spektrum liegen hoch im Kurs – und die Wähler solcher »Alternativen« lauschen den Klängen Mahlers.

Nur in einem Punkt habe er sich geirrt: »Subjekt des Widerstands ist nicht mehr das Proletariat, sondern die Nation, die sich gegen die Globalisierung stemmen muss.« Vergangene Woche beendete ich an dieser Stelle meinen wöchentlichen Text mit Horst Mahler. Der obige Satz stammt von ihm. Aus einem Buch, das er zusammen mit dem Schönhuber Franzl von den Republikanern geschrieben hat. Dieser Satz beschreibt irgendwie zusammengefasst den gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Dekaden. Klassengegensätze werden abgetan, alles wird hinter nationalen Konzepten verborgen. Nichts ist mehr Frage der Verteilung, sondern der Rasse, der Herkunft zumindest. Es ist traurig und vernichtend zugleich, dass ausgerechnet dieser Ex-Theoretiker der NPD mit seiner damaligen Einsicht insofern recht erhielt, als dass sie sich derzeit als allgemeine Transformation darstellt, die eine ganze Gesellschaft ereilt.

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Hey du Arschloch, ja genau dich meine ich!

Mittwoch, 20. April 2016

Böhmermann im Nachgang. Besser jetzt darüber zu räsonieren, als in der Aktualität des Augenblicks, da alle quaken und wie aufgeschreckte Froschlurche durch den Tümpel hopsen. Eigentlich geht es sogar weniger um Böhmermann als um die, die ihm jetzt applaudieren. Ich muss ja sagen, ohne den Kontext, in dem er »gedichtet« hat (dichten ist ein hohes Wort hierfür, daher steht es in Strichen), musste man ja wirklich von Beleidigung ausgehen. Sah man allerdings den Vorlauf, den Prolog seines »Werkes« (Werk ist ein hohes Wort hierfür, daher steht es in Strichen), so war eindeutig, dass er im Rahmen des Belehrenden auftrat, der darlegte, was Beleidigung ist und was nicht, was man also strafrechtlich verfolgen könne und was nicht. Seine »Kunst« (Kunst ist ein hohes Wort hierfür, daher ... ihr wisst schon) wäre demnach justiziabel, wenn er es ernst mit den Beleidigungen meinte, was er natürlich ja (mit zwinkerndem Auge) nicht so beabsichtigt hatte.

Es hat so etwas von Wortklauberei, wenn Hobbyjuristen zuweilen analysieren, dass es ein fataler Unterschied sei, ob man jemanden als Arschloch beleidige oder frage: »Sind Sie vielleicht ein Arschloch?« Man habe schließlich freundlich nachgefragt. Das sind übrigens Fragen, die man mal einem Polizisten stellen müsste, wenn er einen nervt und dann heißt es abwarten, ob ein Richter Beamtenbeleidigung ausschließt. Ich tendiere zu Nein; Augstein hat völlig recht, wenn er behauptet, dass die »Illustration eines Rechtsbruchs [...] ein Rechtsbruch« sein könne. Aber letztlich bin ich sogar der Ansicht, dass der Künstler auf der Bühne anders wahrgenommen werden muss, als ein Autofahrer, der nach des Beamten wahrer Seele fragt. Er fällt unter eine spezielle Freiheit und in diesem Sinne mag Böhmermann unantastbar sein. Ist der Fall Böhmermann demnach ethisch abzuhaken? Nein! Etwas anderes liegt im Argen und wurde im Stimmengewirr der Empörung und Parteinahme völlig ignoriert. Die Aktion gibt sich leider ein bisschen wie ein humoriger Ableger der Man-wird-doch-nochmal-sagen-dürfen-Fraktion von rechts. Viele Claqueure in der Sache spiegeln diesen Eindruck deutlich wider.Viele. Wie gesagt. Nicht alle. Das muss man zweimal aufführen, sonst wird wieder geplärrt.

Das mit der rechten Fraktion ist nicht inhaltlich gemeint. Böhmermann hat nachweislich keine Sympathien für diese besorgten Schildbürger. Das steht gar nicht zur Debatte. Es ist anders, nämlich so gemeint: Indem er Erdoğan auseinandersetzte, dass ein solches Schmähen zu Sanktionen führen würde, wogegen das Liedchen von Extra 3 ein normaler satirischer Beitrag war, legte er auch dar, dass nicht alles gesagt werden könne und dürfe in diesem Land. Da er es aber darauf anlegte, mit seinem Reim zensiert zu werden, implizierte er damit auch, dass selbst in Deutschland die Meinungsfreiheit Grenzen besitze. Bestimmte Dinge sind halt einfach nicht meinungsfrei, weil sie nicht Meinung sind. Ob er das nun richtig oder falsch findet, kommentiert er gar nicht mehr, dazu gibt es keine in der Gesamtheit seines »Kunstwerkes« (hohes Wort, daher ...) etablierte Gesinnung oder Richtung, was wiederum seine Satire zu einer schlechten ihrer Art macht. Im Grunde könnte man auch annehmen, dass er es für eine Sauerei hält, dass man hierzulande Beleidigungen nicht als Meinungsfreiheit durchgehen lässt. Er lächelte schelmisch und stempelte - vielleicht ungewollt - die deutsche Gesellschaft als verlogen ab. Was in anderem Sinne stimmt, aber nicht in diesem. Seine Aktion war folglich nur ein trojanisches Pferd zur Verdeutlichung des Dilemmas.

Die Empörung seiner Anhänger und derer, die jetzt als Verfechter einer absoluten Meinungsfreiheit die Zensur seines Senders kritisieren, genoss er natürlich. Letztlich erzeugte er damit eine Stimmung, die ein latentes Gefühl davon entstehen ließ, dass hier in Deutschland doch nicht alles gesagt werden dürfe. An diesem Punkt kommt eine etwas verquere Massendynamik in Sachen der Meinungsfreiheit zustande. Man tut plötzlich so, als lebten wir in einer Diktatur, in der jeder unliebsame Gedanke gewaltsam zensiert wird. Zugegeben, manchmal gibt es Tendenzen dazu, andere Meinung zu unterbinden oder ihr kein Forum zu bieten. Aber mehr auch nicht. Zeitungen drucken halt was sie wollen, sie haben Hausrecht. Aber nicht alles wird vertuscht, manches wird nur sehr leise gesagt. Dieser Blog existiert ja auch und wird nicht zensiert. Überhaupt ist nicht alles, was kommuniziert werden kann - und ich wiederhole mich auf dieser Website seit geraumer Zeit -, gleich als Meinung im Sinne der Meinungsfreiheit (nach Artikel 5, Grundgesetz) garantiert. An selber Gesetzesstelle findet sich im Absatz 2 eine Beschränkung, die neuerdings immer gerne vergessen wird, wenn die Debatte darum einsetzt.

Die freie Meinung ist seit Jahren einem pervertierten rechten Gedankengut zum Opfer gefallen. Die neuen Rechten fingen plötzlich damit an zu behaupten, dass die Gesinnungsdiktatur am Ruder sei, weil man seine Meinung nicht mehr frei artikulieren dürfe. Es ging ihnen natürlich um bestimmte Sujets, wie zum Beispiel die Eugenik des Herrn Sarrazin oder die Verunglimpfung von Arbeitslosen und Ausländern anderer politischer Akteure. Pegida und AfD haben diese Taktik übernommen, nennen ihre Volksverhetzung eine Meinung, die im Grundgesetz garantiert sei, aber nicht gesagt werden dürfe. Ursprünglich kam dieser Ansatz von den Neonazis, die den Holocaust leugneten. Sie dürften das trotz Meinungsfreiheit nicht und sahen dahinter eine Diktatur der Alliierten. Die Meinungsfreiheit verkam bei ihnen zu einem Instrument, das in seiner radikalsten Form eine Gegnerin der Demokratie sei und nicht etwa ein Grundrecht derselbigen. Dieser Gedanke absolut freier Meinung ohne Grenzen ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Das sind Auswirkungen des allgemeinen Rechtsruckes. Aber eines ist klar, Beleidigung ist keine Meinung. Böhmermann hat im Rahmen künstlerischer Freiheit nicht beleidigt, aber er hat so einen Beigeschmack gelassen, wonach er es lächerlich fände, dass sein Reim nicht als Produkt der Meinungsfreiheit durchgehe. Das anzunehmen wäre fatal.

