Es gibt kein Bleiberecht oder No Future

Montag, 28. September 2015

Ich hätte gerne wieder eine Zukunft. Nicht ich persönlich. Okay, das zwar auch. Aber darauf will ich jetzt nicht hinaus. Zukunft, das ist laut Thomas Brussig ein Machtbegriff im ehemaligen Osten gewesen. Die alten Männer aus dem Führungskader gebieteten über ihn. Immerhin. Sie hatten noch einen Begriff davon. Wir haben heute gar keinen mehr. Die Zukunft ist quasi nicht existent. Sie hat abgewirtschaftet. Was sie uns bringen kann und soll, wie wir uns unsere Gesellschaft und damit Zukunft vorstellen, ist immer weniger Gegenstand von Debatten. Früher sprach man nicht über Geld – heute ist es nicht mehr schicklich, über Zukunftspläne zu sprechen, die über den individuellen Lebensplan hinausgehen.

Es wird fürwahr viel von Arbeitsplätzen gesprochen, die künftig geschaffen werden sollen. Meist sind es gar keine richtigen, sondern nur Jobs. Aber gut. Wachstum ist ein Begriff, den wir mit Zukunft konnotieren. Es ist ja auch notwendig – keine Frage. Rentenversichern Sie sich privat, damit es ihnen in Zukunft gut geht. Zukunft ist für uns eine pekuniäre Sache. Keine ideelle. Nur warum wir das alles tun, das bleibt schleierhaft. Für was also? Für welche Art Zukunft? Es gibt keine Vision mehr. Helmut Schmidt sagte mal, dass jemand, der Visionen hat, nicht in die Politik, sondern zum Arzt gehen solle. Ein schmissiger Spruch. Damit punktet man in lustiger Runde. Ich hätte auch gelacht. Aber ich lehne ihn als Wahrheit trotzdem ab. Natürlich braucht man Vorstellungen darüber, wie es werden soll. Was man zukünftig will. Aber darüber erhalten wir eben keine Auskunft mehr. Man stückwerkt pragmatisch an der Gesellschaft herum, ohne ein Leitmotiv zu haben. Zukunft ist etwas, was in keiner Agenda steht. Nicht als langfristige Planung, als Ideal, an das politisch anzunähern man sich traut.

Nochmal zu Brussig. Er schreibt darüber, dass die alten Herren eine Zukunft verwalteten, die ihnen ihre Altvorderen mit auf den Weg gaben. Das war wenigstens noch ein Erbe. Man wollte ja eben eine Gesellschaft aufblühen lassen, die die Bitterkeit des Lebens in den Griff kriegt. Satt werden, wohnen, Arbeit haben, soziale Ausgrenzungen ausmerzen – vorwärts immer, rückwärts nimmer. Man hatte Visionen. Es sollte stetig bergauf gehen. Von Plan zu Plan. Die Sowjets haben es vorgemacht. Es gab ja auch tatsächlich eine Periode, in der sie wirtschaftlich wuchsen und prosperierten und in der es so aussah, als könne die Zukunft ein »rotes Zeitalter« werden. Problem war ja bei beiden, bei Ostdeutschland und Sowjetrussland nur, dass dieses Vorhaben irgendwann die Dynamik verlor, einfror und verwaltet wurde wie sterbliche Überreste im Kühlraum eines Klinikkellers. Die Aufbruchstimmung wurde von Greisen delegiert. Und dann war es vorbei mit einer Zukunft, die etwas versprach. Man spulte Versprechen ab und schaukelte sich die Eier, wenn man glaubte, wieder ein Stückchen besserer Zukunft umgesetzt zu haben.

Brussig schreibt von der Verschlafenheit und vom Stillstand, weil die Zukunft vorgeplant war. Wie gesagt, wenigstens hatte man noch was davon im Kopf. Wir indes haben alle Zukunftspläne aufgegeben, leben vor uns hin, liberalisieren und deregulieren und uns juckt es nicht, ob das ein Fortschritt, Rückschritt oder Ausfallschritt ist. Man tut einfach, setzt um. Pragmatisch eben. Wir senken die Sozialstandards und ahnen, dass das in Zukunft denen teuer zu stehen kommt, die bis heute noch kein Vermögen angehäuft haben. Wir ahnen also, dass die Zukunft eine Verschlechterung bringt, keinen Fortschritt. Und das in Zeiten eines materiellen Reichtums, den der Mensch vorher nie gekannt hat. Wir nehmen es also in Kauf. Und die Politik sediert uns mit Phrasen, die so tun, als seien wir schon lange drüben in der Zukunft angelangt.

