Die Moral unserer Zeit
Mittwoch, 2. März 2016
Kants Totenmaske; die klassische Ethik hat keine |
Über viele Jahre hinweg hat sich das, was wir der Einfachheit halber stets als »die Wirtschaft« tituliert haben, ziemlich rüde, rücksichtslos, eigennützig, selbstsüchtig, garstig, barsch und fies gegeben. Die Politik sollte als Kapo und Erfüllungsgehilfe im Parlament maßgeschneiderte Reformen und den Sozialabbau betreuen und so die internationale Wettbewerbsfähigkeit garantieren und sicherstellen. In letzter Zeit vernimmt man jedoch menschelnde und vernünftig klingende Töne aus »der Wirtschaft«. Etwas, das wir Moral aussieht, wie Sitte und Anstand. Doch das darf man jetzt nicht falsch verstehen.
Nun hat der sächsische Teil der Wirtschaft etwas Angst vor den Reaktionen. Der Standort sei nach solchen Aktionen wie in Clausnitz in Gefahr. Deshalb soll Wirtschaftsvertretern zufolge die Politik »wirksam« dieser Entwicklung entgegentreten. Vor Monaten schon stellten die Vertreter der deutschen Wirtschaft fest, dass Flüchtlinge eine große Chance seien. Man könne sich den Menschen, die hier Zuflucht suchten, nicht einfach in den Weg stellen. Und als man Russland sanktionierte und alle deutsche Welt in Kriegsgeheul ausbrach, da waren es Konzerne, die dringlich davon abrieten und zu Friedensstiftern wurden.
Die Debatten um Flüchtlinge und »deutsche Platzhaltertypen«, die Bürgerkriegsverängstigten und Traumatisierten eine herzliche Unwillkommensunkultur bereiten, sind die reinste PR-Kampagne für eine ansonsten eher weniger als human bekannte Gesellschaftszone geworden. Plötzlich klingen Wirtschaftsverbände und Arbeitgebervertreter wie Sonderbotschafter der Vereinten Nationen oder Aktivisten von Amnesty International. Jedenfalls aber wie Agenten der Maßhaltung und der Vernunft. So weit haben wir es tatsächlich gebracht, dass wir »die Wirtschaft« als fast letzte Zuflucht der Besinnung und Klarsicht einordnen müssen. Neben Mob, Vollidioten, Rechtsverrückten sieht man ohne viel Zutun halt schnell mal wie jemand aus, dem der Mensch über alles geht.
Natürlich reden wir hier aber von jener Wirtschaft, die seit Jahren predigt, den Menschen nicht zu kurz kommen zu lassen, wenn es um Einsparungen und um die Ökonomisierung aller Lebensbereiche geht. Der Mensch soll nur als Arbeitskraft, Arbeitnehmer, Angestellter, als Humankapital halt, in den gesamtgesellschaftlichen Prozessen angesehen werden. Rechnet er sich, so ist er Mensch, so soll er bleiben. Falls nicht, dann bitte Entlassung, ohne zu generösen Kündigungsschutz, in verlängerter Probezeit oder gleich befristet und rein ins Unparadies der sozialen Absicherung, rein ins Fallmanagement der Hartz-IV-Behörde. Gegen die Wirtschaft, so sagte Kanzler Schröder, als sein Finanzminister die Reißleine zog - gegen die Wirtschaft, werde er keine Politik machen. Das hat er dann auch nicht und stattdessen das gemacht, was »die Wirtschaft« von ihm wollte. Zu Lasten von Sozialen und Demokratie und Sozialdemokratie.
Machen wir uns bloß nichts vor. Die Wirtschaft war nie ein Tummelplatz so profaner Ideologien wie Nationalismus und Rassismus. Mit allen Richtungen hat sie Geschäfte gemacht, aber nicht, weil die Ideen dahinter so stark wären, sondern weil sie zuweilen eben Profit und Marktvorteile garantierten. Wenn es heute mehr Rendite brächte, Boote im Mittelmeer zu versenken, dann lieferte sie eben Versenker. Moral und Anstand sind nicht die Aufgabe der Wirtschaft. Das wäre eine Bestellung, die man in Vorzeiten an die Politik richtete. Heute macht auch das die Wirtschaft. Aber natürlich nicht uneigennützig. Der Pöbel soll ja die Geflüchteten nicht in Ruhe lassen, damit die zur Ruhe kommen, sondern damit keine Geschäfte in Gefahr geraten. Moral als Selbstzweck, damit der Mensch Zweck bleibt und nicht Mittel? Fehlanzeige! Moralöses gibt es zur Beibehaltung der Auftragslage. Und klar sagt man dann auch, dass man Flüchtlinge brauche - sie erlauben ja vielleicht eine Abschaffung von Mindestlohn und garantieren eine hübsche Reservearmee, mit der man Arbeitnehmer fein unter Druck halten kann. Neue Geschäfte mit alten Methoden ...
