Unisexy

Mittwoch, 30. September 2015

Das Thema des Tages handelte vom transgender Way of Life. Die Radiofeatures waren nicht mal uninteressant. Teilweise aber weltfremd. Eine Expertin des Studios erzählte etwas von Mode, die jetzt auch vermehrt ohne geschlechterspezifische Ausrichtung designt würden. Das sei der neueste Trend und stark im Kommen. Gleiche Klamotten für Mann und Frau also. Wie monoton. Die kapitalistischen Hetzer von dazumal, die über den Kommunismus sagten, er würde alle Menschen, ob nun männlich oder weiblich, in triste Grautöne einstampfen und gleichmachen, hätten an diesem »neuen Trend« eine verfluchte Freude. Und letztendlich erteilte der Radiosender einer Unisex-Fachfrau das Wort. Und was ihr da aus dem Mund blubberte, war so lächerlich, dass man am Ende sagen konnte: Jawohl, hier haben wir es mit einer eindeutigen Ideologie zu tun.

Sie fing relativ unspektakulär an. Erzählte etwas von Lebenswelten, die das klassische Rollenbild nicht mehr zuließen. Männer blieben daheim bei Kindern; Frauen schafften das nötige Kapital heran. So weit, so realistisch. Dergleichen gibt es ja durchaus mittlerweile. Nicht mal so selten. Mode sei deshalb quasi auch ein Ausdruck der Auflösung der Klischeebilder. Daher hätten die Geschlechter nun einen massiven Drang zu Unisex. Aber Hausmänner haben deshalb ja nicht gleich Sommerkleider an. In der Straße meiner Oma hat ein alter Zausel schon vor Jahren im Haushaltsschurz die Straße gefegt. Das gilt aber nicht. Der Kerl hatte einen Schatten. Jedenfalls meinte die Frau, dass das nicht aufzuhalten sei. Das Sein präge das Bewusstsein – okay, ich gebe es zu, diesen Satz sagte sie nicht; ich dachte ihn mir nur. Mehr so spöttisch. Doch ich hatte Verständnis, denn diese Frau arbeitet für irgendein Unisex-Institut oder weiß der Teufel für welche Einrichtung genau. Sie muss solche Konstrukte entwerfen, wenn sie ihr Geld wert sein will. Jeder muss halt Rechnungen bezahlen.

Dann legte sie so richtig los. Jetzt gäbe es nämlich Waren in allen Alltagsbereichen, die nicht Frau noch Mann sein wollen. Sie erzählte dann etwas von Handbohrmaschinen. Nun habe man Unisex-Modelle entwickelt. Die seien wesentlich leichter, sodass auch Frauen damit hantieren könnten. Die Moderatorin war begeistert. So könnten nicht nur Männer handwerken. Beide malten zwischen den Zeilen so eine Lebensrealität, wonach Männer die Domäne »Löcher in die Wand bohren« im Laufe der Geschichte an sich gerissen hätten. Ich hätte in all meiner Zeit als Partner etwaiger Frauen niemals etwas dagegen gehabt, wenn die jeweilige Partnerin mir diese leidige Aufgabe abgenommen hätte. Es ist nicht sonderlich atemberaubend mit einer Bohrmaschine an einer Wand zu kleben, die so hart ist, als sei sie mit Diamant oder Hartmetall beschichtet. Und genau da sind wir beim Thema: Handbohrmaschinen sind nicht so schwer, weil Männer Frauen von ihnen fernhalten wollen. Sie wiegen nicht viel um als Ausdurck patriachalischen Denkens zu wirken und sind auch kein Phallus mit Spiral- und Spanwinkel oder anderer Schneidengeometrie. Sie sind schwer, weil ein robustes und gutes Werkzeug eben nicht schwerelos sein kann. So eine Schlagbohrmaschine zum Beispiel muss was aushalten. Sie kann eben nicht gerade mal 500 Gramm wiegen, wenn sie Löcher in Beton hämmern soll. Von nichts kommt nämlich nichts. Brachialgewalt braucht Masse. Butterbrotpapier taugt nicht als Sprungtuch und ein handlicher Plastikbohrer nicht als Werkzeug. Manchmal sind die Erscheinungen der Welt den Realitäten geschuldet und nicht bohrmaschinengeilen Kerlen, die das Ding nicht in Frauenhände geben wollen.

Aber einerlei, denn das Beispiel ist unisex und damit der neueste Schrei und eben unisexy. Wenn man Spielzeuggeräte als Ausdruck des neuen Denkens feiert und man dann beim Anbringen eines Hängeregales mit dem Ding auf einer Trittleiter steht und flucht, weil man da nur an der Oberfläche kratzt, erst dann ahnt man wohl, dass man einer Ideologie aufgesessen ist. Denn die Welt ist nun mal nicht immer »a Man's World« - manchmal ist sie einfach vom Gewicht her »männlicher«, weil Wände eben hart sind und man trotzdem in sie vordringen können muss. Sich aber über die Gegebenheit dieser Wirklichkeit hinwegzusetzen, trotzdem die Verschlechterung dieser Handwerkstätigkeit als Fortschritt zu feiern, das offenbart den ideologischen Impetus, der nicht ergebnisoffen ans Werk geht, sondern mit klar vorgezeichneten Resultaten anrückt. Ganz ähnlich hat mancher Funktionär der UdSSR triumphiert, als er Rückschritte und Verluste als etwas viel Besseres als vorher hinstellte, nur weil man ja jetzt orthodoxer ans Werk ging und mit neuen Elan dem Alten auf die Pelle stieg.

Mir jedenfalls imponieren Frauen, die Bohrmaschinen in die Hand nehmen und sie benutzen. Besser sie als ich. Wie ich dieses Rattern und Stauben doch verabscheue. Dann wird das Ding heiß, der Bohrer glüht und das Loch ist immer noch nicht tief genug, um den verdammten Dübel zu versenken. Und am Ende verläuft der Bohrer in der Wand und man muss nochmal zwei Zentimeter tiefer ansetzen. Und obwohl ich es hasse, ich fühle mich dennoch männlich. Und wenn sie jetzt noch ein Plattiereisen erfinden, das so leicht ist, dass es schier schwebt, dann bleibt mir auch noch diese leidige Schnitzeljagd und das heiße Fett, in dem die mit Brösel bestäubten Schinken schwimmen sollen, erspart. Ob die Dinger dann allerdings flach genug werden, wage ich zu bezweifeln. Aber solange sie unisex sind, ist sogar jedes zähe Schnitzel ein Fortschritt. Es sei denn, man ist Veganer. Die kriegen sicher auch noch ein Radiofeature und eine passende Bohrmaschine dazu.

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Zu Ohren gekommen

Dienstag, 29. September 2015

Claudia Roth meinte im Verlauf der letzten Wochen mal, dass viele der Flüchtlinge, die nun zu uns kommen, nicht verwertbar seien. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Verwertbar. Nicht so verwertbar wie zum Beispiel der holzige Abschnitt von Spargel, aus dem man mit etwas Küchengeschick noch eine Spargelcremesuppe zubereiten kann. Was hier ins Gastronomische abgleitet, ist zugleich auch die Sprache der Konzentrationslager und der Selektionsrampen. Man kann solche Verben gekoppelt an menschliche Schicksale heute verwenden, ohne gleich Ärger zu kriegen.

Spargel also. Vielleicht verdingen sich viele der Flüchtlinge bald unter Mindestlohnwert wieder auf Feldern. Also nach diesem Winter. Die nächste Spargelsaison kommt sicher. Und dann wird ein gewiefter Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker vor die Kameras treten und sagen, dass Flüchtlinge ja zur Saisonarbeit einsetzbar wären. Man müsse das mal prüfen und dann die Leute dort einsetzen. Einsatz oder wahlweise das Einsetzen. Das sind beliebte Hauptworte in dieser Republik. Hin und wieder kommt einem klugen Kopf in den Sinn, Hartz IV-Bezieher in der Altenpflege einzusetzen. Neulich hat einer gemeint, man müsse Leistungsbezieher in Flüchtlingsunterkünften einsetzen. Sie sprechen wie Feldherren oder Generale, die gar nicht mehr fragen müssen, ob Menschen das eigentlich wollen. Sie delegieren Menschen wie Bauern auf einem Schachfeld, das sie Arbeitsmarkt nennen. Wenn man jemand einsetzen will, dann ist das militärische Verwaltung, nicht aber die Freiheit, die man hier als Versprechen unserer Grundordnung bei jeder Sonntagsrede hört. Wenn man eben Leute wo einsetzen will, dann ist jegliche Mitsprache schon aufgehoben. Hartz IV-Bezieher, dein Einsatz!

Ich bin vom Verwerten zum Einsetzen abgekommen. Die Begriffe sind nicht ganz unähnlich. Aber ich habe es bewusst gemacht, weil man beim Verwerten nichts mehr sagen kann, was nicht automatisch mit Auschwitz oder Treblinka gedacht werden kann. Und ich will das nicht. Diese ewigen Vergleiche. Irgendwann langweilen sie. Außerdem halte ich die Roth nicht für eine Rampendoktorin, die Gebisse sondiert und dann beurteilt. Und weil ich sie dafür nicht halte, macht mir eine solche Wortwahl fast noch mehr Sorgen. Es ist nichts mehr dabei, wenn man so redet. Und selbst solche, die so stolz auf ihren gelebten Antifaschismus sind, reden mittlerweile so und merken es gar nicht. Das Einsetzen hingegen ist eher militaristisch, eher Verwaltungsapparat. Aber das Verwerten, Jungejunge, das ist echt eine Schippe obendrauf. Da denkt man an Alte und Kinder, die nicht arbeiten können und die Kosten verursachen und die man ... ja, was macht man mit denen? Und dann bin ich automatisch wieder im KZ. Man kann nach Auschwitz zwar wieder Gedichte schreiben, es gingen ja Jahre ins Land und die Nazis von damals sterben aus. Aber bestimmte Begriffe sind nicht einfach wieder unverdächtig. Wenn man von Menschen und Verwertbarkeit spricht, dann ist die Rampe ganz automatisch im Hinterkopf.

Wenn man glaubt, dass mit Sprache das Bewusstsein anfängt, dann muss man solche Formulierungen wirklich für hochgradig brandstiftend halten. Und wenn man glaubt, dass das von der Sprache erzeugte Bewusstsein eine Wechselwirkung mit der Sprache eingeht, dann muss man sich fragen, ob Roth schon infiziert ist von diesem Duktus, den man ohne Probleme auch in jedem Konzentrationslager hätte anwenden können. Menschenmaterial allerorten. Hartz IV-Empfänger einsetzen, Flüchtlinge verwerten. Humanismus ade! Wir haben jetzt die freie Marktwirtschaft. Sie hat uns im Griff und lehrt uns sprechen. Und manche von uns macht sie nur noch sprachlos.

