Zur Verstärkung des Lügenpressenmythos

Montag, 4. April 2016

Über dem schmalen Grat im Gespräch mit der AfD.

Es ist gut, wenn man die Positionen der ‪‎AfD‬ und von ‪Frauke Petry‬ durchleuchtet und auch als Interviewer kritisch von Angesicht zu Angesicht bleibt, sie löchert und nicht mit hohlen Phrasen davonkommen lässt. Ein englischer Fernsehjournalist namens Tim Sebastian wurde unlängst für sein Interview mit der Alternativvorsitzenden gelobt. So führe man Interviews richtig, hieß es von vielen Seiten. Davon könnten sich deutsche Journalisten eine dicke Scheibe abschneiden. Endlich mal einer, der keine Hofberichterstattung mache. Doch das Lob ist viel zu positiv, Sebastian hat kein Paradestück an Journalismus, er hat journalistischen Kolorismus betrieben.

Koloristische Gemälde schimmern munter in reichlichen Farben. Alles ist bunt und den Meistern dieser Schule gelang es, die Reichhaltigkeit der Töne zu einem Blickfang werden zu lassen. Doch die Dominanz der Farbe unterband oft die zeichnerische Detailiertheit, erdrückte feine Konturen und zersetzte das Licht- und Schattenspiel. Aus der Ferne generiert ein solches Werk seine Faszination, je näher man rückt, desto ungenauer werden die Schemen, desto mehr wirkt es, wie ein unkontrollierter Anklatsch von Farbklecksen verschiedener Formen und Farben. In etwa so hat Sebastian journalistisch gearbeitet. Mit einigem Abstand kann man seine Gesprächsführung sicherlich meisterhaft finden. Je näher man die Sache aber betrachtet, desto deutlicher wird dabei, dass er die andere Seite jener Medaille ist, in der »Haus- und Hofberichterstatter« eingestanzt ist.

Nein, das war nur bedingt eine Sternstunde des Journalismus. Auch wenn man dies jetzt allerorten so kommentiert. Denn es wurde viel zu plakativ geführt, gab keinen Raum zur Entfaltung des Gefragten und trotzte der Interviewten nichts an Inhalten ab, was ohne lautmalerische Vorfärbung des Interviewers nicht ohnehin schon klar gewesen wäre. Bei jeder Antwort hatte man das Gefühl, dass der Fragesteller nachrief: »Aha, jetzt habe ich Sie aber, Sie schlimmer Finger!« Es klang anklägerisch und zuweilen auf Statement-Fang versteift. Sebastian wirkte wie ein Stichwortgeber, der an die Macht der Selbstentblößung einer solchen Gesprächspartnerin nicht glaubte. Lieber setzte er nach, unterstrich ihre Aussagen sensationsträchtig, rhetorisierte sich zu einem Gesprächspartner, der gar kein Gespräch wollte, sondern lieber einen Dialog monologisierte. Statt dass er Lockvogel war, der Sentenzen ohne die Zurschaustellung seiner eigenen politischen Haltung, aus dem Gegenüber herauskitzelte, versuchte er ein Glöckchen für die pawlowsche Hündin zu sein. Und wenn sie nicht gleich speichelte und kläffte, klingelte er etwas wilder und rief dazu, sie soll doch endlich parieren.

Natürlich, Journalismus muss auf den Zahn fühlen, darf aber nicht vorsagen oder den Gefragten gar in eine Rolle zwängen, die man für ihn auserkoren hat. Er muss ergebnisoffen ans Werk gehen, ganz besonders auch dann, wenn er ein eigentliches Bauchgefühl zum Ausgang eines Gesprächs schon verinnerlicht hat, wenn er sich also vornimmt, mit seinen Fragen den Gegenüber zu entkleiden. Dann reißt man nicht an den Klamotten wie irre, sondern bringt den Gesprächspartner Schritt für Schritt behutsam dazu, dass er selbst ablegt. Wie Frost bei Nixon einst. So entlarvt man am ehesten und am nachhaltigsten. Ein Journalist, der allzu plump herangeht, um Statements zu erhaschen, die sensationell oder empörend sein sollen, der macht sich der »Aufforderung zum Statement« schuldig und die macht wie eine geharnischte Aufforderung zur Straftat jedes spätere Gerichtsverfahren zunichte. Offenbarungen mit der moralischen Brechstange sind nur bedingt glaubhaft. Man sollte dergleichen sprudeln lassen. Aber Sebastian verhinderte eine solche Quelle.

