Hermann, die Neger und ich

Montag, 7. September 2015

oder Warum ich sagen kann, was einem wie dem Herrmann nicht gelingt.

Letzte Woche um exakt diese Zeit schrieb ich von unseren Negern im Osten. Neger! Am selben Abend jenes Tages nannte der bayerische Innenminister in einer Talkshow einen kubanischen Schlagerstar einen »wunderbaren Neger« und erntet Zorn. Darf man dieses Wort denn gar nicht mehr gebrauchen? Das wird man doch noch mal sagen dürfen, oder nicht? Wenn man es zynisch meint, provokativ und polemisch, wenn man etwas mit diesem Unwort unterstreichen will und einen Missstand dokumentieren -  dann kann man es sagen, ja. Wer es bei Aufmärschen so genannter Patrioten gebraucht, der ist doch ganz anders zu bewerten als jemand, der damit jongliert und es als Zynismus verbraucht. Aber die politische Korrektheit und ihre Shitstormianer machen keinen Unterschied mehr. Im Namen einer besseren Welt und Gesellschaft. Doch wer nicht mehr differenzieren kann, der schafft das Gegenteil dieses Planes.

Herrmann hat es so gemeint. Zynisch. Er bezog sich auf einen Einspieler, der Minuten vorher eine lächerliche Gestalt aus dem Freitstaat Bayern zeigte, die von Negern sprach und überheblich betonte, dass sie eben von Negern sprach. Quasi als Ausdruck politischer Unkorrektheit und damit als Ausdruck von zivilem Ungehorsam, wie ihn Rechte heute verstehen. Der Mann nennt Schwarze wohl so, weil er sich vom »linken Zeitgeist« an die Wand gedrückt fühlt. Was für ein Widerstandskämpfer! Herrmann griff diese Intelligenzbestie auf und sagte den Satz, der jetzt überall zitiert wurde. Er wollte damit auf den Kollegen aus seinem Freistaat zu sprechen kommen. Provokativ und polemisch, damit dem Kerl spotten. Und ich verteidige Herrmann heute mal, obgleich ich ihn für hochgradig falsch für diese Demokratie bewerte. Er fiel oft negativ auf. Aber wenigstens doch so geschult, dass er nicht Neger zu einem Schwarzen sagen würde, ist er dann doch. Womit klar ist, dass er sagen wollte: »Horch amoi, Spezl aus meim Land, d' Nega kenna se a integriern. Da Blanco is nua so ein Beispui. Du Depp, du Pack, du oida Dreckbär.«

Nun gut, er hätte es fränkischer gesagt. Und seinen Integrationshintergedanken und seine Leitkulturansprüche muss man ja auch nicht teilen. Aber dass er da wie einer vom Ku-Klux-Klan gesprochen habe, das scheint völlig abwegig. Er selbst wollte Stellung gegen Rassismus beziehen. Das ist gründlich misslungen, was an mehreren Faktoren lag. Einerseits, weil man einem solchen Mann nicht abnimmt, dass er zynisch sprechen kann - und andererseits weil man bei seinem Zynismus jeglicher Feinsinn fehlte. Er agierte wie ein grobmotorischer Schuljunge, dem man etwaige Feinmotorik im Umgang mit so einem Thema nicht attestieren kann. Insofern konnte er sich so einen Kniff nicht leisten. Trotzdem sollte man ihm zugestehen, dass er es nicht so gemeint hat, wie man es ihm nachsagte.

Kurzer Einwurf: Ohne jetzt arrogant wirken zu wollen, habe ich in dieser Sache wohl einen anderen Leumund. Mir nimmt man ab, dass ich es zynisch meine, wenn ich Ossis als Neger oder meinen spanischen Vater als Hausneger bezeichne. Schließlich hetze ich nebenbei nicht gegen Flüchtlinge oder Moslems, weise nicht auf Ausweisung hin oder deklariere nicht die hiesige Gesellschaft als exklusive Gemeinschaft. Das verschafft mir Vorteile auf der zynischen Ebene. Herrmann hat polemisch versagt, weil er diesbezüglich ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

Dennoch bin ich bereit dazu, ihm zu glauben. Er hat es sicher so nicht gemeint, wie es diese Shitstormianer ihm jetzt anhängen wollen. Dumm gelaufen, weil er sonst auch dumm ist in seinem Auftreten. Aber einer, der die extremistische White Pride hochhält in Wort und Schrift, ist er sicherlich nicht. Und es stellt wahrscheinlich ein viel größeres Problem dar, dass diese Shitstormianer keine Differenziertheit mehr besitzen, als dass ein Innenminister verunglückt dezidiert sein will. Denn denen geht es um einen rigorosen Anspruch, nicht etwa darum, alles auf bestimmte Art und Weise sagen zu können. Sie nehmen die Nuancen aus dem Kontext und stürmen mit einer Orthodoxie los, die keinerlei Gespür mehr zulässt für Abstufungen und Schattierungen. Das ist nicht vernünftig oder dergleichen - es ist inquisitorisch und letztlich eine Tyrannei, die jede Abweichung wie Ketzerei behandelt.