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Es gibt kein Bleiberecht oder No Future

Montag, 28. September 2015

Ich hätte gerne wieder eine Zukunft. Nicht ich persönlich. Okay, das zwar auch. Aber darauf will ich jetzt nicht hinaus. Zukunft, das ist laut Thomas Brussig ein Machtbegriff im ehemaligen Osten gewesen. Die alten Männer aus dem Führungskader gebieteten über ihn. Immerhin. Sie hatten noch einen Begriff davon. Wir haben heute gar keinen mehr. Die Zukunft ist quasi nicht existent. Sie hat abgewirtschaftet. Was sie uns bringen kann und soll, wie wir uns unsere Gesellschaft und damit Zukunft vorstellen, ist immer weniger Gegenstand von Debatten. Früher sprach man nicht über Geld – heute ist es nicht mehr schicklich, über Zukunftspläne zu sprechen, die über den individuellen Lebensplan hinausgehen.

Es wird fürwahr viel von Arbeitsplätzen gesprochen, die künftig geschaffen werden sollen. Meist sind es gar keine richtigen, sondern nur Jobs. Aber gut. Wachstum ist ein Begriff, den wir mit Zukunft konnotieren. Es ist ja auch notwendig – keine Frage. Rentenversichern Sie sich privat, damit es ihnen in Zukunft gut geht. Zukunft ist für uns eine pekuniäre Sache. Keine ideelle. Nur warum wir das alles tun, das bleibt schleierhaft. Für was also? Für welche Art Zukunft? Es gibt keine Vision mehr. Helmut Schmidt sagte mal, dass jemand, der Visionen hat, nicht in die Politik, sondern zum Arzt gehen solle. Ein schmissiger Spruch. Damit punktet man in lustiger Runde. Ich hätte auch gelacht. Aber ich lehne ihn als Wahrheit trotzdem ab. Natürlich braucht man Vorstellungen darüber, wie es werden soll. Was man zukünftig will. Aber darüber erhalten wir eben keine Auskunft mehr. Man stückwerkt pragmatisch an der Gesellschaft herum, ohne ein Leitmotiv zu haben. Zukunft ist etwas, was in keiner Agenda steht. Nicht als langfristige Planung, als Ideal, an das politisch anzunähern man sich traut.

Nochmal zu Brussig. Er schreibt darüber, dass die alten Herren eine Zukunft verwalteten, die ihnen ihre Altvorderen mit auf den Weg gaben. Das war wenigstens noch ein Erbe. Man wollte ja eben eine Gesellschaft aufblühen lassen, die die Bitterkeit des Lebens in den Griff kriegt. Satt werden, wohnen, Arbeit haben, soziale Ausgrenzungen ausmerzen – vorwärts immer, rückwärts nimmer. Man hatte Visionen. Es sollte stetig bergauf gehen. Von Plan zu Plan. Die Sowjets haben es vorgemacht. Es gab ja auch tatsächlich eine Periode, in der sie wirtschaftlich wuchsen und prosperierten und in der es so aussah, als könne die Zukunft ein »rotes Zeitalter« werden. Problem war ja bei beiden, bei Ostdeutschland und Sowjetrussland nur, dass dieses Vorhaben irgendwann die Dynamik verlor, einfror und verwaltet wurde wie sterbliche Überreste im Kühlraum eines Klinikkellers. Die Aufbruchstimmung wurde von Greisen delegiert. Und dann war es vorbei mit einer Zukunft, die etwas versprach. Man spulte Versprechen ab und schaukelte sich die Eier, wenn man glaubte, wieder ein Stückchen besserer Zukunft umgesetzt zu haben.

Brussig schreibt von der Verschlafenheit und vom Stillstand, weil die Zukunft vorgeplant war. Wie gesagt, wenigstens hatte man noch was davon im Kopf. Wir indes haben alle Zukunftspläne aufgegeben, leben vor uns hin, liberalisieren und deregulieren und uns juckt es nicht, ob das ein Fortschritt, Rückschritt oder Ausfallschritt ist. Man tut einfach, setzt um. Pragmatisch eben. Wir senken die Sozialstandards und ahnen, dass das in Zukunft denen teuer zu stehen kommt, die bis heute noch kein Vermögen angehäuft haben. Wir ahnen also, dass die Zukunft eine Verschlechterung bringt, keinen Fortschritt. Und das in Zeiten eines materiellen Reichtums, den der Mensch vorher nie gekannt hat. Wir nehmen es also in Kauf. Und die Politik sediert uns mit Phrasen, die so tun, als seien wir schon lange drüben in der Zukunft angelangt.

»Wir müssen aufpassen, damit wir der soziale Rechtsstaat bleiben, der wir heute sind.« Oder: »Wir müssen sicherstellen, dass wir eine offene und freundliche Gesellschaft bleiben.« Immer wieder solche Sätze; immer wieder sagen sie uns, dass wir bleiben müssen. Bleiben was wir ohnehin nicht sind. Doch das Bleiben suggeriert uns, dass wir es geschafft, das Ziel der Entwicklung genommen haben wie eine etwas zu niedrige Hürde. Ist das das Ende der Geschichte, von dem man nach dem Ende des kommunistischen Blocks gesprochen hatte? Ein Ort, der das Bleiben postuliert und nicht mehr das Weitergehen? Nein, wir bleiben immer nur, wollen immer nur so bleiben wie wir sind und nicht vorangehen. Aus solchen Sätzen liest man heraus, wie es um die Zukunft bestellt ist. Es gibt sie nicht. Nicht mehr. Denn quasi sind wir schon in ihr, weil sich Minister und Staatssekretäre gar nicht vorstellen können, dass es zukünftig vielleicht anders sein wird, soll und darf in diesem Land. Wer schon angekommen ist, der muss nicht mehr reisen.

Aber es gibt so viel zu tun, zu reformieren, zu partizipieren und aufs Neue zu regulieren. Es gibt dieses Bleiberecht nicht. Es hat keine Berechtigung, weil Menschen ein Recht auf Zukunft haben. Weil sie sie als etwas brauchen, was ihnen vor Augen steht. Sie brauchen sie nicht nur als Individuum, sondern eben auch als Subjekt in der Masse. »Verbleiben« ist die Losung einer politischen Kaste, die uns die Zukunft ausredet, sie einfach verschweigt, mit Tipp-Ex übertüncht, die also so tut, als seien wir schon futuristisch dort, um nicht mehr dorthin zu müssen. Es fahren Züge – sicherlich. Aber sie fahren ins Nirgendwo, weil wir ja schon im Irgendwo ausharren.

Man sprach früher viel von der »No Future«-Generation, die sich nun berausche, die lieber high ist, als bei Sinnen. Aber die wirkliche »No Future«-Generation sind wir. Wir wursteln so dahin, machen weiter ohne Ziel und ohne Verstand und haben gar keinen Schimmer mehr davon, wie wir es uns vorstellen. Die Macher von »Star Trek« haben Shakespeares »unentdecktes Land« uminterpretiert. Der sprach im Hamlet davon und meinte den Tod. In einem der unzähligen Kinofilme der Science-Fiction-Reihe war aber die Zukunft gemeint. Es ist heute so, als gäbe es da ein unentdecktes Land. Aber wir haben die Neugier verloren, es auch finden und entdecken zu wollen. »There is no future in England's dreaming« punkten die Sex Pistols Ende der Siebziger. Das genannte Land ist austauschbar. Die Erkenntnis nicht. Wir haben keine Zukunft, weil die Zukunft als politischer Begriff aus dem Verkehr gezogen wurde.

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Besorgter Bürger, komm erklär' es uns nochmal

Freitag, 25. September 2015

Was in unserm Land passiert, das is nich mehr normal. Da geht mir echt die Hutschnur den Rücken runter. Herrgott, was da alles zu uns hinein kommt. Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe nichts gegen Fremde, wirklich nicht. Aber jeder muss halt wissen, wo er is. Und das wissen die nicht. Man muss nur mal gucken, wie viele Sinagogen wir diesen Islamisten hier schon bauen. Und jetzt kommen noch mehr. Und dann sind das alles auch noch Kerle mit Bart. Statt das die ihren Krieg unnerstützen und für ihr Land kämpfen, laufen sie wie die Weiber weg. Und die kommen erst gar nich. Oh weh, was das heißt, is ja auch mal klar. Jetzt gehts unseren Frauen an die Krägen. Und die werden doof genug sein, sich mit irgendeinem Ali einzulassen.

Die nehmen uns die Frauen weg. Das war nie anders. Schon die Gastarbeiter früher haben das gemacht. Mischehen und so. Und wo endets? Die landen dann doch eh nur vor dem Familiengericht. Weil es kulturell nicht so gut klappt halt. Und deutsche Männer will ja keine mehr. Die arbeiten zu viel. Haben nich die Zeit, die sich Weiber so wünschen. Die ganzen Ausländer und Asilanten nehmen uns die Frauen weg und die Gänse lassen sich auch noch wegnehmen. Und überhaupt bleiben diese Kerle natürlich nur unner sich. Parallelgesellschaft eben; wollen sich nicht vermischen, wollen separat bleiben. Intikration gibt es doch nich. Hören Se mir doch auf damit! Ali heiratet sein Kopftuchmädel und so bleiben sie ewig Asilanten und nehmen nix Deutsches an. Ja selbst arbeiten tun sie ja auch bloß bei anderen Ausländern.

Das ist ja doch der nächste Punkt. Diese Menschen arbeiten ja nix. Kommen nach Deutschland, reizen den Sozialstaat aus und arbeiten ihr Leben lang nich die Bohne. Paradys und so. Da stellt man sich nicht auf die Hinnerbeine. Wieso auch? Das haben sie schon bei ihnen Zuhause nicht gemacht. Sonst wären sie ja nicht hier, sondern noch dort drüben. Hätten se mal gekämpft. Haben unsere Groseltern ja auch müssen. Unsereiner hat lieber den Spatz in der Hand, als den Hund in der Pfanne. Aber die wollen natürlich alles. Von diesen Flüchtlingen hört man nur immer »Ich – Ich – Ich«. Deswegen nehmen sie uns Deutschen ja auch alle Arbeitsplätze weg. Und wir sind die gelackmeierten. Kriegen keine Stellen mehr und müssen uns auf dem Amt blöd anquatschen lassen.

Was? Ich wiederspreche mir? Weil sie uns die Frauen wegnehmen? Weil sie nur Frauen aus dem eigenen Schlag nehmen? Weil sie nich arbeiten gehen? Weil sie uns die Arbeit stehlen vor der eigenen Nase? Ja, ähm … ich … also ich meine … überhaupt … LÜGENPRESSE! LÜGENPRESSE! Alles abgekartet. Ich mache mir doch nur Sorgen als Bürger. Die wird man sich doch noch mal machen dürfen ...

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Das sture Festhalten an das, was immer schon so war

Donnerstag, 24. September 2015

Das war schon immer so! Ein Satz, den man oft von Menschen hört. Dies ist der allgemeine Fatalismus, der ein Muster zum allgemeinen Unglück ist.