Das Dumme ist, dass wir den »moralischen Appellen« des Wirtschaftsbaronats zuhören, sie zitieren und nachbeten, sie so zur Instanz machen. Aber mit klassischer Ethik hat das alles ja nichts mehr zu tun. Nichts mit Kant, nichts mit kategorischem Imperativ. Bestenfalls ist das ein hypothetischer Imperativ, der moralische Handlung nur dann vorschreibt, wenn am Ende was bei rumkommt. Utilitarismus eben, Nutzen- und Vorteilsethik. Aber wenn »die Wirtschaft« moralisiert, dann sind wir ganz Ohr. Das zeigt nur, welche ethische Instanz wir in DAX-Konzernen und Arbeitgeberverbänden haben. Sie bedienen die Moral unserer Zeit. Und an dieser Stelle sollte uns bewusst werden, wie ökonomisch wir unser Wertesystem bereits verfallen haben lassen.
Nun hat der sächsische Teil der Wirtschaft etwas Angst vor den Reaktionen. Der Standort sei nach solchen Aktionen wie in Clausnitz in Gefahr. Deshalb soll Wirtschaftsvertretern zufolge die Politik »wirksam« dieser Entwicklung entgegentreten. Vor Monaten schon stellten die Vertreter der deutschen Wirtschaft fest, dass Flüchtlinge eine große Chance seien. Man könne sich den Menschen, die hier Zuflucht suchten, nicht einfach in den Weg stellen. Und als man Russland sanktionierte und alle deutsche Welt in Kriegsgeheul ausbrach, da waren es Konzerne, die dringlich davon abrieten und zu Friedensstiftern wurden.
Die Debatten um Flüchtlinge und »deutsche Platzhaltertypen«, die Bürgerkriegsverängstigten und Traumatisierten eine herzliche Unwillkommensunkultur bereiten, sind die reinste PR-Kampagne für eine ansonsten eher weniger als human bekannte Gesellschaftszone geworden. Plötzlich klingen Wirtschaftsverbände und Arbeitgebervertreter wie Sonderbotschafter der Vereinten Nationen oder Aktivisten von Amnesty International. Jedenfalls aber wie Agenten der Maßhaltung und der Vernunft. So weit haben wir es tatsächlich gebracht, dass wir »die Wirtschaft« als fast letzte Zuflucht der Besinnung und Klarsicht einordnen müssen. Neben Mob, Vollidioten, Rechtsverrückten sieht man ohne viel Zutun halt schnell mal wie jemand aus, dem der Mensch über alles geht.
Natürlich reden wir hier aber von jener Wirtschaft, die seit Jahren predigt, den Menschen nicht zu kurz kommen zu lassen, wenn es um Einsparungen und um die Ökonomisierung aller Lebensbereiche geht. Der Mensch soll nur als Arbeitskraft, Arbeitnehmer, Angestellter, als Humankapital halt, in den gesamtgesellschaftlichen Prozessen angesehen werden. Rechnet er sich, so ist er Mensch, so soll er bleiben. Falls nicht, dann bitte Entlassung, ohne zu generösen Kündigungsschutz, in verlängerter Probezeit oder gleich befristet und rein ins Unparadies der sozialen Absicherung, rein ins Fallmanagement der Hartz-IV-Behörde. Gegen die Wirtschaft, so sagte Kanzler Schröder, als sein Finanzminister die Reißleine zog - gegen die Wirtschaft, werde er keine Politik machen. Das hat er dann auch nicht und stattdessen das gemacht, was »die Wirtschaft« von ihm wollte. Zu Lasten von Sozialen und Demokratie und Sozialdemokratie.
