Die Armutsgefährdung, die von oben gewollt ist

Freitag, 4. September 2015

Geringqualifizierte haben in dieser Republik selbstverständlich selbst schuld. Sie hätten sich ja nicht geringqualifizieren müssen. Wären sie halt einfach hochqualifiziert geworden. Dem wäre doch nichts im Wege gestanden. Jeder ist seines Glückes Schmied. So weit jedenfalls die Parole der gängigen Ökonomie. Seit Jahren hören wir sie. Wer nur will, der kann alles werden. Und wer hätte dann geputzt, geliefert, eingeräumt, kassiert, serviert und was sonst noch alles getan? Wer hätte gemacht, was Geringqualifizierte heute so treiben müssen, um sich über Wasser zu halten? Oder fielen solche Tätigkeiten einfach weg? Letzteres ist natürlich unvorstellbar. Denn Bessergestellte und Eliten brauchen und wollen natürlich ein Heer von Handlangern. Sie aber trotz der Unabwendbarkeit dieser Jobs mehr und mehr der Armutsgefahr auszusetzen, zeigt nur, was man von Menschen hält, »die es nicht geschafft haben«.

Natürlich ist Qualifikation und/oder Bildung etwas, was man sich im Idealfall zulegen sollte. Nur funktioniert das Leben nicht für alle Menschen gleichermaßen reibungslos. Vielen wird dieser Glücksfall daher nicht zuteil. Sie verpassen ihn. Manche vielleicht selbstverschuldet. Andere erliegen äußeren Zwängen. Und dann kommt es für diese Leute darauf an, das Beste aus ihrem Leben herauszuholen, sich möglichst teuer am Arbeitsmarkt zu verkaufen. Der letzte Satz klingt wirklich abartig. Aber so sagt man das heute. Man prostituiert sich. Das tat man natürlich immer. Nur gab es vielleicht früher vor der Leistung von Werktätigen mehr Respekt als heute, sodass man das Hurenhafte nicht so schamlos sprachlich zur Geltung brachte. So oder so: Sie nehmen also Jobs an, die schlecht bezahlt werden, keine Chancen zum Aufstieg gewähren und gesellschaftlich nicht besonders geachtet werden. Einer muss das ja erledigen. Und da trifft es halt Menschen, die wir als geringqualifiziert bezeichnen.

Man hat es seit Jahren politisch zugelassen, dass sie mehr denn je abrutschen können. Dass sie die Boden unter ihren Füßen verlieren können, obgleich sie arbeiten. Ständig sind sie von Arbeitslosigkeit bedroht. Minijobs ersetzen ihre ehemaligen Vollzeitstellen. Sie arbeiten auf einem Lohnniveau, das sich an Hartz IV orientiert, während das Pensum nicht selten anwächst, sodass auch diese Arbeitsmarktgruppe von Burnout und etwaigen Stress-Folgen betroffen ist und durch Krankheit ihre Arbeitsplätze riskiert. Ein laxer Gebrauch von Kündigungsschutzgesetzen erlaubte auch hier einen schnellen Austausch von geringqualifizierter Hilfsarbeitskraft. Auch das war und ist politische Agenda hierzulande. Der produktive Bodensatz soll eben austauschbar sein - man nennt diesen Umstand allerdings hübsch »Flexibilität«.

Wie man mit dieser Gruppe umging, zeigt doch nur, was keiner laut ausspricht, was aber tatsächlich Hintergedanke in diesem Land ist: »Geringqualifizierte, ihr hattet eure Chance! Pech gehabt. Jetzt leidet eben. Selbst schuld.« Das ist nicht nur selbstherrlich, es zeigt auch, dass die Eliten keinen Schimmer von gesamtgesellschaftlichen Prozessen haben. Denn selbst wenn es gelänge, Geringqualifikation als Massenphänomen auszuschalten, jedermann höherwertig zu qualifizieren, fielen Stellen, die keinen hohen inhaltlichen Anspruch haben, nicht einfach weg. Sie sind schlicht nötig. Ganz und gar systemrelevant. Und so würden Höherqualifizierte tun, was heute Geringqualifizierte leisten. Sie wären trotz höheren Standards die neuen Geringqualifizierten. Die Hebung des allgemeinen Niveaus raubt der Arbeitsteilung ja nicht das »untere Ende« - und sie entfernt nebenher auch nicht den Dünkel, mit dem man »niederen Jobs« begegnet.