Wir unterhielten uns über die Ehe für Homosexuelle. Es war kein angenehmes Gespräch, denn ich hatte da die Engstirnigkeit vor mir. Was heißt: Er war dagegen. Für Argumente war er nicht zugänglich. Und meine Frage, woher er denn diese Laune nehme, anderen Menschen das Leben versauen zu wollen, beantwortete er mir leider nicht. Als er die Diskussion abwürgen wollte, behauptete er einfach, dass es immer schon so gewesen sei, dass Schwule nicht heiraten dürfen. Warum soll das jetzt anders gehandhabt werden? Da war es wieder, dieses Argument, das keines war, aber sich als solches verstand. Tradition als Basis eines müden »Weiter so«. Tage zuvor beendete er ein Gespräch mit demselben Spruch. Damals ging es um geringqualifizierte Jobs und dass es eine Schweinerei sei, wie man systemrelevante Tätigkeiten mit Niedriglohn abspeise. Das war jedenfalls meine Haltung zum Thema. Dass allerdings bestimmte Arbeit weniger wert sei, so sah er das, sei ganz normal und immer so gewesen. Ergo sei der Missstand gar keiner, sondern eine normale Fortentwicklung alter Handlungsweisen.

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Gestern im Tagebuch

Mittwoch, 23. September 2015

22. Sept. 15, Dienstag, es ist gleich sechs Uhr

Liebes Tagebuch,
alles hat eine Wendung genommen. Bis vor einigen Wochen sah es sehr schlecht um mich aus. Das hat mich betrübt. Aber jetzt bin ich gerade dabei, mich zu retten. Deswegen habe ich mich so lange nicht mehr bei dir gemeldet. Ich war halt beschäftigt. Musste am Ansehen meiner Kanzlerschaft arbeiten. Auch im Hinblick auf die Zukunft. Es gibt jetzt viele Flüchtlinge. Und ich habe mich entschlossen, mich um sie zu kümmern. Diese Leute kommen gerade richtig. Ausgerechnet als mein Stern im Sinken war, schlagen sie hier auf. Das ist eine Fügung des Schicksals, die nicht zu ergreifen fahrlässig wäre. Nach Fukushima dachte ich nicht, dass eine erneute politische Sackgasse ein Schlupfloch für mich bieten würde. Doch ich bin ein Glückskind. Wieder etwas, womit es sich profilieren lässt. Jetzt blicke ich wieder nach vorne.

Viele Menschen nehmen mir jetzt allerdings nicht ab, dass ich Emotionen gefunden habe und es wirklich aufrichtig meine mit den Flüchtlingen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, denn ich nehme mir diese Rolle selbst kaum ab. Aber sie werden schon sehen. Ich werde mich kümmern, werde die Flüchtlingskanzlerin sein und Europa meinen Willen aufzwingen. Wie gehabt. Nur eben nun für andere Ziele. Was nicht heißt, dass ich die Ziele, die ich bislang in Europa durchgedrückt habe, nicht auch weiterhin verfolgen werde. Joachim hat mich auf den Gedanken gebracht. Er hat neulich mal gesagt, jetzt müsse irgendwas geschehen, was dich in ein neues Licht rückt. Dann reichte er mir einen Stapel mit Tagespresse, legte ihn mir an den Badewannenrand und ich machte es mir gemütlich. Der Schaum prickelte auf den Poren und ich nippte am Mineralwasser. In einer dieser Zeitungen schrieb ein Kolumnist, dass die Bundeskanzlerin nun handeln müsse in der Flüchtlingsfrage. Huch, das war ja ich!, dachte ich mir. Und dann dachte ich an Joachim und rief aus: Da haben wir es ja! Das ist das neue Profil, das ich brauche.

Ich fuhr dann in dieses sächsische Dorf. Erst wollte ich nicht. Was hatte der braune Mob mit mir zu tun? Aber alle drängten mich so. Und nach der Erkenntnis in der Badewanne wusste ich, dass dieser Schritt sogar notwendig würde. Die Menschen sollten doch endlich sehen, dass ich aus Fleisch und Blut bin und fürsorglich und voller Gefühle. Das mit dem kleinen Flüchtlingsbalg vor einigen Wochen ist mir allerdings leider reichlich entglitten. Joachim meinte, ich hätte freundlicher auftreten sollen. War ich doch! Keiner versteht mich. Er meinte ferner, das sei nicht die Art von Freundlichkeit, die die Leute liebten. In Flüchtlingsunterkünften gibt es nun viele Möglichkeiten, um meine neue Freundlichkeit anzuwenden. Insofern ein Paradies zur Politur meiner Amtszeit. Überall kann ich lächeln und Hoffnungen aussprechen und den Leuten die Hand schütteln. Selfies inklusive. So werden die Wähler vergessen, wie ich die Geschichte mit den Geheimdiensten sabotiert habe. Sie werden meine unbeliebte europäische Politik vergessen. (Die war ja auch beschissen, aber was soll man tun, wenn man regieren will und die Konzerne mit schlechter Presse drohen?) Und meine zugegeben manchmal grauenhafte Personalpolitik wird ihnen auch gleich aus dem Gedächtnis entfallen. Da gibt es so viel. Und diesmal mache ich es besser als bei Fukushima, werde dranbleiben und das Thema nicht in die Hände eines dicken Sozialdemokraten geben, damit der das wieder verwässert und entemotionalisiert.

Nein, jetzt beginnt die gefühlvolle Kanzlerschaft; ich werde sie alle herzen, bis in den Geschichtsbüchern steht, dass ich eine nette und gute Person war. Brandt hatte historisches Glück. Er konnte auf die Knie fallen und damit unsterblich werden. Die Flüchtlinge sind mein Glück. Sie sind mein Kniefall. Ich bin ihnen dankbar. Werde deshalb aber nicht gleich auf die Knie fallen. Trotzdem möchte ich natürlich die Zuwanderung drosseln. Wohin mit den Leuten? Die, die da sind, die reichen doch auch aus, um damit mein Image aufzuhübschen. Wenn jetzt nochmal so viele kommen, werde ich deswegen auch nicht freundlicher bei den Deutschen ankommen. Und natürlich müssen wir auch sehen, dass man manche von ihnen wieder abschiebt. Sie sollten aber gerade so lange im Land bleiben, um mir etwas Spielraum zur guten PR zu geben.

Liebes Tagebuch, irgendwann kommt die Zeit, da die Menschen wieder eine effektivere Abschiebepraxis fordern. So sind meine Deutschen schon immer gewesen. Heute jubeln sie am Bahnhof, wenn Menschen aus Krisengebieten anrollen und morgen schreien sie, dass sie genug haben und wieder ihre Ruhe wollen. Das Jubeln am Bahnhof fand ich übrigens total daneben. Muss man denn alles mit Freude versauen? Da bin ich wahrscheinlich zu sehr Puritanerin. Na jedenfalls, irgendwann wollen sie Abschiebungen, da bin ich mir sicher. Und dann muss ich den richtigen Zeitpunkt finden, um Anschluss zu halten. Wegen der nächsten Wahlen. Nur darf ich deshalb mein Herz für Flüchtlinge nicht verlieren, wenn es mal so weit ist. Ich will ja auch all diese Gutmenschen mit Wahlrecht bei Laune halten. Ich sehe es so: Abschiebungen sind kurzfristige Maßnahmen zur Wiederwahl; Flüchtlingshilfe ist eine langfristige Initiative zur Profilierung in den Geschichtsbüchern. Beides ist mir wichtig, denn ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich auch für die Ewigkeit planen möchte. Klar sind Wahlsiege schön. Aber irgendwann sollen die Menschen an mich denken und schwelgen und mich »die gute alte Zeit« nennen. Mir wird nicht widerfahren, was dem Dicken zugestoßen ist.

Nun werde ich diesen Eintrag beenden. Joachim hat Grünkohl gekocht, gleich wird er mich rufen. Und außerdem muss ich mich noch auf ein strategisches Gespräch mit der Verteidigungsministerin vorbereiten. Diese unmögliche Person will neue Gewehre für die Bundeswehr. Und das ausgerechnet jetzt, da ich Deutschland zur Idylle auf Erden mache und diesem Platz ein gütiges Gesicht verleihen will. Sie hat ja recht, wir brauchen eine schlagkräftige Truppe, aber doch nicht jetzt, wo wir friedliche Weltsozialarbeiter sein wollen. Sie hat kein Gespür für Kampagnen und kein Taktgefühl. Alles hat seine Zeit. Irgendwann müssen wir wieder Militäreinsätze fordern. Aber nicht jetzt. Deshalb wird diese Person mir nie ins Amt folgen können. Ihr fehlt das Zeug dazu. Sie weiß nicht, wann sie die Ansichten annehmen muss, die ihr die Öffentlichkeit auferlegt. Aber ich lasse sie weiterhin vom Kanzleramt träumen. Jeder braucht Ziele. Neue Gewehre und Schlagkraft und die Umsetzung von des Bundespräsidenten ewiger Parolen vom Engagement in der Welt, bringen ehrlich gesagt ja auch Vorteile mit sich: Man schafft Flüchtlinge. Und exakt das ist mein Markt, hier wird meine Unsterblichkeit geboren. Sie sind mein persönlicher Kniefall von Warschau. Nur eben nicht in Warschau. Das Schicksal meint es gut mit mir. Ich kann nicht klagen.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 22. September 2015

»Die wirksamste und zäheste Form des Kampfes gegen die Befreiung besteht darin, den Menschen materielle und geistige Bedürfnisse einzuimpfen, welche die veralteten Formen des Kampfes ums Dasein verewigen.«
- Herbert Marcuse, »Der eindimensionale Mensch« -

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Vorurteile und ihre Folgen

Montag, 21. September 2015

Dienstag letzter Woche war es 80 Jahre her, dass die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet wurden. Wir sind heute glücklicherweise weit von einer solchen gesetzlichen Programmatik entfernt. So wie es derzeit aussieht, wird es ähnliche drastische Regelungen zur Diskriminierung nicht geben. Trotz Hasskommentaren auf Facebook, Brandanschlägen und einer allgemeinen Zunahme von Fremdenfeindlichkeit. Doch der Ungeist, wie man sieht, der dann 1935 in diesem Gesetz kulminierte, den gibt es immer noch. Weitaus aktiver als zuvor. Obgleich wir vor solchen Gesetzen heute gefeit scheinen, können wir trotzdem immer noch von diesem traurigen Jubiläum lernen.

Die Melange aus Vorurteilen, Hass, Halbwissen und fehlender Empathie waren die Grundlage jener Gesetze damals. Der alte Antijudaismus des Kontinents hatte eine allgemeine Haltung erzeugt, die Rassengesetze erst ermöglichte und für hinnehmbar auffasste. Sie waren ja nicht einfach so über Deutschland und Europa gekommen. Zuerst waren da Gedanken, dann Worte und später eben Handlungen und die Judikative. Und ehe man sich versah, durften Juden keinen Berufen mehr nachgehen, sich nicht mehr exogam verbinden und keine sexuellen Kontakte außerhalb »ihrer Rasse« pflegen. Das Rassengesetz mag zwar am 15. September 1935 plötzlich einstimmig vom Reichstag angenommen worden sein, aber von heute auf morgen war es deswegen noch lange nicht da. Alles hat Ursprünge, von jetzt auf gleich kriegt man vielleicht Schluckauf, aber nicht derlei gesellschaftliche Einschnitte.