Machen wir uns bloß nichts vor. Die Wirtschaft war nie ein Tummelplatz so profaner Ideologien wie Nationalismus und Rassismus. Mit allen Richtungen hat sie Geschäfte gemacht, aber nicht, weil die Ideen dahinter so stark wären, sondern weil sie zuweilen eben Profit und Marktvorteile garantierten. Wenn es heute mehr Rendite brächte, Boote im Mittelmeer zu versenken, dann lieferte sie eben Versenker. Moral und Anstand sind nicht die Aufgabe der Wirtschaft. Das wäre eine Bestellung, die man in Vorzeiten an die Politik richtete. Heute macht auch das die Wirtschaft. Aber natürlich nicht uneigennützig. Der Pöbel soll ja die Geflüchteten nicht in Ruhe lassen, damit die zur Ruhe kommen, sondern damit keine Geschäfte in Gefahr geraten. Moral als Selbstzweck, damit der Mensch Zweck bleibt und nicht Mittel? Fehlanzeige! Moralöses gibt es zur Beibehaltung der Auftragslage. Und klar sagt man dann auch, dass man Flüchtlinge brauche - sie erlauben ja vielleicht eine Abschaffung von Mindestlohn und garantieren eine hübsche Reservearmee, mit der man Arbeitnehmer fein unter Druck halten kann. Neue Geschäfte mit alten Methoden ...
Das Dumme ist, dass wir den »moralischen Appellen« des Wirtschaftsbaronats zuhören, sie zitieren und nachbeten, sie so zur Instanz machen. Aber mit klassischer Ethik hat das alles ja nichts mehr zu tun. Nichts mit Kant, nichts mit kategorischem Imperativ. Bestenfalls ist das ein hypothetischer Imperativ, der moralische Handlung nur dann vorschreibt, wenn am Ende was bei rumkommt. Utilitarismus eben, Nutzen- und Vorteilsethik. Aber wenn »die Wirtschaft« moralisiert, dann sind wir ganz Ohr. Das zeigt nur, welche ethische Instanz wir in DAX-Konzernen und Arbeitgeberverbänden haben. Sie bedienen die Moral unserer Zeit. Und an dieser Stelle sollte uns bewusst werden, wie ökonomisch wir unser Wertesystem bereits verfallen haben lassen.
5 Kommentare:
"[...]Aber wenn »die Wirtschaft« moralisiert, dann sind wir ganz Ohr. Das zeigt nur, welche ethische Instanz wir in DAX-Konzernen und Arbeitgeberverbänden haben. Sie bedienen die Moral unserer Zeit. Und an dieser Stelle sollte uns bewusst werden, wie ökonomisch wir unser Wertesystem bereits verfallen haben lassen[...]"
Volltreffer, lieber Roberto J. de Lapuente! Es war übrigens schon immer so: Ich lernte einst, als 15jähriger Penäler, dass die globale Wirtschaft Kriege verhindern hilft. Ja? Wo denn?
Damals schon wurde moralisch gelogen was die Wirtschaft angeht.
Schade, dass unser damaliger Gemeinschaftskundelehrer wohl schon längst nicht mehr lebt.
Was der wohl heute den Schülern beibringen würde? In Zeiten wo Wirtschaft, wie immer schon, Kriege anzettelt, und befördert - mit jeder pol. Ideologie, sei die noch so verkorst ins Bett steigt.
Obwohl? War das nicht auch schon immer so?
Erinnert sei an die Lkws der US-Firma Ford für die dt. Wehrmacht.
US-Rüstungsgüter für die UDSSR - im II. Weltkrieg, die den Sieg über Deutschland erst möglich gemacht haben sollen.
Wer hat denn damals daran verdient? Die Wirtschaft - nur eben in den USA, die ja weit weg vom sprichwörtlichen Schuss war, auch schon damals, und da wundert mich das Verhalten der USA im Jahr 2016 auch schon weniger - nur diesmal mit Neuem Kalten Krieg gegen Russland, und der Unterstützung von Bin Ladens Al-Kaida - mit dt. und US-Waffen - gegen den IS.
Unsere Welt war wohl schon immer verrückt in dieser Hinsicht?
Gruß
Bernie
Ich finde diese Frechheit der Lobbyverbände schon wieder geil. Das ist schon Kunst.
Sie machen sich Sorgen um den „Wirtschaftsstandort Sachsen“, die Zinsen und Dividenden.
Zuerst erlaubten deren „Paten“ Schröder/Fischer, die Verknappung von Arbeit durch die Wirtschaft, modelten den Staat komplett zum Zuhälter für die Wirtschaftsbelange um.