Mensch, was war man da trotz allem im Sozialismus weiter. Da hatte man erkannt, dass es Jobs innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft gibt, die zwar nicht besonders schön sind, aber notwendig. Und wie notwendig sogar! Also hat man sie gewürdigt und anständig entlohnt. Ob das dann letztlich ökonomisch richtig war, ist gar nicht das Thema. Keiner verlangt ja, dass ein Kurier besser bezahlt sein sollte, als der Direktor einer Sparkasse. Aber leben sollte er doch davon können. Ohne Zubrot von der Behörde. Und vor allem ohne Angst, bereits am morgigen Tag am Ende der eigenen Liquidität angelangt zu sein. Wer von seiner Arbeit leben kann, der darf getrost über den Dünkel der Gesellschaft lachen und denen zuprosten, die mit blanker Verachtung sprechen. Das fällt dann garantiert leichter. Geld stinkt nicht.

»Geringqualifiziert« ist ohnehin so ein moralischer Ausdruck. Er beinhaltet ja Gegensätze wie Schlecht und Gut oder eben wie Gering und Hoch. Dabei sagen die Herren der Ökonomie uns ständig, dass der Markt gar nicht moralisch agieren könne. Dazu sei er nicht geschaffen. So besehen dürfte es solche Begriffe gar nicht geben, denn der Markt benötigt eben Lieferanten und Putzfrauen. Die machen Tätigkeiten, die es nun mal gibt, wenn man sich die Arbeit gesellschaftlich aufgeteilt hat. Das ist insofern nicht gut oder schlecht. Es ist. Punkt. Das muss man ganz ontologisch betrachten. Es ist zu machen, zu erledigen. Genauso wie all die tollen, gut dotierten, angesehenen Berufe, die man auf der anderen Seite so haben kann.

Es gibt also kein moralisches Anrecht darauf, etwaige Stellen für so genannte Geringqualifizierte schlecht zu bezahlen, die Menschen, die diese Arbeit verrichten, an den Rand der Armut zu befördern. Wer das glaubt, der folgt einer falschen ökonomischen Moral - und das beweist wiederum, dass diese Ökonomie eben doch nicht so morallos ist, wie sie stolz vorgibt. Sie ist hochgradig moralisch - im Sinne von Herrenmoral und Snobismus. Die Armutsgefährdung der unteren Arbeitsmarktschichten ist kein Zufall, keine Unabwendbarkeit und von den Märkten bestimmte Notwendigkeit: Sie ist gewollt, elitär begründet und Ausdruck einer gesellschaftlichen Schieflage. Was wären denn all diesen hoch angesehenen Dreckspatzen ohne die Reinigungskräfte, die sie gut aussehen lassen?

16 Kommentare:

Anonym 4. September 2015 um 07:47  

Tschau Roberto,
dann pass mal schön auf wenn "INDUSTRIE 4.0" durchstartet.
Es gibt Studien die voraussagen das dann ein Menge Menschen,
vor allen die sog. Geringqualifizierten, einfach übrig sind.
Brave new world

Anonym 4. September 2015 um 08:44  

Sehr schöner Text - Danke!

Anonym 4. September 2015 um 10:59  

Sehr sehr gut geschrieben.

Das ist einer dieser "posts", die ich ausdrucken werde und ganz zufällig in der Bahn oder beim Arzt liegen lasse.

Danke dafür!

georg 4. September 2015 um 13:02  

ich hab mal ein wenig nachgelesen.
j.k.galbraith, der grosse amerikanische nationalökonom schrieb 1992 in seinem buch `die herrschaft der bankrotteure´ " niemand bestreitet die existenz dieser armen schichten.bestritten wird vielmehr, daß diese unterschichtein integraler bestandteil des gesamten wirtschaftsablaufs ist,und,was noch wichtiger ist, daß sie dazu dient, den lebensstandart und komfort der sozial gutgestellten zu ermöglichen. (wirtschaftlicher fortschritt wäre ohne sie weit weniger sicher und würde sich gewiss sehr viel langsamer vollziehen. die wirtschaftlich erfolgreichen und begünstigten , einschliesslich all jener,die mit dem allergrößten bedauern , daß es diese klasse gibt , hängen in ganz hohem maße von ihrer existenz ab´( aus dem kapitel die funktionale unterschicht )

Tabula rasa 4. September 2015 um 15:01  

"Sie nehmen also Jobs an" - und müssen sie annehmen, wie auch der (von üppigen Gebühren finanzierte) MDR mit seiner Serie "Der Arbeitsvermittler" vermittelt/e. Und das nicht ohne Nachdruck, schließlich wurde im 3. Teil gänzlich unverholen angekündigt: "Unwilligkeit (...) könnte [sic] Konsequenzen haben, denn der" (von [vermutlich recht üppigen] Steuergeldern versorgte) "Vermittler Lars Naundorf wird [sic] Robert Grille als Verweigerer dem Jobcenter melden"...



