Jedermänner und Niemande

Freitag, 4. März 2016

Was sehen wir hier? Ein Wahlplakat aus dem Frankfurter Kommunalwahlkampf. Oberflächlich betrachtet vollkommen richtig. Die Frage war auch nicht konkret genug. Also: Was sehen wir darauf? Eine Botschaft über bezahlbaren Wohnraum. Für alle. Für jeden erschwinglich. Und wer ist darauf zu sehen? Ein junges Paar. Beide lächeln. Vielleicht sind sie verliebt, sie halten sich ja ihre Händchen. Ranzig angezogen sind sie nicht. Sitzen auf einem schönen Parkettboden. Laptop auf dem Schoß. Die Zähne sehen gepflegt aus. Weiß glänzend. Beide haben einen ordentlichen Haarschnitt. Man ahnt, diese Menschen haben einen Arbeitsplatz, der sie finanziell ausstattet. Sie haben einen Zahnarzt, bestellen online Einrichtung und gehen regelmäßig zum Friseur. Sie haben guten Grund fröhlich zu sein. Sehen aus wie Katalogmenschen, attraktive Agendawesen, denen alles zufliegt. Warum um Himmels Willen steht dann da, dass es für jeden erschwinglich sein soll?

So sieht nicht jeder aus. So geht es nicht jedem. Wenn auf dem Plakat ein etwas speckiges Paar gesessen hätte. Vielleicht mit gelben Zähnen, falls man die überhaupt gesehen hätte, denn dieses alternative Paar hätte weniger Grund zur Fröhlichkeit mit anschließender Zahnleistenschau. Oder wenn sie ein abgewetztes Möbelstück unter ihren Ärschen hätten, wenn man kurz gesagt erkennen könnte, dass es sich um Leute handelt, die seit Jahren zu kurz kommen, weil sie nur noch jobben dürfen, keinen Arbeitsplatz finden, von dessen Gehalt sie leben könnten, dann hätte der Slogan gepasst. Wenn Wohnraum für diese Leute erschwinglich wäre, dann wäre es wirklich für jeden erschwinglich. Aber wenn er für hübsche Musterpärchen ist, dann trifft es eben nicht alle, sondern eben nur solche und noch bessere.

Stimmt, es ist nur ein Plakat. Und ein Plakat ist manchmal nur ein Plakat. Aber ich finde, da steckt mehr dahinter. »Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun [...] Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern«, sagte Peer Steinbrück vor Jahren schon. Das war Beleg dafür, wie seine Partei von einer Partei für diejenigen, die gesellschaftlich schlechter gestellt sind, zu einer elitäreren Ausrichtung fand. Nun ist das Plakat nicht von den Sozis. Aber die Konservativen hatten dieses Ansicht, die Steinbrück einst so trefflich auf den Punkt brachte, ja immer schon verinnerlicht und sie mit dem neoliberal turn noch verschärft. Das Wahlplakat ist Ausdruck dieses Denkens. Es zeigt uns lediglich, dass das die Agenda jeder politischen Betätigung in diesem Lande geworden ist. Verklärend in dem Begriff »die Mitte« bemäntelt. Sie ist der Adressat jeder Botschaft. Sie ist jeder und alle anderen sind nichts. Kommen gar nicht mehr vor.

Was sehen wir also auf dem Bild? Den Auftrag moderner Politik im neoliberalen Deutschland. Die Akzeptanz, dass es das Prekariat nicht nur nicht mehr schafft, sondern dass sie auch gar nicht mehr vorkommt. Es gehört nicht zu allen, hat keine Jedermänner in seinen Reihen, es findet in Wahlversprechungen gar nicht mehr statt, besteht nur aus einer Fülle an Niemande, für die es sich offenbar nicht mehr lohnt politisch zu streiten. Für schöne Erfolgsmenschen wird noch ein bisschen getan oder wenigstens wird das versprochen - für die ausgemergelten Schichten wird nichts getan und selbst Versprechungen erhält man keine mehr. Dieses Plakat ist das Eingeständnis der völligen Preisgabe einer egalitären Gesellschaft. Und ob es nun von der Union oder den Sozialdemokraten ist, bleibt zweitrangig. Von letzteren hat man solche Entwürfe ja auch schon gesehen.

6 Kommentare:

anko 4. März 2016 um 10:07  

Die schöne Welt der Werbung derer wir glauben und darauf reinfallen. Ich frage mich auch ob das der Grund ist warum jetzt so viele Flüchtlinge zu uns kommen? Habe sie vielleicht unsere Werbung und Filme im Internet gesehen und dadurch ein falsches Bild von uns? Sind die Übergriffe in der Silvesternacht dadurch entstanden weil die Frauen in der Werbung als sehr willig und ziemlich lüstern dargestellt werden?

Ich weiß heute um die Beeinflussung der Werbung und schalte sie weg mit allen Mitteln!

