Die Pressevielfalt und die Gleichschaltung
Mittwoch, 28. Januar 2015
Deutschland ist heute froh über seinen Meinungs- und Medienpluralismus. Mensch, wir haben doch Pressefreiheit, hört man oft die Leute durchatmen. Gut, nicht alles läuft richtig, aber eine Lügenpresse haben wir fürwahr nicht zu ertragen. So einfach können wir es uns nicht machen. Wenn es denn überhaupt mal eine Lügenpresse gegeben hat, dann war es die, die die braunen Jahre dieses Landes begleitete. Aber selbst das ist nicht ganz so einfach.
Ich erinnere mich nämlich an Sebastian Haffner, wie er in »Von Bismarck zu Hitler« die Medienlandschaft in den Jahren von 1933 bis 1938 skizzierte. Eine totale Gleichschaltung schloss er aus. Man habe wahrscheinlich die Kriegspropaganda der späteren Jahre vor Augen gehabt und angenommen, dass es vorher in Nazi-Deutschland schon genauso war. Laut Haffner war es aber so nicht. Pressevielfalt gab es da durchaus noch, »wer die Frankfurter Zeitung las, der bekam die Dinge in ganz anderem Ton und Stil dargestellt als jemand, der den Völkischen Beobachter las.« Zeitungsleser hatten nicht etwa nur die Wahl zwischen identischen Zeitungen mit verschiedenen Namen gehabt. Jede Zeitung pflegte ihren Stil. Und wer die antisemitischen Tiraden des »Stürmer« nicht mochte, las eben eine andere Zeitung, die das Antisemitische ziemlich heraushielt.
Eine softe Gleichschaltung hat es natürlich schon gegeben. Goebbels setzte zwar nicht die Agenda, gab aber Richtlinien und die Sprachregelung vor. Nicht jede Kleinigkeit wurde vom Propagandaministerium bis ins Detail geplant. Auch der zeitungseigene Stil sollte unbedingt beibehalten werden. Aber welche Nachrichten unterdrückt oder unauffällig bleiben sollten, darüber wurde ich Zusammenkünften befunden. Eher selten diktierte man den Redaktionen Leitartikel ins Blatt. Man legte wert darauf, dass ein Bild von Vielfalt herrschte. Und man wusste, dass der ehemaligen Wähler der Sozialdemokraten einen anderen Stil bevorzugte, als der SA-Schläger von einst. Nicht alles durfte sich daher so anhören, als habe es Julius Streicher diktiert. So hätte man an Glaubwürdigkeit und Rückhalt verloren. Das Volk musste behutsam bei Laune gehalten werden. Behutsam und milieuspezifisch.
Haffner nannte das eine »fast genial zu nennende Form der Manipulation«. Sie war beileibe nicht total, aber doch so, dass man das Resultat erhielt, das man wollte: Ein Volk, das Meldungen erhielt, die nicht besorgten, während es noch glaubte, es habe die Wahl zwischen verschiedenen Interpretationen des Geschehens: Das war der ganze Trick. Das war auch der Grund, warum die Masse kaum merkte, wie sie eingelullt wurde. Sie wähnte sich ja noch im Pluralismus der Anschauungen.
Insofern ist es schon ein bisschen bequem, wenn man heute so tut, als sei die Gleichschaltung ein Akt gewesen, der mit gnadenloser Eintönigkeit in ganz engen Rastern gehalten wurde. So lief es nicht ab. Aber die Vorstellung ist praktisch, weil dann die heutigen Ansätze von medialer Anpassung und Abstimmung aussehen, als hätten sie mit den damaligen Prozessen nichts gemein. Manches davon ist sich aber gar nicht so unähnlich. Es ist einfach nur Anpassung, sich der Macht unterwerfen und dabei so ein bisschen interpretatives Alleinstellungsmerkmal bewahren. Nichts wiederholt sich. Aber vieles wirkt manchmal ein bisschen ähnlich.