»Wir müssen aufpassen, damit wir der soziale Rechtsstaat bleiben, der wir heute sind.« Oder: »Wir müssen sicherstellen, dass wir eine offene und freundliche Gesellschaft bleiben.« Immer wieder solche Sätze; immer wieder sagen sie uns, dass wir bleiben müssen. Bleiben was wir ohnehin nicht sind. Doch das Bleiben suggeriert uns, dass wir es geschafft, das Ziel der Entwicklung genommen haben wie eine etwas zu niedrige Hürde. Ist das das Ende der Geschichte, von dem man nach dem Ende des kommunistischen Blocks gesprochen hatte? Ein Ort, der das Bleiben postuliert und nicht mehr das Weitergehen? Nein, wir bleiben immer nur, wollen immer nur so bleiben wie wir sind und nicht vorangehen. Aus solchen Sätzen liest man heraus, wie es um die Zukunft bestellt ist. Es gibt sie nicht. Nicht mehr. Denn quasi sind wir schon in ihr, weil sich Minister und Staatssekretäre gar nicht vorstellen können, dass es zukünftig vielleicht anders sein wird, soll und darf in diesem Land. Wer schon angekommen ist, der muss nicht mehr reisen.

Aber es gibt so viel zu tun, zu reformieren, zu partizipieren und aufs Neue zu regulieren. Es gibt dieses Bleiberecht nicht. Es hat keine Berechtigung, weil Menschen ein Recht auf Zukunft haben. Weil sie sie als etwas brauchen, was ihnen vor Augen steht. Sie brauchen sie nicht nur als Individuum, sondern eben auch als Subjekt in der Masse. »Verbleiben« ist die Losung einer politischen Kaste, die uns die Zukunft ausredet, sie einfach verschweigt, mit Tipp-Ex übertüncht, die also so tut, als seien wir schon futuristisch dort, um nicht mehr dorthin zu müssen. Es fahren Züge – sicherlich. Aber sie fahren ins Nirgendwo, weil wir ja schon im Irgendwo ausharren.

Man sprach früher viel von der »No Future«-Generation, die sich nun berausche, die lieber high ist, als bei Sinnen. Aber die wirkliche »No Future«-Generation sind wir. Wir wursteln so dahin, machen weiter ohne Ziel und ohne Verstand und haben gar keinen Schimmer mehr davon, wie wir es uns vorstellen. Die Macher von »Star Trek« haben Shakespeares »unentdecktes Land« uminterpretiert. Der sprach im Hamlet davon und meinte den Tod. In einem der unzähligen Kinofilme der Science-Fiction-Reihe war aber die Zukunft gemeint. Es ist heute so, als gäbe es da ein unentdecktes Land. Aber wir haben die Neugier verloren, es auch finden und entdecken zu wollen. »There is no future in England's dreaming« punkten die Sex Pistols Ende der Siebziger. Das genannte Land ist austauschbar. Die Erkenntnis nicht. Wir haben keine Zukunft, weil die Zukunft als politischer Begriff aus dem Verkehr gezogen wurde.

8 Kommentare:

Anonym 28. September 2015 um 08:48  

Danke!
Hagen Rether zu genau diesem Thema: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=54081

ulli 28. September 2015 um 10:24  

Vielleicht denkst du zu sehr in der deutschen Binnenperspektive. In den Mittelmeerländern etwa bilden sich durchaus neue Vorstellungen von der Zukunft heraus. Halt nicht in Deutschland, dem Land der Mitläufer und Duckmäuser.

Dass die Menschen hier von der Zukunft nichts wissen wollen, liegt auch daran, dass sie riesige Angst davor haben. Kein halbwegs vernünftiger Mensch kann doch glauben, dass die dt.Mittelschichten ihren Wohlstand und ihre absolute Apathie auf Dauer aufrecht erhalten können, während drumherum ein Meer von Armut und Elend gegen sie anbrandet. Zumal sich das dt. Wirtschafts- und Exportwunder gerade selbst in den Abgrund manövriert (Volkswagen).

kevin_sondermueller 28. September 2015 um 10:53  

» »There is no future in England's dreaming« punkten die Sex Pistols Ende der Siebziger.«

Hmm, mit Punk bringe ich den Begriff auch eher in Verbindung als mit Breschnew und Honi. Man sprach gar von einer No-Future-Generation (im Prinzip die Meinige und ihre etwas jüngeren Geschwister, bevor die Jüngsten zu Poppern oder Yuppies u.Ä. missrieten). Waren die Punks besonders hellsichtig und ihre Lebensverneinung durchaus fundiert …?

polaroid 28. September 2015 um 13:17  

Tja was wird die Zukunft bringen?
Naja vermutlich Klimaerwärmung damit einhergehend steigender Meeresspiegel, Verlust an Lebensraum und Fläche zum Nahrungsanbau, dadurch spürbare Steigerung der Lebensmittelpreise, dadurch Hungerrevolten und Aufstände. Zuneigegehen der fossilen Rohstoffe, dadurch deutlich gesteigerter Preis für Energie und Mobilität.