Unworte sind durchaus zu gebrauchen. Richtig eingesetzt, machen sie einen Umstand nachvollziehbarer, erweitern das Spektrum einer Diskussion um Spitzen, die manchmal nötig sind. Sie grundsätzlich aus der Kommunikation zu verbannen, zeugt nicht gerade von einem Stil, den man offen nennen könnte. Ob nun jemand »Du Neger!« keift oder vom »wunderbaren Neger« spottet, den sich Ewiggestrige so gerne als Bediensteten wünschen, ist ein massiver Unterschied. Es hat wie jedes Wort einen doppelten Sinn, eine verschieden interpretierbare Auslegung. Mit Wortstürmer-Mentalität raubt man letztlich der Sprechkultur kleine Nischen, in die man seinen Alltagszynismus legen kann. Wenn Schwarze zum Beispiel weiterhin sozial ausgegrenzt werden im weißen Teil der Welt, wenn sie billig schuften sollen, dann kann man vernünftig darüber reden oder aber auf den Punkt kommen und sagen, dass sie wieder mal Feldneger sein sollen.

Oder man denkt eben an Onkel Tom, den gutmütigen Schwarzen, der nette Geschichten erzählt und sein Umfeld unterhält, nennt Blanco nach diesem Muster wie oben zitiert und persifliert damit die Haltung von Leuten, die Jérôme Boateng oder David Alaba zujubeln, aber ansonsten verächtlich von »den Negern« sprechen, weil sie den Begriff als ihr gutes Recht ansehen. Man sagt eben »wunderbarer Neger«, weil man damit zum Ausdruck bringen möchte, dass Schwarze für viele Dummköpfe durchaus legitim sind, wenn sie unterhalten und entertainen, wenn sie singen und kicken, wenn sie laufen und beim Afrikaner an der Ecke bedienen. Aber neben ihnen wohnen? Und exakt so ein Exemplar gab es im Einspieler vor Herrmanns Äußerung. Ein bayerischer Seppl, der ganz stolz war, weil er laut »Neger« in die Kamera sagen konnte und diesen Begriff freilich ganz anders meinte.

Der Historiker Sebastian Jobs meinte im Zuge dieser Debatte, dass der Begriff immer »Unterwerfung, Gewalt - und zugleich die Rechtfertigung, warum die Unterwerfung gut sei« meine. Da stimme ich völlig zu. Das tut er. Und daher kann man ihn gebrauchen, um etwas wie gesagt zu unterstreichen, in einen Kontext zu rücken. Ihn zu verschlucken, weil man es halt nicht sagt, bedeutet aber auch, diese Konnotationen zu verwischen. Dabei ist es nötig, rassistische Handlungsweisen und Denkmuster mit dem Erbe derer zu verquicken, die man einst als Neger bezeichnete. Wenn man etwas sagt, um es als unsäglich zu skizzieren, dann sollte man es richtig arrangiert auch sagen dürfen, ohne dass gleich Menschen auf den Plan treten, die keinerlei Gespür für solche Zynismen besitzen. Das alles heißt aber letztlich natürlich nicht, dass Herrmann ein guter Streiter in dieser Angelegenheit ist. War er nie. Herrenmensch war er immer. Das gehört zur Lebensart bayerischer Politiker. Aber in dieser einen Sache muss man ihm nichts andichten. Er wollte zynisch sein und ist wohl gescheitert. Mehr aber auch nicht.

3 Kommentare:

POC 7. September 2015 um 07:36  

Völlig verblüfft frage ich mich immer wieder, warum Leute wie Du in Roberto Blanko nicht einfach einen deutschen Entertainer sehen und stattdessen sprachlichen Wert auf eine äußere Differenz legen. Was ist an der Hautfarbe eines Menschen denn so bedeutend, dass sie in der zwischenmenschlichen Kommunikation eine dermassen wichtige Rolle spielt, dass der weiße Herrenmensch nicht einfach darauf verzichten kann?

Es geht doch dabei auch um das WIR und das IHR. Mit diesem Wort wird doch nur das Abweichende, das Anderssein hervorgehoben. Warum? Erschließt sich mir nicht.

Und welche Qualen, inneren Zerwürfnisse, sind denn damit verbunden, auf das N-Wort zu verzichten? Ist das denn so schwer? Ich kenne in meinem persönlichen Umfeld nur Dumfbratzen und Linke, die aus Trotz oder als Provokation dieses Wort benutzen.

Lutz Hausstein 7. September 2015 um 12:10  

Absolut richtig, was Du geschrieben hast, Roberto. Ich hatte auch schon überlegt, mich zu diesem Thema mal zu äußern, habe dann aber davon abgesehen, weil ich einfach keine Zeit und Lust hatte, den absehbaren Shitstorm anschließend Millimeter für Millimeter zu dekonstruieren.