Übrigens finde ich, dass alle senilen Komiker, die als Trittbrettfahrer schlechte Lieder in Richtung Türkei trällern, irgendwie narzisstische Trockenwichser sind, denen nicht mal mehr einer abgeht, wenn sie auf Knopfdruck abgehen dürfen. Ihr findet diese Einschätzung beleidigend. Aber ich bitte recht schön, was kann ich denn dafür, wenn ich diese Meinung habe? Und die geht mir über alles. Meinungsfreiheit ist nun mal bitter, sie ist ein Schwerthieb. Und wenn dir das nicht passt, ja dich meine ich, ja genau du da, der da sitzt und liest, dann bist du eben das allerletzte Arschloch! Na, wie gefällt dir das? So viel muss dir meine Meinung doch wert sein. Was für eine schöne Welt, oder nicht? Kein Anstand, kein grundsätzliche Freundlichkeit und Gepflogenheit mehr, aber Hauptsache ein demokratisches Grundrecht so radikalisiert, dass daraus eine Tyrannei schlechter Manieren wird. Und das nennen wir dann die Verteidigung westlicher Werte gegen orientalische Feindbilder.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 19. April 2016

»Ich habe die Reichen wie die Armen kennengelernt und festgestellt, dass beider Stellung gleichermaßen unnatürlich ist.«

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Mindestlohn und Schwarzwurzeln

Montag, 18. April 2016

Vor einigen Tagen erläuterte die »Frankfurter Rundschau«, wer denn nun vom Mindestlohn wirklich profitiert habe. Frauen, Menschen aus Ostdeutschland und Mini-Jobber nämlich. Alle seien sie jetzt nicht reich, hätten aber mehr im Geldbeutel als vorher. Deshalb wird auch der Spargel teurer. Eines ist aber zu kurz gedacht: Mini-Jobber profitieren nicht vom Mindestlohn an sich. Auf koscherer Ebene haben sie sogar gar nichts davon. Schattenwirtschaftlich betrachtet schon eher. In Sachen geringfügiger Beschäftigungen ist der Mindestlohn alleine nicht ausreichend. Es braucht ferner strikte Kontrollmechanismen und Überprüfungen. Und nicht zuletzt vielleicht sogar eine völlige Neuorientierung bei der Lohnpolitik.

Wenn man eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt, wird vorab geregelt, wie viele Stunden notwendig sind, um auf die Obergrenze von 450 Euro im Monat zu gelangen. Im Regelfall wird diese Grenze ausgeschöpft. Der Quotientenwert der beiden Größen ergibt dann den Stundenlohn. Wer also 60 Monatsstunden leistete, der hatte faktisch 7,50 Euro in der Stunde verdient. Je höher die monatliche Stundenzahl, desto geringer der Stundensatz. Durch die Einführung des Mindestlohnes stand der Unternehmer, der geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbot, vor einem kleinen Dilemma: Entweder reduzierte der die Monatsstunden, sodass maximal nur noch knapp 53 Stunden monatlich gearbeitet wurde. War jedoch Arbeit für 60 oder mehr Stunden da, hätte er neue Mini-Jobber einstellen (und anlernen) können. Oder aber er konnte das Arbeitsverhältnis in eine Sozialversicherungspflicht überführen. Viele kleinere Unternehmen konnten und wollten sich das nicht leisten. Ein Ausweg wäre da, die 53 Monatsstunden legal laufen zu lassen und restliche Arbeitszeit in der Schattenwirtschaft, sprich in der Schwarzarbeit, zu kanalisieren.

Letztlich ist es so, dass Mini-Jobber eben nicht monetär profitiert haben, sondern nur was den Zeitaufwand betrifft. Da aber Zeit nicht als Zahlungsmittel gilt, ist es schwierig, diese Gruppe als Profiteure des Mindestlohnes hinzustellen. Falls sie doch finanziell zugewonnen haben, dann muss der Zugewinn dort vermutet werden, wo das Finanzamt keinen Zugriff hat. Der Mindestlohn und die geringfügige Beschäftigung, die man zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes je und je ausgebaut hat, stehen sich also im Weg und schaffen Anreize, die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Ohne starke Kontrollen und Prüfungen ist also in diesem Sektor keine Verbesserung möglich. Eine grundsätzliche Belegung aller Arbeitsstellen mit paritätischen Abgaben, wäre eine Alternative, das geflickschusterte Konzept zu ordnen. Das steht aber dem Mantra der Flexibilisierung im Weg und nötigt Unternehmen zur sozialen Absicherung ihrer geringfügigen Arbeitnehmer, was heute viel zu oft unterbleibt, wenn sie zum Beispiel diesen Angestellten keinen bezahlten Erholungsurlaub zusprechen.

Natürlich wenden jetzt die Orthodoxen der herrschenden Ökonomie ein, dass jede Maßnahme in diese Richtung Arbeitsplätze gefährden würde. Es ist aber eine Frage der Existenzberechtigung. Hat ein Unternehmen eine solche, wenn es nur mit unsittlichen Methoden bei den Personalkosten zum Erfolg auf dem Markt kommt? Muss man Firmen subventionieren, die sich nur tragen, weil sie ihre Arbeitnehmer finanziell kleinhalten und mauscheln? Oder dürfen sie in Bedrängnis kommen, um sich neu und gerechter aufzustellen, um so wettbewerbsfähig zu werden? Falls sie es dann noch immer nicht sind, brechen sie eben weg, waren sie kein Angebot für die Nachfrage. That's life, that's market.

Es ist wie mit dem Spargel, der nun in aller Munde ist. In aller Munde thematisch, nicht kulinarisch. Mini-Jobber haben ja nicht mehr in der Tasche, um sich so einen Bund zu leisten. Die Hollandaise und der Schinken wollen auch bezahlt sein. Es gibt seit Ewigkeiten Klagen darüber, dass der Spargel sich verteuere durch den Mindestlohn. Und das tut er in diesem Jahr tatsächlich, obgleich es Ausnahmen beim Mindestlohn für Saisonarbeiter gibt! Jedenfalls, wenn er so teuer ist, dass die Nachfrage sinkt, so kann es doch keine künstliche Tiefhaltung der Personalkosten sein, die das Angebot attraktiver macht. Mein Gott, das wäre ja Planwirtschaft! Es liegt am Unternehmen, im Rahmen der Gesetze ein gutes Angebot zu machen. Gelingt das, dann wird Spargel auch weiterhin abgesetzt. Falls nicht, baut man künftig etwas anderes an. Dann essen wir wieder mehr Schwarzwurzeln. Die schmecken im Rahmsößchen gar nicht mal so schlecht.

