Der vage Ausdruck

Donnerstag, 2. Februar 2012

Die Beobachtung einiger Abgeordneter von Die Linke durch den Verfassungsschutz hat Unmut auch bei der Justizministerin erzeugt. "Die Arbeit von frei gewählten Bundestagsabgeordneten darf nicht durch den Verfassungsschutz beeinträchtigt werden", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Das hört sich vernünftig an. Auch die Justizministerin rügt den Verfassungsschutz, wusste auch die Presse daraufhin zu schreiben. Kann man diese Aussage aber so stehen lassen?

Es gibt in diesem Land Abgeordnete der NPD. Früher gab es mehr als heute. Sie sind und waren stets frei gewählte Abgeordnete. Sie wurden von Wählern in ihre Position erhoben. Sollte sie der Verfassungsschutz nicht beschatten? Und dies, obwohl man weiß, welche krummen Touren diese Kameraden betreiben? Das ist doch letztlich die Quintessenz vom Statement der Justizministerin. Man könnte auch sagen, dass sie eigentlich nicht die Abgeordneten von Die Linke verteidigt, sondern sich für die Unantastbarkeit und die Immunität von frei gewählten Abgeordneten ausspricht.

Das sagt wahrscheinlich weniger über die Justizministerin aus, als über die Praktik im heutigen Medienbetrieb, stets nach kurzen und knackigen Statements zu hechten. Die von der Presse Belagerten wissen, dass sie sich ausführliche Erläuterungen kaum leisten können. Es soll kurz und bündig sein, ein, zwei Sätze - der Anspruch auf Genauigkeit geht dabei flöten. "... je präziser, gewissenhafter, sachlich angemessener man sich ausdrückt [...] für umso schwerer verständlich gilt [man], während man, sobald man lax und verantwortungslos formuliert, mit einem gewissen Verständnis belohnt wird. [...] Der vage Ausdruck erlaubt dem, der ihn vernimmt, das ungefähr sich vorzustellen, was ihm genehm ist und was er ohnehin meint." (Adorno, Minima Moralia - im Essay namens Worte, in Auf die faule Haut, wird dies weiters behandelt)

Die Verstümmelung des Gesagten oder das Gesagte, das zur Medienkompatibilität schon von vornherein verstümmelt wird, macht unsere Zeit zu einem ungenauen Platz. Der ausführliche Gedanke, der Zeit beansprucht, überbeansprucht die Aufmerksamkeit der Leser, Hörer oder Zuseher. Daher gibt es heute keine Erklärungen mehr, es gibt Statements - zwar meinen beide Begriffe dasselbe, aber das Statement hat sich als geraffte Aussage im Medienbetrieb erwiesen; die Erklärung klingt dabei schwerfälliger, langatmiger und es wird Aufmerksamkeit und Konzentration vorausgesetzt, um ihr zu folgen.

Die politische Berichterstattung ist ein Auflauf von Statements. Viele Gestalten aus Politik und Wirtschaft oder aus Kunst und Kultur sprechen generell nur ein, zwei Sätze in Mikrofone. Äußerungen zwischen Tür und Angel, zwischen Meetings und Besprechungen. Weil die politische Berichterstattung aus knappen Wortmeldungen besteht, hat sich auch die Politik dorthin entwickelt. Sie ist die vom Wähler verabschiedete Kumulation einzelner Sprechblasen und vager Ausdrücke. Wie der moderne Mensch Kaffee schlürft in der Hektik seines Morgens, so soll er eilends Politisches schlürfen, während er sich Schuhe schnürt oder Zähne putzt. Politisches zwischen Tür und Angel, Politik im Türstock.

Darauf hat sich Politik spezialisiert - abgeschaut von der Wirtschaft, von der Werbung, dem Verschlagworten von Banalitäten. So ist der Justizministerin laxer Satz zu verstehen. Tiefschürfender würde sie zwischen Abgeordneten von Die Linke und der NPD unterscheiden müssen, alleine die Statementisierung der Politik und der dazugehörigen Berichterstatter, erlaubt eine solche tiefsinnigere Ausdruckswahl nicht.