Ich erinnere mich nämlich an Sebastian Haffner, wie er in »Von Bismarck zu Hitler« die Medienlandschaft in den Jahren von 1933 bis 1938 skizzierte. Eine totale Gleichschaltung schloss er aus. Man habe wahrscheinlich die Kriegspropaganda der späteren Jahre vor Augen gehabt und angenommen, dass es vorher in Nazi-Deutschland schon genauso war. Laut Haffner war es aber so nicht. Pressevielfalt gab es da durchaus noch, »wer die Frankfurter Zeitung las, der bekam die Dinge in ganz anderem Ton und Stil dargestellt als jemand, der den Völkischen Beobachter las.« Zeitungsleser hatten nicht etwa nur die Wahl zwischen identischen Zeitungen mit verschiedenen Namen gehabt. Jede Zeitung pflegte ihren Stil. Und wer die antisemitischen Tiraden des »Stürmer« nicht mochte, las eben eine andere Zeitung, die das Antisemitische ziemlich heraushielt.
Eine softe Gleichschaltung hat es natürlich schon gegeben. Goebbels setzte zwar nicht die Agenda, gab aber Richtlinien und die Sprachregelung vor. Nicht jede Kleinigkeit wurde vom Propagandaministerium bis ins Detail geplant. Auch der zeitungseigene Stil sollte unbedingt beibehalten werden. Aber welche Nachrichten unterdrückt oder unauffällig bleiben sollten, darüber wurde ich Zusammenkünften befunden. Eher selten diktierte man den Redaktionen Leitartikel ins Blatt. Man legte wert darauf, dass ein Bild von Vielfalt herrschte. Und man wusste, dass der ehemaligen Wähler der Sozialdemokraten einen anderen Stil bevorzugte, als der SA-Schläger von einst. Nicht alles durfte sich daher so anhören, als habe es Julius Streicher diktiert. So hätte man an Glaubwürdigkeit und Rückhalt verloren. Das Volk musste behutsam bei Laune gehalten werden. Behutsam und milieuspezifisch.
Haffner nannte das eine »fast genial zu nennende Form der Manipulation«. Sie war beileibe nicht total, aber doch so, dass man das Resultat erhielt, das man wollte: Ein Volk, das Meldungen erhielt, die nicht besorgten, während es noch glaubte, es habe die Wahl zwischen verschiedenen Interpretationen des Geschehens: Das war der ganze Trick. Das war auch der Grund, warum die Masse kaum merkte, wie sie eingelullt wurde. Sie wähnte sich ja noch im Pluralismus der Anschauungen.
Insofern ist es schon ein bisschen bequem, wenn man heute so tut, als sei die Gleichschaltung ein Akt gewesen, der mit gnadenloser Eintönigkeit in ganz engen Rastern gehalten wurde. So lief es nicht ab. Aber die Vorstellung ist praktisch, weil dann die heutigen Ansätze von medialer Anpassung und Abstimmung aussehen, als hätten sie mit den damaligen Prozessen nichts gemein. Manches davon ist sich aber gar nicht so unähnlich. Es ist einfach nur Anpassung, sich der Macht unterwerfen und dabei so ein bisschen interpretatives Alleinstellungsmerkmal bewahren. Nichts wiederholt sich. Aber vieles wirkt manchmal ein bisschen ähnlich.
7 Kommentare:
Lieber Roberto J. de Lapuente,
danke für den aufklärenden Text.
Ich dachte bisher auch immer, dass die Presse in NS-Deutschland "gleichgeschaltet" war, und war überrascht diesen Text von dir zu lesen.
Haffner übrigens ist mir bestens bekannt, da dieser Historiker sich nicht korrumpieren lies sondern ins britische Exil abwanderte, und von dort aus gegen NS-Deutschland anschrieb.
Seine Vita ist da sehr aufschlußreich, die es mittlerweile - Jahre nach Sebastian Haffners Tod - auch in Buchform gibt.
Interessant, und sehr aufschlußreich war für mich auch Haffners Einschätzung, dass Historiker nicht politisch unabhängig agieren sondern - wie er im Nachkriegsdeutschland nach dem britischen Exil schrieb - immer je nach politischer bzw. ideologischer Ausrichtung über die Geschichte nachforschen.