Wer vorher nicht denkt, der handelt also nicht. Manchmal sagt man ja, jemand habe unbedacht gehandelt. Wenn er vorschnell etwas tut zum Beispiel. Dann spricht man auch vom »blinden Aktionismus«. Allerdings stimmt das so nicht. Solche Handlungen basieren ja trotzdem auf Gedanken. Nur vielleicht eben auf gekürzte oder auf falsche Gedanken. So ist es mit Vorurteilen. Sie sind ja nicht Nicht-Gedanken. Sie sind Gedanken, die auf falschen Prämissen fußen. Oder auf gezielt verdrehte Annahmen. Und die Handlungsweisen, die wir dann, beladen mit Ressentiments, an den Tag legen, sind natürlich von denselben beeinflusst. »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Handlungen.« So beginnt ein altes chinesisches Sprichwort, das man heute irrtümlicherweise dem Talmud zuschreibt. Man wusste also schon lange vor den Grundvätern des Rassengesetzes, dass es eine Linie von Gedanken zur Handlung gibt, von Vorurteilen zum Umgang mit denen, denen man dann mit Vorurteilen begegnet.

Vorurteile sind heute wieder chic. Sie waren es ja immer. Vorurteile sind eine menschliche Domäne. Heute finden sie jedoch wieder breiteren Konsens, weil sie einer Art von Volksgemeinschaft schmeicheln. Alter Wein in neuen Schläuchen. Immer noch ungenießbar. Man »weiß« heute, dass Muslime, Araber, Syrer, Wüstensöhne oder wie auch immer man sie nennt - »Ist doch eh alles dasselbe!« -, einen Hang zur Gewalt, zum Terror und zur Verweigerungshaltung gegenüber westlichen Rechtsstandards pflegen. Das ist einvernehmliches Wissen mittlerweile. In den Bussen und Bahnen lauscht man Gesprächen, die diesem Stereotyp vom Orientalen nachhängen. Und diverse Leitmedien schreiben scheinbar völlig unbedarft Plädoyers für eine Kultur, die den Fremden nun eindringlich zeigen müsse, dass hier das Grundgesetz gelte und nicht etwa die Scharia oder das Faustrecht. Ganz so, als ob die Menschen, die ins Land kommen, gleich noch einen Anspruch auf Islamisierung im Gepäck hätten.

Außerdem sind sie natürlich schmutzig, faul und korrupt. Egomanen und Miesepeter. Immer mit einer Hand am Klappmesser. Sie stehlen und marodieren, grillen ungefragt Lämmer in den Gärten braver Bürger und unterwandern unsere Kultur. Sie reißen die Geschicke des Landes an sich. Heimlich, still und leise. Politiker trauten sich nicht dagegen vorzugehen. Sie seien ja nur Marionetten. Und die Presse, wider aller Objektivität, ist natürlich ganz auf der Seite der Fremden. Das alles klingt wohlvertraut. So ging man mit jener gesellschaftlichen Gruppe um, die unter den Rassengesetzen leiden musste. Was Thematik im NS-Film »Jud Süss« war, ist in vielen Köpfen wieder Thema - jetzt bezogen auf die Flüchtlinge muslimischer Herkunft.

Das klingt alles besorgniserregend. Stimmt ja auch. Aber von Gesetzen nach Art der Apartheid sind wir weit entfernt. Jedenfalls im Augenblick. Die demokratische Kultur in Europa, obgleich sie in Schieflage gerät und einen enormen Verlust an Partizipation und damit an Vertrauen erfahren hat, ist stabiler als es das Weimarer System jemals war und sein konnte. Die damalige Demokratie wurde von Beamten betrieben, die ihr Handwerk noch unter Kaisers erlernt haben. Untertanengeist und die Kriminalisierung demokratischer Umtriebe waren ihnen in Bein und Mark übergegangen. So kann man zwar verwalten und Bescheide verschicken lassen, nicht aber eine gewissen demokratischen Geist beseelen. Und die jüngeren, die aus den Schützengräben zurück ins Leben kamen, fühlten sich von den Demokraten rücklings erdolcht. Auch sie waren kein Pool für nachhaltige Demokratisierung. Das ist heute zum Glück anders. Wir haben nicht unbedingt aus der Geschichte gelernt; wir haben nur anderes Personal zur Verfügung als damals.

Nein, wir müssen uns vor solchen Gesetzesinitiativen nicht fürchten. Heute will man Fremden nicht die Arbeit verbieten, man will ja sogar, dass sie arbeiten. Viel und für wenig Geld. Das ist auch diskriminierend, keine Frage. Aber eben eine andere Form von Diskriminierung. Man nimmt den Menschen nicht mehr ihre Existenzberechtigung in dem Sinne wie ab 1935. Das ist wahrlich kein Rückschritt. Mancher Fortschritt lässt aber noch immer auf sich warten. Und der Fortschritt in Sachen Vorurteilen blieb wahrscheinlich ganz auf der Strecke. Wenn man also heute an die Nürnberger Gesetze erinnern möchte, muss man nicht pathetisch schreien »Nie wieder Rassengesetze!« oder so was in dem Stil. Darüber sind wir hinweg. Für den Augenblick. Man sollte auf den Ungeist zu sprechen kommen, der damals in ein solches Gesetzeswerk mündeten. Lange, über Generationen genährte Vorurteile haben es verschuldet. Und an denen leiden wir heute wieder massiv. Lassen wir es nicht über Generationen gären. Gehen wir es langsam mal an, dieses Gift zu verwässern, bis es aus dem Kreislauf gewaschen ist. Damit wir 2035 keine Renaissance etwaiger Gesetzesinitiativen feiern müssen.

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§ 140 SGB III, Zumutbare Beschäftigungen

Freitag, 18. September 2015

Das versprach einen ordentlichen Verdienst. Wobei Verdienst falsch ist. Einkommen. Einnahmen. Umsatz. Gewinnspanne. Ich sollte für den Typen sein Zeug durch die Gegend fahren. Nicht angestellt. Sondern selbstständig. Dafür würde er auch mehr abdrücken pro Stunde. Mehr als für die Kerle, die sich nicht für die Selbstständigkeit entscheiden mochten. Das klang verlockend. Ich überlegte eine Nacht, rief an und sagte, dass ich es machen würde. Wer nicht wagte … weiß man doch. So war ich mein eigener Chef. Und es kam trotzdem was rein monatlich. Rechnungen konnten beglichen werden; man war nicht ganz ohne Salär. Legte einen Aufstieg vom Arbeitslosen zum Macher hin. Ich wurde zwar sicher nicht reich, aber doch satisfaktionsfähig, um mal pathetisch zu sprechen. Wie gesagt, ich sagte Ja. Es war nicht das, was dem Jobcenter vorschwebte. Aber auch nicht das, was es ablehnte. Besser als nichts. Auch damit fiel man aus der Statistik.

Irgendwie war ich nun Unternehmer und doch nicht mein Chef. Nur was Risiken betraf. Ansonsten war nicht ich mein Chef, sondern ein Typ namens Z. Ihm gehörte der Laden und er sagte, wie es zu laufen hatte mit seinen Angestellten. Problem war nur, dass ich nicht zu seinen Angestellten gehörte. Ich nicht. Und Godot auch nicht. So nannten sie den Kerl, weil wenn er Zeug ausfuhr, musste man meist vergeblich auf ihn warten. Godot war schon seit einigen Jahren sein eigener Chef. Und Z. war seit damals der Chef dieses Chefs ohne Mitspracherecht.
   »Ich kann am Freitag nicht«, sagte ich nach zwei Wochen zu Z. Er schaute mich böse an.
   »Und wieso?«
   »Habe Termine.«
   »Legen Sie sich die Termine auf Nachmittag«, empfahl er mir und wollte sich gleich mit empfehlen.
   »Kann ich nicht«, rief ich ihm nach.
   Er drehte sich um und stierte mich an, als wolle er mich gleich auf die Hörner nehmen.
   »Tut mir leid, am Freitag bin ich unpässlich.«
   Tatsächlich hatte ich gar keine Termine. Ich wollte nur mit einer Bekannten frühstücken gehen. Wenn Selbstständigkeit überhaupt etwas bedeutete, so dachte ich mir, dann doch wohl, dass man mal im Bett bleiben kann. Oder frühstücken. Eben sein eigener Herr sein. Der Kaiser über die eigene Zeit, die einem auf Erden so bleibt.
   »Es tut mir auch leid, aber ich brauche Sie. Sie werden also arbeiten müssen.«
   Ich antwortete nicht mehr und zeigte ihm mental den Stinkefinger. Ich würde am Freitag Eier und Speck essen, da konnte er machen was er wollte. Wer war er denn bitte? Etwa mein Chef?

Am Montag erschien ich dann wieder. Ich hatte am Freitag ordentlich abgesagt. Per Telefon. Habe auf den Anrufbeantworter gesprochen. Schon vor Dienstbeginn warnten mich die Kollegen, die bei Z. angestellt waren. Z. habe wohl sehr getobt. Mich ein »Arschloch« genannt und mir mit Rauswurf gedroht.
   »Das kannst du doch nicht machen«, sagte einer und zwei andere nickten.
   »Warum?«
   »Weil das so offensichtlich war. Außerdem sagt er, wie es hier läuft.«
   »Wie meinst du das?«
   »Er ist der Boss«, antwortete er und verdrehte dabei die Augen.
   »Deiner ja.«
   »Verstehe ich nicht … Ach, etwa weil du auf selbstständiger Basis hier angestellt bist? Komm, stell dich nicht so an, Godot macht doch auch keine Mätzchen.«
   »Wird er vielleicht noch. Jetzt heißt es nur: Warten auf Godot.«
   Ich lachte über diesen schlechten Witz.
   »Nein, aber mal im Ernst, was Godot macht, ist seine Sache. Schließlich ist er sein eigener Chef.«
   »Trotzdem, wenn jeder so handeln würde.«
   »Wenn jeder seine Belegschaft selbstständig engagiert, wo kämen wir da eigentlich hin?«
   Ich hatte keine Lust mehr, rauchte meine Pall Mall bis knapp zum Filter hinab und machte mich an die Arbeit.