9 Kommentare:

Hartmut 2. Februar 2012 um 08:18  

Ein kurzer, knapper, passend zum Inhalt geschrieber Artikel - dafür ein Dankeschön.

Dazu im Volksmund: In der Kürze liegt die Würze....Ja klar, eben nur die Würze.
Unsere Worte sind hohl und sinnentlehrt geworden. Eben Sprechblasen.

Ulrich Schaffer, den ich Ende der 80er einmal in Essen bei einem Vortrag kennenlernte, schrieb in seinem Geschenkband,"....weil du dein Leben entscheidest" folgenden Satz:
"Sei in deinen Worten oder sprich sie nicht."
Das wär doch mal ein Vorschlag für unsere wirtschaftspolitischen Heroen.

stefanbecker 2. Februar 2012 um 08:41  

Und durch diese Oberflächligkeit die sie hier vortrefflich beschreiben, schleicht sich ein maskierter Faschismus ein, dass einem angst und bange wird.
Wer Augen hat der sehe, wer Ohren hat der höre, wer eine Stimme hat
der rufe.

christophe 2. Februar 2012 um 09:40  

Zum Parteienverbot: Jenseits aller Ideologie ist es äußerst dümmlich, Parteien zu verbieten, denn diese sind nun mal - leider - ein Abbild der gesellschaflichen Zustände. Es erinnert an kleine Kinder, die sich die Augen zuhalten, damit das Wahrgenommene verschwindet. In Frankreich käme keiner auf die Idee, den FN zu verbieten, selbst die Linken nicht. Nur in Deutschland gibt es diese seltsame Tendenz, (fehlgeleitete) Unzufriedenheit per Gesetz zu verbieten...

Anonym 2. Februar 2012 um 10:34  

Tja, so funktioniert halt PR-Arbeit/Propaganda/Werbung/Marketing - da kann man nicht langatmig, wie ein Professor, ausholen - abwägend, womöglich noch alles differenziert betrachtend.
Spätestens seit Gustave LeBon weiß man, wie ein Massenpublikum "funktioniert". Kurze, knappe Statements - immer wiederholen - und schon glaubt die Masse daran. So gesehen ist die Glotze die genialste Erfindung, um sich, als Machthaber, die Masse so zu formen, wie man sie braucht: "informiert" - dumm (Gehirne werden mit Slogans und Schlagworten befüllt) - blöde - PASSIV (anstatt sich mit den Nachbarn zu unterhalten, womöglich sich mit ihnen zu solidarisieren, sitzt man passiv vor der "Blödmaschine" und läßt sich mit Scheiße [Werbesports, Dschungelcamp, ge-fake-te Nachrichten ...] abfüllen.)

„Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppendenkens verstehen, wird es möglich sein, die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern“.
(Edward Bernays)

http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Bernays

Anton Reiser

Anonym 2. Februar 2012 um 11:01  

Hier ein Zitat von Theodor Körner

“Noch sitzt Ihr da oben, Ihr feigen Gestalten.
Vom Feinde bezahlt, doch dem Volke zum Spott!
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk, dann gnade Euch Gott!“