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Kein Ziegenficker in Bellevue

Freitag, 15. April 2016

Der Oppermann hat mal wieder Blut geleckt. Jetzt, da alle voller Empörung für den türkischen Staatspräsidenten sind und Erdoğan der neue Putin ist, nicht etwa weil er Geflüchtete ausmauert, sondern weil er einem deutschen Komiker das Lachen aberziehen möchte, ist er plötzlich für die Auflösung des Paragraphen 103 des Strafgesetzbuches. Ob der alte Jurist davor je von diesem Passus gehört hat, weiß niemand so genau. Aber damit lässt sich jetzt Quote machen, kann man Zusprüche erzeugen, also muss man da nun auf ganz dick machen. Der Paragraph sei jedenfalls eine »antiquierte Vorschrift«, findet er. Man sollte Staatsoberhäupter aller Herrenausländer schon beleidigen dürfen, ohne gleich dafür mit dem Staatsanwalt zu tun zu bekommen. Meinungsfreiheit funktioniere letztlich nur so. Interessant wie das heute läuft, plötzlich soll Beleidigung chic sein, solange es einen trifft, dem man es gönnt und der seine Kreise andernorts zieht.

Der rührige alte Mann in Bellevue zum Beispiel, egal wer den gerade spielt, der soll natürlich weiterhin kein Arschloch sein müssen, dem man pädophile Vorlieben nachsagt. Paragraph 90 des Strafgesetzbuches, der die »Verunglimpfung des Bundespräsidenten« regelt und eine Freiheitsstrafe in Aussicht stellt, ist natürlich nicht antiquiert. Da ist das StGB vernünftig. Man muss Herrn Bundespräsident schließlich von vorlauten Mäulern schützen. Gut, als Ausrede könnte man nun festhalten, dass die Bundespräsidenten ja immer relativ lax waren, wenn es um ihre Ehre ging. (Sie hatten ja eh keine.) Also muss man das ja jetzt nicht überarbeiten. Hätten wir einen despotischen Alten dort - ja dann! Vielleicht kriegen wir ja künftig mal einen solchen, der Kritik an seiner Amtsführung ahnden lassen will. Wir müssen ja nicht immer so viel Glück haben, senile alte Zausel im Lustschlösschen sitzen zu haben, denen man eine gewisse Altersmilde attestieren könnte. Was, wenn wir einen erdoğanesken Typus dorthin bekommen? Einen Oppermann in etlichen Jahren etwa? Dann darf man ihn wohl nicht mal verunglimpfen, während man seinen Amtskollegen aus dem Ausland sogar beleidigen darf. Auch da schwingt deutsche Überheblichkeit mit.

Die Welt globalisiert sich, aber nach Oppermann soll Deutschland das Land sein, in dem man auch mal mit Beleidigungen um sich schmeißen kann, solange der Adressat seinen Sitz nicht auf deutschen Boden hat. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Majestätsbeleidigung ist kein Zustand, der haltbar wäre. Aber man muss jetzt nicht so tun, als sei der ganze Paragraph ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Wir können mal darüber reden, wo Beleidigung anfängt und wo Verunglimpfung endet. Man könnte die Diskussion ausweiten und recherchieren, ob Paragraph 103 etwas lockerer zu handhaben wäre. Aber abschaffen? Ist es denn kein Ziel moderner Staaten mehr, einen halbwegs anständigen Umgang miteinander zu fördern und zu fordern? Was genau ist antiquiert an einem Gesetz, das Beleidigung einschränken will? Der komplette Wegfall dieses Punktes würde bedeuten, dass jeder fremde Präsident ein Ziegenficker, ein Wichser und ein Fan von Kinderpornos sein darf, während man als Bürger in diesem Land nicht mal sagen dürfte, dass der Bundespräsident nicht alle Latten am Zaun habe.

Verunglimpfung versus Beleidigung. Und nur letzteres soll fallen, aus Gründen eines vorauseilendem Gehorsams gegenüber einer Schlagzeile, die solche Dynamik annimmt, dass man über diese Empörung gleich mal ganze Gesetze kippen will. Juristerei auf höchstem Niveau ist das. Man könnte den türkischen Präsidenten ja auch zunicken, es zur Kenntnis nehmen und so tun, als jucke uns das alles nicht. Und der Einwand, Herr Böhmermann habe ja nicht beleidigt, sondern nur angemerkt, was Beleidigung wäre, ist natürlich ein netter Spaß, aber die Leute verstehen es gemeinhin so: Wenn einer meint, dass ein anderer ein »Hurensohn« sei, der »Ziegen-Sex« trotz »kleinem Schwanz« betreibe, dann könne man das im Rahmen der Meinungsfreiheit auch so kundtun. Aber das, old sports, ist ein fataler Fehlschluss, der in den öffentlichen Reden nicht als solcher vorkommt. Da tut man so, als könne man sagen, was sagbar sei. Demnächst mehr darüber. Jetzt aber nicht.

Ich erinnere mich noch an Oppermann, er fand es auch nicht sonderlich lustig, als Merkel oder Schäuble als Nazis in der griechischen Presse karikiert wurden. Das sei ein Tabubruch, so wurde damals geunkt. Das sei auch keine Satire mehr, sondern schwere Beleidigung. Die Empörung war also groß. Nun gut, das war etwas völlig anderes. Weil ein deutscher Politiker hat Respekt verdient, denn die sind alle fromm und ehrenwert und nur Türken haben Minister, die Koffer mit Schwarzgeld annehmen. Wie dieser Schüblü damals.

Ich frage mich immer, wenn ich so Kerle wie den Oppermann höre, ob sie solche Leuchten sind, weil sie sich thematisch vor den Karren spannen lassen, wenn es die Stimmung so verlangt, und sie dann zwangsläufig wie Bescheuerte aussehen. Oder sind es einfach nur Bescheuerte, die die Thematik antreiben und das ganze Szenario damit in ein intellektuell trauriges Licht färben? Wie dem auch sei, mit solchem politischen Personal kann es gar nicht anders kommen als so, wie es derzeit in dieser Shitstorm-Republik mit ihren Sorgenbürgern läuft. Wenn selbst Juristen für Beleidigungsfreiheit plädieren und gleichzeitig Verunglimpfungsverbote stützen, dann sind das die Symptome eines Ruckes, der durch Deutschland geht. Eines Rechtsruckes ...

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Von links nach rechts gezappt

Donnerstag, 14. April 2016

Dass mit vielen Medien in diesem Lande etwas faul ist, war generationenlang eine linke Erkenntnis. Nun firmiert sie entstellt und pervertiert unter dem Label »Lügenpresse« rechts und man tut so, als gäbe es keine Richtungen mehr.

Frau von Storch möchte keine Rundfunkgebühren bezahlen. Weil die öffentlichen Sender ja eh nur lügen und sie das nicht subventionieren möchte. Selbst als Linker könnte man da fast Verständnis haben für sie und ihre Argumente. Seit langem kamen nämlich kritische Stimmen zum öffentlich-rechtlichen Angebot aus der linken Ecke. Man kritisierte die Berichterstattung, die zum Beispiel den Agenda-Kurs nicht kritisch begleitete, sondern zur Doktrin erhob. Und als in der Ukraine West und Ost zündelten, reduzierte man den Weitblick auf Tellerrand, behielt sich eine umfassende Beschreibung der Szenerie vor, um sie durch Eindimensionalität zu ersetzen. Wusste man mal etwas nicht ganz genau, schob man es den Russen unter und verließ die Stellung als Chronist der Ereignisse, um Ereignisse zu machen.