Nur weil er jemanden selbstgefällig interviewte, den man als Mensch von Vernunft nicht leiden kann, ist seine Herangehensweise nicht gleich vorbildlich. Wenn man glaubt, dass man die AfD auf diese Weise für die Typen, die sie wählen, unglaubhaft macht, dann täuscht man sich. So treibt man denen eher mehr Leute zu, weil es bei solchen Interviews ganz leicht so aussieht, als ob da jemand in die Falle gelockt werden soll. Auf diese Art nährt man den Mythos von der Lügenpresse, die angeblich von den Besatzungsmächten gleichgeschaltet wurden, um das Aufbegehren des deutschen Volkes zu vereiteln. Vielleicht ist der Umgang mit dieser Partei momentan das größte metajournalistische Problem. Man kann sie ausladen und mundtot machen und unterstützt sie so als Opfer, macht aus ihr die unterdrückte Stimme des Widerstandes. Oder man spricht mit ihr wie gehabt mit moralischem Zeigefinger und zelotischem Anspruch und muss sich völlig berechtigt der Parteilichkeit bezichtigen lassen.

Man sollte sie reden lassen, sie ganz normal und entspannt befragen, durchaus auch konfrontativ, aber die Fallen darin so einbauen, dass diese Leute auch zu sprechen beginnen. Sie müssen eingelullt sein durch die Normalität, die der Medienbetrieb ihnen gegenüber an den Tag legt. So schafft man Räume, in denen sie sich entblöden, dämliche Sätze abzusondern. Und wenn sie sie gesagt haben, dann sollte der Interviewer keine Finger in die Wunde stecken, einfach wirken lassen, vielleicht mit einer kleinen rhetorischen Pause. Sokratisch werden. Dazu braucht man aber richtig gutes Personal, richtig gute Journalisten. Willemsen ist ja nun nicht mehr. Der hätte gewusst, wie er es herauskitzelt. Demütig und so, dass der Gesprächspartner im Mittelpunkt steht - und nicht der Startalker.

2 Kommentare:

Anonym 4. April 2016 um 10:03  

ANMERKER MEINT:

Lieber Roberto! Bis auf einige Ausführungen im letzten Absatz stimme ich der Analyse zu. Ich bin allerdings der Meinung, dass es nicht aufs Einlullen oder so ankommt - das wird schnell durchschaut, die Leute sind ja nicht blöd - vielmehr geht es darum, sie journalstisch korrekt an ihrem Anspruch zu messen und so die AFDVerhätlnisse zum Tanzen zu bringen. Dazu bedürfte es allerdings - journalistisch gesehen - zu einem Schritt zurück: Weg von der Attitüde der Selbstdarstellung, hin zu der, wie Du es zu Recht nennst Demutshaltung, die den jeweiligen Gesprächspartner ernst nimmt und so im Gespräch entlarvt. Dazu müssten unsere derzeitgen Selbstdarsteller allerdings nochmal in die Journalistenschule gehen (wollen). Und wenn sie nur "klassische Interviews" nachlesen, in sich aufnehmen und umsetzen würden, z.B.die von Günter Gaus oder eben Roger Willemsen.

MEINT ANMERKER

Fluchtwagenfahrer 5. April 2016 um 08:59  

Moin Roberto,
alles so richtig, ABER zu diesem Tanz gehören zwei. Der Interviewte und der Interviewer. Hier hat das Pendel nur in die andere Richtung geschlagen. Die andere Seite der Medaille.

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