Zerrissene Lebensläufe
Freitag, 24. Februar 2012
Folgende Zeilen über Konstantin Weckers poetischer Biographie, erschienen bereits in gekürzter Variante am 1. Februar 2012 beim Lesebändchen. Der Inhalt seines Buches, der mehr birgt, als nur Eckdaten seines Lebens oder eine uninspirierte Litanei an Erlebnissen, passt thematisch auch zu ad sinistram. Daher sei auch hier nochmal auf die "Kunst des Scheiterns" verwiesen - und das etwas ausführlicher als beim Lesebändchen.
Sein Leben vom Standpunkt des Scheiterns aus zu erklären: das wagt nicht jeder. In einer Periode, da selbst Minderjährige, die von Konzernen zu Pop-Ikonen ausersehen werden, mit einer nur so von Erfolgen strotzenden Biographie aufwarten, wirkt der Biograph seines eigenen Scheiterns, wie ein bemitleidenswerter Verlierer. Lebensgeschichten haben ein Getümmel von großartigen Erfolgen, von unglaublichen Durchbrüchen, von einzigartigen Triumphen und feiernswerten Volltreffern zu sein. Wer wagt sein Leben als Ballung von Fehlschlägen, Irrtümern und Verunglückungen nachzumalen? Dazu bedarf es Mut - oder Naivität, was vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Jedenfalls, es war Konstantin Wecker, der seine Lebensgeschichte als "Kunst des Scheiterns" schrieb.
Der Untertitel seines Buches könnte von Samuel Beckett stammen - "Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden". Die Unmöglichkeit des Glückes, die aber dennoch in Glück mündet. Das sind die logischen Paradoxien eines jeden Lebens. Verwinkelungen, wie sie in aalglatten Biographien, in Lebensläufen für Personalchefs oder Viten für Buchrücken oder Webpräsenzen nicht vorgesehen sind. Alles gehört in ein zu Blatt gebrachtes Leben - nur keine Abbiegungen, keine Sackgassen, keine weißen Flecken, keine Hic-sunt-dracones-Flecken, keine eigentümlichen Irrtümlichkeiten. Passend hierzu läutet Wecker mit Beckett ein: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Das sind freilich Weisheiten, die man erst erzielt, wenn man kein zu lauschiges Leben führte.
Gleichzeitig wären diese Weisheiten etwas, das man der Jugend an die Hand geben sollte. Die bekommt heute gezeigt, möglichst konform zu sein, möglichst perfekt, sich allzeit blendend zu verkaufen, Alleinstellungsmerkmale zu polieren. Stehen sie dann vor Brüchen im Lebenslauf, tun sich die üblichen Lebenskrisen auf, dann erliegen sie dem Irrglauben, nun mit einem für alle sichtbaren Makel behaftet zu sein, einer Sünde an der meisterhaft tadellosen Eigendarstellung. In einer Gesellschaft, in der man sich beharrlich selbst verkaufen soll und man daher zum eigenen Händler seiner Ware, die man auch noch selbst ist, wird, ist es mit dem Selbstbewusstsein, mit dem Hier stehe ich, ich konnte damals nicht anders! Daher die Lücke, daher die Unausgewogenheit in meinem Lebenslauf! nicht weit her. Lebensläufe können variieren - wir legen doch viel Wert darauf, eine pluralistische Gesellschaft zu sein, in der es mehr als einen Lebensentwurf geben kann. Sie können wahrlich verschieden ausfallen, aber sie müssen von Nützlichkeiten marmoriert sein.
Was hat man getan; für wen; mit welcher Absicht; hat es was gebracht? War es sinnvoll? Förderlich? Zweckdienlich? Freie Zeiten, Vakanzen, Jahre der Ungebundenheit, der Freiheit, der Flucht, da zieht man skeptisch die Augenbraue zur runzeligen Stirn. Der Personalchef, der einen Blick auf die Vita wirft, fragt sich sogleich: Was wenn er wieder rückfällig wird, der Kandidat? Wenn er erneut unnütze Zeiten für sich und zur Belastung für unsere Gesellschaft anstrebt, wenn er zu nichts mehr taugt, ein Taugenichts wird? Zwei Jahre Selbstfindung und Reiselust: Das ist verdächtig! Unnötige Schulbesuche, die die adoleszente Ziellosigkeit unterstreichen: Ein Phlegmatiker! Ganz gefährliche Leute! Ein ganzes Jahr arbeitslos: Jemand, der sich mit seiner Lage arrangiert, kein Anpacker und Macher!