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Was das Volk will

Mittwoch, 13. April 2016

Freveln wir mal. Es ist ja einer der Grale linker Konzeptionen, dass man das Volk fragen solle. Nicht nur bei Wahlen, sondern immer mal so grundsätzlich zwischendurch. Das was das Volk will, das ist demokratisch. Nur so einfach ist die Welt nicht. Sie ist viel komplexer, als manche naive Idee es vorgibt zu sein. Ist das Resultat der letzten drei Landtagswahlen eine höchst demokratische Erscheinung? Falls ja, dann bitte, kein Wort mehr darüber. Wenn das Volk gesprochen hat und man glaubt, dass eben dieses Volk auch mit Plebisziten herrschen soll, dann muss man den Weg akzeptieren und gehen und braucht nichts mehr dagegen tun. Vox populi vox Dei. So einfach wäre das. Selbst wenn man den Schlachter wählt.

So einfach ist es aber nicht. Oder sollte es nicht sein. Dahinter steckt ja auch Nihilismus, wenn man sagt: Na, nicht unken, das Volk hat gesprochen, wehrt sich gegen den Kurs. Wenn man das so hinnehmen kann, hat man vergessen, dass Demokratie verdammt nochmal kein Urzustand ist. Sie muss sich wehren. Demokratie muss man machen, sie ist nicht einfach da. Man kann nicht pazifistisch in die Demokratie gehen, das ist naiver Humanismus, naiver Liberalismus, ja eben verdammter Nihilismus, der Glauben an das große Nichts, das über uns kommen darf, wenn es nur das Volk als Souverän so will. Aber man muss vielleicht die Demokratie in manchen Zeiten vor ihrem Souverän schützen. Wie ein machtgeiler König ist es ja nicht sakrosankt. Und es wird mir speiübel bei Ideen zur Volksbefragung in unseren Tagen. Darüber habe ich ja schon mehrfach geschrieben. Man muss es mit der Mitbestimmung bei solchen Tendenzen ja nicht übertreiben.

Dasselbe Volk fragen, das sich nun nach rechts bewegt, es fragen, ob zum Beispiel die Euro-Politik genehm ist oder selbst nicht ganz so explosive Themen wie ein einheitliches Schulsystem im ganzen Bundesgebiet? Das führt doch nicht zu noch mehr Demokratie, sondern eher zum Gegenteil. Wenn einem das Volk nicht gefällt, dann kann man sich kein anderes Volk wählen, wie es Bertolt Brecht mal formulierte. Man kann es aber wenigstens nicht so sehr in die Entscheidung hieven, dass es gefährlich wird; man kann die Demokratie so gestalten, dass sie nicht völlig zum Spielball niederster Beweggründe wird. Man hat den Bundespräsidenten neulich erst wieder gerügt, weil er die Basisdemokratie skeptisch abtat. Der Mann ist selbst natürlich auch skeptisch anzuschauen, aber nach den Landtagswahlen muss man schon sehen, dass er derzeit recht hat.

Nein, es ist eben keine gute Idee, Menschen nach bestimmten Grundrichtungen der nationalen und internationalen Politik zu fragen, die auch eine Partei wählen, die offen für die Diskriminierung von Homosexuellen, Transsexuellen, Alleinerziehenden und anderen (Rand-)Gruppen einsteht. Nein, man sollte Rassisten und Sozialdarwinisten nicht unbedingt die Verfügungsgewalt über die Weichen in die Hand drücken, mit der man eine Gesellschaft in diese oder jene Richtung umstellen kann. Das ist eine linke Theorie, die am Schreibtisch gut funktioniert, wo man eine Vernunft herbeiräsonieren kann, die es geben sollte, aber leider nicht (mehr?) gibt. Die Weisheit der Vielen indes, die auf Francis Galton zurückgeht und die besagt, dass die Masse immer klüger agiere, ist was für Ochsen-Gewicht-Schätz-Wettbewerbe, allerdings nicht für komplexe politische Entscheidungen. Denn genau bei so einem Wettbewerb kam Galton auf seine Theorie. Die Vielen können vielleicht gut schätzen, abrunden, ein bisschen dem Bauchgefühl frönen. Aber politischer und gesellschaftlicher Reformbedarf ist keine Sache der Laune oder des Ungefähr.

Ein für Populismus anfälliges Volk, und anfällig in dieser Sache scheinen die Völker Europas mehr oder weniger alle zu sein, ist kein basisdemokratischer Hoffnungsschimmer. Vor Jahren schrieb ich bereits, dass man zunächst die »Bild« enteignen müsste, um Referenden quasi in einem »reinen Raum« abhalten zu können. Solange bestimmte Medien die Stimmung mit ihrer Interessenspolitik vergiften, wäre eine Befragung immer nur das Spiegelbild der Meinungsmacher. Jetzt hat sich diese Sache insofern verschärft, dass die »Bild«-Mentalität eine eigene Partei ins Leben gerufen hat, die auch noch rege angenommen wird. Wenn ein Volk Urteile fällen soll, darf es nicht so voller Vorurteile sein. Die linke Idee von einer Basisdemokratie war nie unrealistischer als heute. Wer die Umsetzung immer noch fordert, der sagt damit auch, dass er nichts gegen die Beschleunigung des Rechtsruckes hätte.

Und ich gebe zu, dass das ein heikles Thema ist, in einer Zeit, da die Konservativen in Ländern, in denen es Referenden gibt, eine Abkehr von dieser Praxis fordern, weil ihre Völker in außenpolitischen Dingen nicht so handeln, wie sie es gerne hätten und sie einen Kontrollverlust wittern. Das ist ja gewissermaßen dieselbe Logik nur mit schwarzer Tünche. Das stimmt schon. Aber hieran sieht man letztlich, wie verfahren die Situation ist. Und wie unzureichend die demokratischen Systeme. Man sieht, dieses Konzept ist immer nur die beste Lösung von all den schlechten Ansätzen, die es sonst noch gibt.

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Der Terrorismus der börsennotierten Nichtbeachtung

Dienstag, 12. April 2016

Am Abend des Tages, da in Brüssel ein terroristischer Anschlag verübt wurde, meldete sich die Börse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu Wort. Einleitender Satz dort: »Die Anschläge in Brüssel wirkten sich nicht negativ auf die Börse aus.« Puh, Dusel braucht der Mensch. Das ging ja zum Glück nochmal glimpflich ab. Börsenverträglichkeit ist ja auch das Mindeste, was man erwarten kann vom internationalen Terrorismus, oder nicht? Wenn es ihn schon geben muss, dann doch bitte so, dass er dergestalt operiert, die Indizes und Kurse nicht zu manipulieren. Wenn er sie sogar steigen ließe, dann ... aber laut sagt man das lieber nicht. Was aber klar ist: Lieber oft und häufig terrorisieren, sodass er zur Gewohnheit wird und die Menschen nicht mehr sonderlich überrascht, als aus heiterem Himmel und ohne Eingewöhnungseffekt, was als Konsequenz sinkende Aktienkurse notieren würde.

Das ist nämlich das Problem mit den Börsen und Märkten. Sie erodieren ja nur, wenn irgendwas nicht so ist, wie sie es gewohnt sind, was heißt: Wie es die Teilnehmer der Märkte gewohnt sind. Wenn nämlich Anleger und Konsumenten verunsichert sind, weil ein Szenario die Konstanz und Kontinuität infrage stellt, dann kann da schon mal der Kurs abfallen. Wenn die aber mit den Schultern zucken und murren, dass man das ja schon kenne, stoisch weitermachen, dann bleibt alles stabil. »Die Gewohnheit«, so schrieb David Hume bereits im 18. Jahrhundert, »ist der große Führer im Menschenleben.« Und die Gewohnheit, die die Märkte in Terrorzeiten so an den Tag legt, ist eben auch ein Führer und Duce. Denn die Märkte, die machen uns nicht nur zu Getriebenen, sie zeigen jetzt mal wieder besonders deutlich, wie scheißegal ihnen die politischen Entwicklungen sind, solange man noch Profite herbeispekulieren kann.

