Die Wahl, keine Wahl zu haben

Montag, 19. Januar 2015

Demokratie? Aber selbstverständlich. In Europa gibt es sie noch. Die Griechen können wählen wen sie wollen. Sie sind doch ein freies Volk. Aber wenn sie diesen einen da wählen, diesen jungen linkischen Kerl, der nie Schlips trägt, dann ziehen wir natürlich einen Schlussstrich. Mit dem verhandeln wir erst gar nicht. Wir sind immerhin auch ein freies Volk, nicht wahr?

Diktatur ist das nicht. Keine Bange. Wir haben irgendwas zwischen ihr und der Demokratie erwischt. So einen Zwitter. Was für uns hier die »marktkonforme Demokratie« sein soll, ist für Griechenland die »merkelkonforme Demokratie«. Ein Staatswesen, in dem die freie Willensbekundung immer mit Blick auf Berlin und Brüssel absolviert werden soll. Denn wenn Demokratie Freiheit bedeutet, dann bedeutet sie im aktuellen Europa, sich als Volk und Wähler nur die Freiheit zu nehmen, die man zuerkannt bekommt. Aber man ist faktisch trotzdem frei, keine Gesinnungspolizei inhaftiert einen oder erklärt Wahlen für ungültig. Aber wenn sie Resultate zeitigen, die auf höhere Ebene nicht gefallen, klinkt man sich aus und wird pampig, wirft die Griechen aus dem Verband oder droht mit dem Währungsentzug.

Ich hörte ja schon oft, dass die Europäische Union eine besondere Form der Diktatur sei. Dieses Urteil ist zu hart. Klassisch diktatorisch ist sie mitnichten. Führererlässe gibt es nicht. Manchmal ist diese internationale Vereinigung sogar liberaler als es die jeweiligen nationalen Regierungen sind. Oft kommt das nicht vor, aber hin und wieder geschehen Zeichen und Wunder. Was die EU in den letzten Jahren geschaffen hat, ist eine ganz neue Staatsform, die nicht Dikatur, aber eben auch nicht grundsätzlich demokratisch ist. Sie liegt irgendwo dazwischen. Ist eine Herrschaftsform, die mit dem schlechten Gewissen arbeitet, die verängstigt und klar macht, dass demokratische Willensbildung etwas ist, was man sich verdienen muss. Im pekuniärsten Sinne des Wortes. Einen Namen gibt es für dieses Phänomen allerdings noch nicht.

Merkel drohte einem Volk, noch bevor es zur Wahlurne geht. Sie tat es mit ihrem üblichen Understatement-Größenwahn. Spielte sich als konstituierende Vollversammlung auf, die sich nach demokratischen Wahlen gemeinhin formiert, um dem Wahlergebnis Rechnung zu tragen. Sie gab sich Deutungshoheit eines Wahlresultats, das ihr nicht in den Kram passt. Diese standhafte Demokratin, als die sie sich verkauft, hat das Wesen dieses Herrschaftsprinzips immer noch nicht begriffen. Wir brauchen uns nicht wundern, dass antidemokratische Kreise Aufwind haben. Denn unsere Demokraten, die wir so haben, haben selbst ein Problem mit einer Demokratie, die sich wehrt, die sich nicht genau die Metzger an den Messergriff votiert, die man gerne dort sähe.

4 Kommentare:

Anonym 19. Januar 2015 um 12:54  

"Ist eine Herrschaftsform, die mit dem schlechten Gewissen arbeitet, die verängstigt und klar macht, dass demokratische Willensbildung etwas ist, was man sich verdienen muss. Im pekuniärsten Sinne des Wortes. Einen Namen gibt es für dieses Phänomen allerdings noch nicht."

Ich hätte einen Vorschlag, wie wäre es mit Pekunärokratie?

Thomas 19. Januar 2015 um 14:17  

Demokratie bedeutet Freiheit? Dem möchte ich doch widersprechen. Bedeutet Demokratie doch, die Entscheidungen einer Mehrheit anzuerkennen und damit in geweissem Maße die eigene Freiheit aufzugeben.
Deswegen agitiert das Kapital doch so gegen Demokratie. Weil es dann seine Freiheit, den Pöbel auszubeuten, aufgeben müsste.
Gewiss, für den kleinen Bürger könnte einen echte Demokratie etwas mehr Freiheit bedeuten. "Marktkonforme Demokratie" bedeutet aber doch nur größtmögliche Freiheit des Kapitals / der Märkte bei der Ausbeutung der Massen.

Ui, was bin ich jetzt aber radikal-sozialistisch gewesen, in meiner Ausdrucksweise ;)

Moto 20. Januar 2015 um 11:01  

Ich denke, die Denkweise der "merkelkonformen Demokratie" ist ähnlich der von Hartz4:

Selbstverständlich haben die Griechen die volle Freiheit, Syritza zu wählen, aber dann werden sie eben in Form von Hunger und Chaos "sanktioniert". Ebenso haben Hartz4-Empfänger die volle Freiheit, sich den end- und sinnlosen "Maßnahmen" zu verweigern, aber dann sind sie im Folgenden für Hunger und Obdachlosigkeit eben selbst verantwortlich. Menschenwürde ist nicht etwas, was man hat, sondern etwas, was man sich durch "regelgerechtes" Verhalten verdienen muß.

"Fördern und Fordern" a la "merkelkonforme Demokratie" eben ...

Ute Plass 20. Januar 2015 um 17:03  

Wie viel (Wahl)Freiheiten die in Sonntagsreden so hochgelobten mündigen Bürgerinnen in dieser unserer marktkonformen Überwachungs-Demokratie haben bzw. nicht haben wird in einer Beitragsserie auf Telepolis (nicht immer frei von Polemik) thematisiert.
"...weil das eine bittere Konsequenz des Systems ist, ist es auch weltfremd anzunehmen, man brauche nur die eine oder andere Wahl abzuwarten, und schon werde wieder eine neue Generation von Politikern das Heft in die Hand nehmen. Genau dies hoffen viele Leute schon seit Jahrzehnten vergebens. Doch das Elend hat kein Ende."

http://www.heise.de/tp/special/demo/default.html

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