Anonym 2. Februar 2012 um 11:29  

Die Glotze ist auch das ideale Instrument, um den Fake einer "Demokratie" zu erzeugen. Mit Hilfe der politischen Talkshows wird der Eindruck erweckt, als könne das Volk direkt bei der Entscheidungsfindung zuschauen bzw. sogar Fragen an die Polit-Clowns stellen ("Glotze als Parlament").
War die öffentliche Vorführung von Eva Herman bei dem Kuscheltalker Johannes B. Kerner (der die Ehefrau des Schahs nur über die Liebhaberqualitäten ihres Mannes reden ließ - der SAVAK war kein Thema) nicht wie eine schulische Zurechtweisung ("Glotze als Schule") bzw. eine Art Nachhilfe in Political Correctness?
Laut Cornelius CASTORIADIS ("Autonomie oder Barbarei") ist unser westliches Politsystem keine Demokratie, sondern ein "System der liberalen Oligarchie".
CASTORIADIS: "Das System der liberalen Oligarchie, mit der Apathie und dem Rückzug ins Private, die es erst möglich machen, setzt voraus, dass die Leute tatsächlich ihre Zeit im Supermarkt [ich muss spontan an "Shoppen und Ficken" von Mark Ravenhill denken] und vor dem Fernseher verbringen." (S.102)

Anton Reiser

Anonym 2. Februar 2012 um 15:23  

„Der vage Ausdruck“ - „Darauf hat sich Politik spezialisiert - abgeschaut von der Wirtschaft, von der Werbung, dem Verschlagworten von Banalitäten.“ – das ist selbst eine Statementisierung, denn was z.B. im gestrigen Beitrag als „Säule der Ökonomie“ bezeichnet wurde, ist eben gerade nicht nur Propaganda, Werbung oder Marketing. Und selbst innerhalb der Sphäre des reinen Verkaufs, warenfetischistisch abgelöst von der Produktion, ist nur das Ergebnis (ein Inserat, ein Werbespot, eine Kampagne) verschlagwortet, mitnichten aber die Produktion dieses Ergebnisses, mit komplexen wissenschaftlichen Lageanalysen, Sitzungen bis tief in die Nacht, hektischen Ausarbeitungen von Entwürfen, A/B-Tests etc. Ich war selber nie in dem Bereich berufstätig, die Tätigkeit soll aber extrem anfällig für Burnouts schon in jungen Jahren sein.

Politische Statements werden heutzutage einerseits genau so professionell und aufwändig produziert („abgeschaut von der Wirtschaft“), andererseits stehen die Politiker – anders als Wirtschafts-PR-Spezialisten, wenn nicht grad ein firmeneigener Öltanker abgesoffen o.Ä. ist - sehr viel häufiger unter dem medialen Zwang, schnell und damit notwendig dilettantische Ergebnisse produzieren zu müssen. Solch unerwünschte Hüftschüsse müssen anschliessend von „Spin Doctors“ aufwändig wieder zurechtgerückt werden. Und hier kann und soll die politische Kritik genau sein, insbesondere genau in der notwendigen Spekulation, wie und warum die politischen PR-Agenturen im Rahmen des Betriebsgeheimnisses operieren, um ganz zweckrational funktionale „vage Ausdrücke“ zu generieren. Mir scheint, besonders die „Nachdenkseiten“ haben sich auf diese Mission spezialisiert, und neusprech.org katalogisiert getreulich diese produzierten manipulativen Vagheiten.

Anonym 2. Februar 2012 um 18:18  

So gewinnt man nun mal Wahlen.
Schröder hatte mir das als erster deutlich gemacht. Er legte sich auf nichts fest, es gab es nur den Slogan "Neue Mitte" und "Ich will nicht alles anders, aber vieles besser machen".
Ganz groß damals der Tenor der Linken "Hauptsache, Kohl ist weg" und ei bekundung, Schröder habe keinen Freifahrtsschein und werde wachsam beobachtet. Was hat diese wachsame Beobachtung verhindert? Hartz IV?
Mittlerweile hat die Linke ein Informationsinstrumentarium samt Reichweite, von dem jeder Politiker der Menschheitsgeschichte nur träumen konnte - und was hat sich getan? NICHTS. ABSOLUT: NICHTS. Beziehungsweise doch: es ist schlechter geworden.

Oller 4. Februar 2012 um 11:42  

Mich würde interessieren: Was arbeiten Abgeordnete eigentlich den ganzen Tag???

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