Viel ist über die Verrohung der Gesellschaft zu hören und zu lesen. Rassistische Parolen seien wieder akzeptabel, Hass ein neuer Unsolidarpakt zwischen uns und denen, zwischen »die da« und »wir hier«. Man spricht wieder Tacheles, »auf gut Deutsch gesagt«, »das wird man doch noch sagen dürfen«. Keine falsche Korrektheiten mehr, keine Bedachtsamkeit, es sprudelt die Wut nur so aus den Bürgern und wir verschlampen moralisch, als Rechts- und Sozialstaat. Da fällt die Sprache des Parketts natürlich nicht mehr als die Quelle dieser Verkommenheit auf. Gegenüber einem Abendlandser, der Parolen skandiert, wirkt die Meldung, dass der Terror die Börse nicht erreiche, fast schon beruhigend. Aber das ist sie eigentlich gar nicht. Dieser Duktus, der von menschlichen Tragödien und Schicksalen nichts weiß, der gekonnt die menschliche Komponente verschleiert, indem er menschliche Arbeitskraft zu einem Index und Aktienkurs verwurstet, ist tatsächlich der Sockel, auf dem Teile unserer Gesellschaft heute ihr braunes Haus errichten.

Mit der Gleichgültigkeit von menschlichen Werdegängen fing es ja an. Kursen stiegen, als Angestelle - Menschen! - ihren Job verloren und so Unternehmen wettbewerbsfähiger wurden. Sie blieben stabil, als Arbeitsmarkt- und Sozialreformen Arbeitnehmer und Kranke - Menschen! - unter Druck setzten. Die Börse zeigte sich positiv beeindruckt, wenn Firmen die Arbeitskraft - Menschen! - outsourcten und verbilligten. Anteilnahme war fürwahr nie zu erwarten. Man verklausulierte aber die Urgründe und entmenschlichte all das, was auf dem Aktienmarkt so geschah. Als ob es da keine Menschen gäbe, die davon betroffen wären; als ob der Markt ein von menschlichen Wesen steril gehaltenes Biotop sei, dem man sich unterordnen muss, wie einem Gewitter oder einem Erdbeben.

Die nüchternen Kommentare, die nach Terroranschlägen mit erleichterter Miene Entwarnung geben, das ist die Metaebene, die den Hass in die Gesellschaft trug. Dieselbe menschenverachtende - im wahrsten Sinne des Wortes - Ausdrucksweise, die menschliche Sorgen und Nöte an sich und gesellschaftliche Entwicklungen in Gänze ignorierte, hat uns über die Jahre verroht und radikalisiert, uns zu Einzelkämpfern mit traurigen Einzelschicksalen werden lassen. Die Auswirkungen des Hasses, seien es Terrorakte oder hassverzerrte Fratzen vor Asylbewerberunterkünften, nehmen ihren Anfang an der Börse und an ihrer Resistenz gegenüber politischen Entwicklungen und den Auswirkungen für die Bürger. Sie ist ein Totalitarismus der Scheißegal-Mentalität, denn es zählt ja nur der stabile Kurs und die Dividende. Ob die im kontinentalen Terror oder im Wohlstand für alle entstehen, ist dabei - nett formuliert - nur nebensächlich.

Wer am Abend eines solchen Anschlages die Börse heranzieht, um Normalität zu suggerieren, der holt die menschenverachtende Ausdrucksweise eines Zeitgeistes ans Mikrofon, die uns erst dorthin verfrachtete. Eben ganz genau wie eine Fracht. Denn mehr sind wir aus Sicht der Börse alle nicht. Wer an einem solchen Tag durchatmet, weil das, was wir »die Märkte« nennen, sich wieder mal einen Dreck um menschliche Tragödien kümmerte, der hat noch immer nicht verstanden, dass diese Märkte die antreiberischen Kräfte einer globalen Fehlentwicklung sind, die uns in Spaltung und gegenseitigen Hass stürzen. Die unbeeindruckte Börse ist kein moralischer Gradmesser, um unsere Art zu leben zu rechtfertigen, sie ist der Ausdruck einer Lebensart, die keine Rücksicht nimmt auf Menschenleben. Sie ist ein Terrorismus der börsennotierten Nichtbeachtung.

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... wenn man trotzdem lacht

Montag, 11. April 2016

»Ich finde auch in Deutschland können Reiche und Arme, wenn es denn sein muss, gut zusammen arbeiten. Sieht man bei der AfD, Rassismus als gemeinsamer Nenner.«
- Abdelkarim Zemhoute in  »Die Anstalt« -

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Gespräche mit einem Mann von gestern

Samstag, 9. April 2016

Wir sprechen seit mittlerweile vielen Jahren über beinahe alle politischen Themen. Es hat sich daraus eine Freundschaft entwickelt. Keine Meinung schätze ich so hoch, wie die seine, wie die dieses Mannes, den ich hier namenlos belasse. Was mir stets imponierte ist seine Gabe, die Dinge abzuwägen, Urteile anhand von Fakten zu fällen. Er vertritt linke Positionen, ist aber keiner dieser Spinner, die hartnäckig auf Linientreue pochen würden. Ihm sind schließlich das Leben und die Menschen bekannt. Weil er dergestalt einschätzt, weil er die Sachlage und die conditio humana im Auge und im Sinn behält, habe ich ihn immer als einen Jünger einer Vernunft kennengelernt, die sich nicht in weltfremder Orthodoxie verbucht. Sein Wort war mir nicht heilig oder so, aber ich rief es mir ab, wenn ich die politische Situation unerträglich fand. Meistens traf er den Nagel ja dort, wo man ihn treffen sollte, wenn man ihn in der Wand versenken wollte. Aber in letzter Zeit scheint es mir, als haue er öfter daneben. Nicht weil er etwa unfähig geworden wäre, nicht weil seine Dialektik versagte: Ich glaube ernstlich, die Welt ist mittlerweile eine andere.

Provokant gesagt: Er ist ein Mann von gestern in einer Welt, die sich massiv verändert hat und noch dabei ist, sich noch dramatischer zu wandeln. Denn er geht von Mechanismen aus, die früher halbwegs griffen, sich an rationalen Mustern orientierten. Das scheint aber ein globales Auslaufmuster zu sein, ein regelrechter Anachronismus. Wo er noch mit der Vernunft haushält, da haben sich die politischen Figuren und Abläufe schon lange mehr oder weniger davon verabschiedet, mit dem Verstand arbeiten zu wollen.

Vor bald zwei Jahren fing »sein Stern zu sinken« an, formte sich sein »Niedergang« heraus. Damals ging es um die Ukraine und Putin. Alles lief auf Konfrontation, auf erweitertes Säbelgerassel hinaus und wir besprachen die Lage. Er antwortete: Der Westen pflegt nur Maulheldentum, niemand greift die Russen wirklich an. So unvernünftig sind nicht mal Merkel und Kollegen. Sagten sie vor Napoleon und Hitler auch immer, kokettierte ich. Nun gut, er behielt in der Weise recht, dass sie keinen heißen Krieg anbahnten. Aber kalt ist er weiterhin. Rational führen sie sich gleichwohl nicht auf. Sie legen es wider aller Ratio auch weiterhin darauf an.

Ende des letzten Jahres ging es um Trump. Ich sagte, er mache vielleicht das Rennen. Niemals, antwortete mein Freund. So dumm seien die Republikaner dann doch nicht. Er argumentierte mit Wahlkampftaktik und wandte die Logik denkender Menschen an. Einer der Latinos, Schwarze, Frauen, Moslems und Schwule angreift, könne niemals eine Nominierung erhalten. Das wäre taktischer Selbstmord. Wer soll ihn denn wählen? Das leuchtete mir ein. Wie es hingegen kommt, lesen wir jetzt sukzessive in den Gazetten. Von wahltaktischer Vernunft ist da keine Rede mehr.