Wer denkt dabei nicht an Historiker des heutigen Deutschland, die neoliberal bzw. -konservativ ticken, und Deutschlands Geschichte auch so den Menschen ins Hirn drücken wollen?
Übrigens, die Presse lügt nicht nur, wie das Unwort "Lügenpresse" suggerieren soll:
Nein, die verschweigt auch Themen - oder lenkt davon ab - wie z.B. derzeit in der Ukraine-Krise das Thema bezahlte Söldner auf beiden Seiten des ukrainischen Bürgerkrieges.
Diese Thematik hab ich bei dir mal so eben nachvollziehen können - Man müßte bei der Presse wohl auch vom Schweigekartell reden, und nicht nur von einer "Gleichschaltung"....um die heutigen Zustände zu beschreiben.
Es werden einem nämlich auch wichtige Infos vorenthalten, statt presseseitig nur "vorgelogen".
Was die NS-Zeit angeht, da gibt es ja auch andere Medienprodukte, die dem von dir beschriebenen 1:1 entsprechen - So wurden so manche Kinofilme damals mit Schauspielern wie z.B. Heinz Rühmann gedreht, als seite Unterhaltung und unterschwellige NS-Propaganda.
Die Filme laufen heute noch, und so manch einer bzw. manch eine weiß es nicht, oder kommt später drauf, dass in Deutschlands TV Nazipropaganda läuft - in Form alter "harmloser" Kinofilme aus dieser Zeit.
Darüber sollte man auch mal schreiben.
Gruß
Bernie
Nicht alles was hinkt, ist auch ein Vergleich! Sicher kann man sich über die Mainstream-Medien, vor allem in ARD und ZDF, aufregen, so über die vollkommen einseitige Darstellung des Ukrainekonflikts. Die Protestbewegung in Spanien lässt man dagegen einfach unter den Tisch fallen. Der spanische Ministerpräsident hat das Demonstrationsrecht drastisch eingeschränkt und es war den Nachrichten noch nicht mal eine Melduing wert - er arbeitet ja auch im Auftrag von Merkel und Schäuble. Auch die Beiträge der Brüsseler Korrespondenten finde ich häufig haarsträubend. Da fallen mir zum Vergleich nur noch Honnis Hofschranzen beim DFF ein.
Aber das ist wirklich nur die halbe Miete: Es gibt ja auch die "Junge Welt", eine explizit linke Zeitung, oder die linksliberale "TAZ". Man kann auch Attac oder blogs wie diesen lesen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Die Autoren all dieser Publikationen wären unter den Nazis umgehend im KZ gelandet. In den Mainstreammedien wird zwar jede Menge verdreht, aber andrerseits kann auch Roberto schreiben, was er will.
Ich weiß wirklich nicht, was diese Nazivergleiche sollen. Sie sind nicht nur sachlich falsch, sondern man stellt sich da auch auf eine Ebene mit allerlei Spinnern und Verschwörungstheoretikern. Politisch ist das mehr als kontraproduktiv. Die Leute glauben zwar Klaus Kleber aufs Wort - aber mit falschen Nazivergleichen wird man sie kaum davon abbringen können. Der Wahlsieg von Syriza zeigt, dass die Demokratie in der EU durchaus funktioniert.
@Ulli
Ich finde die "Nazivergleiche" schon wichtig, aber auch dein Hinweis auf "Honni" ist nicht falsch, denn im dt. TV laufen auch Produktionen aus der Babelsberger Filmkiste und niemand regt sich darüber auch - neoliberale Beliebigkeit eben.
Wir leben in moralfreien, beliebigen Zeiten, und da zeigt man in Deutschland halt auch Filme aus beiden dt. Diktaturen wobei aber bleibt dass mit der fabrikmäßigen Massenvernichtung, und Massenverblödung, von Menschen NS-Deutschland weit vorne liegt, und das zu verharmlosen ist was ich mir 70 Jahre nach Auschwitz verbitte.