»Wo waren Sie am Freitag?«, fragte mich eine Stimme keine zehn Minuten später. Sie drang aus dem Dunkel der Lagerhalle zu mir hinüber.
   »Krank«, rief ich zurück.
   Da stand nun Z. vor mir. Wie ein Teufel, den es aus seiner Gruft ans Tageslicht verschlagen hatte.
   »Ich glaube Ihnen nicht.«
   »Da kann man nichts machen.«
   »Haben Sie ein Attest oder eine Krankmeldung oder irgendeinen Beleg?«
   »Entschuldigen Sie mal, ich bin nicht Ihr Angestellter. Löchern Sie die da drüben mit Ihrer Wut«, ereiferte ich mich und zeigte auf die Gruppe derer, die vorher auf mich einredeten.
   »Außerdem stelle ich Ihnen den Freitag ja nicht in Rechnung, also regen Sie sich mal ab.«
   »Ich entlasse Sie!«
   Er hatte einen hochroten Kopf auf. Röchelte. Er war ein so viel besserer Unternehmer als ich. Ohne Frühstück, aber mit Herz und Herzinfarkt bei der Sache. Einen Infarkt hat er dann aber doch nicht bekommen.
   »Sie müssten mich dazu zunächst mal einstellen«, feixte ich. »Aber wissen Sie was, ich werde die Zusammenarbeit mit Ihnen auflösen. Keinen Auftrag von Ihnen mehr annehmen.«
   Und so zog ich ab, löste meine Firma auf und bekam nicht mal eine Sperre meiner Bezüge vom Jobcenter. Für ausbleibende Aufträge konnte ich ja nichts. Unternehmerisches Risiko und so. Z. hatte es ein wenig unterschätzt. Jetzt lässt er schwarz für sich arbeiten. So sind ihm seine Handlanger gefügiger.
   Und Godot? Auf den warten sie noch heute. Aber wenigstens muckt er nicht auf, spart seinem Dienstherrn Lohnnebenkosten und bringt hin und wieder Geld mit, wenn er mal wieder den Spiegel des Betriebslasters beschädigt hat oder dergleichen. Unternehmer halt. Die bringen das Land voran.

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Problemlösungen, die Probleme auslösen

Donnerstag, 17. September 2015

Irgendeiner dieser »Experten«, die man nun allerorten hört, sprach sich dafür aus, dass nun mehr Bürger Flüchtlinge privat bei sich aufnehmen sollten. Das ist kein guter Vorschlag, sondern das Gegenteil dessen. Es ist eine Hinterlist, um erneut eine Anti-Asylbewerber-Stimmung zu entfachen.

Es war Anfang der Neunziger. Ich war dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt und saß mit meinen Eltern vor der Glotze. Wir hatten RTL an. Dort putzte ein Reporter Klinken. Ging von Haustüre zu Haustüre und fragte nach, wer denn bereit sei, einen oder zwei Asylbewerber in seiner Privatwohnung aufzunehmen. Stein des Anstoßes war irgendeine Bemerkung eines Politikers, der im Zuge der Flüchtlingswelle jener Zeit, einen etwaigen Vorschlag diesbezüglich losgelassen hatte. Natürlich lehnten alle ab, fühlten sich von der Politik bevormundet. Sie waren sichtlich empört. Ich junger Kerl natürlich auch. Ich saß im Sessel und stellte mir vor, wie das wohl wäre, wenn uns ein Fremder unter Anordnung zugeteilt würde. Nach dem Krieg hatte es das schon mal gegeben, sagten der Reporter. Aber das war doch eine andere Situation, oder nicht? Für mich war das unvorstellbar und eine Schandtat, gegen die jeder Widerstand berechtigt wäre. Der rebellische Jugendliche malte sich seine Wehrhaftigkeit pathetisch aus. Ein solcher Vorschlag ist nun wieder aufs Tapet gebracht worden. Heute sehe ich das allerdings etwas anders.

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Ein Präsident und seine Zeit

Mittwoch, 16. September 2015

Er hetzt gegen Minderheiten und ethnische Gruppen, verabscheut Frauen und Homosexuelle - und empfindet das Zahlen von Steuern als wüsten Eingriff in die Freiheit des mündigen Menschen. Seine Rhetorik ist plump, schroff und beleidigend. Er ist ein Bulldozer. Wahrscheinlich nennt er seine Ausdünstungen Meinungsfreiheit. Was er zu sagen fähig ist, das sagt er eben. Er erinnert dabei an jene, die heute Deutschlands Straßen als besorgte Bürger bevölkern. Dieser Donald Trump ist also fürwahr keine Ausnahmeerscheinung in diesen Zeiten, sondern der folgenrichtige Typus, den die krisengeschüttelte westliche Welt jetzt an allen Plätzen hervorbringt. Einer, der es sich einfach macht, weil einfache Erklärungen jetzt allerorten zum neuesten Schlager werden. Komplexität ist ein Auslaufmodell in Gesellschaften, die es gewohnt sind, dass man ihnen das Denken abnimmt. Simplify your life eben.

Besorgte Bürger, Tea Party, Front Nationale. Wohin man auch guckt, überall krabbeln sie aus ihren Löchern, skandieren Parolen, wittern Sündenböcke und ergeben sich im Kulturkampf. An allen Ecken und Enden der westlichen Welt brennt es - und brennt etwas durch. Selbst kenne ich viele Leute in meinem Umfeld, die zwar nicht Parolen schwingen, aber durchaus offen sind für das Geseier, das da durchdringt von diesem neuen Schlag von »zoon politikons«. Was sich aufmacht, die Meinung dominieren zu wollen, ist nicht mehr der alte verstockte Konservatismus, der noch halbwegs kalkulierbar war, sondern ein Ableger ohne Anstand, Ideale und Benehmen. Dieser Pöbel reißt Themen an sich und stattet sie mit niedersten Beweggründen und Lösungsansätzen aus. Mit einem Populismus, den man über Jahre an die Stammtische verbannt hatte, werden sie Teil der Öffentlichkeit. Sozialdarwinistische, malthusische und rassistische Grundgedanken bestimmen ihre Agenda. Sie wissen nur nicht so genau, woher ihre Denke kommt. Denn sie sind keine Bildungsbürger. Schnappen nur Gedankenfetzen auf, entscheiden sich dabei jedoch immer für die radikalsten Aussagen, auch weil sie der Ansicht sind, dass nur noch radikale Schnitte den Frieden und den Wohlstand sichern können. Sie sind antimodernistisch. Nicht im Bezug auf Facebook oder Twitter. Diese Form des modernen Lebens lieben sie. Aber eine moderne Welt, in der Ethnien sich vermischen, die Welt kleiner wird, Kultur zur Multikultur emporsteigt, die ekelt sie an.

Trump ist nur der reiche Trampel dieser neuen Art von westlichen Bürger. Das Gesicht eines potenziellen Präsidenten in diesen »besorgten Zeiten«. Er vereint alle Elemente in sich, die der zum besorgten Bürger mutierte Stammtischbruder auch in sich trägt. Das kommt daher bei vielen gut an. Der klassische Konservatismus tritt zurück, muss mit diesem »Konservatismus von unten« konkurrieren, der sich als standhaft und sittsam ausgibt, der aber in Wirklichkeit die Saat der rechten Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte in sich trägt. Und das will wohl etwas bedeuten, wenn man den westlichen New Conservatism noch rechts überholen kann – nach all dem Thatcherismus, den Reaganomics und New Labour.

Dieser Mann und potenzielle Präsidentschaftskandidat ist das Gesicht einer Epoche, die völlig orientierungslos von Wirtschaftskrise zu Finanzkrise, von Haushaltskrise zu Währungskrise taumelt und eigentlich keine Vision vor Augen stehen hat, was in nächster Zukunft das Leben auf Erden besser machen sollte. Der Wohlstand als Massenphänomen wird abgeschmolzen. Wir reden von Wachstum und Konzerne akkumulieren tatsächlich beträchtlich, aber die Menschen leben in ökonomischer Unsicherheit, sind Verfügungsmasse, derer sich kein Manager verpflichtet fühlt. Andere sind arbeitslos und spüren, dass sie es bleiben werden, wenn die Agenda der westlichen Politik nicht umschwenkt und wieder Hoffnung und Verbesserung auf ihre Fahnen schreibt. Geld ist nicht alles. Politik muss auch Gefühle und Aufbruch transportieren. Und genau das tut sie nicht mehr. Sie ist Handlanger des puren Geldverdienens.

Trump transportiert auch keine neuen Gefühle. Er negiert ja nur. Ist ein Stinkstiefel. Wie all diesen besorgten Bürger auch. Das alles ist Reaktion, keine Hoffnungsträgerei. Manche verwechseln das nur miteinander. Das macht die Tristesse. Sie trübt den Blick. Trump wäre nur der US-Präsident einer Ära, die das politische Primat endgültig verabschiedet, Ideale aufgegeben und Regierung zu einer ausgetüftelten PR-Show gemacht hat. In einem Milieu gezielter Bildungsferne kann dieses Unkraut blühen. Antiintellektualismus liegt wieder im Trend. Man will einfache Erklärungen und Lösungen, etwas worüber man nicht nachdenken muss; Schwarz und Weiß halt, Eindimensionalität in der Darlegung der Weltgeschehnisse. Verdammen und hetzen sind einfacher als Reflexion. Das gelingt sogar dem Stammtisch. Wieso es sich so schwer machen? Warum nicht das Leben vereinfachen und solchen Parolen und solchen Rattenfängern nachlaufen? Trump ist kein Einbruch in eine vernünftige Zeit, kein potenzieller Unfall der Demokratie, sondern genau der Typus, der kommen musste, nach allem was geschah und geschieht.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 15. September 2015

»Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, dass sie nur verdummte Sklaven, aber keine freien Völker regieren können.«

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Cochabamba, Herr Gabriel ... Cochabamba!

Montag, 14. September 2015

Ob das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten die Privatisierung des Trinkwassers zulässt, ist offenbar noch nicht ganz geklärt. Vages Bauchgefühl, auch Tendenz genannt: Wahrscheinlich schon! Denn TTIP ist ja nicht gerade für Bescheidenheit bekannt. Es ist die gewollte Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Warum sollte das Abkommen also Halt machen vor dem Wasser? Auch ganz ohne die Initiative der europäischen Konservativen ist es zu einem Handelsgut degradiert - denn TTIP lässt nur eine Lesart zu: Alles ist verhandelbar. Alles ist Ware. Nichts ist unantastbar. Nicht Sozialstandards. Nicht Wasser. Und schon gar nicht die menschliche Würde. Aufgemerkt, Sigmar Gabriel! Co-cha-bam-ba: Schon mal gehört?

Nein, das ist kein südamerikanischer Tanz, sondern eine Stadt im Herzen Boliviens. Und dort spielte sich im Jahr 2000 der Guerra de Agua ab. Der Wasserkrieg. Der Internationale Währungsfond erzwang seinerzeit die Privatisierung der Wasserversorgung in Bolivien. Ein Konsortium der Unternehmen Bechtel, Edison und Abengoa mit dem Namen Aguas de Tunari verdreifachte daraufhin den Wasserpreis. Viele arme Familien konnten sich daraufhin kein Wasser mehr leisten, dürsteten nach dem Nass und kochten mit gesammelten Regenwasser. Da sich die Gesellschaft der drei Unternehmen jedoch als Herrin des Grundwassers betrachtete, kriminalisierte man auch das Auffangen von Regenwasser. Das war ja immerhin Diebstahl an den Ressourcen, die man profitabel ausbeuten wollte. Ein Entzug der Grundlage gewissermaßen. Das führte natürlich zu Massenprotesten. Und so engagierten sich Bechtel, Edison und Abengoa die staatliche Polizeisoldateska und setzten ihr Recht auf Profite durch. Sieben Menschen starben bei den Unruhen. Hunderte wurden verletzt. Die Regierung konnte das freilich nicht durchhalten und nahm die Privatisierung wieder zurück. Unter Protesten des IWF, versteht sich. Wenn Märkte einbrechen und Geschäfte unterbunden werden, protestiert der IWF stets. Das ist sein Naturell.