Braman 4. März 2016 um 15:21  

Menschen, die dem sog. Prekariat angehören (immerhin mindestens 25% der Bevölkerung), also Besitz- und damit Rechtlose Sklaven, zum größten Teil Nicht-Wähler, kommen doch schon seit langem in unserer schönen Glitzerwelt kaum noch vor.
Und wenn, dann als Sozialschmarotzer, Leistungsbetrüger und Arbeitsscheue und als Drohung an die 'Mittelschicht': Kuschen oder ihr seid bald wie die!
Das es die 'Mittelschicht' gar nicht gibt haben diejenigen, die sich zu ihr zählen noch nicht gemerkt oder verschließen einfach die Augen vor der Realität.
Aber Dein Hinweis ist trotzdem sehr berechtigt. Ich werd mal die derzeit in BW gezeigten Wahlplakate nach diesem Gesichtspunkt durchforsten. Interessant.

MfG: M.B.

kevin_sondermueller 4. März 2016 um 18:40  

Bezahlbarer Wohnraum für Sehrgutverdiener ist ja auch kein Problem,
halt ein wahlkampfwerbewirksames Scheinproblem.
Und für die Abgehängten SOLL sich doch keine Sau mehr interessieren
(außer man missbraucht sie mal wieder als Steilvorlage für die nächste
durchs Dorf zu treibende Sau …). Deutschland geht es gut – folglich gehört
nicht zu Deutschland, wem es schlecht geht …

Alles nur Satire 5. März 2016 um 05:51  

Diese als „Wahlwerbung“ getarnte Papier- und Pappmüll, der immer die Öffentlichkeit verschmutzt, ist im Grunde für die „Unentschlossenen“ gedacht. Die Stammwähler, die politisch anders Überzeugten, sowie die Nichtwähler lassen sich davon nicht beeindrucken.

Die abgebildeten „Jungdynamiker“ sollen, wie in jeder anderen x-beliebigen Werbung für Waschmittel, Zahncreme oder Schokoriegel ein „Zugehörigkeitsgefühl“ vermitteln.
Ein trostloses Bild eines Flaschen sammelnden Armutsrentners oder prekär Beschäftigten beim Lesen eines Liebesbriefes vom „Jobcenter“ wäre zwar der Wahrheit dienlich, aber für die Zwecke der „werbenden Parteien“ kontraproduktiv. Werbung suggeriert immer eine heile „Wohlfühlwelt“, nie die Realität.

Das muss aufrecht erhalten werden. Die Parteien könnten auch schreiben: „Wähl uns, du Opfer, oder lass das Wählen ganz bleiben. Ist uns „Wurscht“, wir gewinnen immer.“

Wenn 3 Werbeagenturen genau die gleiche Strategie und Bilder ihrem Kunden verkaufen wollen, kommt es immer darauf an, WIE die Agenturen ihre Idee anpreisen. Da sind sogar mögliche Preisunterschiede noch nicht mal so sehr Ausschlag gebend.

So ist es auch mit diesen nichtssagenden Plakaten, die Linke warb 2013 mit weißen Din A3 Plakaten, betitelt mit „Mindeslohn: 10€, Löhne rauf“ u.v.m. Die CDU warf Muttis Antlitz mit der Raute ins Gefecht. Das Ergebnis ist bekannt.

Meine persönliche Meinung, wer sich von Wahlplakaten und TV-Spots beeinflussen lässt, hat keine politische Meinung, sondern ist das o.a. „politische Opfer“.

Anonym 5. März 2016 um 09:45  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

danke für, wie immer ;-)

Übrigens, deine Texte bauen mich immer wieder auf wenn ich down bin, auch hier danke für ;-)

Interessant ist, dass in meinem Heimatnest - perse schon immer CDU - Plakate seit Wahlbeginn immer wieder am Boden liegen.

Ich dachte bisher es ist der Wind, aber es ist schon seltsam, dass dies sogar bei Windstille vorkommt *grins*

Auch eine Form von Widerstand.

Mir zu denken geben nicht nur Wahlplakate sondern auch unsere Medien, die uns, zumindest im öffentlich-rechtlichen TV, eine heile Welt vorgaukeln - im TV - die so schon lange nicht mehr in Merkel-Deutschland existiert....auch hier haben die Neoliberaliban von den USA gelernt - Als Kind dachte ich immer tolle USA - keine Arbeitslosen, Mittelschichtsfamilien (kommt einem das nicht bekannt vor) sowie starkes Militär - Tja, nicht erst seit den Wahlen in den USA weiß ich nun, um es mit Shakesphaere zu schreiben: "Es ist alles nur Trug und Schein".....

Gruß
Bernie

Elwood 5. März 2016 um 11:10  

Also ich interpretiere dieses Plakat völlig anders, nämlich als veritables Eigentor der Unionschristen. Es stellt sich hier doch die eher die Frage, weshalb es jener Partei, die seit fast zwei Jahrzehnten den Magistrat der Stadt dominiert, seit '99 in der Landesregierung das Sagen hat und über die vergangenen zehn Jahre die Richtlinien der Bundesregierung vorgibt, es für nötig erachtet, ein offenkundiges Problem zu thematisieren, welches sie selbst schon längst hätte beseitigen können. Die jungen Wohnungssuchenden, in (Vollzeit)Arbeit oder präkären Jobs, mögen sich besser Gedanken darüber machen, ob es nicht vielleicht gerade diese vorherrschende politische Konstellation der Grund für ihr Wohnungsproblem ist.

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