Quelle http://www.mdr.de/exakt/arbeitsvermittler128.html

Anonym 4. September 2015 um 15:16  

Für mich hat es sich in Zukunft erledigt, alle vier Jahre andere Polemiker zu wählen und an den fetten Trog zu lassen.

Anonym 4. September 2015 um 16:55  

Grundsätzlich stimme ich dem Artikel zu, muss jedoch an einer entscheidenden Stelle widersprechen:

"Denn selbst wenn es gelänge, Geringqualifikation als Massenphänomen auszuschalten, jedermann höherwertig zu qualifizieren, fielen Stellen, die keinen hohen inhaltlichen Anspruch haben, nicht einfach weg."

Doch, genau diese Arbeitsplätze, die keine hohe Qualifikation erfordern, sind in den letzten Jahrzahnten massiv weggebrochen. Der zunehmenden Automatisierung sind
vor allem Stellen in arbeitsintensiven Bereichen zum Opfer gefallen: Land- und Forstwirtschaft, Müllabfuhr, Stadtreinigung, Eisenbahn etc. Wo früher 3-4 Müllmänner unterwegs waren, reicht heute ein Fahrer mit seinem vollautomatischen Fahrzeug aus.
Gerade einfache wiederkehrende Tätigkeiten lassen sich besonders leicht automatisieren und dies führt nun einmal dazu, dass heute wesentlich weniger
Arbeitsplätze für geringer Qualifizierte zur Verfügung stehen, als früher.



Anonym 4. September 2015 um 20:27  

"Keiner verlangt ja, dass ein Kurier besser bezahlt sein sollte, als der Direktor einer Sparkasse."

Ähm - doch. Ich verlange das. Ich verlange, daß der Kurier mindestens soviel verdient wie der Sparkassentünnes - oder umgekehrt.

Ich vermag nämlich ob meiner Renitenz nicht einsehen, daß eine Niete in Nadelstreifen die weder Verantwortung trägt, noch Konsequenzen aus Fehlverhalten fürchten muß, dazu noch ein Geschäft so schlecht führt das etliche Mitarbeiter entlassen werden müssen - im Falle seiner Kündigung millionen Euro "Abfindung" erhält - mehr verdient als ein Kurierfahrer, bei dem Verantwortungslosigkeit und Fehlverhalten unmittelbar zur Kündigung führt - und zwar ohne Abfindung.

Ich vermag nicht einsehen, daß ein Geschäftsführer der den Betrieb durch seine Ignoranz, Dummheit, Unfähigkeit und hohem Maß an Inkompetenz niederrichtet, mehr verdient als ein Bäcker, bei dem ich um 6 Uhr morgens frische Brötchen abholen kann.

So langsam sollte der Mensch doch mal begreifen, daß die sogenannte "Qualifikation" nicht das Mittel sein DARF, an dem gemessen der Lohn ausgerichtet wird.

Es kann nur ein gerechtes Maß geben wonach Lohn bemessen werden kann - die Zeit.

Die nämlich ist unmanipulierbar und für jeden gleich.


Der Souverän

Deutop 4. September 2015 um 21:48  

Kannst du mal nach dem Heppenheimer Flüchtlingsheimbrand schauen?
Das mit dem technischen Defekt als Auslöser glaubt niemand....!

kevin_sondermueller 5. September 2015 um 12:36  

»Wo früher 3-4 Müllmänner unterwegs waren, reicht heute ein Fahrer mit seinem vollautomatischen Fahrzeug aus.«

Dann sag mir mal bitte, wo das der Fall sein soll – in meiner Stadt
sind immer 3-4 Müllwerker mit einem zweifellos State-of-the-Art- Fahrzeug
unterwegs. Wer schleppt denn die Tonnen vom Gehsteig zur Kippvorrichtung?
Etwa Roboter? Ein Fahrer mag für die Entleerung von Glascontainern hinreichen,
aber bei Hausmüll?

Und die vielen Helferlein im Internetversandhandel? Die Kurierfahrer zur Warenauslieferung? Trotz unmenschlicher Arbeitsverdichtung werden dort ganze
Divisionen eingesetzt. Außerdem: die meisten neuen Jobs sind durch Fulltime-Job-Splitting entstanden. Also Teilzeit - und Minijobs. Was nicht bedeutet, dass dort in 4 Stunden eine Leistung erbracht werden muss, für die man früher einen ganzen
Arbeitstag zugestanden bekam. Und im Hotel- und Gaststättengewerbe? Gibt es inzwischen selbstreinigende Hotelzimmer?

Auf welchem Planeten lebst Du – oder evtl. schon in der Zukunft …?

Braman 5. September 2015 um 18:07  

@der souverän 04.09.2015 20:27

(fast) genau so sehe ich das auch!