Gut, Sigmar Gabriel ist kein europäischer Konservativer. Nicht dem Parteibuch nach. Genau genommen ist er es natürlich schon lange. Mindestens seitdem er vizekanzlert in diesem Lande. Vorher klang er ja noch manchmal ein bisschen anders. Aber ist er wirklich so naiv zu glauben, er könne Cochabamba in einem gettipten Europa vereiteln? Oder unterdrücken? Wie soll das gehen? Jede Schutzmaßnahme, die sich nationale Regierungen ausdenken, kann vor ein Schiedsgericht gezerrt werden, um einkassiert zu werden. Wenn die Koalition also sagte, mit Wasser spielt man nicht und würde dazu ein Gesetz verabschieden, könnten Unternehmen im TTIP-Raum etwas von Wettbewerbsverzerrung salbadern und ihre Anwälte anrufen. Und dann ist Cochabamba plötzlich keine Geschichte aus Südamerika mehr, sondern europäische Wirklichkeit. Und dann fließt immer noch viel Wasser den Rhein herunter. Nur eben wesentlich teurer.

Wer denkt, dass er solche Szenarien unterdrücken kann, der ist gelinde gesagt naiv. Vielleicht sogar leicht dumm. So ehrlich muss man sein. Und das muss man den größten aller TTIP-Aktivsten auch mal an den Kopf werfen: Herrn Gabriel. Seien Sie nicht dumm! Wasser gehört nicht in die Hände von Unternehmen, sondern in die öffentliche Hand. Wasserversorgung darf kein Markt für Profite sein, sondern muss als Grundrecht so günstig wie nur irgendwie denkbar angeboten werden. Wer das aufs Spiel setzt, der setzt den sozialen Frieden aufs Spiel. Und damit jeglichen Partizipationsgedanken. Der plädiert für den inneren Krieg.

Der Grundgedanke dieses Freihandelsabkommens lässt jedenfalls eine Wasserversorgung, die unantastbar sein soll, überhaupt nicht zu. Das steht ihm diametral entgegen. TTIP erkennt keine gemachte Ordnung an, es ist als eigene, als selbstermächtigte Ordnung geplant. Und somit wird Cochabamba kaum ausgeschlossen sein, sondern eher unser Alltag werden in einem Europa, wie es Sigmar Gabriel vorschwebt. Aber gut, was kümmert einen schon das Wasser, wenn er Wein trinken darf? Oder trinken Sie lieber Bier, Herr Gabriel?

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Miteinander? Gegeneinander? Nebeneinander!

Donnerstag, 10. September 2015

Ein Widerstreit dominiert die Presseerzeugnisse. Die, die politisch rechts stehen, betonen nun, wie unmöglich sich das Zusammenleben zwischen den Alteingesessenen und den Flüchtlingen gestaltet. Und die, die eher links sind, zeigen Szenen aus einem Idyll. Beides ist unzutreffend.

Letztens las ich was von einem Straßenfest zwischen Ureinwohnern und Asylsuchenden. Alles soll sehr harmonisch abgelaufen sein. Es gab Musik, Speisen aus vielen Kulturkreisen und man kam sich näher. Ganz genau weiß ich nicht mehr, wo ich es gelesen habe. In der »Frankfurter Rundschau« vielleicht oder in der »taz« - auf jeden Fall in einer Zeitung, die man eher links einordnen würde. Und dann gab es da mal wieder das Urteil eines Meinungsmachers in der rechts-konservativen »Frankfurter Allgemeinen«, in dem es hieß, dass die vielen Fremden das Wesen der Republik verändern würden, dass sich nun Deutschland quasi wirklich abschafft und eine Leitkultur nun notwendiger sei denn je.

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Die gute alte Zeit mal wieder

Mittwoch, 9. September 2015

Dass wir gleich mal was klarstellen: Diese neue Legende ist Unsinn. Die Deutschen aus dem Banat, aus Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Siebenbürgen und/oder Böhmen waren keine besseren Flüchtlinge. Nicht dankbarer, nicht sauberer in Auffanglagern und schon gar nicht willkommener in diesem Deutschland unserer Altvorderen. Die, die nachher kamen, haben sich nicht mieser benommen, womit dann auch gerechtfertigt wäre, warum man Flüchtlinge verachten dürfe. Diese völkische Mär begegnet einem jetzt allerdings derzeit in sozialen Netzwerken. Die Deutschen aus dem Osten seien einfach anständigere Menschen auf der Flucht gewesen. Selbst auf der Flucht ist der Deutsche noch ein Wesen voller Würde und Aufrichtigkeit. Aber das ist Idealisierung und Geschichtsvergessenheit auf Kosten derer, die heute nach Zuflucht suchen.

Man muss nur mal die einschlägige Literatur von damals lesen. Dann erkennt man schnell, dass es Parallelen im Umgang und Wahrnehmung gibt. Und dass eine Konstante dieses Landes ist, jeden Fremden zunächst mal zu kriminalisieren oder gar pathologisieren. Was heute muslimischen Menschen aus allerlei Ländern und Schwarzen widerfährt, erlebten seinerzeit Deutschstämmige aus Bessarabien, Danzig oder Donauschwaben. Auch ihnen erkannte man ab, dass sie Menschen wie die Autochthonen sind.

Beispiele. Ich mache es kurz. »Ihr müsst schon was angestellt haben, dass man euch vertrieben hat«, sagten sie Marita Krauss, einer Flüchtigen von einst. Waren es nicht die Flüchtlinge, die Hitler gewählt haben? Dergleichen jedenfalls unterstellten sie ihr. Eine Gruppe von Südschleswigern sandte 1945 eine Petition an die britischen Besatzer und äußert darin die Bitte, »daß unser Land Südschleswig so bald wie möglich von den Flüchtlingen befreit wird. Dieser Strom von Fremden aus den Ostgebieten droht unseren angestammten nordischen Charakter auszulöschen«. In Bayern schreibt ein Flüchtlingskommissar, dass »die bayerische Bevölkerung (...) eben auf dem Standpunkt [stehe], daß sie unbedingt Herr im eigenen Haus bleiben will und sich zunächst einmal gegen jeden Verschmelzung mit den übrigen aufgezwungenen Flüchtlingen auflehnt.«

Man regte sich natürlich auch über die Zustände in den Lagern auf, »mit ihrem Unrat (Mangel an richtigen Latrinen, mangelnde Sauberkeit). Anwachsen der Epidemien durch die [...] Zusammendrängung«. Diese Zustände führten wiederum dazu, dass man den Menschen dort unterstellte, sie wären nicht sauber. Henning Burk, ein weiterer Flüchtling, sagte dazu: »Die Leute sagten, die sind arbeitsscheu, die brechen sich lieber den Arm, als dass sie zwei Wochen lang pünktlich zur Arbeit gehen.« Ingrid Berlik wiederum erzählte, wie sie ihre Schulklasse in einer Baracke besucht hat, wie ihre Mitschülerinnen auf »den Dreck zwischen den Baracken« schauen und wie sie sich »ekeln [...] vor dem Gestank, der auf den Büschen liegt«. Danach war sie wieder die Außenseiterin, eine Rolle, die sie schon abgestreift hatte und nun wieder einnehmen musste. Sie wurde von einer Geburtstagsfeier ausgeladen und keiner wollte mehr neben ihr sitzen.

Wie gesagt, ich mache es kurz. Es gibt noch weitere unzählige Dokumente und Erfahrungsberichte. Das alles ist aber lange her. Geändert hat sich im Umgang mit Flüchtlingen allerdings wenig bis nichts. Jetzt die Vergangenheit zu verklären, dient einzig und alleine dazu, die Gegenwart in den Zustand einer angeblich unglaublichen Singularität zu stellen. Damals war eben immer alles besser. Selbst die Flüchtlinge. Selbst die, die gegen sie Stimmung gemacht haben. Und alle hatten sich gern und halfen sich. Das ist zwar nicht die Wahrheit. Aber Vergangenheit, das ist doch in Deutschland immer schon der Ort gewesen, an dem alles ganz anders war.

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#Aufschrei der Dummheit

Dienstag, 8. September 2015

Facebook war immer mehr oder weniger eine Bekenntnismaschine. Man ließ dort heraushängen, wofür oder wogegen man war. Das schuf imaginäre Identität. «Je suis Charlie« war ein berühmtes Beispiel dafür. Plötzlich waren sie alle dieses Karlchen und hatten Bilder und Avatare davon auf ihrer Seite. In den letzten Monaten häuft sich das Bekenntnis zu einem Deutschland, das schrecklich ausgetrickst wird und ins Hintertreffen gerät. Freiheitskampf und Patriotismus dominiert manches Profil bei Facebook. Es ist, als ob die Deutschen in einen Endkampf geraten seien. Und das, obgleich sie synchron die Rolle einer Hegemonialmacht in Europa eingenommen haben. Völlig paradox tun manche so, als müsse Deutschland eine Opferrolle erfüllen. Sie bauen auf, muntern sich auf und deklarieren das Deutsche, das die Welt angeblich aus der Welt züchten will.

Ich habe selbst Leute in meiner Freundesliste, die ich für relativ unverdächtig hielt. Sie kommen aus der Klasse, die man früher mal «Arbeiterklasse« nannte. Sie posten, dass sie sich von Merkel und der politischen Klasse verarscht fühlen. Die Politik der USA stinkt ihnen. TTIP halten sie für gefährlich. Sinkende Löhne und diesen Arbeitsmarkt, der immer mehr Zumutungen birgt, möchten sie so nicht aktzeptieren. Beste Voraussetzungen für Bedachtsamkeit eigentlich. Aber gleichzeitig kehren sie den Patrioten heraus, wettern gegen Flüchtlinge und Überfremdung und gerieren sich als die letzten deutschen Eichen, die sich dem Fällen zur Wehr setzen. Alles trägt dabei den Unterton des Opfers. Das deutsche Volk ist demnach Opfer von hoher Politik und von Fremden. Oder besser noch: Die Politik holt Flüchtlinge ins Land, um das Deutsche langsam auszurotten. Verschwörungstheorien fallen derzeit auf fruchtbaren Boden.

So spielt man dann auch die Armen gegeneinander aus. Für Flüchtlinge habe man Geld, zahle man allerlei. Aber Arme mit deutschem Pass müssten Flaschenpfand sammeln, auf der Straße leben und von Resten leben. Die Relationsetzung zwischen Zeltlager und Hartz IV ist grotesk und lächerlich, kommt aber gut an. Vor der Flüchtlingswelle waren Bezieher von Sozialleistungen noch Abschaum. Obdachlose ein Fall für Arbeitshäuser. Heute werden sie völkisch aufgewertet. Jetzt sind auch sie zugehörig. Zeltlager und Hartz IV kann man jedoch gar nicht miteinander vergleichen. Aber das stört die neue Bekenntnis-Tour dieser Patrioten nicht sonderlich. Es geht nur um so ein Bauchgefühl, nicht um durchdachte Ansätze. Um völkische Ansätze halt. Um die Auflösung der Erkenntnis, dass wir alle die Opfer von Eliten sind, die uns gegeneinander aufwiegeln.