Bei der AfD schätzt er es ähnlich ein. Bis zur nächsten Bundestagswahl sei die keine große Nummer mehr. Jetzt müsse sie nämlich liefern in den Ländern. Und da setzt es dann wohl aus. Diese Einschätzung mag zwar nicht bestechend sein, aber ihr wohnt eine Nüchternheit inne, die einen gesunden Realismus verrät. Logisch und vernünftig betrachtet trifft es zu. Aber was, wenn der Geist der Zeit nicht mehr analytisch ist? Wenn er nicht mehr sachlich tickt, sondern sich dem irrationalen Wutbürgertum, der Vernunftsentfremdung und der emotionellen Kurzschlußreaktion verschrieben hat?

Und dass es so ist, liegt auf der Hand. Konklusion auf Grundlage von Beobachtung und Empirie sind nicht nur out, sondern gelten mittlerweile als Ausdruck eines antiquierten Bewusstseins. Wer so argumentiert und erklärt, entstammt einer vergangenen Tradition. Ist quasi gestrig, hangelt sich von Beurteilung zu Beurteilung, ohne noch Chancen auf Richtigkeit zu haben. Die Ratio ist abgemeldet, es wütet das dumpfe Gefühl einer Ära, die nicht mehr denken will, sondern handelt, ohne es vorher mit dem Gehirn versucht zu haben.

Mein anachronistischer, weil vernünftiger Freund kommt aus Gestern. Wir alle kommen von dort, sofern wir dieses Ding in der Schädelhöhle weiterhin für Vernunftsübungen beanspruchen wollen. Falls nicht: Willkommen im Heute, wo alte Regeln des politischen Abwägens nichts mehr gelten. Ich telefoniere aber gerne mit dem Mann von gestern. Für mich ist er auch morgen noch jemand, der eigentlich recht hätte, wenn heute nicht all diejenigen dominieren würden, die unrecht haben. Lass uns bald mal wieder der Logik frönen, ich rufe dich an.

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Parabel von zwei toten Außenministern und wie sie ihr Amt sahen

Freitag, 8. April 2016

Innerhalb von zwei Wochen verstarben zwei ehemalige deutsche Außenminister, die ihre politische Heimat in der FDP hatten. Dieser Zufall lässt einen Vergleich zu, der den Wandel des politischen Amts von Verantwortungsbereitschaft hin zum plumpen Karrierismus skizziert.

Im Leben gibt es häufig merkwürdige Entwicklungen, kuriose Koinzidenzen, die wie von einem unsichtbaren Drehbuchautor erdacht scheinen. Und nicht nur im Leben ist das zuweilen so, sondern gelegentlich fallen auch Sterbedaten so zusammen, dass sie wie ein Wink wirken. Ein solcher Zufall ereignete sich jetzt im März, als die zwei ehemaligen Außenminister Westerwelle und Genscher, die überdies alle beide ihren politischen Werdegang bei den Liberalen verorteten, verstorben sind. Der eine ging jung, der andere starb in einem Alter, in dem Sterben kein Überraschungsmoment mehr sein dürfte. Zwei Generationen von FDP-Politikern gerieten so noch einmal kurzzeitig in den Fokus der Öffentlichkeit; zwei Generationen politischer Verantwortungsträger ehrte man mit Biopics und Nachrufen. Der Unterschied zwischen den beiden medialen Andenken war so augenfällig, dass man damit dokumentieren könnte, welche Entwicklung das politische Amt genommen hat. Der Tod der beiden arbeitet fast wie ein Gleichnis auf den Niedergang jenes Berufs hin, der eigentlich im Dienst der Allgemeinheit steht. So wird der Zufall der zeitnahen Tode zu einer Parabel über Amt und wie man es ausfüllt.

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Es gibt keine Alternative, Herr Gabriel!

Mittwoch, 6. April 2016

Die Analyse nach den Landtagswahlen, die AfDer-Show-Party gewissermaßen, gebar doch eine Überraschung: Denn sie traf weitestgehend ins Schwarze. Man hatte die Sozialdemokratie der letzten Jahre und Jahrzehnte als Verursacher dieses Resultates der Urnengänge benannt. Sozialdemokraten mahnten und selbst von Seiten der Union wurde attestiert, dass die völlige Anpassung der Sozialdemokraten an die neoliberale Agenda ein wesentlicher Faktor ist, weswegen die Menschen sich jetzt eine Alternative dort suchten, wo es überhaupt keine Alternative geben kann: Bei denen, die in einer gestrigen Welt leben und somit keinen Plan haben, wie man die heutige Welt regulieren könnte.

Ja, selbst der große Vorsitzende Gabriel tirilierte zögerlich was über Spaltung im Lande und badete seine eigene Stimme in Überzeugung. Am Wahlabend wohlgemerkt. Danach legte er sich in die Kissen und schlief eine Nacht drüber und als er wieder erwachte, da war alle Verzagtheit wie fortgeblasen, denn im Traum war ihm eine Erkenntnis erschienen: An ihm und an seiner Partei könne es nicht liegen. Er wolle daher auf Kurs bleiben und überhaupt, das Freihandelsabkommen werde auch die Sozialdemokratie wieder fest in den Sattel schnüren.

Jede Privatperson, die sich so offenbar und bewusst und mit einer verstörenden Wonne Selbstschaden zufügte, die sich masochistisch bis aufs Blut ritzte und kokett auf dem Geländer eines Balkons balancierte, würde man zwangseinweisen. Die Sozialdemokraten laufen aber immer noch frei herum und erzählen aller Welt, dass sie richtig damit liegen, sich nachhaltig zu schaden, sich auch weiterhin grobe Schäden zuzufügen. Vielleicht gebiert ein Leben im Masochismus eben einen alternativlosen Blick auf alles, sodass man sich gar nicht mehr denken kann, wie es ist, auch mal ohne zu leben, wie es ist, statt zu verwelken ein bisschen aufzublühen. Und falls doch Stimmen laut werden, die künden, dass die Sozis nun endlich wieder das sein sollten, was sie mal waren, dann hortet Schmerzengel Gabriel seine Entourage um sich, die einhellig im Chor tönt: Wir machen weiter so! Wir liegen richtig! Wir sind auf einem guten Kurs! Selbstverleugnung war noch immer der erste Schritt zur Verschlimmbesserung.

Es gibt aber eine Alternative - und die ist alternativlos. Ein Rücktritt. Nämlich der von diesem Parteivorsitzenden. Fürs erste wäre das TINA. Dass der AfDer mehr und mehr an Deutungshoheit erlangt, ist das Produkt einer Partei, die einst angetreten war, um als Alternative gegen das Establishment, gegen Konservatismus und Ungleichheit zu agieren, und die diesen Anspruch im Laufe der Jahre, speziell der letzten Jahre, völlig in Rauch hat aufgehen lassen. Wenn die Sozialdemokratie keine Alternative mehr sein will, erzeugt die gesellschaftliche Dynamik andere Alternativen. Die können entweder adrett wie die Linkspartei aussehen oder aber etwas Koprophages wie diese neue Alternative an sich haben. Jedenfalls ist die Unterlassung der Sozialdemokratie immer auch mit Surrogaten als Ventil verbunden, aus denen dann der Wind abgelassen wird. Luft entweicht dann dort wie aus dem After - und den schreibt man neuerdings mit großem D in der Mitte.