Konstantin Wecker verschweigt in "Die Kunst des Scheiterns" sicher nicht seine Erfolge. Aber sie sind nicht einfach hier, wie in manchen Populär-Biographien, sind nicht einfach zugefallen oder erarbeitet, sondern durch das Scheitern begründet. Trial and error - so kann Glück und Erfolg auch erzwungen werden. Wecker war Dieb, war Vagabund, war Luftikus, Sexschauspieler und Kokser. Sogenannte Fehlgriffe in seiner Vita, die ihm nicht schaden, ganz im Gegenteil, sie zeigen ihn als Menschen, als einen durch die Geschichte irrenden Zeitgenossen. Durch seine Lebenszeit zu irren, das gilt heute als Übertretung der Konvention, man muß heute wissen, was man will, zielstrebig sein, handeln, Lebenslauflücken nicht nur ausfüllen, sondern sinnvoll ausfüllen, sie mit wertschöpfenden Tätigkeiten ausfüllen. Erfolge sicher, die hatte er - aber Lehrmeister war das Scheitern; Erfolge waren das Gesellenstück der Scheiternslehre. Einsichten, die keiner hat, der Personal einstellt.
Wecker schönt nichts. Schön ist nur seine Sprache. Er schreibt poetisch, sehr verträumt - wie man ihn kennt, den Rinnsteinpoeten, für den er sich selbst hält. Er schreibt in seinem Buch an einer Stelle, dass er manchmal resigniert und wütend wird, weil die Jugend heute seine Aufrührigkeit nicht begreift; gegen wen sollen sie revoltieren, fragen sie ihn bei Veranstaltungen hin und wieder. Er gibt in seinem Buch eine eindeutige Antwort: gegen den überkandidelt wichtigtuerischen Lebenslauf, gegen die Diktatur der perfekten Vita, die schon kleine Ausbrüche gnadenlos abstraft und als Zeichen persönlicher Schwäche ansieht.
Sein Leben vom Standpunkt des Scheiterns aus zu erklären: das wagt nicht jeder. In einer Periode, da selbst Minderjährige, die von Konzernen zu Pop-Ikonen ausersehen werden, mit einer nur so von Erfolgen strotzenden Biographie aufwarten, wirkt der Biograph seines eigenen Scheiterns, wie ein bemitleidenswerter Verlierer. Lebensgeschichten haben ein Getümmel von großartigen Erfolgen, von unglaublichen Durchbrüchen, von einzigartigen Triumphen und feiernswerten Volltreffern zu sein. Wer wagt sein Leben als Ballung von Fehlschlägen, Irrtümern und Verunglückungen nachzumalen? Dazu bedarf es Mut - oder Naivität, was vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Jedenfalls, es war Konstantin Wecker, der seine Lebensgeschichte als "Kunst des Scheiterns" schrieb.
Der Untertitel seines Buches könnte von Samuel Beckett stammen - "Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden". Die Unmöglichkeit des Glückes, die aber dennoch in Glück mündet. Das sind die logischen Paradoxien eines jeden Lebens. Verwinkelungen, wie sie in aalglatten Biographien, in Lebensläufen für Personalchefs oder Viten für Buchrücken oder Webpräsenzen nicht vorgesehen sind. Alles gehört in ein zu Blatt gebrachtes Leben - nur keine Abbiegungen, keine Sackgassen, keine weißen Flecken, keine Hic-sunt-dracones-Flecken, keine eigentümlichen Irrtümlichkeiten. Passend hierzu läutet Wecker mit Beckett ein: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Das sind freilich Weisheiten, die man erst erzielt, wenn man kein zu lauschiges Leben führte.