Dieser neue deutsche Stolz, er generiert Bekenntnisse. Zum Glück noch bei Facebook. Ist in Heidenau das Internet ausgefallen? Repariert es! Schnell! Zurück dorthin, wo der Aufschrei der Dummen sich in Bildchen und Statements erschöpft. Baut DSL aus, macht es schneller, damit diese Leute dort bleiben und nicht dort, wo sie ihren Wahnsinn realiter werden lassen können. Wer Dingen die Relevanz nehmen will, stellt es ins Internet, schrieb Grabow mal. Schafft also Zugänge zum Net. Ohne Störungen. Denn solange sie dort rummachen, sind sie zu beschäftigt mit dem echten Leben. Hoffentlich. Denn wenn sie doch mal von ihrem Kasten hochsehen, dann wird es gefährlich. Denn Bekenntnisse, das sind die Vorboten.

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Hermann, die Neger und ich

Montag, 7. September 2015

oder Warum ich sagen kann, was einem wie dem Herrmann nicht gelingt.

Letzte Woche um exakt diese Zeit schrieb ich von unseren Negern im Osten. Neger! Am selben Abend jenes Tages nannte der bayerische Innenminister in einer Talkshow einen kubanischen Schlagerstar einen »wunderbaren Neger« und erntet Zorn. Darf man dieses Wort denn gar nicht mehr gebrauchen? Das wird man doch noch mal sagen dürfen, oder nicht? Wenn man es zynisch meint, provokativ und polemisch, wenn man etwas mit diesem Unwort unterstreichen will und einen Missstand dokumentieren -  dann kann man es sagen, ja. Wer es bei Aufmärschen so genannter Patrioten gebraucht, der ist doch ganz anders zu bewerten als jemand, der damit jongliert und es als Zynismus verbraucht. Aber die politische Korrektheit und ihre Shitstormianer machen keinen Unterschied mehr. Im Namen einer besseren Welt und Gesellschaft. Doch wer nicht mehr differenzieren kann, der schafft das Gegenteil dieses Planes.

Herrmann hat es so gemeint. Zynisch. Er bezog sich auf einen Einspieler, der Minuten vorher eine lächerliche Gestalt aus dem Freitstaat Bayern zeigte, die von Negern sprach und überheblich betonte, dass sie eben von Negern sprach. Quasi als Ausdruck politischer Unkorrektheit und damit als Ausdruck von zivilem Ungehorsam, wie ihn Rechte heute verstehen. Der Mann nennt Schwarze wohl so, weil er sich vom »linken Zeitgeist« an die Wand gedrückt fühlt. Was für ein Widerstandskämpfer! Herrmann griff diese Intelligenzbestie auf und sagte den Satz, der jetzt überall zitiert wurde. Er wollte damit auf den Kollegen aus seinem Freistaat zu sprechen kommen. Provokativ und polemisch, damit dem Kerl spotten. Und ich verteidige Herrmann heute mal, obgleich ich ihn für hochgradig falsch für diese Demokratie bewerte. Er fiel oft negativ auf. Aber wenigstens doch so geschult, dass er nicht Neger zu einem Schwarzen sagen würde, ist er dann doch. Womit klar ist, dass er sagen wollte: »Horch amoi, Spezl aus meim Land, d' Nega kenna se a integriern. Da Blanco is nua so ein Beispui. Du Depp, du Pack, du oida Dreckbär.«

Nun gut, er hätte es fränkischer gesagt. Und seinen Integrationshintergedanken und seine Leitkulturansprüche muss man ja auch nicht teilen. Aber dass er da wie einer vom Ku-Klux-Klan gesprochen habe, das scheint völlig abwegig. Er selbst wollte Stellung gegen Rassismus beziehen. Das ist gründlich misslungen, was an mehreren Faktoren lag. Einerseits, weil man einem solchen Mann nicht abnimmt, dass er zynisch sprechen kann - und andererseits weil man bei seinem Zynismus jeglicher Feinsinn fehlte. Er agierte wie ein grobmotorischer Schuljunge, dem man etwaige Feinmotorik im Umgang mit so einem Thema nicht attestieren kann. Insofern konnte er sich so einen Kniff nicht leisten. Trotzdem sollte man ihm zugestehen, dass er es nicht so gemeint hat, wie man es ihm nachsagte.

Kurzer Einwurf: Ohne jetzt arrogant wirken zu wollen, habe ich in dieser Sache wohl einen anderen Leumund. Mir nimmt man ab, dass ich es zynisch meine, wenn ich Ossis als Neger oder meinen spanischen Vater als Hausneger bezeichne. Schließlich hetze ich nebenbei nicht gegen Flüchtlinge oder Moslems, weise nicht auf Ausweisung hin oder deklariere nicht die hiesige Gesellschaft als exklusive Gemeinschaft. Das verschafft mir Vorteile auf der zynischen Ebene. Herrmann hat polemisch versagt, weil er diesbezüglich ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

Dennoch bin ich bereit dazu, ihm zu glauben. Er hat es sicher so nicht gemeint, wie es diese Shitstormianer ihm jetzt anhängen wollen. Dumm gelaufen, weil er sonst auch dumm ist in seinem Auftreten. Aber einer, der die extremistische White Pride hochhält in Wort und Schrift, ist er sicherlich nicht. Und es stellt wahrscheinlich ein viel größeres Problem dar, dass diese Shitstormianer keine Differenziertheit mehr besitzen, als dass ein Innenminister verunglückt dezidiert sein will. Denn denen geht es um einen rigorosen Anspruch, nicht etwa darum, alles auf bestimmte Art und Weise sagen zu können. Sie nehmen die Nuancen aus dem Kontext und stürmen mit einer Orthodoxie los, die keinerlei Gespür mehr zulässt für Abstufungen und Schattierungen. Das ist nicht vernünftig oder dergleichen - es ist inquisitorisch und letztlich eine Tyrannei, die jede Abweichung wie Ketzerei behandelt.

Unworte sind durchaus zu gebrauchen. Richtig eingesetzt, machen sie einen Umstand nachvollziehbarer, erweitern das Spektrum einer Diskussion um Spitzen, die manchmal nötig sind. Sie grundsätzlich aus der Kommunikation zu verbannen, zeugt nicht gerade von einem Stil, den man offen nennen könnte. Ob nun jemand »Du Neger!« keift oder vom »wunderbaren Neger« spottet, den sich Ewiggestrige so gerne als Bediensteten wünschen, ist ein massiver Unterschied. Es hat wie jedes Wort einen doppelten Sinn, eine verschieden interpretierbare Auslegung. Mit Wortstürmer-Mentalität raubt man letztlich der Sprechkultur kleine Nischen, in die man seinen Alltagszynismus legen kann. Wenn Schwarze zum Beispiel weiterhin sozial ausgegrenzt werden im weißen Teil der Welt, wenn sie billig schuften sollen, dann kann man vernünftig darüber reden oder aber auf den Punkt kommen und sagen, dass sie wieder mal Feldneger sein sollen.

Oder man denkt eben an Onkel Tom, den gutmütigen Schwarzen, der nette Geschichten erzählt und sein Umfeld unterhält, nennt Blanco nach diesem Muster wie oben zitiert und persifliert damit die Haltung von Leuten, die Jérôme Boateng oder David Alaba zujubeln, aber ansonsten verächtlich von »den Negern« sprechen, weil sie den Begriff als ihr gutes Recht ansehen. Man sagt eben »wunderbarer Neger«, weil man damit zum Ausdruck bringen möchte, dass Schwarze für viele Dummköpfe durchaus legitim sind, wenn sie unterhalten und entertainen, wenn sie singen und kicken, wenn sie laufen und beim Afrikaner an der Ecke bedienen. Aber neben ihnen wohnen? Und exakt so ein Exemplar gab es im Einspieler vor Herrmanns Äußerung. Ein bayerischer Seppl, der ganz stolz war, weil er laut »Neger« in die Kamera sagen konnte und diesen Begriff freilich ganz anders meinte.

Der Historiker Sebastian Jobs meinte im Zuge dieser Debatte, dass der Begriff immer »Unterwerfung, Gewalt - und zugleich die Rechtfertigung, warum die Unterwerfung gut sei« meine. Da stimme ich völlig zu. Das tut er. Und daher kann man ihn gebrauchen, um etwas wie gesagt zu unterstreichen, in einen Kontext zu rücken. Ihn zu verschlucken, weil man es halt nicht sagt, bedeutet aber auch, diese Konnotationen zu verwischen. Dabei ist es nötig, rassistische Handlungsweisen und Denkmuster mit dem Erbe derer zu verquicken, die man einst als Neger bezeichnete. Wenn man etwas sagt, um es als unsäglich zu skizzieren, dann sollte man es richtig arrangiert auch sagen dürfen, ohne dass gleich Menschen auf den Plan treten, die keinerlei Gespür für solche Zynismen besitzen. Das alles heißt aber letztlich natürlich nicht, dass Herrmann ein guter Streiter in dieser Angelegenheit ist. War er nie. Herrenmensch war er immer. Das gehört zur Lebensart bayerischer Politiker. Aber in dieser einen Sache muss man ihm nichts andichten. Er wollte zynisch sein und ist wohl gescheitert. Mehr aber auch nicht.

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Die Armutsgefährdung, die von oben gewollt ist

Freitag, 4. September 2015

Geringqualifizierte haben in dieser Republik selbstverständlich selbst schuld. Sie hätten sich ja nicht geringqualifizieren müssen. Wären sie halt einfach hochqualifiziert geworden. Dem wäre doch nichts im Wege gestanden. Jeder ist seines Glückes Schmied. So weit jedenfalls die Parole der gängigen Ökonomie. Seit Jahren hören wir sie. Wer nur will, der kann alles werden. Und wer hätte dann geputzt, geliefert, eingeräumt, kassiert, serviert und was sonst noch alles getan? Wer hätte gemacht, was Geringqualifizierte heute so treiben müssen, um sich über Wasser zu halten? Oder fielen solche Tätigkeiten einfach weg? Letzteres ist natürlich unvorstellbar. Denn Bessergestellte und Eliten brauchen und wollen natürlich ein Heer von Handlangern. Sie aber trotz der Unabwendbarkeit dieser Jobs mehr und mehr der Armutsgefahr auszusetzen, zeigt nur, was man von Menschen hält, »die es nicht geschafft haben«.