Ich warte mal gespannt auf Robertos Antwort auf deinen Post hier ;-)
Gruß
Bernie
Vorschlag: Ersetzung des Begriffs
»Lügenpresse« durch »Verschweige-
presse« – m.E. ein Schritt näher an der Faktizität.
@Bernie: Ich verharmlose doch die Nazis nicht. Wie kommst du denn darauf?
Ich sage, dass man die heutige Bundesrepublik nicht mit Nazi-Deutschland vergleichen sollte. Dabei kommt nicht viel heraus. Dafür sind die Unterschiede viel zu groß! Die Bundesrepublik, ganz Westeuropa ist - bei aller Kritik - eine im Kern demokratische und offene Gesellschaft. Gerade damit das so bleibt, müsste der gegenwärtige neoliberale Kapitalismus unbedingt wieder sozialstaatlich reguliert werden. Vielleicht ist der Wahlsieg von Syriza ja ein erster und entscheidender Schritt in diese Richtung.
ulli schreibt:
"[...]Bernie: Ich verharmlose doch die Nazis nicht. Wie kommst du denn darauf?[...]"
Ja, wie komme ich nur darauf:
"[...]Ich sage, dass man die heutige Bundesrepublik nicht mit Nazi-Deutschland vergleichen sollte. Dabei kommt nicht viel heraus. Dafür sind die Unterschiede viel zu groß![...]"
Aha? Ich behaupte einmal frei und frech, die alte Bundesrepublik ist mit der Wiedervereinigung Deutschlands untergegangen - die alte BRD war ein anderes Land als die heutige Merkel-Demokratur.
"[...]Die Bundesrepublik, ganz Westeuropa ist - bei aller Kritik - eine im Kern demokratische und offene Gesellschaft[...]"
Yep, wo warst du bei all den Skandalen der letzten Jahre? Ich meine nun den NSA-Skandal, die alten, und neuen Verbindungen, gewisser "C"Parteien zu Rechtsextremen usw. usf.....
"[...]Gerade damit das so bleibt, müsste der gegenwärtige neoliberale Kapitalismus unbedingt wieder sozialstaatlich reguliert werden. Vielleicht ist der Wahlsieg von Syriza ja ein erster und entscheidender Schritt in diese Richtung[...]"
Der gehört nicht "sozialstaatlich reguliert" sondern abgeschafft, der "gegenwärtige neoliberale Kapitalismus" und durch eine gerechtere Weltordnung ersetzt.
Was Syriza angeht, da geb ich dir völlig recht, ich hoffe, dass auch in Deutschland die "Linke" aufwacht und gegen das Neue Neoliberale Deutschland Merkels aufsteht....
Ich seh's so als in der BRD aufgewachsener, die alte BRD ist mit der Einheit - Putin nennt es "Annektion" der DDR durch die West-BRD - untergegangen. Was danach kam war nur noch neoliberale Sch.....
Zynischer Gruß
Bernie
Ein "Wessi"
@Ulli: Doch, vergleichen sollte man unbedingt! Mit vergangenen Verhältnissen ebenso wie mit auswärtigen, das verbessert die Bestimmung des augenblicklichen Entwicklungsstandes und der Tendenz.
Man muß dabei aber möglichst präzise sein. Also, die Nazis waren nicht plötzlich vom Himmel gefallen und D war nicht über Nacht eine Terror-Diktatur.
Haffner ist ein sehr guter Studieneinstieg und was ich derzeit in der deutschen Leitmedien-Landschaft sehe, ist einheitlich Propaganda, teilweise sogar Haßaufwiegelung, Demagogie. Nicht nur durch Lügen und Auslassen, auch durch Wortwahl, Stil, Bilderauswahl usw.
Einheitlich wodurch? Durch gemeinsame Ideologie.
Ja, wir haben heute Internet - , dem Viele nicht mehr vertrauen als der alten 'Lügenpresse'.
Vertrauen ist es, was großflächig verloren geht.
Das ist es, was gefährlich ist und wo es Parallelen gibt zur sog. 'Zwischenkriegszeit'.
Gruß Brennholzverleihnix
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