Dadurch verloren in Sachsen z. B. noch mehr Menschen Arbeit, wo sowieso bereits der ganze Osten, so wie NRW (da fing es in den 70ern an, als sich die Genossen von den Stahl-Arbeitgebern zum ersten Mal richtig erpressen ließen = Vorruhestand wurde es genannt und war damals sogar noch bezahlbar) weniger Arbeit anbietet, als Menschen da sind.
Die, die jetzt „Wir sind das Volk“ vor Flüchtlingsbussen schreien, haben dafür Zeit und den Hass, weil sie überwiegend im HARTZ-IV-KZ gefangen werden. Früher waren es Juden, heute Muslime und Flüchtlinge.
Weil eben jene „Arbeitgeber“ immer weniger Arbeit anbieten wollen und das auch ungestraft dürfen.
Das Beste an der Story: Die dämlichen Bürger, merken immer noch nicht, auf wen sie welchen berechtigten Zorn lenken müssten, wenn sie eine Verbesserung ihrer eigenen trostlosen Existenz herbei führen wollen.
Schreit doch mal bei Amazon in Leipzig „Wir sind das Volk“! Mal sehen, ob die sächsische Polizei euch dann immer noch alles durchgehen lässt. Die privaten Schutzstaffeln, Verzeihung: Sicherheitsdienste der Firmen sicher nicht.
»Erinnert sei an die Lkws der US-Firma Ford für die dt. Wehrmacht.«
Und an die Tatsache, das die Opel AG seit 1928 Zum General Motors-
Konzern gehörte – dieser also an jedem Opel Blitz im Einsatz gegen
die Alliierten mitverdiente. An die Verquickungen von Standard Oil
mit der IG Farben, an die Patentzahlungen von beispielweise Vickers
an Krupp (für erfolgreich eingesetzte Granatzünder) im 1. WK, an die
Lieferungen von Boehringer Ingelheim für Agent Orange-Komponenten, …
Der Gemeinschaftskundelehrer muss ein Zyniker gewesen sein. Aber gemessen
an heutigen Schulleitungen, die BW-Werbung an ihren Schulen zulassen und
oft zu begrüßen scheinen, einer im Westentaschenformat.
@kevin_sondermueller
Danke für die Ergänzungen, die mir bestens bekannt sind. Ich brachte eben nicht alle Beispiele, und denke da fällt jedem noch mehr ein - Es würde mich übrigens nicht wundern wenn es damals sogar im Pazifik-Krieg mit Japan so gewese wäre, dass US-Marines gegen US-Militärmaterial, mit jap. Besatzung, kämpfen mußten.
Ein zeitloses Phänomen wohl?
"[...]Der Gemeinschaftskundelehrer muss ein Zyniker gewesen sein. Aber gemessen
an heutigen Schulleitungen, die BW-Werbung an ihren Schulen zulassen und
oft zu begrüßen scheinen, einer im Westentaschenformat[...]"
...möglich, aber evtl. auch ein Kind seiner Zeit? Ich sollte evtl. noch erwähnen, dass ich 1985 15 Jahre alt war - eine Zeit wo die alten Verhältnisse noch galten, die da heißt Kommunismus/Sozialismus = Böse; Marktwirtschaft/Kapitalismus = Gut.
...längst vergessen...ich weiß.....dank Neoliberaliban in .de....
Gruß
Bernie
- Das Dumme ist, dass wir den »moralischen Appellen« des Wirtschaftsbaronats zuhören, sie zitieren und nachbeten, sie so zur Instanz machen.
Die normative Kraft des Faktischen, die Realität, die “wir” uns selbst erschaffen, finanzierend, um beim Thema Wirtschaft zu bleiben. “Wir” sind die MASSE, deren Verhalten bestimmt wird durch MASSEnpsychologische Phänomene. Diese lassen sich nur bedingt und auch dann nur sehr begrenzt aus der Psychologie des Subjekts ableiten. Wenn “wir” etwas anderes tun als “wir” wollen, wird dieses Andere eher gar nicht als zufällig eintreffen.
In diesem Sinn aufgeschnappt in obigen Kommentaren:
- … War das nicht auch schon immer so? …
…Bürger, merken immer noch nicht, auf wen sie welchen berechtigten Zorn lenken müssten, …
… Ein zeitloses Phänomen wohl? …
Wie sollte es anders sein als zeitlos, am Bauplan des Homo sapiens hat sich ja nichts geändert.
Die Amis auf Kurs
Grüsse
kosh
PS: Man tut was man kann und man kann was man tut.
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