Kampf um die verbliebenden Ressourcen, den derjenige gewinnt der über die größten Geldmitteln verfügt, Sprich ausreichend Nahrung, großzügiger Raum zum Häuserbau, unbeschränkte Mobilität und Zugang zu Energieressourcen wird nur noch für die Reichsten der Reichen und ihre Speichellecker verfügbar sein.
Dadurch noch stärkere Spaltung der Gesellschaft in einige wenige Reiche und Milliarden von Armen. Da die Reichen Angst davor haben, dass der Volkszorn überkocht und sich die Armen im Angesicht des Reichtums erheben und mit Gewalt eine neue Verteilung fordern, werden die Massen durch Zäune und Mauern von ihnen getrennt, ihre Rechte werden Beschnitten um Aufstände im Keim ersticken zu können und eine Überwachungskultur wird sich etablieren.

Tja sie sehen die Zukunft wird nicht lustig. Ich hoffe nur noch, dass ich selber tot bin, bevor sich diese Entwicklungen verwirklicht haben.

Braman 28. September 2015 um 19:30  

Es waren Träume und Visionen von einer anderen, besseren Welt die die soziale Entwicklung ermöglicht hat. Darum sind Träume und Visionen heute suspekt und werden nach Kräften von den Propagandisten (Journalisten) derjenigen diffamiert und in Misskredit gebracht, die die herrschende Klasse verkörpern.
Die herrschende Klasse war und ist NIE an Veränderungen zu Gunsten der Unterschicht interessiert und tut ihr Möglichstes, um derartige Bestrebungen zu verhindern.
Mit subtiler Unterwanderung aller Bestrebungen, Änderungen auch nur öffentlich zu denken waren sie die letzten 40 Jahre äußerst erfolgreich.
Die 'Linke' ist zerstritten, die SPD hat die CDU rechts überholt dank der FDP/CDU Fraktion innerhalb der SPD und einzelne linke Denker kennt kaum jemand da sie nur noch in Nischen agieren (können).
Die Träume und Visionen sind sicher noch da. Allerdings haben sie keine Öffentlichkeit und werden , falls sie doch ans Tageslicht gelangen, viel zu verkopft dargebracht.
Wir (die 'Linken') sollten uns z.B. an Horst Seehofer ein Beispiel nehmen.Das Argument, die Logik ist zweitrangig. Um etwas zu bewegen müssen Emotionen angesprochen werden, mit dem Intellekt funktioniert es nur bei sehr wenigen , viel zu wenigen!

MfG: M.B.

polaroid 29. September 2015 um 20:27  

@Braman

Sie sprechen ein generelles Problem von uns Linken an. Nur leider ist unsere Intelligenz und unsere Rationalität das was uns auszeichnet. Verlieren wir sie, können auch unsere hoch humanen und rationalen Ideen zu Systemen führen, die gerade das Gegenteil von ihnen zur Praxis machen (siehe Arbeiterbewegung und DDR). Wir dürfen auf keinen Fall Argument und Logik verlieren.

Aber dagegen, dass wir unsere Intelligenz einsetzen um die weniger Intelligenten ein bisschen zu manipulieren, spricht natürlich nichts.

Braman 29. September 2015 um 21:59  

@polaroid:
Wir können uns ja einbilden intelligenter und rationaler zu sein als die 'Gegenseite'. Nur die Erfolge (zu unser aller Lasten) hat nun mal die Gegenseite.
Intelligenz kann ja eingestzt werden um bei anderen Emotionen zu wecken wenn sie rational nicht erreicht werden können.
Auch Lenin hat die Massen nicht mit theoretischen Vorträgen über die Theorien von Marx und Engels dazu gebracht bei der Revolution mit zu machen - sowenig wie Hitler, Mussolini, Peron oder Mao.

MfG: M.B.

polaroid 1. Oktober 2015 um 19:40  

@Braman
Nun ja ich würde Lenin auch nicht gerade als ideales Vorbild der deutschen Linken bezeichnen. Einen roten Terror, wie er nicht nur unter Stalin sondern auch schon unter Lenin gab, wünscht sich wirklich niemand. Und ich eigentlich kein Revolutionär sondern ehre Reformatör.

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