Natürlich ist Qualifikation und/oder Bildung etwas, was man sich im Idealfall zulegen sollte. Nur funktioniert das Leben nicht für alle Menschen gleichermaßen reibungslos. Vielen wird dieser Glücksfall daher nicht zuteil. Sie verpassen ihn. Manche vielleicht selbstverschuldet. Andere erliegen äußeren Zwängen. Und dann kommt es für diese Leute darauf an, das Beste aus ihrem Leben herauszuholen, sich möglichst teuer am Arbeitsmarkt zu verkaufen. Der letzte Satz klingt wirklich abartig. Aber so sagt man das heute. Man prostituiert sich. Das tat man natürlich immer. Nur gab es vielleicht früher vor der Leistung von Werktätigen mehr Respekt als heute, sodass man das Hurenhafte nicht so schamlos sprachlich zur Geltung brachte. So oder so: Sie nehmen also Jobs an, die schlecht bezahlt werden, keine Chancen zum Aufstieg gewähren und gesellschaftlich nicht besonders geachtet werden. Einer muss das ja erledigen. Und da trifft es halt Menschen, die wir als geringqualifiziert bezeichnen.

Man hat es seit Jahren politisch zugelassen, dass sie mehr denn je abrutschen können. Dass sie die Boden unter ihren Füßen verlieren können, obgleich sie arbeiten. Ständig sind sie von Arbeitslosigkeit bedroht. Minijobs ersetzen ihre ehemaligen Vollzeitstellen. Sie arbeiten auf einem Lohnniveau, das sich an Hartz IV orientiert, während das Pensum nicht selten anwächst, sodass auch diese Arbeitsmarktgruppe von Burnout und etwaigen Stress-Folgen betroffen ist und durch Krankheit ihre Arbeitsplätze riskiert. Ein laxer Gebrauch von Kündigungsschutzgesetzen erlaubte auch hier einen schnellen Austausch von geringqualifizierter Hilfsarbeitskraft. Auch das war und ist politische Agenda hierzulande. Der produktive Bodensatz soll eben austauschbar sein - man nennt diesen Umstand allerdings hübsch »Flexibilität«.

Wie man mit dieser Gruppe umging, zeigt doch nur, was keiner laut ausspricht, was aber tatsächlich Hintergedanke in diesem Land ist: »Geringqualifizierte, ihr hattet eure Chance! Pech gehabt. Jetzt leidet eben. Selbst schuld.« Das ist nicht nur selbstherrlich, es zeigt auch, dass die Eliten keinen Schimmer von gesamtgesellschaftlichen Prozessen haben. Denn selbst wenn es gelänge, Geringqualifikation als Massenphänomen auszuschalten, jedermann höherwertig zu qualifizieren, fielen Stellen, die keinen hohen inhaltlichen Anspruch haben, nicht einfach weg. Sie sind schlicht nötig. Ganz und gar systemrelevant. Und so würden Höherqualifizierte tun, was heute Geringqualifizierte leisten. Sie wären trotz höheren Standards die neuen Geringqualifizierten. Die Hebung des allgemeinen Niveaus raubt der Arbeitsteilung ja nicht das »untere Ende« - und sie entfernt nebenher auch nicht den Dünkel, mit dem man »niederen Jobs« begegnet.

Mensch, was war man da trotz allem im Sozialismus weiter. Da hatte man erkannt, dass es Jobs innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft gibt, die zwar nicht besonders schön sind, aber notwendig. Und wie notwendig sogar! Also hat man sie gewürdigt und anständig entlohnt. Ob das dann letztlich ökonomisch richtig war, ist gar nicht das Thema. Keiner verlangt ja, dass ein Kurier besser bezahlt sein sollte, als der Direktor einer Sparkasse. Aber leben sollte er doch davon können. Ohne Zubrot von der Behörde. Und vor allem ohne Angst, bereits am morgigen Tag am Ende der eigenen Liquidität angelangt zu sein. Wer von seiner Arbeit leben kann, der darf getrost über den Dünkel der Gesellschaft lachen und denen zuprosten, die mit blanker Verachtung sprechen. Das fällt dann garantiert leichter. Geld stinkt nicht.

»Geringqualifiziert« ist ohnehin so ein moralischer Ausdruck. Er beinhaltet ja Gegensätze wie Schlecht und Gut oder eben wie Gering und Hoch. Dabei sagen die Herren der Ökonomie uns ständig, dass der Markt gar nicht moralisch agieren könne. Dazu sei er nicht geschaffen. So besehen dürfte es solche Begriffe gar nicht geben, denn der Markt benötigt eben Lieferanten und Putzfrauen. Die machen Tätigkeiten, die es nun mal gibt, wenn man sich die Arbeit gesellschaftlich aufgeteilt hat. Das ist insofern nicht gut oder schlecht. Es ist. Punkt. Das muss man ganz ontologisch betrachten. Es ist zu machen, zu erledigen. Genauso wie all die tollen, gut dotierten, angesehenen Berufe, die man auf der anderen Seite so haben kann.

Es gibt also kein moralisches Anrecht darauf, etwaige Stellen für so genannte Geringqualifizierte schlecht zu bezahlen, die Menschen, die diese Arbeit verrichten, an den Rand der Armut zu befördern. Wer das glaubt, der folgt einer falschen ökonomischen Moral - und das beweist wiederum, dass diese Ökonomie eben doch nicht so morallos ist, wie sie stolz vorgibt. Sie ist hochgradig moralisch - im Sinne von Herrenmoral und Snobismus. Die Armutsgefährdung der unteren Arbeitsmarktschichten ist kein Zufall, keine Unabwendbarkeit und von den Märkten bestimmte Notwendigkeit: Sie ist gewollt, elitär begründet und Ausdruck einer gesellschaftlichen Schieflage. Was wären denn all diesen hoch angesehenen Dreckspatzen ohne die Reinigungskräfte, die sie gut aussehen lassen?

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Meine Meinung: Keine Meinung

Donnerstag, 3. September 2015

Natürlich bewerten jetzt einschlägige Kreise Maas' Vorhaben, Facebook zur Zensur von hetzerischen Einträgen zu veranlassen, als Angriff auf die Meinungsfreiheit. Ist es aber nicht! Zwischen Meinen und Meinung ist ein Unterschied.

Da haben sie sich selbstverständlich gleich auf ihn eingeschossen. Will dieser Justizminister doch tatsächlich die Verantwortlichen der deutschen Facebook-Ausgabe an einen Tisch holen und dazu überreden, ihre Zensurbedingungen zu lockern. Rassistischen Beiträgen soll es so an den Kragen gehen. Denn viel zu oft würde gemeldete Verhetzung noch zu lange in der Pipeline stecken bleiben, oder sogar als unbedenklich eingestuft. Bei Nacktheit handelt Facebook schneller. Prüderie scheint dem Unternehmen einfach mehr am Herzen zu liegen. Dieser Plan stößt jedenfalls auf die Kritik derer, die sich heute so gerne auf Meinungsfreiheit beziehen: Die neuen Rechten und ihre Sympathisanten. Sie ereifern sich stets mit Vorliebe über die Beschneidung dieser ihrer Freiheit. Dabei haben sie aber etwas grundlegend falsch verstanden.

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Geht man so mit Lesern um?

Mittwoch, 2. September 2015

Die »Bild« mokiert sich nun unentwegt und schreibt von der »Nazi-Schande«, die dieses Land erschüttert. Sie nennt die Teilnehmer von Aufmärschen »Idioten« und verteidigt die Kanzlerin ihnen gegenüber. Nanana! Wer wird denn seine Leser so rüde beleidigen wollen? Geht man so mit den Leuten um, die die Arbeitsplätze in der eigenen Redaktion sichern? Die Hand beißen, die einen füttert? Wie bescheuert muss man eigentlich sein, sich sein Publikum so zu verprellen? Man muss dieser Zeitung wohl geschäftsschädigendes Verhalten in eigener Sache nachsagen. So geht die Verkaufskurve, die schon lange nach unten weist, nicht wieder hoch. Man muss seine Leser bei Laune halten.

Jahrelang hat man die Sinne der Leserschaft geschärft. Asyl war nach »Bild« nichts weiter, als eine Einladung für Kriminelle und Betrüger, ein voller Trog für Menschen, die aus dem Dunkeln des Auslands ins Licht Deutschlands kommen. Asyl war nicht einfach Asyl. Es war Asyl-Betrug oder Asyl-Schmarotzer. Man berichtete von »Vorfällen«. Und eigentlich nur von Vorfällen. Man erboste sich zum Beispiel, weil Asylbewerber sich Mobiltelefone kauften, um Kontakt zur Heimat, zur Mutter, zum alten Leben zu halten. Von Menschen in Angst, ohne Heimat, verfolgt und alleine in der Fremde, berichtete man eher nicht. Denn dann hätte man von Asyl reden müssen. Aber Asyl alleine und ohne Zusatz nach einem Bindestrich war im Agenda Setting nicht vorgesehen. Man schrieb lieber von den Roma, im Osten Europas ausgegrenzt und verfolgt, wie von einer Seuche. Wortwahl wie aus dem Reichspropagandaministerium teilweise. Man erteilte Menschen eine Stimme, die nochmal betonen wollten, dass Roma eigentlich eine Plage seien.

So lief das. Tagein. Tagaus. Das war das Programm: Deutschland wird abgezockt von Ausländerschwärmen. Von gierigem und faulem Gesindel. Und Einzelfälle sollten exemplarisch für alle sein. Pars pro toto halt. Man musste glauben, dass es auf der Welt keine Kriegs- und Krisenherde gibt, keine Not und kein Elend, keine Verfolgung und Mordlust. Denn wenn alle nur wegen der Kohle kommen, dann kommt ja keiner weil er Schutz sucht. So hat man das natürlich nie geschrieben. Nie behauptet. Man schreibt bei der »Bild« Zeilen, damit man zwischen den Zeilen schreiben kann. Die Leser kapierten es sofort. Und nun gehen sie nicht mehr einfach pegidasieren und mit Plakaten, jetzt wüten sie und drohen und beklatschen Übergriffe. Und was macht der Spiritus rector? Nennt die, die ihn täglich mit 80 Cent über Wasser halten, plötzlich Idioten und spricht von Schande.

Man sagte ja gemeinhin, dass die »Bild« nicht glaubwürdig sei. Aber das stimmt nicht. Sie war es immer. Man konnte ihr durchaus glauben, dass sie das Asylgesetz nicht leiden mochte. Eine Freude am Aufhetzen hatte. Das unterhielt die Öffentlichkeit und ließ wichtige gesellschaftliche Debatten unter den Tisch fallen. Und nun lässt sie ihre eigenen Leser im Stich. Erst jetzt leidet die Glaubwürdigkeit des Blattes. Nie kann man es diesem Blatt rechts machen. Wenn aber in Heidenau und in anderen Dummsdörfern die »Bild« aus Kiosken verschwindet, weil sie die eigenen Leser so beleidigt hat, dann wird man sicher wieder hetzen wie eh und je. Empörende Geschichten liefern. Sich wieder anbiedern bei dem Pack, das den Angestellen bei diesem Printmedium ein Ein- und Auskommen sichert.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 1. September 2015

»Alle Naturwissenschaften geben uns Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun, wenn wir das Leben technisch beherrschen wollen? Ob wir es aber technisch beherrschen sollen und wollen und ob das letztlich eigentlich Sinn hat: - das lassen wie ganz dahingestellt oder setzen es für ihre Zwecke voraus.«
- Max Weber -

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