Wie auf der Plakette am Heck von Autos, die in Deutschland gemeldet sind und denen man nachsieht. Und so ein Nachsehen hat nicht nur Gabriels Partei, sondern die gesamte Gesellschaft, wenn er nicht endlich davonfährt. Sodann sollten die Sozialdemokraten aufhören, den Namen ihres Chefs etymologisch zu verklären und Gavri-El übersetzt als »Mein/Unser Held und Gott« wahrzunehmen. Klar, wenn man ihn reden hört über Freihandel und Waffenlieferungen, dann klatscht man sich die Hand an die Stirn und sagt »Mein Gott, ist das ein Held!«, aber man sollte das nicht ganz so wörtlich nehmen.

Kurz und gut, die Analysen waren da und noch immer beurteilen Kommentatoren den Aufstieg der Menschenfischer und Petryjünger als ein Produkt sozialdemokratischen Versagens. Keines kurzfristigen, sondern eines strukturellen Versagens, das eine ganze Generation von Bürgern exkludiert, pathologisiert und teils sogar kriminalisiert (Stichwort: »Parasiten und Sozialschmarotzer«) hat. Man weiß also durchaus, woher das alles kommt, wo ein Vakuum entstand, in das die Rechten sich einnisten konnten. Und wenn man etwas weiß, sollte man handeln. Wieso zieht man eigentlich nicht nochmal den spiritus rector von einst heran, als man Agenda 2010 als New Labour verkaufte und macht sich jetzt einen Linken zum Parteivorsitzenden?

Nach den Landtagswahlen wusste man woher es kam und es wurde angesprochen. Denn »alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist«, wie es AfD-Mitglied Joachim Paul gerne und oft so vortrefflich formulierte. Oder sagen wir wahrheitsgetreuer: Wie er es zu manchen Anlässen zitierte. Denn der Spruch stammt von Lassalle, von einem Vorgänger Gabriels gewissermaßen. Wenn man weiß, woran es liegt, sollte man die politische Kleingeisterei beenden und den obersten Kleingeist und seine Agenda vor die Türe setzen. Sage am Ende keiner mehr, man habe die Gefahr zwar gesehen, wusste aber nicht, wie man ihr begegnen sollte. Doch, das wusste man. Für alle, die in zwanzig Jahren noch Internet-Fragmente sichten, um die Stimmungslage von dazumal zu verstehen: Wir wussten es. Die Sozis wussten es. Alleine ihnen fehlte die Unbequemlichkeit, sich zu verändern. Es gab Alternativen zur Alternative.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 5. April 2016

»Sich fügen heißt lügen.«

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Zur Verstärkung des Lügenpressenmythos

Montag, 4. April 2016

Über dem schmalen Grat im Gespräch mit der AfD.

Es ist gut, wenn man die Positionen der ‪‎AfD‬ und von ‪Frauke Petry‬ durchleuchtet und auch als Interviewer kritisch von Angesicht zu Angesicht bleibt, sie löchert und nicht mit hohlen Phrasen davonkommen lässt. Ein englischer Fernsehjournalist namens Tim Sebastian wurde unlängst für sein Interview mit der Alternativvorsitzenden gelobt. So führe man Interviews richtig, hieß es von vielen Seiten. Davon könnten sich deutsche Journalisten eine dicke Scheibe abschneiden. Endlich mal einer, der keine Hofberichterstattung mache. Doch das Lob ist viel zu positiv, Sebastian hat kein Paradestück an Journalismus, er hat journalistischen Kolorismus betrieben.

Koloristische Gemälde schimmern munter in reichlichen Farben. Alles ist bunt und den Meistern dieser Schule gelang es, die Reichhaltigkeit der Töne zu einem Blickfang werden zu lassen. Doch die Dominanz der Farbe unterband oft die zeichnerische Detailiertheit, erdrückte feine Konturen und zersetzte das Licht- und Schattenspiel. Aus der Ferne generiert ein solches Werk seine Faszination, je näher man rückt, desto ungenauer werden die Schemen, desto mehr wirkt es, wie ein unkontrollierter Anklatsch von Farbklecksen verschiedener Formen und Farben. In etwa so hat Sebastian journalistisch gearbeitet. Mit einigem Abstand kann man seine Gesprächsführung sicherlich meisterhaft finden. Je näher man die Sache aber betrachtet, desto deutlicher wird dabei, dass er die andere Seite jener Medaille ist, in der »Haus- und Hofberichterstatter« eingestanzt ist.

Nein, das war nur bedingt eine Sternstunde des Journalismus. Auch wenn man dies jetzt allerorten so kommentiert. Denn es wurde viel zu plakativ geführt, gab keinen Raum zur Entfaltung des Gefragten und trotzte der Interviewten nichts an Inhalten ab, was ohne lautmalerische Vorfärbung des Interviewers nicht ohnehin schon klar gewesen wäre. Bei jeder Antwort hatte man das Gefühl, dass der Fragesteller nachrief: »Aha, jetzt habe ich Sie aber, Sie schlimmer Finger!« Es klang anklägerisch und zuweilen auf Statement-Fang versteift. Sebastian wirkte wie ein Stichwortgeber, der an die Macht der Selbstentblößung einer solchen Gesprächspartnerin nicht glaubte. Lieber setzte er nach, unterstrich ihre Aussagen sensationsträchtig, rhetorisierte sich zu einem Gesprächspartner, der gar kein Gespräch wollte, sondern lieber einen Dialog monologisierte. Statt dass er Lockvogel war, der Sentenzen ohne die Zurschaustellung seiner eigenen politischen Haltung, aus dem Gegenüber herauskitzelte, versuchte er ein Glöckchen für die pawlowsche Hündin zu sein. Und wenn sie nicht gleich speichelte und kläffte, klingelte er etwas wilder und rief dazu, sie soll doch endlich parieren.

Natürlich, Journalismus muss auf den Zahn fühlen, darf aber nicht vorsagen oder den Gefragten gar in eine Rolle zwängen, die man für ihn auserkoren hat. Er muss ergebnisoffen ans Werk gehen, ganz besonders auch dann, wenn er ein eigentliches Bauchgefühl zum Ausgang eines Gesprächs schon verinnerlicht hat, wenn er sich also vornimmt, mit seinen Fragen den Gegenüber zu entkleiden. Dann reißt man nicht an den Klamotten wie irre, sondern bringt den Gesprächspartner Schritt für Schritt behutsam dazu, dass er selbst ablegt. Wie Frost bei Nixon einst. So entlarvt man am ehesten und am nachhaltigsten. Ein Journalist, der allzu plump herangeht, um Statements zu erhaschen, die sensationell oder empörend sein sollen, der macht sich der »Aufforderung zum Statement« schuldig und die macht wie eine geharnischte Aufforderung zur Straftat jedes spätere Gerichtsverfahren zunichte. Offenbarungen mit der moralischen Brechstange sind nur bedingt glaubhaft. Man sollte dergleichen sprudeln lassen. Aber Sebastian verhinderte eine solche Quelle.

Nur weil er jemanden selbstgefällig interviewte, den man als Mensch von Vernunft nicht leiden kann, ist seine Herangehensweise nicht gleich vorbildlich. Wenn man glaubt, dass man die AfD auf diese Weise für die Typen, die sie wählen, unglaubhaft macht, dann täuscht man sich. So treibt man denen eher mehr Leute zu, weil es bei solchen Interviews ganz leicht so aussieht, als ob da jemand in die Falle gelockt werden soll. Auf diese Art nährt man den Mythos von der Lügenpresse, die angeblich von den Besatzungsmächten gleichgeschaltet wurden, um das Aufbegehren des deutschen Volkes zu vereiteln. Vielleicht ist der Umgang mit dieser Partei momentan das größte metajournalistische Problem. Man kann sie ausladen und mundtot machen und unterstützt sie so als Opfer, macht aus ihr die unterdrückte Stimme des Widerstandes. Oder man spricht mit ihr wie gehabt mit moralischem Zeigefinger und zelotischem Anspruch und muss sich völlig berechtigt der Parteilichkeit bezichtigen lassen.

