Die gute alte Zeit mal wieder

Mittwoch, 9. September 2015

Dass wir gleich mal was klarstellen: Diese neue Legende ist Unsinn. Die Deutschen aus dem Banat, aus Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Siebenbürgen und/oder Böhmen waren keine besseren Flüchtlinge. Nicht dankbarer, nicht sauberer in Auffanglagern und schon gar nicht willkommener in diesem Deutschland unserer Altvorderen. Die, die nachher kamen, haben sich nicht mieser benommen, womit dann auch gerechtfertigt wäre, warum man Flüchtlinge verachten dürfe. Diese völkische Mär begegnet einem jetzt allerdings derzeit in sozialen Netzwerken. Die Deutschen aus dem Osten seien einfach anständigere Menschen auf der Flucht gewesen. Selbst auf der Flucht ist der Deutsche noch ein Wesen voller Würde und Aufrichtigkeit. Aber das ist Idealisierung und Geschichtsvergessenheit auf Kosten derer, die heute nach Zuflucht suchen.

Man muss nur mal die einschlägige Literatur von damals lesen. Dann erkennt man schnell, dass es Parallelen im Umgang und Wahrnehmung gibt. Und dass eine Konstante dieses Landes ist, jeden Fremden zunächst mal zu kriminalisieren oder gar pathologisieren. Was heute muslimischen Menschen aus allerlei Ländern und Schwarzen widerfährt, erlebten seinerzeit Deutschstämmige aus Bessarabien, Danzig oder Donauschwaben. Auch ihnen erkannte man ab, dass sie Menschen wie die Autochthonen sind.

Beispiele. Ich mache es kurz. »Ihr müsst schon was angestellt haben, dass man euch vertrieben hat«, sagten sie Marita Krauss, einer Flüchtigen von einst. Waren es nicht die Flüchtlinge, die Hitler gewählt haben? Dergleichen jedenfalls unterstellten sie ihr. Eine Gruppe von Südschleswigern sandte 1945 eine Petition an die britischen Besatzer und äußert darin die Bitte, »daß unser Land Südschleswig so bald wie möglich von den Flüchtlingen befreit wird. Dieser Strom von Fremden aus den Ostgebieten droht unseren angestammten nordischen Charakter auszulöschen«. In Bayern schreibt ein Flüchtlingskommissar, dass »die bayerische Bevölkerung (...) eben auf dem Standpunkt [stehe], daß sie unbedingt Herr im eigenen Haus bleiben will und sich zunächst einmal gegen jeden Verschmelzung mit den übrigen aufgezwungenen Flüchtlingen auflehnt.«

Man regte sich natürlich auch über die Zustände in den Lagern auf, »mit ihrem Unrat (Mangel an richtigen Latrinen, mangelnde Sauberkeit). Anwachsen der Epidemien durch die [...] Zusammendrängung«. Diese Zustände führten wiederum dazu, dass man den Menschen dort unterstellte, sie wären nicht sauber. Henning Burk, ein weiterer Flüchtling, sagte dazu: »Die Leute sagten, die sind arbeitsscheu, die brechen sich lieber den Arm, als dass sie zwei Wochen lang pünktlich zur Arbeit gehen.« Ingrid Berlik wiederum erzählte, wie sie ihre Schulklasse in einer Baracke besucht hat, wie ihre Mitschülerinnen auf »den Dreck zwischen den Baracken« schauen und wie sie sich »ekeln [...] vor dem Gestank, der auf den Büschen liegt«. Danach war sie wieder die Außenseiterin, eine Rolle, die sie schon abgestreift hatte und nun wieder einnehmen musste. Sie wurde von einer Geburtstagsfeier ausgeladen und keiner wollte mehr neben ihr sitzen.

Wie gesagt, ich mache es kurz. Es gibt noch weitere unzählige Dokumente und Erfahrungsberichte. Das alles ist aber lange her. Geändert hat sich im Umgang mit Flüchtlingen allerdings wenig bis nichts. Jetzt die Vergangenheit zu verklären, dient einzig und alleine dazu, die Gegenwart in den Zustand einer angeblich unglaublichen Singularität zu stellen. Damals war eben immer alles besser. Selbst die Flüchtlinge. Selbst die, die gegen sie Stimmung gemacht haben. Und alle hatten sich gern und halfen sich. Das ist zwar nicht die Wahrheit. Aber Vergangenheit, das ist doch in Deutschland immer schon der Ort gewesen, an dem alles ganz anders war.

3 Kommentare:

Anonym 9. September 2015 um 08:28  

Ich erinnere mich noch an Erzählungen aus der Zeit, als Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten den äußersten Westen in Aachen erreichten und der Unterschied der Religionszugehörigkeit (der protestantische Osten traf auf den katholischen Westen) für einen Kulturschock sorgte. Da es sich nicht vermeiden ließ, dass die schulpflichtigen Kinder der Flüchtlinge auf die bestehenden Schulklassen verteilt wurden, kam es zu Erkenntnissen der besonderen Art: Als die Lehrerin bei der Frage nach dem Namenstag eines Füchtlingskindes nur Unverständnis erntete und bei Nachfrage erführ, dass man den Geburtstag feiere, aber mit dem Begriff Namenstag nichts anzufangen wisse, da erläuterte die Lehrerin der (katholischen) Klassenmehrheit zugewandt: "Menschen erhalten einen Namen, Schweine werden nur geboren!"

Jannis

Anonym 9. September 2015 um 10:43  

Auch meine Eltern waren im Westen alles andere als willkommen. Sie wurden von den Einheimischen als "Polacken" beschimpft und meine Mutter traute sich nicht allein über den Hof zu gehen, da sie tätliche Übergriffe befürchtete. Es reicht eben nicht, Deutscher zu sein, wenn man arm ist.

Anonym 10. September 2015 um 14:42  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

es ging aber auch anderes herum, die sogenannten "Heimatvertriebenen" waren keine Heiligen...mein, vor nunmehr 9 Jahren verstorbener, Vater hatte einen solchen Nachbarn der ein wahrer Neidhammel - er klagte gegen das Geschäft meines Vaters von Anfang an, und zwar so häufig, dass es sogar den Justizvertretern zu bunt wurde....Mein Vater war nicht dessen einziges "Opfer" denn eine Aussage dieses - auch schon vor Jahrzehnten verstorbenen - Nachbarn war, dass er "mal so richtig in der Straße aufräumen will"....so wollte er einer alten Frau, die ein einziges Fenster zu seinem Hof hatte genau dieses Fenster verbieten....kam aber nicht damit durch .... nur mal so zwei Beispiele die zeigen auch "Heimatvertriebene" sind keine Heiligen....

Gruß
Bernie

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