Eine Bezahlung sollte nach zwei Grundsätzen bezahlt werden:
1. Die aufgewendete Zeit
2. Der TATSÄCHLICHE Nutzen für die Allgemeinheit

MfG:M.B.

Anonym 6. September 2015 um 15:23  

@Souverän


"Es kann nur ein gerechtes Maß geben wonach Lohn bemessen werden kann - die Zeit."

Bei der Arbeit und Entlohnung sollte die eingesetzte LEBENSZEIT generell sehr hoch bezahlt werden! Wie man es schon oft genug wissenschaftlich bewiesen hat, erreicht man mit einer hohen Entlohnung auch einen hohem Lebensstandard und damit eine steigende Lebenserwartung.

Wer arm ist, der stirbt früher! Also her mit der überdurchnittlichen Entlohnung für Reinigungskräfte, Pflegekräfte, Krankenschwestern, Kindergärtnern usw. Usw.!




Anonym 8. September 2015 um 12:23  

@kevin_sondermueller

"Dann sag mir mal bitte, wo das der Fall sein soll – in meiner Stadt
sind immer 3-4 Müllwerker mit einem zweifellos State-of-the-Art- Fahrzeug
unterwegs."

Dann fahr mal raus aufs Land: Die Leute stellen ihre Tonnen fein säuberlich an den Strassenrand und diese werden vollautomatisch vom Müllfahrzeug seitlich aufgenommen und geleert, dazu muss der Fahrer nichtmal aussteigen.

"Auf welchem Planeten lebst Du – oder evtl. schon in der Zukunft …?"

Entweder bist du noch sehr jung, oder willst nur trollen. Natürlich gibt es immer noch Arbeit, die manuell erledigt wird, das habe ich nicht bestritten, aber die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist eindeutig: Briefe und Pakete werden inzwischen weitgehend vollautomatisch sortiert. Bahnsteigansagen werden vom Stellwerk aus vorgenommen oder computergesteuert generiert. Deine Fahrkarten kaufst Du am Automaten oder im Internet. Selbstzahlerkassen im Supermarkt hast Du wahrscheinlich auch schon gesehen. Selbstreinigende Hotelzimmer gibt es noch nicht, dafür Rezeptionsautomaten. Und in Gaststätten werden Teller auch nicht mehr mit der Hand gespült. Zusätzliche Arbeitsplätze im Versandhandel können den Schwund im stationären Handel nicht mal ansatzweise kompensieren.

kevin_sondermueller 8. September 2015 um 16:22  

Auf dem Land? Da mag das bei den paar Hanseln dort ja funktionieren (auch mit Mülltrennungs-3-Tonnenwirtschaft?). Aber hier in meiner Stadt sieht es anders aus!

Und WER ist hier der Troll? In Deinem letzten Absatz erzählst Du mir aber tolle
Neuigkeiten – besteht DEIN Trollen in bräsigen Darlegungen des Trivialen?
Und natürlich weiß ich auch, das z.B. Amazon an vollautomatisierte Auslieferungslager und Paketauslieferung per Transportdrohnen. Aber Versuche mit
Vollautomatik-Auslieferung gibt es schon seit den späten 80ern, mit bisher eher
enttäuschenden Ergebnissen (es liegt nicht nur an der Rechner-Performance …) Und wenn ich mir Drohnen bei JEDER Wetterlage vorstelle (und gerade in meiner Stadt …),
Kalifornien ist nicht überall ;-)

Statt Infofetzen zu Collagen zusammenzuschustern, leg Dir doch bitte einige
technische Grundkenntnisse zu. Mangelnde Informiertheit bei gleichzeitiger
Kennerschaftsattitüde macht einen schnell zu Troll …

Anonym 10. September 2015 um 09:43  

@kevin_sondermueller

Dass in einzelnen Branchen Arbeitsplätze für gering Qulifizierte geschaffen werden, habe ich weder bezweifelt, noch ändert es etwas an der Tatsache, dass durch zunehmende Automatisierung gesamtwirtschaftlich immer weniger dieser Hilfs-Tätigkeiten zur Verfügung stehen. Da Du das bezweifelt hast, habe ich Beispiele genannt. Das magst Du für bräsig und trivial halten, erklärt jedoch nicht Deinen Widerspruch in der Sache.

Falls es Dir möglich ist, die persönliche Ebene zu verlassen, auf Beleidigungen zu verzichten und sachlich zu argumentieren, diskutiere ich gerne weiter.

kevin_sondermueller 11. September 2015 um 20:20  

Wer hat denn mit den Beleidigungen angefangen?

Und sachlicher als sachlich kann kein Mensch argumentieren, wozu Du
mangels Faktenwissen und Voreingenommenheit absolut nicht im Stande bist.

EOD.

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