Man sollte sie reden lassen, sie ganz normal und entspannt befragen, durchaus auch konfrontativ, aber die Fallen darin so einbauen, dass diese Leute auch zu sprechen beginnen. Sie müssen eingelullt sein durch die Normalität, die der Medienbetrieb ihnen gegenüber an den Tag legt. So schafft man Räume, in denen sie sich entblöden, dämliche Sätze abzusondern. Und wenn sie sie gesagt haben, dann sollte der Interviewer keine Finger in die Wunde stecken, einfach wirken lassen, vielleicht mit einer kleinen rhetorischen Pause. Sokratisch werden. Dazu braucht man aber richtig gutes Personal, richtig gute Journalisten. Willemsen ist ja nun nicht mehr. Der hätte gewusst, wie er es herauskitzelt. Demütig und so, dass der Gesprächspartner im Mittelpunkt steht - und nicht der Startalker.

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Im Wartebereich

Freitag, 1. April 2016

Aber ich war zuerst da, mokierte sie. Sie kam nochmal an die Aufnahme zurück und beschwerte sich, weil andere früher als sie in den Behandlungsbereich gerufen wurden. Andere, die viel später kamen. Die Erklärung, dass diese Leute auf andere Fachärzte warteten, nicht wie sie, auf den Internisten, kümmerte sie herzlich gar nicht. Der Internist sei nämlich gerade sehr beschäftigt, eben seien zwei Rettungswagen angekommen mit ziemlich dringlichen Notfällen hinten drin. »Bin ich etwa kein Notfall?«, erwiderte sie. Bestimmt, antwortete ihr der haarige Typ hinterm Tresen, aber die eintreffenden Notfälle seien jetzt brisanter und schließlich gäbe es auch nur begrenzte Mittel an Personal. Sie zog wieder ab, schimpfte über die Zustände und würde in etwa zwanzig Minuten erneut auf der Matte stehen, als ob das den Ablauf auch nur im Ansatz beschleunigen könnte.

Der Wartebereich war überfüllt, alle möglichen Leute hockten hier, um sich entweder Schmerzen, Beschwerden oder Zipperlein begutachten zu lassen. Manche kamen auch mit Grippe, gehörten eigentlich zu einem Hausarzt, aber verstopften den Betrieb der Notaufnahme und beklagten sehr, dass sie so lange warten mussten und der Alte mit dem Blasenkatheder früher hereingeholt wurde, obgleich er viel später eintraf. Man sagte ihm, der brauche einen Urologen, er jedoch einen Internisten. Alle belauerten sich, man protzte still mit seinem Leid; ein Wettkampf, wer am kränksten ist, entbrannte unmerklich. Wirklich Kranke und kaum Lädierte maßen sich. Und wer konnte, der ließ seine Angehörigen ausschwärmen, um Druck zu machen, die Aufnahme anzuspornen, jetzt endlich in die Gänge zu kommen, den Arzt vom tatsächlichen Notfall, der älteren Dame mit dem Schlaganfall, wegzuholen, um sich endlich des Kopfschmerzes des leidenden Ehemanns, Kindes oder Elternteiles anzunehmen.

Schon bei der Anmeldung wollten sie wissen, ob sie lange zu warten hätten. Ja, antwortete man, das sei eine Notaufnahme, außerdem sei gerade Stoßzeit, wenn Sie hinter sich blicken, sehen Sie ja, wie die Ambulanzen hier hereindrücken. Manche nickten. Andere sagten nichts. Verständnis kam in einem von zwölf Fällen auf. Grundsätzlich war es den Leuten aber egal, sie sahen durch die Glasscheibe teilweise zu, wie ein Rettungsteam einen offenen Schädel hereinkarrte, bestanden aber darauf, in der Reihe zu bleiben, in der Hierarchie des chronologischen Aufrufens nicht nach hinten gesetzt zu werden. Ein Hierarchie, die es gar nicht gab, die aber in den Köpfen der sich gegenseitig beäugenden Patienten wie eine auf Naturgesetze basierte Weltordnung vorherrschte. Wenn dann ein verstauchter Knöchel nicht das medizinische Personal in Ehrfurcht verfallen ließ und nicht spornstreichs Himmel und Hölle und das dazwischen in Bewegung gesetzt wurde, um die Beschwerden postwendend zu lindern, weil man eben gerade mit anderen, teils brisanteren Notfällen zu tun hatte, variierte die Spannbreite der Reaktionen zwischen Enttäuschung und Pampigkeit. Manchmal war es eine Mischung aus beidem.

Der Wartebereich war keine Zone, in der kranke Menschen sich darauf verständigten krank zu sein und den Wettbewerb bis auf weiteres einzustellen, man einigte sich dort nicht darauf, jetzt in einer Notsituation zu stecken, aus der man das Beste machen musste. Es war die Zone von Konkurrenten und Rivalen. Arbeitsunfall gegen Bruch, Bauchschmerzen wider die bösen Blicke von Leuten, die ihr Areal zu verteidigen schienen. Jeder war sich dort selbst der Nächste. Soll doch ein anderer leiden, daran kaputtgehen, solange ich nur schnell und effizient behandelt werde. Dass ich früh genug zurück bin, um noch gerade rechtzeitig zur Soap zurück zu sein, ist allemal wichtiger, als der Vorzug einer Person, die richtige gesundheitliche Probleme an der Grenze zum dauerhaften Schaden hat.

Wenn es allen schlechter geht, so ein häufiger Einwand, dann würde endlich etwas politisch geschehen. Denn Massenelend bedeute ja auch Massenmobilisierung. Falls eine große Gruppe Not litte, dann geschähe ein allgemeiner Ruck. So hört man das nicht selten unter Trinkbrüdern. Es ist aber nur ein resignativer Fatalismus, der Entbehrung zu einem Antrieb besserer Verhältnisse verklärt. Ein Blick in jene Notaufnahme, in jede Notaufnahme zeigt vermutlich ganz gut, dass jeder für sich und nur für sich selbst leidet. So gibt es kein Einfühlen, keine Solidarisierung. Leid und Schmerz, Armut und Not führen zu Vereinzelung und zum Fortbestand des Elends. Überall dort wo es den Menschen schlecht geht, reift nicht zwangsläufig etwas Gutes heran. Manchmal ist das Schlechtergehen eben nur exakt das und nicht mehr. Bei Bauchschmerzen denkt man in erster Linie daran, wie die eigenen Bauchschmerzen vergehen können und nicht, wie der Bauchschmerz der Menschheit eingestellt werden könnte. Entbehrung ist kein Antrieb; Entbehrung ist der begünstigende Faktor des Egoismus.

Wenn man wie Bukowski aus dem Rinnstein säuft, dann will man sich zunächst aus der Gosse befördern. Und so sind seine Geschichten immer auch Geschichten von ganz unten, in denen es an Solidarität fehlt und jeder versucht, sein Glück alleine am Schopf zu packen. Und wenn die Verstorbenen in Fernsehserien nicht erstarren wollen, wenn die Toten walken, um sich an den Lebenden zu weiden, dann will man selbst überleben, wird zur exklusiven Gruppe und bestimmt kein besserer und hilfsbereiter Menschenschlag. Sitzt man in der Notaufnahme, so will man eilig kuriert werden. Jeder für sich. Not macht sprichwörtlich erfinderisch - aber auch einsam.

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