Viele Begriffe unterliegen im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel. Einer der bekanntesten davon ist der Begriff "Neger". Entscheidend ist aber, in welchem Kontext man diesen Begriff verwendet, mit welcher eigenen Bewertung ich ihn versehe. Man kann "Neger" sagen und ihn ausschließlich nur zur Kennzeichnung der Hautfarbe eines bestimmten Menschen gebrauchen, ohne diesen dadurch abwerten zu wollen. (Ich allerdings habe dieses Wort noch nie im normalen Sprachgebrauch genutzt. Sicherlich als Folge meiner gesamten Erziehung von kleinauf, sowohl zuhause als auch in der Schule, sodass mir dieser Begriff erst gar nicht erst in den Sinn kommen würde.)

Man kann aber auch "Neger" sagen und dies abwertend meinen. Es kommt immer auf den Kontext an. Allerdings hat es sich aufgrund der erheblich abwertend gemeinten Verwendung dieses Begriffes seit vielen Jahrzehnten (möglicherweise aber auch nicht überall) durchgesetzt, das Wort nicht mehr zu verwenden. Dennoch schüttele ich nur leicht mit dem Kopf, wenn ich einmal jemanden im Gespräch erlebe, der "Neger" sagt, es aber erkennbar ohne rassistische Abwertung meint. Maximal weise ich ihn freundlich darauf hin, dass es eher nicht mehr zeitgemäß ist, diesen Begriff noch zu verwenden, ohne ihm dabei aber irgendetwas zu unterstellen. Das kommt auch ein wenig auf die Umstände an. Etwas anderes ist es aber, wenn ich jemanden dabei "erwische", wie er "Neger" offensichtlich als Beschimpfung verwendet. Dann schreite verbal ich ein.

Das Problem besteht doch bei jedem Begriff ebenso. Nachdem "Neger" nicht mehr opportun war, kam "Schwarzer" als gebräuchlicher Begriff "in Mode". Nun kann man aber hier ganz genauso dieses Wort wertneutral oder aber auch als abwertenden Begriff verwenden. Es läuft immer auf dasselbe hinaus. Wie meint, wie verwendet jemand einen Begriff?

Ich finde es einfach nur ermüdend. Das sind Dinge, die schon tausendfach erörtert, erläutert und eigentlich abgehakt wurden und dennoch werden sie immer und immer wieder mit denselben Diskussionen überzogen und ein Riesen-Bohey darum gemacht. Dabei sollten sich die eifrigsten Diskutanten einfach nur mal kundig machen, was dazu alles schon gesagt und geschrieben wurde. Das würde uns allen so manch unnütze Diskussion ersparen.

Für den "Neger" ist es nicht wichtig, ob man ihn nun Neger nennt oder irgendwie anders. Es ist entscheidend, ob man ihn als gleichwertigen Menschen behandelt und auch so über ihn denkt. Das ist genau das, was mich an PC so nervt. Das Rumreiten auf Begrifflichkeiten, das aber genau dadurch die eigentliche Problematik in den Hintergrund treten lässt.

Anonym 7. September 2015 um 19:14  

Lutz fasst es doch schön zusammen: "Das Rumreiten auf Begrifflichkeiten, das aber genau dadurch die eigentliche Problematik in den Hintergrund treten lässt."
Genau aus diesem Grund sollte man das "Rumreiten auf Begrifflichkeiten" auch sein lassen. Achtet auf den Inhalt und weniger auf die Form.
Marius Jung (biologischer Vater ist ein schwarzer US-Ami) hat schon einen Preis als "Rassist" gewonnen, da er ein Buch für "Negerfreunde" geschrieben hat. Im Interview erzählte er einmal: Als er "Neger" sagte, wurde er darauf hingewiesen, dass es "Schwarzer" heißt. Als er "Schwarzer" sagte, wurde er darauf hingewiesen, dass es "Farbiger" heißt. Als er "Farbiger" sagte, wurde er darauf hingewiesen, dass es "POC" heißt. Weil ihm das zu dumm wurde, bezeichnet er diese Art der PC als "Moral für Dumme". Von positiven Erfahrungen mit der Behördenbezeichnung "Deutscher mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung" hatte er nicht berichtet. [Aber was interessiert es einen Weißen, was ein Betroffener, also ein "Neger", "Schwarzer", "Farbiger" oder "POC" dazu sagt?]
Man beklagt sich eigentlich nicht über das Wort sondern über die "angebliche" Konnotation. Diese ist aber nicht einheitlich, jeder hat seine eigene.
Ich mag "Negerküsse". So hießen "Schokoküsse" in meiner Kindheit. Für mich ist das eine positive Assoziation mit dem Wort "Neger".
Wer es Astid Lindgren vorwirft, dass Pippi Langstrumpfs Vater "Negerkönig" ist, der ist zu dumm, ein Kinderbuch zu verstehen. Das Buch feiert doch geradezu das "Anderssein".


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