Gleichzeitig wären diese Weisheiten etwas, das man der Jugend an die Hand geben sollte. Die bekommt heute gezeigt, möglichst konform zu sein, möglichst perfekt, sich allzeit blendend zu verkaufen, Alleinstellungsmerkmale zu polieren. Stehen sie dann vor Brüchen im Lebenslauf, tun sich die üblichen Lebenskrisen auf, dann erliegen sie dem Irrglauben, nun mit einem für alle sichtbaren Makel behaftet zu sein, einer Sünde an der meisterhaft tadellosen Eigendarstellung. In einer Gesellschaft, in der man sich beharrlich selbst verkaufen soll und man daher zum eigenen Händler seiner Ware, die man auch noch selbst ist, wird, ist es mit dem Selbstbewusstsein, mit dem Hier stehe ich, ich konnte damals nicht anders! Daher die Lücke, daher die Unausgewogenheit in meinem Lebenslauf! nicht weit her. Lebensläufe können variieren - wir legen doch viel Wert darauf, eine pluralistische Gesellschaft zu sein, in der es mehr als einen Lebensentwurf geben kann. Sie können wahrlich verschieden ausfallen, aber sie müssen von Nützlichkeiten marmoriert sein.
Was hat man getan; für wen; mit welcher Absicht; hat es was gebracht? War es sinnvoll? Förderlich? Zweckdienlich? Freie Zeiten, Vakanzen, Jahre der Ungebundenheit, der Freiheit, der Flucht, da zieht man skeptisch die Augenbraue zur runzeligen Stirn. Der Personalchef, der einen Blick auf die Vita wirft, fragt sich sogleich: Was wenn er wieder rückfällig wird, der Kandidat? Wenn er erneut unnütze Zeiten für sich und zur Belastung für unsere Gesellschaft anstrebt, wenn er zu nichts mehr taugt, ein Taugenichts wird? Zwei Jahre Selbstfindung und Reiselust: Das ist verdächtig! Unnötige Schulbesuche, die die adoleszente Ziellosigkeit unterstreichen: Ein Phlegmatiker! Ganz gefährliche Leute! Ein ganzes Jahr arbeitslos: Jemand, der sich mit seiner Lage arrangiert, kein Anpacker und Macher!
Konstantin Wecker verschweigt in "Die Kunst des Scheiterns" sicher nicht seine Erfolge. Aber sie sind nicht einfach hier, wie in manchen Populär-Biographien, sind nicht einfach zugefallen oder erarbeitet, sondern durch das Scheitern begründet. Trial and error - so kann Glück und Erfolg auch erzwungen werden. Wecker war Dieb, war Vagabund, war Luftikus, Sexschauspieler und Kokser. Sogenannte Fehlgriffe in seiner Vita, die ihm nicht schaden, ganz im Gegenteil, sie zeigen ihn als Menschen, als einen durch die Geschichte irrenden Zeitgenossen. Durch seine Lebenszeit zu irren, das gilt heute als Übertretung der Konvention, man muß heute wissen, was man will, zielstrebig sein, handeln, Lebenslauflücken nicht nur ausfüllen, sondern sinnvoll ausfüllen, sie mit wertschöpfenden Tätigkeiten ausfüllen. Erfolge sicher, die hatte er - aber Lehrmeister war das Scheitern; Erfolge waren das Gesellenstück der Scheiternslehre. Einsichten, die keiner hat, der Personal einstellt.
Wecker schönt nichts. Schön ist nur seine Sprache. Er schreibt poetisch, sehr verträumt - wie man ihn kennt, den Rinnsteinpoeten, für den er sich selbst hält. Er schreibt in seinem Buch an einer Stelle, dass er manchmal resigniert und wütend wird, weil die Jugend heute seine Aufrührigkeit nicht begreift; gegen wen sollen sie revoltieren, fragen sie ihn bei Veranstaltungen hin und wieder. Er gibt in seinem Buch eine eindeutige Antwort: gegen den überkandidelt wichtigtuerischen Lebenslauf, gegen die Diktatur der perfekten Vita, die schon kleine Ausbrüche gnadenlos abstraft und als Zeichen persönlicher Schwäche ansieht.
4 Kommentare:
Naja, scheitern kann auch sehr viel weniger spektakulär aussehen als beim Herrn Wecker.
Der entsetzte Gesichtsausdruck des Arge Mitarbeiters als er meine Vita kopfschüttelnd beiseitegelegt hat und mich ansprach:"Das kann doch alles nicht wahrsein, Herr Verrateichjetztmalnicht".
Der sprach Bände nicht Bücher.
Ich erspare euch die jetzt mal, aber es gibt Künstler des Scheiterns deren zerrissener Lebensweg ist derart furchteinlößend, da würde sich niemals ein Verleger für finden.
Beim Herrn Wecker wird es auch eher die Popularität sein, die als Motivation gedient hat.
Nichtsdestotrotz ganz bestimmt nicht verkehrt der Ansatz, und das Buch bestimmt auch nicht uninteressant.
Wie wahr. Hat mich sehr berührt, da ich, nach dem ich hässliche Personalchefsworte erfahren musste, meinen Lebenslauf für Stellensuchen aufpolierte mit Halbwahrheiten, Unwahrheiten, Weglassen ... Aber das war nicht ich. Gelebtes Leben ist nicht lackiert, aber das will heutzutage kaum jemand hören.
Schon mal geschrieben. Weckers Leben. In der Tat ist es ein Wesen des Scheiterns, etwas zum Aufhören zu bringen und damit etwas verschwinden zu lassen und Raum für Leere zu geben. Scheitern beendet das aktivische Leben, die Aufraffung zum Hinaushandeln in die Welt, die Verpraktisierung des zu vollziehenden Lebens. All dies wird im Scheitern in Form eines Versuches dazu beendet. Insofern ist der Umstand, über das Scheitern zu schreiben, selbst noch aktivisch und insofern als Teil eines nicht gescheiterten Handlungspfades zu betrachten. Ein Widerspruch. Und in der Tat ist das Scheitern bei den meisten Menschen still und eine Rückzugsbewegung, ein entschwinden.
In der folgenden Leere bleibt Raum für einen neuen Ansatz oder für eine Reallokation der HAndlungsenergien, aber erst nachdem die Schmerzen dieses Rückzuges gespürt worden sind. Diese Erfahrung machte Wecker wie alle anderen, oder fast alle anderen Menschen auch. Aber das Scheitern des Erfolgreichen ist zweifellos publikabler und passender für die armen Seelen, denen die isolative Eigenverantwortung nicht so recht gelingen will. Hopp, Hopp, es geht schon, ich habe auch gekokst und gefickt, aber ich bin noch immer Erfolgreich. Was, du kokst nicht, na dann...
Der Personaler ist ein organischer Intellektueller par excellence. Wie der Zahnarzt den Bohrer auf den faulen Zahn richtet, richtet Ersterer seinen kognitiven Blick auf den Anwärter. Das faule Loch wird hier wie da penetriert. Dem Zahnarzt darf man aber keinen Sadismus unterstellen, er heilt schließlich. Der Personalerstand ist ein kollektivierter Minderwertigkeitskomplex, der sich zur eigenen Unterwerfung des Sadismus am anderen bedient. Das faule Loch in der Biografie, die Inspektion der gelebten Leben durch eine Tabelle. Die Tabelle, das Arbeitsinstrument des Personalers. Sie ist seine Daumenschraube. Sie ist das Massband, mit der zur MEssung angesetzt wird. Das Sieb, das die Guten von den Schlechten trennt. Tabellen als Herrschaftsinstrumente. Schonende Instrumente. Inkorporierbare Instrumente. Nicht Peitsche und Pistole. Nein Tabelle. Der Tabellar, sein Vollstrecker. Der Ort seines Wachturmes: das Gewissen. Nicht nur gewährt der Tabellar zugang zu Einkommen, nein, er zeitigt pädagogische Effekte, lässt die Tabellen in den Köpfen der Anwärter langsam aber sicher sich einprägen, die Tabelle wird neurologisch inkorporiert. Einmal drin, bedürfte es einer neurologischen Physiotherapie, eines dauernden neurokognitiven Trainings sich des Tabellismus zu entziehen. Wer dies nicht auf sich zu nehmen vermag, der wird mitunter auch in den Nächten der Ruhe gequält, die Tabelle erzeugt Alpträume, dem folgt das Gewissen überall hin, dem bringt es Schamgefühle ein unter herausgeputzten Tabellismusfans, dem ergießt es Stolzgefühle unter Gescheiterten.
Zu Pewi:
Genau das habe ich auch erlebt. Aber ich bleibe stur, denn mein Leben ist einzigartig und es gibt kein zurück.
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